WM-SERIE, Teil 31: GHANA | Mit einem Altersschnitt von unter 25 Jahren gehören die „Black Stars“ zu den jüngsten Teams der WM. Das mit zahlreichen U20-Weltmeistern gespickte Team überzeugte beim Afrikacup und hat nur ein Problem: Die Rückkehr der verletzten Routiniers…
Als bestes afrikansiches Team werden zumeist die anderen genannt. Etwa die Elfenbeinküste mit (oder verletzungsbedingt ohne?) Didier Drogba. Oder Kamerun, dank Samuel Eto’o. Vielleicht auch der große Abwesende, der zuletzt dreifache Afrikacup-Sieger Ägypten. Aber es gibt auch einige, die sagen: Die sind alle nichts, verglichen mit den „Black Stars“.
Das kann mehrere Gründe haben. Zum einen natürlich, dass Ghana erst vor vier Jahren erstmals an einer WM-Endrunde teilnahm. Und dort, des Achtelfinal-Einzugs zum Trotz, keinen allzu bleibenden Eindruck hinterließ. Und das liegt logischerweise auch daran, dass es im Team aus Ghana keinen Spieler gibt, den jeder kennt. Einige B-Promis des internationalen Fußballs, aber nicht den einen, großen Bringer. Zumindest, seit mit Michael Essien derjenige Spieler, der international noch den besten Namen hat, verletzt passen muss.
Ein schwerer Schlag, möchte man meinen. Aber ist es das wirklich? Rückblende: Es ist nicht mal ein halbes Jahr her, als Ghana beim Afrikacup auf so ziemlich alles verzichten musste, was Rang und Namen hatte. Essien war auch schon nicht dabei (bzw., nur kurz), Altmeister Stephen Appiah fehlte genauso wie Antreiber Muntari, Rechtsverteidiger John Paintsil und Abwehrchef John Mensah. Von der jungen Garde, die einspringen musste, erwartete man sich keine Wunderdinge, obwohl diese erst im vergangenen Oktober U20-Weltmeister wurde. Und siehe da: Die Ghanaer präsentierten sich im Jänner als einziger WM-Teilnehmer schon absolut reif für die Endrunde. Taktisch clever, hinten sicher, und in der Offensive ruhig genug, um auf die Chancen zu warten. Das hatte Klasse und zeigte, warum die „Black Satellites“ Junioren-Weltmeister geworden waren.
Ja, im Finale gegen die abgebrühten Ägypter klappte es dann nicht mehr, aber dennoch machte der Auftritt in Angola das Team aus Ghana zum logischen Favoriten auf den zweiten Gruppenplatz hinter den Deutschen. Vor allem, wenn dann die routinierten Spieler wieder da sind, hieß es, da kann dann einiges erwartet werden, bei der WM-Endrunde. Was auch logisch erschien – schon in Deutschland vor vier Jahren waren es die Ghanaer, die von ihrem Kontinent am weitesten kamen, die Spieler sind technisch und auch taktisch gut ausgebildet, spielen bei guten Vereinen. Eigentlich war es ein ziemliches Underachievement in der Vergangenheit, dass ein Land wie Ghana, dass schon zuvor viele gute Fußballer hervorbrachte, noch nie bei einer Endrunde dabei war.
Die junge Truppe fand sich schnell und ließ sich auch von den Unkenrufen, sie hätten sich mit „Ugly Football“ ins Finale gemauert, nicht aus der Ruhe bringen. Es war nur ungewohnt, weil es eine für afrikanische Teams eher unübliche Spielweise war. Und der Mann, der an der Seitenlinie dafür zuständig war und ist, heißt Milovan Rajevac und führt das Werk seines Vorgängers Ratomir Dujković – exakt, auch ein Serbe – nahtlos weiter. Dujković hatte bei den Verantwortlichen ein gutes Wort für Rajevac eingelegt. Wie überhaupt der Fußballverband aus Ghana einer ist, der im Vergleich mit dem einiger Nachbarn recht seriös und skandalfrei geführt wird. Das liegt sicher auch an der Arbeit von Leuten wie Anthony Baffoe, der nicht nur eine ähnliche Funktion hat wie Matthias Sammer bei den Deutschen, sondern auch eine ähnliche Professionalität an den Tag legt. Einen wie den in Deutschland geborene Ex-Teamspieler könnten auch andere Delegationen sehr gut gebrauchen.
Nun hat sich Rajevac seit dem Afrikacup allerdings einigermaßen verheddert. Jetzt, wo die Arrivierten wieder da sind, beanspruchen sie natürlich ihre Plätze wieder zurück. Das entstandene Konfliktpotential konnte Rajevac noch nicht in gewünschtem Ausmaß kanalisieren, und das färbt logischerweise auf die Leistung der Mannschaft ab. Mit Appiah, Paintil und Muntari lief Ghana in der Vorbereitung etwa in ein 1:4-Desaster in Holland. Rajevac eliminierte Emmanuel Badu, der einen wirklich starken Afrikacup spielte, und nahm dafür Kevin-Prince Boateng mit – einen als mäßig talentiert gehandelten Treter, der zudem als Unsympath in der Kabine gilt. Ob das so eine gute Entscheidung war?
Dazu fällt mit Opoku Agyemang, der ebenso einen guten Eindruck hinterließ, ein talentierter Offensivspieler mit einem Kreuzbandriss aus. Natürlich, die anderen Jungstars sind dabei: Der starke Außenverteidiger Samuel Inkoom von Basel hat ebenso eine realistische Einsatzchance wie Spielgestalter Kwadwo Asamoah und die grandiosen Ayew-Brüder, die Söhne von Marseille-Legende Abedi Pelé (der auf seine alten Tage sogar noch bei den Münchner Löwen anheuerte). Aber die Mischung hat Rajevac nach der Rückkehr der „Alten“ in der Vorbereitung noch nicht ganz gefunden. Und das könnte ein entscheidender Nachteil werden.
Wie auch die Sache mit dem Torwart, wie bei fast allen afrikanischen Teams, keine glanzvolle ist. Richard Kingson bekommt bei Wigan ähnlich wenig Einsätze wie sein Gegenüber im Guppenspiel gegen Serbien, Vladimir Stojković. Dennoch ist er unumstritten. Davor wird Rajevac wieder auf ein 4-2-3-1 vertrauen, wie er das auch schon beim Afrikacup sehr erfolgreich gemacht hat. Allerdings mit einigen offenen Fragen, und das beginnt schon auf der Position des Rechtsverteidigers. In Jänner spielte sich der junge Samuel Inkoom hier in den Vordergrund und wäre auch aufgrund seiner Leistungen während der Saison eigentlich die logische Wahl. Aber mit Fulham-Reservist John Paintsil steht ihm hier ein arrivierter Mann potentiell im Weg, der schon aufgrund seiner vergangenen Leistungen für das Team der „Black Stars“ den Stammplatz für sich beansprucht. In den Testspielen zementierte sich allerdings der Eindruck, dass sich Inkoom hier durchsetzen wird.
In der Abwehrzentrale ist es John Mensah von Sunderland, der nach seiner Verletzung rechtzeitig fit wird. Natürlich fehlt es ihm nach seiner Knieblessur noch ein wenig an Spielpraxis, aber Rajevac wird auf ihn vertrauen. Und neben ihm auf Isaac Vorsah: Der 22-Jährige spielte schon beim Afrikacup einen staubtrockenen Innenverteidiger. Ihm kommt zu Gute, dass er bei seinem Verein in Hoffenheim auch eine offensivere Rolle hat und somit als Eröffner eigener Angriffe durchaus ein Auge für den richtigen Pass hat. Links hinten kämpfen der junge Lee Addy, der noch in der heimischen Liga spielt, und Team-Opa Hans Sarpei von Bayer Leverkusen um den Platz. Angesichts der Tatsache, dass letzter die deutlich größere internationale Erfahrung hat, kann man damit rechnen, dass Sarpei die Nase vorne haben wird – obwohl er bei Leverkusen auch eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Das Sechsergespann wäre für die alten Hasen reserviert gewesen. Oder etwa doch nicht? Wer geglaubt hat, Appiah und Muntari hätten hier nach der Verletzung von Essien einen Freifahrtsschein, sah sich in der Vorbereitung getäuscht. Erstaunlicherweise war es nämlich viel mehr Anthony Annan, der die Routiniers übertraf. Und, was noch viel weniger erwartet hätten, machte sich Kevin-Prince Boateng auf der Essien-Position gar nicht so schlecht und es wäre keine allzu große Überraschung mehr, sollte er im ersten Spiel gegen Serbien einlaufen – und sei es nur, um den guten Technikern vom Balkan Angst vor einer der berüchtigten Boateng-Attacken einzujagen. Das könnte vor allem der Fall sein, wenn der am Oberschenkel angeschlagene Sulley Muntari nicht rechtzeitig auf die Beine kommen sollte.
In der Rolle des Zehners hat sich schon beim Afrikacup der erst 21-jährige Kwadwo Asamoah absolut bewährt. Er ist laufstark, trickreich und mit dem Blick für den entscheidenden Pass ausgestattet – eine echte Waffe. Sein großes Plus: Er kann auch auf die Seiten ausweichen, wenn notwendig, oder wenn Muntari in die offensive Zentrale geht. Wie die Außen sonst besetzt sind, hängt vor allem von der Herangehensweise an den Gegner ab. Am Wahrscheinlichsten ist die erwähnte Variante mit einer offensiven Dreierkette im Mittelfeld hinter einer Solo-Spitze, die Mannschaft kann aber ebenso schnell auf ein 4-3-3 wechseln. Das wird in Südafrika aber wohl eher nur der Fall, sollte es der Spielstand erfordern. Auf den Außenbahnen werden sich mit Andrew Ayew (rechts) der jüngere der beiden Brüder und wahrscheinlich Quincy Owusu-Abeyie (links) abrackern. Letzterer rückte für den per Kreuzbandriss eliminierte Opoku Agyemang nach. Mit Milan-Talent Adiyiah macht sich hier noch ein weiterer Jungspund Hoffnungen; für den gelernten Stoßstürmer Tagoe wäre ein Ausweichen auf die Seiten eher eine Notlösung.
Denn in der Mitte ist üblicherweise zu – hier hat sich Asamoah Gyan, der vor vier Jahren das erste WM-Tor Ghanas überhaupt erzielt hatte, seinen Startplatz ohne Zweifel gesichert. Der im internationalen Vergleich eher mäßige Matthew Amoah und der Hoffenheimer Prince Tagoe, der mit einer rätselhaften Herzerkrankung praktisch die komplette abgelaufene Saison verlor, können den auch erst 24-jährigen Gyan nur notdürftig ersetzen.
Teamchef Milovan Rajevac kann also ein wenig rotieren, aber nicht überall so viel wie er das gerne können würde – was nicht nur an womöglich mangelnden oder fehlenden Alternativen liegt, sondern auch an der inneren Hygiene im Team. Er muss höllisch aufpassen, dass der Kader nicht in die Fraktionen „Arrivierte“ und „Junge“ zerfällt – es wäre nicht das erste Mal, dass ein afrikanisches Team mehr an sich selbst scheitert, als am womöglich fehlenden Potential. Letzteres kann für Ghana nicht gelten, denn in den letzten Jahren haben sie sich, was das Spiel als Mannschaft betrifft, ohne Zweifel als bestes afrikanisches Team, das auch in Südafrika dabei ist, etabliert. Da können die Konkurrenten aus Kamerun und der Elfenbeinküsten nur neidvoll hinterherschauen.
Zerfleischen sich die Ghanaer allerdings selbst, würden sie wohl selbst neidvoll auf die womöglich erfolgreichere Konkurrenz blicken müssen.
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GHANA
ganz in weiß, Puma – Platzierung im ELO-Ranking: 42.
Spiele in Südafrika:
Serbien (Nachmittagsspiel So 13/06 in Pretoria)
Australien (Nachmittagsspiel Sa 19/06 in Rustenburg)
Deutschland (Abendspiel Mi 23/06 in Johannesburg/S)
TEAM: Tor: Daniel Adjei (20, Liberty Professionals), Stephan Ahorlu (21, Heart of Lions), Richard Kingson (32, Wigan). Abwehr: Lee Addy (24, Bechem), Abdul Ayew (22, Zamalek Kairo), Samuel Inkoom (20, Basel), John Mensah (27, Sunderland), Jonathan Mensah (19, Free State Stars), John Paintsil (29, Fulham), Hans Sarpei (34, Leverkusen), Isaac Vorsah (22, Hoffenheim). Mittelfeld: Kwadwo Asamoah (21, Udinese), Anthony Annan (24, Rosenborg), Stephen Appiah (29, Bologna), Andrew Ayew (20, Arles), Derek Boateng (27, Getafe), Kevin-Prince Boateng (23, Portsmouth), Sulley Muntari (26, Inter Mailand). Angriff: Dominic Adiyiah (20, Milan), Matthew Amoah (29, Breda), Asamoah Gyan (24, Rennes), Quincy Owusu-Abeyie (24, Spartak Moskau), Prince Tagoe (23, Hoffenheim).
Teamchef: Milovan Rajevac (56, Serbe, seit August 2008)
Qualifikation: 3:0 gegen Libyen, 3:2 in Lesotho, 0:2 in und 2:0 gegen Gabun, 0:1 in Libyen, 3:0 gegen Lesotho. 1:0 gegen den Benin, 2:0 in Mali, 2:0 im und 2:0 gegen den Sudan, 0:1 im Benin, 2:2 gegen Mali.
Endrundenteilnahmen: 1 (2006 Achtelfinale)
>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Côte d’Ivoire, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile
* Die Platzierung im ELO-Ranking bezieht sich auf den Zeitpunkt der Auslosung