Nachbetrachtung – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Wed, 20 Nov 2024 10:39:07 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.1 Der ÖFB und sein Team: Gut gemeint und doch auf die Nase gefallen https://ballverliebt.eu/2024/11/19/nations-league-ofb-slowenien-kasachstan-rangnick-mitterdorfer-gartner/ https://ballverliebt.eu/2024/11/19/nations-league-ofb-slowenien-kasachstan-rangnick-mitterdorfer-gartner/#respond Tue, 19 Nov 2024 15:13:01 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20837 Der ÖFB und sein Team: Gut gemeint und doch auf die Nase gefallen weiterlesen ]]> Nein, nötig wäre das nicht gewesen. Ist es wirklich ein sportliches Drama? Naja. Österreich hat in den Schlussminuten des Heimspiels gegen Slowenien noch den Sieg hergeschenkt und mit dem 1:1 den Direktaufstieg in die A-Gruppe der Nations League verpasst. Verschmerzbar, es gibt ja eh noch das Aufstiegsplayoff, und selbst wenn man in der B-Gruppe bleiben sollte – eigentlich wurscht. Der erste Topf für die WM-Quali ist sich gerade noch ausgegangen, das ist sicher wichtiger.

Aber die beiden abschließenden Spiele der vierten Nations League sind aus österreichischer Sicht ein Spiegelbild des Krawalls im ÖFB, der eben nicht hinter den Kulissen stattfindet, sondern auf dem Altar der Öffentlichkeit.

Klare Parallelen

Das Team erledigte einen potenziell unangenehmen Job beim 2:0 in Kasachstan ohne Drama. Dann, in einem voller Erwartung ausverkauften Happel-Stadion, ist man gegen Slowenien voll auf Kurs, kommt aber vor der Ziellinie ins Straucheln und fällt auf die Nase, wird für seine Versäumnisse bestraft.

Im Präsidium war davor die von Präsident Klaus Mitterdorfer angestrebte Strukturreform durchgegangen, alles sah eigentlich fein und zukunftsträchtig aus: Ein CEO, dazu ein Abteilungsleiter Sport (Peter Schöttel) und ein Finanz-Chef, also die Neuhold-Rolle. Als mögliche Geschäftsführer kursierten zunächst der aktuelle Bundesliga-Vorstand Christian Ebenbauer – dem im Frühjahr potenziell unangenehme Verhandlungen zum neuen TV-Vertrag ins Haus stehen – und der international bestens vernetzte ehemalige Bundesliga-Vorstand Georg Pangl, nun auch die von Mitterdorfer vorgeschlagene ehemalige Postbus-Chefin Silvia Kaupa-Götzl.

Und dann zerbröselt die Stimmung in schlechter Kommunikation und den verbalen Giftpfeilen, die sich die Beteiligten über die Medien gegenseitig zuwerfen: Die Mannschaft für Neuhold. Gartner gegen Rangnick („Man muss aufpassen, wo er hingaloppiert“). Alaba gegen Gartner (der verletzte Kapitän bezichtigt NÖFV-Präsidenten, unterstützt von OÖ-Präsident Götschhofer, bezüglich der von Gartner verbreiteten angeblichen Streik-Drohung der Spieler nun offen der Lüge). Mitterdorfer kann nur noch versuchen, die Brände auszutreten.

Wir erleben die größten Chaos-Tage im ÖFB seit dem Winter 2001/02, als Beppo Mauhart irgendwie einen Präsidenten Frank Stronach verhindern wollte und gleichzeitig ein neuer Teamchef gesucht wurde

Das 2:0 in Kasachstan

Dabei hat ja allgemein gefallen, was die Repräsentanten des ÖFB in diesem Jahr auf dem Rasen gezeigt haben, ach ja, Fußball wurde ja auch gespielt. Dem EM-Katerfrühstück im September (nur 1:1 in Slowenien, 1:2-Niederlage in Oslo) folgte die schwungvolle Auferstehung im September (4:0 gegen Kasachstan, gar 5:1 gegen Norwegen). Die Rechnung war klar: Zwei Siege in den letzten zwei Spielen, und Österreich ist Gruppensieger.

Der Flug ist lang, das Wetter kalt, das Stadion nicht mal halbvoll und der Gegner kann unangenehm sein – aber Österreich war in Kasachstan von der ersten Minute an da. Wie schon beim souveränen 4:0 in Linz war das ÖFB-Team wieder wach im Pressing, man ließ die Kasachen kaum Zeit am Ball und wenn die Hausherren doch mal am österreichischen Strafraum waren – wie in der 10. Minute – wirkte das so „hui, wir sind im Angriffsdrittel, ähm…. was mach ma jetzt? Na, versuch du was! Was? Keine Ahnung…“

Der kasachische Block ließ sich relativ leicht mittels Überladungen ins Zentrum ziehen, wodurch Posch extrem viel Raum zum Aufrücken hatte, zudem waren die beiden Ketten alles andere als kompakt – der einrückende Romano Schmid machte sich dort immer wieder anspielbar. Das 1:0 nach einer Viertelstunde wurde genau über so einen Pass rechts neben den in die Mitte geschobenen kasachischen Block vorgetragen, vor dem 2:0 versprach Marotchkin der Ball, was ihn zu einer Notbremse zwang. Der Freistoß saß, Kasachstan war einer weniger, das Match entschieden.

Österreich blieb griffig und giftig und die Kasachen (dann im 4-4-1) rissen den Zwischenlinienraum noch weiter auf, das war ein richtiger Ozean. Das ÖFB-Team bearbeitete diesen nach Belieben hätte bis zur Halbzeit schon auf 5:0 stellen können und nach nach dem Seitenwechsel gab es zwei, drei gute Aktionen, die jedoch nicht mit einem Tor endeten. So ab der 60. Minute wurde immer noch vorne draufgegangen, im eigenen Aufbau von hinten entwich jedoch das Tempo und die Bereitschaft zu Risikopässen. Das Spiel schlief ein wenig ein und plätscherte dem Endstand von 2:0 entgegen.

Das 1:1 gegen Slowenien

Da sich Norwegen am Donnerstag in Slowenien durchgesetzt hatte, brauchte Österreich auch im abschließenden Heimspiel gegen die Slowenen einen Sieg für Platz eins in der Gruppe und den direkten Aufstieg. Die Gäste überließen erwartungsgemäß dem ÖFB-Team den Ball und störte die Eröffnung.

Das sah in der Praxis so aus, dass die Stürmer Šeško und Vipotnik das österreichische ZM in den Deckungsschatten stellte und Timi-Max Elšnik aus dem Mittelfeld aufrückend und die österreichische IV anlaufend einen Eröffnungspass provizierte. Das in den schwarzen Trikots zum 50. Jubiläum der Kooperation mit Puma spielende ÖFB-Team löste diese Situationen zwar gefahrlos auf, situativ kippte Seiwald dafür ab. Es gelang aber nicht, etwa durch den entstehenden Raum zwischen Gnezda-Čerin und Mlakar hindurch nach vorne zu kommen.

Österreich vermied Risikopässe und achtete darauf, möglichst nicht in billige Ballverluste zu laufen. Wie in Kasachstan verdichtete man im Zentrum, Slowenien gab aber längst nicht so bereitwillig die Außenbahnen her. Die beste Route zum Tor ergab sich für Österreich, wenn man Slowenien aufgerückt erwischte – wie eben beim 1:0 nach einer halben Stunde. Ein Konter gegen Slowenien im eigenen Stadion, wenn sich die Gelegenheit ergibt, muss man sie auch nützen.

Allerdings: Das Bemühen, sich in den Zwischenlinienraum zu arbeiten und dort durch zu kommen, zeitigte ebenso immer wieder Erfolg. In der 33. Minute, als es aber knapp abseits war. In der 35. Minute, als Oblak gegen Baumgartner parierte. Wie Sabitzer, der in der 61. Minute aus aussichtsreicher Position zum Abschluss kam. Wie in der 64. Minute, als Sabitzer verzog. Defensiv schaffet es Österreich gleichzeitig, Šeško nie Tempo aufnehmen zu lassen.

Es war sicher nicht jene ultimative Glanzleistung, als die es Rangnick nach dem Spiel am ORF-Mikro zu verkaufen versuchte (was auch sicher eher als Signal und nicht als Analyse zu werten war), aber eine professionelle und konzentrierte, seriöse Darbietung, der einzig das Tor zur Entscheidung gefehlt hat. Erst, als nach 70 Minuten die Intensität kräftebedingt nachließ, konnte sich Slowenien etwas mehr ins Spiel einbringen. Matjaž Kek brachte einen neuen Flügelspieler, Rangnick beließ die Startformation hingegen bis kurz vor Schluss auf dem Feld.

Ohne neue Impulse und vor allem ohne frische Beine war es Österreich nun kaum mehr möglich, offensive Akzente zu setzen. Es ging darum, zumindest das 1:0 über die Zeit zu bringen. Bis Österreich in der 81. Minute einmal das slowenische Anlaufen nicht gut auflöste, Pentz‘ Befreiungsschlag beim Gegner landete und via Karničnik der völlig freie Gnezda-Čerin bedient wurde, der zum 1:1 abdrückte. Der Sieg war verspielt, damit der Gruppensieg.

We seem to have a knack for miscommunication…

Norwegen gewann gegen Kasachstan 5:0 und staubte diesen ab. Ärgerlich aber nicht tragisch. Also wieder Vorhang auf für das Bühnenstück im ÖFB. Komische Oper? Schicksalsschwangere Tragödie? Oder gar eine Farce?

Mitterdorfer jedenfalls hat eben im Oktober die Strukturreform durchgebracht, das geht nicht ohne zerschlagenes Porzellan. Wenn die Fraktion der üblichen Verdächtigen im Präsidium beleidigt ist, soll das so sein, es gibt wahrlich Schlimmeres. Es sollte wohl keinen offensichtlichen Sieger im seit Jahren tobenden Machtkampf zwischen Generalsekretär Thomas Hollerer und Wirtschafts-Vorstand Bernhard Neuhold geben (zumal Neuhold eine Rolle beim Aus von Gerhard Milletich gespielt hatte), dann müssen halt beide gehen – vom Blick von außen: nachvollziehbar. Dass sich Trainerstab und Mannschaft dabei öffentlich für den als umgänglich und professionell geltenden Neuhold in den Kugelhagel warfen, war aus ihrer Sicht notwendig, entsprechend verständlich war die verschnupfte Reaktion auf dessen Ausbootung. Fünf seiner sechs Monate Kündigungsfrist sind noch übrig.

Dass davor über Monate die Kommunikation zwischen Mitterdorfer und Rangnick zusammengebrochen war bzw. sein soll, sickerte erst nach der entscheidenden Präsidiumssitzung am 18. Oktober durch. Ein Eigentor von Mitterdorfer: Bei der Präsidiumssitzung im August war Rangnick dabei und dort forderte er weitere Schritte in Richtung Professionalisierung des vor allem auf Entscheider-Ebene immer noch ziemlich kleinmütig aufgestellten ÖFB. Die Blockadehaltung vor allem von NÖFV-Präsident Johann Gartner, der diese gerne und oft öffentlich vertritt, kann Mitterdorfer nicht entgangen sein. Umso fahrlässiger, dass er den starken und öffentlich überaus beliebten Teamchef für seine Pläne nicht näher an sich band, sondern im Gegenteil durch (kolportierten) fehlenden Kontakt von sich weg schob.

…that stabbed us in the back this time.

Nun ist Mitterdorfer, der als Macher und Reformer in die ÖFB-Geschichte eingehen hätte können, in einer Lose-Lose-Situation: Er hat das Präsidium UND die Mannschaft verloren. Und ein Sicherheit vermittelndes Signal an die Angestellten der ÖFB-Geschäftsstelle – wo sehr viele „Team Neuhold“ waren und nur sehr wenige „Team Hollerer“ – war die Vorgehensweise eher auch nicht.

„Wenn ich in meiner Teamchef-Zeit zu Präsident Mauhart gesagt habe, ich brauche dieses oder jenes, konnte ich mich darauf verlassen, dass er sich darum kümmert“, sagte Herbert Prohaska im ORF, angesprochen auf die öffentlich beleuchteten Bruchlinien innerhalb des ÖFB. Nun verband Beppo Mauhart mit Prohaska eine Nibelungentreue, wie sie wohl kein ÖFB-Präsident jemals mit einem der 27 anderen Teamchefs hatte. Die Machtfülle von Mauhart und die Strukturen innerhalb des Verbandes waren in den 1990ern aber noch anders als das Standing von Klaus Mitterdorfer im heillos zerstrittenen ÖFB-Präsidium.

Is this the end of the line?

Eine mögliche vorzeitige Vertragsverlängerung von Rangnick über die WM-Kampagne für 2026 hinaus wurde intern, wie kolportiert, seit Monaten auf Eis gelegt. Der Teamchef selbst tat das in seiner PK-Rede vor dem Flug nach Kasachstan aber ohnehin als nicht besonders pressierendes Thema ab – wird das WM-Ticket verpasst, wäre er sowieso von sich aus weg. Übrigens: Rangnick ist schon jetzt der viertälteste Teamchef der ÖFB-Geschichte (nach Brückner, Baric und Happel).

Rangnick wird jedoch eine Verlängerung über 2026 hinaus, dieses Urteil lässt seine bisherige Vita zu, auch von der Art und Weise abhängig machen, wie sich das Umfeld im ÖFB in den kommenden anderthalb Jahren entwickelt. Auf einen unprofessionellen Jahrmarkt der Eitelkeiten hat er keine Lust und mit dem muss er sich jetzt schon seit zweieinhalb Jahren herumschlagen.

Fraglos schwebte das Damoklesschwert eines schnellen Rangnick-Abgangs über der Abstimmung über die Struktur-Reform am 18. Oktober. Die nötige Zustimmung mit Zwei-Drittel-Mehrheit (die einzige, mit der aus seiner Sicht nicht gegebenen Zuständigkeit des Präsidiums für so eine Reform begründeten Gegenstimme kam von Josef Geisler aus Tirol, der sich im TT-Interview aber als Unterstützer des Teams in der Causa Neuhold präsentierte; Salzburg und Oberösterreich enthielten sich) wohl auch deshalb zustande, weil niemand derjenige sein wollte, der von mit Mistgabeln bewaffneten Nationalteam-Fans für eine Rangnick-Flucht ans Kreuz genagelt wird.

Dass einige von ihnen 2017 im Zuge der Ruttensteiner- und Koller-Entsorgung sogar vom ORF als Dorftrottel an die Öffentlichkeit gezerrt und als Karrieristen mit bestenfalls beiläufigem Sinn für die tatsächlichen Interessen des heimischen Spitzenfußballs gebrandmarkt wurden, haben die Landespräsidenten nicht vergessen. Es hat ihnen nicht gefallen.

Hinzu kommt: Mehrheitlich handelt es sich um Langzeit-Präsidenten, die nicht mehr lange in ihrem Amt sein werden. Götschhofer und Bartosch (beide 66) sowie Lumper (62) sind in Oberösterreich, der Steiermark und Vorarlberg in ihren letzten Amtsperioden, sie gelten aber ohnehin als unverdächtig, was persönliches Machtstreben angeht. Salzburgs Ewig-Landeschef Herbert Hübel (66) hat sich vor zwei Monaten zurückgezogen, Geisler (69) hat seine letzte, bis 2028 laufende Amtszeit begonnen. Dieses Quintett wird die reduzierte Rolle der Landes-Chefs im ÖFB-Präsidium nicht mehr betreffen.

Sedlacek (69) hat sich dafür in Wien erst letztes Jahr in eine vierte Amtszeit wählen lassen und Gartner (73), im Jahr 2002 (!) erstmals NÖFV-Präsident, kann sich eine weitere Amtsperiode durchaus vorstellen.

Noch nicht lange amtieren Mitterdorfers Nachfolger in Kärnten, Jurist Martin Mutz (51), Salzburgs Übergangs-Chef Wolfgang Zingerle (65) sowie Georg Pangl (59) im Burgenland. Dieser macht keinen Hehl daraus, das Amt des ÖFB-Präsidenten anzustreben – aber nur hauptamtlich. Ob sich das bis zur nächsten Wahl in einem halben Jahr ausgeht? Zweifelhaft. So viel Reform auf einmal, und der ÖFB ist ein verkrustetes Schlachtschiff, kein agiles Startup.

Cos that would be a crime!

Wo bei alledem die Mannschaft selbst steht? Nun, sie steht vor Aufstiegsspielen für die A-Liga der Nations League (am 22. November wird einer aus dem Quartett Belgien, Serbien, Ungarn, Schottland zugelost) und vor einer WM-Qualifikation, die man als Team aus Topf 1 in Angriff nehmen wird.

Das heißt: Frankreich, Spanien, England, Deutschland, Portugal, Italien, Niederlande, Belgien, Kroatien, Dänemark und die Schweiz kommen als Gegner nicht in Frage. Die zwölf Gruppensieger fahren direkt zur WM nach Nordamerika, die Zweiten müssen in ein zweistufiges Playoff. Keine Frage: Die Voraussetzungen, sich erstmals seit 1998 für eine WM-Endrunde zu qualifizieren, sind so gut wie in den letzten sieben Turnieren vermutlich nie.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich durch den verbandsinternen Wirbel nicht Umwälzungen ergeben, welche diesem Ziel Knüppel zwischen die Beide werfen.

Cos that would be a crime.

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Die Aktivität ist zurück: Österreich siegt 4:0 und 5:1 https://ballverliebt.eu/2024/10/18/osterreich-norwegen-kasachstan-nations-league/ https://ballverliebt.eu/2024/10/18/osterreich-norwegen-kasachstan-nations-league/#comments Fri, 18 Oct 2024 21:27:52 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20738 Die Aktivität ist zurück: Österreich siegt 4:0 und 5:1 weiterlesen ]]> „Wenn man so gar nichts von seinen Stärken zeigt, obwohl alle Gelegenheiten dafür da gewesen wären, ist das nicht gut.“ Die ersten beiden, sehr schaumgebremsten und auch vom Resultat her unbefriedigenden Länderspielen nach der EM, hinterließen etwas Ratlosigkeit: Negativer Ausreißer oder doch mehr?

Das 4:0 gegen Kasachstan und das 5:1 gegen Norwegen – und hierbei vor allem die Art und Weise des Auftritts, nicht nur die nackten Zahlen – stellten nun klar: Die Enttäuschungen vom September zeigten nicht das neue, blutleere Gesicht des EM-Achtelfinalisten. Sie bleiben aber das Mahnmal dafür, wie das ÖFB-Team aussieht, wenn die geistige Bereitschaft für das aufwändige Spiel nicht zu hundert Prozent gegeben ist.

Das 4:0 gegen Kasachstan

Der Wille, den gehemmten Eindruck vom September zu revidieren, war schon in den ersten Minuten des Matches gegen Kasachstan zu erkennen. Die Probleme, sich gegen tief stehende Gegner durchzukombinieren, sind bekannt – nicht zuletzt ganz frappant zu sehen gewesen im EM-Achtelfinale gegen die Türkei – und das ÖFB-Team hatte sich einen Plan zurechtgelegt, wie es sich gar nicht erst auf endlos-brotlose Ballstaffetten einlassen muss.

„Der beste Spielmacher war das Gegenpressing“, sagte Teamchef Ralf Rangnick nach dem Spiel und das war auch genau so gemeint. Österreich schlug immer wieder die Bälle vor das kasachische Tor bzw. in die grobe Richtung der Sturmspitzen. Gar nicht so sehr, um die Pässe direkt an den Mann zu bringen, sondern vor allem, um den Bällen nachzupressen und sie sofort zu erobern, weil die technisch recht limitierten kasachischen Verteidiger wenig damit anzufangen wussten und auch sofort ein Schwarm von Österreichern über sie herfiel.

Zudem gab man mit diesen Bällen dem unsicheren Torhüter Igor Shatsky die Möglichkeit, Fehler zu machen und Österreich holte auf diese Weise auch einen Eckball nach dem anderen heraus – alleine in der ersten Halbzeit waren es acht, am Ende des Spiels hieß die Eckenbilanz 14:3 für die Hausherren.

Es waren vielleicht nicht explizit absichtliche Ballverluste, um das Gegenpressing auszulösen, aber es ging schon deutlich in diese Richtung.

Leistung für die innere Hygiene

Das 1:0 durch Baumgartner fiel justament aus einer jener Situationen, in denen Kasachstan den Ball hinten gegen das scharfe österreichische Pressing nicht schnell genug und schon gar nicht kontrolliert nach vorne gebracht hat und den Gästen kam es überhaupt nicht gelegen, dass man eben nicht in Ruhe den Strafraum verbarrikadieren konnte. Kasachstan kam nie wirklich in die von Stanislav Tcherchessov gewünschte und etwa beim 0:0 gegen Norwegen und danach auch beim knappen 0:1 gegen Slowenien in anständiger Qualität gezeigte, eigene Spielweise.

Nach der Pause fielen auch die Tore, um innerhalb kürzester Zeit mit dem 2:0 und dem 3:0 alles klar zu machen, am Ende hieß es 4:0 und das war natürlich auch in der Höhe absolut korrekt. Dass man gegen Kasachstan gewinnen würde (und das auch muss), stand nie ernsthaft zur Debatte, es ging aber in der Tat mehr um das „Wie“ als um das „Was“. Gelingt es, wieder ein willigeres, aktiveres Gesicht zu zeigen als im September?

Die klare Antwort war „Ja!“ und damit versicherte man sich auch selbst, dass es kein grundsätzliches Problem war vor allem beim Spiel in Oslo, sondern eine mentale Blockade, entstanden aus den psychischen Nachwirkungen des zu frühen EM-Aus und den spezifischen Umständen des Spiels (Norwegens lange Bälle, die man nicht verteidigt bekam und das Doppelmühle-Spiel, das Sørloth und Ødegård mit Prass veranstalteten).

Das 5:1 gegen Norwegen

Der klare Sieg gegen Kasachstan war schön, aber es wurde auch deutlich, dass dieses Team das eindeutig schwächste der Gruppe ist. Wie soll man also gegen Norwegen jene Problemfelder umgehen, die in Oslo so schlagend wurden – sprich: Wie kann Österreich das eigene Spiel aufziehen, ohne Norwegen wieder ins offene Messer zu laufen?

Einer der größten Faktoren waren die Pressingauslöser. Es wurden die norwegischen Innenverteidiger vor allem dann mit Macht angelaufen, wenn sie mit dem Rücken zum Spielgeschehen standen – also nicht unmittelbar die Gefahr eines langen norwegischen Passes bestand. Wenn die Gäste es schafften, diese erste Welle zu überspielen – wie in der 6. Minute – hatten sie im Zentrum sofort Platz, was gleich mit einem Pfostenschuss von Håland bestraft wurde.

Oder – wenn doch ein langer Ball in Richtung des österreichischen Sechserraumes geflogen kam – verdichtete Österreich so rasch in dieser Zone, dass Norwegen eben nicht ungehindert die zweiten Bälle aufsammeln konnten. Dazu ging das ÖFB-Team wiederum früh durch Arnautovic in Führung, Baumgartner hatte ausnahmsweise zu viel Platz im norwegischen Zwischenlinienraum gehabt, konnte quasi ungehindert vor das Tor, ähnlich wie schon beim 1:0 gegen Kasachstan.

Österreich war danach sehr bemüht, die Kontrolle über das Spiel zu etablieren, indem Ballbesitzphasen ausgedehnt wurden – auch gegen das Anlaufen der Norweger. Im Zweifel mal ein Rückpass, jeder Ballführende hatte immer eine Exit-Option. Zwischen der 20. und der 25. Minute gab es eine Phase von 41 Pässen, nur von einem norwegischen Befreiungsschlag unterbrochen, die in einem Torschuss von Baumgartner mündete. Es folgte eine weitere Ballbesitzphase mit 27 Pässen. Zwischen 21:15 und 25:15 Minuten Spielzeit gab es nur drei norwegische Ballkontakte: der erwähnte Befreiungsschlag sowie danach Torhüter Nyland und Pedersen, der den Ball dann wegdrosch.

Norwegen mit untauglichen Mitteln

Norwegen machte den Zwischenlinienraum zu und verdichtete dort extrem, wenn Österreich da rein wollte. Da macht die Gestaltung zäh und zwang Österreich auf die Flügel – mit der Führung im Rücken hatte das ÖFB-Team aber keine Veranlassung, das mit aller Macht verhindern zu wollen. Zudem hatte Norwegen versucht, durch ein Hochschieben von Thorsby die österreichische Eröffnung zu behindern. Aber weil sich Seiwald (gegebenenfalls auch Laimer) zurückfallen ließ und Österreich so aus einer Dreierkette eröffnete, hatte das für Norwegen nicht den erhofften Effekt.

Der aus einem Freistoß resultierende 1:1-Ausgleich kurz vor der Pause – Pentz war auf der Linie geklebt – kam aus dem Nichts, sollte sich aber dank des reichlich ungeschickten Elfmeter-Fouls von Hanche-Olsen wenige Sekunden Beginn der zweiten Halbzeit nicht als nachhaltige Spaßbremse erweisen. Damit war Norwegen wieder gezwungen, selbst mehr zu tun, nun fiel das Fehlen von Martin Ødegaard so richtig ins Gewicht: Das Mittelfeld-Zentrum war kreativ tot, Linksaußen Nusa war vor der Pause kaum involviert und nach einer Stunde ausgewechselt; der wuchtige Ryerson hatte mit dem wuseligen Mwene große Probleme und Håland hing wie Sørloth in der Luft.

Österreich hingegen ging weiter drauf. Posch bedrängte nach einer Stunde Møller-Wolfe an der norwegischen Torlinie so sehr, dass letzterer einen Eckball hergab – der landete zum 3:1 im Netz. Wenig später behauptete der sehr fleißige Arnautovic, wie schon zuvor in vielen Situationen, von drei Norwegern bedrängt im Zehnerraum den Ball, erlaubte den Mitspielern das Aufrücken und er bediente Sabitzer, der schließlich das 4:1 assistierte.

Norwegen wusste nicht so recht, ob man das Ergebnis aufzuhübschen trachten sollte oder doch das 1:4 verwalten, und schon fing man sich aus einem Konter das 1:5. Vor allem Flanken aus dem Halbfeld auf die zweite Stange erwiesen sich als für Norwegen kaum zu verteidigen.

Wenn alles passt, ist es immer noch gut

Die norwegischen Medien übergossen ihr Team mit einer Lawine der Kritik. Knut Espen Svegaarden etwa, Beatwriter des norwegischen Teams für die größte Boulevard-Zeitung VG, sprach gar von der „katastrophalsten, peinlichsten Halbzeit Norwegens in meinen 40 Jahren als Sportjournalist“. Besonders bitter, weil Norwegen ja vor gerade mal einem Monat in Oslo auf Augenhöhe mit Österreich agiert habe und sogar gewonnen hat.

Aber war das da wirklich so? „Das sind wir“, betonte Marko Arnautovic nach dem 5:1 von Linz ins ORF-Mikro. Das in Oslo im September, das war nur ein Schatten des österreichischen Teams. Norwegen sah damals auf Augenhöhe aus, weil Österreich wirklich schlecht war, vermutlich das schlechteste Spiel der bisherigen Amtszeit von Ralf Rangnick abgeliefert hat. Das von Linz, das ist der tatsächliche Leistungsunterschied. Vielleicht nicht vier Tore, das war auch situationsabhängig. Aber spielt Österreich, was Österreich kann, kann Norwegen nicht mal hinschnuppern.

Die Art und Weise, wie Österreich diese beiden Spiele absolviert hat ist beruhigend. Die Ergebnisse sowieso. Aber, auch wenn ein 4:0 und ein 5:1 natürlich ein super Statement sind – hier ging es um das Selbstverständnis und um die Erkenntnis: Wenn die passende Strategie ordentlich umgesetzt wird, ist Österreich zu stark für die Gegner im B-Zug der Nations League. Wenn es aber nicht passt – der Gegner einen am falschen Fuß erwischt, das unglückliche EM-Aus noch im Hinterkopf ist, kein Druck ausgeübt wird – geht es eben auch gegen die Truppen aus dem B-Zug der Nations League schief.

Österreich hat den Gruppensieg nun in der eigenen Hand, Siege in Astana sowie in Wien gegen Slowenien reichen fix zum direkten Wiederaufstieg in die A-Gruppe. Spielt man so wie in den beiden Oktober-Matches, gelingt das. Spielt man so wie im September, eher nicht.

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Fehlstart in die Nations League: Warnschuss beim Erwartungs-Management https://ballverliebt.eu/2024/09/12/fehlstart-nations-league-osterreich-slowenien-norwegen/ https://ballverliebt.eu/2024/09/12/fehlstart-nations-league-osterreich-slowenien-norwegen/#comments Thu, 12 Sep 2024 05:48:30 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20474 Fehlstart in die Nations League: Warnschuss beim Erwartungs-Management weiterlesen ]]> Ein eher unglückliches 1:2 gegen die Türkei hat die EM früher als nötig beendet. Grundsätzlich war die EM okay, doch der Start in die Nations League ging völlig in die Hose, man kann’s schon als Blamage werten. Aber immerhin: Nach dem 1:4 gegen Georgen hat Tschechien durch einen 3:2-Sieg über die Ukraine die Kurve noch bekommen, wie es scheint.

Zugegeben, das war jetzt ein eher plumper Kunstgriff zum Einstieg. Die reinen Resultate sagen nicht immer alles aus. „Der Optimismus ist gekommen, um zu bleiben“, hieß es an dieser Stelle nach Österreichs knappen Achtelfinal-Aus gegen die Türkei, und: „Anders als in der Vergangenheit passen Zielsetzung und Leistungen nun tatsächlich zueinander“, weswegen „der bei Niederlagen in großen Spielen sonst immer einsetzende typisch österreichische Fundamental-Fatalismus längst nicht so ausgeprägt ist“, wie man das von früher kennt.

Und nun fängt die Post-EM-Zeit mit einem 1:1 in Slowenien und einer 1:2-Niederlage in Norwegen an. Und in beiden Spielen wäre ein Sieg auch nicht verdient gewesen. Resultate sagen nicht immer alles aus, nein. Aber besser als die Resultate waren die Leistungen Österreichs ja auch nicht.

Ganz andere Spiele als bei der EM

Wie wichtig ist diese Nations League für Österreich? Sportlich gesehen: nicht besonders. Natürlich sollte man aus einer Gruppe mit Slowenien, Norwegen und Kasachstan als Stärkster hervorgehen, aber selbst wenn nicht: Auch als Zweiter spielt man Aufstiegs-Playoff und wenn man in der B-Liga bleibt, macht das in Wahrheit auch keinen echten Unterschied.

Sehr wohl wichtig ist dieser Herbst aber, was das Erwartungs-Management angeht. Es ist kein Geheimnis, dass Österreich seine größten Schwächen gegen Mittelklasse-Teams hat, die dem ÖFB-Team die Bürde der Spielgestaltung überlassen – vor allem, wenn Österreich nicht früh in Führung geht. Vor diesem Nations-League-Start ist die Mannschaft in nur zwei der acht Spiele im Jahr 2024 nicht innerhalb der ersten Minuten nach Anpfiff in Führung gegangen. Beide Spiele, gegen Frankreich und die Türkei, wurden verloren.

Was mit „Erwartungs-Management“ gemeint ist? Nun: Spielt man so wie Österreich unter Rangnick, mutig und nach vorne verteidigend, sind das die Zutaten für kompetitive Matches gegen starke Kontrahenten – siehe Niederlande, Frankreich, Deutschland, Italien. Verweigert der Gegner aber einen eigenen Aufbau, wird es schwierig. Siehe Polen, siehe Türkei, siehe Slowenien. In diesem Herbst stehen praktisch nur solche Spiele an.

Das 1:1 in Ljubljana

Das Ziel ist, die vor und bei der EM entstandene Euphorie mitzunehmen in diesen Herbst und darüber hinaus. Die Kunst ist, umzuschalten: Vom Pressing-Fußball, den die Gegner nicht zulassen, auf einen Aufbau-Fußball, den Österreich einfach nicht besonders gut kann.

Das Angriffspressing ist zudem nicht immer sinnvoll anwendbar. Slowenien, im gewohnten 4-4-2, kann solche Situationen ideal auflösen, weil einfach der lange Ball auf den schnellen Stürmer Benjamin Šeško kommt. Das ist von Haus aus der Einser-Move, da braucht man die Slowenen – bei der EM ohne Niederlage im Elfmeterschießen des Achtelfinales gescheitert – nicht auch noch dazu einladen, so wohl der Gedankengang.

Also gab es ein solches Anlaufen der slowenischen Innenverteidigung auch nicht und darum sah das österreichische Spiel auch so statisch, so passiv aus. Rangnick drehte sein Mittelfeld-Zentrum um, ließ ein 4-1-4-1 spielen, womit Laimer und Sabitzer direkt auf Gnezda-Čerin und Elšnik standen, die beiden slowenischen Sechser schnell scharf anlaufen lassend. In der Theorie.

In der Praxis nämlich drehten die Slowenen den Spieß um, agierten sehr mannorientiert. Sie rissen ihren Block dadurch Löcher, welche die Österreicher aber nicht fanden. In den ersten 20 Minuten war der Ballbesitz tatsächlich bei 50:50 ausgeglichen. Erst nach dem Ausgleich – Laimer ist seinem Bewacher entwischt und Mwene hat einen super Pass in den freien Raum gespielt – etablierte Österreich den Ballbesitz. In der restlichen Spielzeit sollte er über 70 Prozent betragen, insgesamt waren es am Ende 61 Prozent.

Die Slowenen verstanden es jedoch weiterhin sehr gut, die Österreicher im Mittelfeld zu hetzen und eben nicht – wie es gegen die Türkei möglich war – in aller Seelenruhe den Ball hin und her zu schieben, auf dass sich eine Lücke auftun möge. Die Slowenen gaben diese zwar her, gleichzeitig verhinderten sie durch ihre mannorientierte Spielweise, dass die Österreicher diese auch bespielen konnten – weil auch die Laufwege dort hinein nicht genommen wurden.

Die Folge war, dass sich auch nach der Pause nie ein echter Spielfluss entwickeln konnte, kaum zielgerichtete Angriffsaktionen. Die Punkteteilung entsprach durchaus den gezeigten Leistungen.

Das 1:2 in Oslo

Norwegen hat höhere individuelle Qualität als Slowenien, hat aber in der jüngeren Vergangenheit nicht als Team funktioniert, schon gar nicht als kreatives – erstaunlich, hat man doch einen Martin Ødegård in seinen Reihen. Der Plan gegen ein Norwegen im gewohnten, statischen 4-1-4-1 wäre wohl recht simpel gewesen: Gib Ødegård einen Kettenhund (Seiwald etwa), lenke die norwegischen Angriffe auf die Außen und verzettle sie in Zweikämpfen. So hat es Kasachstan gemacht und ein 0:0 runterverteidigt.

Gegen Österreich hat es Ståle Solbakken aber anders angelegt. Er stellte ein 4-4-2 auf, in dem Ødegård nicht auf der Acht, sondern auf der rechten Seite spielte – und zwar nicht entlang der Linie, sondern halb eingerückt. Dafür wich der zweite Stürmer Sørloth, normalerweise im Team links außen daheim, immer wieder auf diese Seite aus. Damit nahmen die beiden Alexander Prass in die Doppelmühle und der Neo-Hoffenheim-Legionär zeigte rasch Wirkung.

Prass in der Doppelmühle, Seiwald hängt in der Luft

Er produzierte Fehlpässe und wusste oft nicht, ob er sich nun zu Sørloth oder zu Ødegård orientieren sollte. Seiwald war zu weit innen, um zu helfen und wenn Lienhart mit Sørloth rausrückte, um Prass zu unterstützen, bestand wiederum die Gefahr, Håland zu viel Raum zu gewähren. Gleichzeitig fehlte es Österreich nach vorne an den Ideen: Dadurch, dass Ødegård (normal rechter Achter) und Myhre (normal linker Achter) beide die nominellen Außen waren, hatte Seiwald im Zentrum niemanden zum anpressen und im Aufbau ist Seiwald nun mal nicht besonders hilfreich.

Nach etwa 20 Minuten tauschte Rangnick die Positionierungen von Sabitzer und Laimer, danach etablierte man mehr Kontrolle im Zentrum und man vermied es auch, Pässe auf die aufrückenden Außen zu spielen – vor allem Mwene wurde zuvor dort gut isoliert. Die verstärkte Konzentration auf die zentralen Kanäle tat Österreich gut und auch, wenn man nicht gut Tempo aufnehmen konnte, war das 1:1 doch korrekt.

Viel zu passiv

Womöglich in Erwartung einer österreichischen Reaktion ging Solbakken für die zweite Hälfte wieder auf ein 4-1-4-1, mit Ødegård zurück auf der Acht und mit Dribbler Nusa neu auf der linken Seite. Norwegen schob die Ketten relativ nahe zusammen und brachte die Bälle direkt von hinten auf die Flügel, womit Ødegård schon vor seiner verletzungsbedingten Auswechslung nach einer Stunde nicht mehr allzu involviert war. Sehr wohl aber musste sich Österreich erst recht wieder neu orientieren und Mwene, der gegen Nusa am Rande der gelb-roten Karte wandelte, zwang Rangnick zu einem eher nicht geplanten Wechsel.

Es war ähnlich wie gegen Slowenien: Österreich traute sich die Innenverteidiger aus Sorge um die langen Bälle auf Sørloth und Nusa nicht anlaufen. Die Pressing-Trigger waren die Pässe auf die Außenverteidiger, hier schauten aber bestenfalls österreichische Einwürfe heraus, während die Innenverteidiger unbehelligt blieben, sogar bis ins Mittelfeld aufrücken konnten und selbst dort sind die Österreicher nicht in die Zweikämpfe gekommen.

Und dann steht Håland zehn Minuten vor Schluss halt einmal um eineinhalb Zentimeter nicht im Abseits, peng, verloren.

Wieder mehr „Underdog-Fußball“?

Alaba, Schlager, Gregoritsch, Danso, Kalajdzic, Trauner, Lainer, Entrup – natürlich ist die Liste der fehlenden Alternativen lang. „Wir müssen solche Spiele wie ein Underdog spielen und nicht wie ein vermeintlicher Favorit“, meinte Ralf Rangnick nach der Niederlage in Oslo. Gemeint hat er damit die Konsequenz im Anlaufen und den Willen, den Kampf anzunehmen.

Aber man ist ja Frankreich auch hoch angegangen, obwohl im Rücken der Pressinglinie ein Kylian Mbappé gelauert hat. So gesehen ist es nicht ganz verständlich, warum man nun – vor allem in der zweiten Hälfte gegen Norwegen – eben nicht anläuft. Norwegen hatte immerhin 45 Prozent Ballbesitz, und zwar in beiden Spielhälften, es ist also keineswegs so, dass die nur hinten zugemacht und gehofft hätten, dass Österreich mit dem Ball nichts einfällt.

Schuss vor den Bug

Slowenien war mit seinen Mannorientierungen zäh und die Räume, die man gehabt hätte, unkonventionell. Aber gegen Norwegen war es einfach nur zu passiv, zu zurückhaltend, ja, zu feig. „Nun ist Österreich natürlich kein europäisches Spitzenteam, zählt realistischerweise auch nicht zu den Top-8, aber man stellt sehr wohl gehobene Mittelklasse dar“, konstatierten wir Anfang Juli, und: „Dass es noch viel weiter nach oben geht, ist kaum darstellbar, […] aber den Status im Bereich des Rennens um den „Best Of The Rest“ zu halten, darf ein legitimer und realistischer Anspruch sein.“

Das ist er auch immer noch. Das Remis in Slowenien und die Niederlage in Norwegen ändern nichts daran. Sie tun im großen Ganzen auch nicht besonders weh, weil sie (noch) keine Konsequenzen haben. Sehr wohl aber sind sie ein klarer Schuss vor den Bug: Es ist das eine, Probleme bei der Lösungsfindung gegen destruktive, strikt defensive Teams zu haben, die sich hinten einbunkern, wie die Türkei in Leipzig.

Es ist auch verschmerzbar, wenn der Gegner ungut ist, wenig zulässt, auch selbst aggressiv ist und es versteht, die österreichischen Stärken einzudämmen und die Schwächen zu verstärken. Ein 1:1 in Slowenien ist keine Tragik und das wurde auch so eingeordnet. Der Bauchfleck in Norwegen zeigte aber: Wenn man so gar nichts von seinen Stärken zeigt, obwohl alle Gelegenheiten dafür da gewesen wären – wie in der zweiten Hälfte – ist das nicht gut.

Es ist ein Schuss vor den Bug. Die Spiele werden nicht unkomplizierter, Kasachstan wird sich in Linz mit Teamchef Stanislav Tchertchessov in einem 5-2-3 tief verteidigen, da heißt’s Bretter bohren. Danach im Heimspiel gegen Norwegen aber wird sich Österreich nicht noch einmal so zurückhaltend präsentieren dürfen, sonst schlägt das mit dem Erwartungs-Management dann eben doch wieder in Fatalismus um.

Denn Zielsetzung und Leistung haben – anders als bei der EM – nun zum Nations-League-Start nämlich definitiv nicht zusammen gepasst.

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0:4 beendet ernüchterndes Frühjahr für ÖFB-Frauen – woran lag’s? https://ballverliebt.eu/2024/07/20/osterreich-frauen-em-quali-2025-bilanz-deutschland-polen/ https://ballverliebt.eu/2024/07/20/osterreich-frauen-em-quali-2025-bilanz-deutschland-polen/#comments Sat, 20 Jul 2024 18:25:54 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20456 0:4 beendet ernüchterndes Frühjahr für ÖFB-Frauen – woran lag’s? weiterlesen ]]> Das Ende war doch eher ein Anti-Klimax. Mit einem soliden Heimsieg gegen Polen im 100. Länderspiel von Manuela Zinsberger und einer deutlichen Klatsche in Deutschland trudelte die Gruppenphase der EM-Qualifikation für die ÖFB-Frauen aus – eine realistische Chance auf das Direkt-Ticket gab es ohnehin nicht mehr und die (geringe) Gefahr eines Abstiegs wurde mit dem 3:1 über Polen endgültig gebannt.

Nachdem der vergangene Herbst mit Nations-League-Platz zwei vor Norwegen großen Optimismus versprüht hat, war dieses Frühjahr doch eher eine Ernüchterung. Vor allem die dünnen Vorstellungen in den entscheidenden Duellen gegen Island drücken auf die Stimmung, das 0:4 in Hannover aber ebenso wie auch der Umstand, dass die Auslosung für die erste Playoff-Runde Slowenien gebracht hat – also genau den einen der acht möglichen Gegner, den Teamchefin Irene Fuhrmann ausdrücklich nicht haben wollte.

Das 3:1 gegen Polen

„Bevor wir über taktische Feinheiten reden“, sagte Fuhrmann schon bei der Kaderbekanntgabe für die beiden Matches, „gilt es viel mehr, die Basics wieder auf den Platz zu bringen! Man kann gegen Island was liegen lassen, das ist eine reife Mannschaft. Aber das Wie hat mich enttäuscht und geärgert.“ Die Intensität gegen den Ball und die billigen Fehler im eigenen Aufbau haben sie gestört.

Und: „Die Griffigkeit und den Biss nach Ballverlust braucht es, die wir gegen Island vermissen haben lassen!“ Die Griffigkeit im Spiel gegen den Ball war in Altach jedenfalls da. Nach kurzer Findungsphase – Polen kam in einem 4-4-1-1 statt dem gewohnten 4-3-3 daher – engte Österreich die polnischen Ballführenden rasch ein, das spielerisch ohnehin nicht besonders starke Team kam kaum sinnvoll aus der eigenen Hälfte heraus.

Polen hatte drei echte Torchancen: Bei der ersten wurde ein schlampig-kurzer Querpass von Georgieva abgefangen (beim Stand von 0:0), bei der zweiten nützte Polen einen österreichischen Ballverlust im Angriffsdrittel (beim Stand von 0:1) und die dritte war eine Kopie der zweiten, führte zum polnischen Ehrentreffer (beim Stand von 0:3).

Österreich versuchte, nicht lange hintenrum zu spielen, sondern möglichst rasch den ersten Vorwärtspass zu setzen oder eine Außenverteidigerin hoch zu schicken. Ohne die verletzte Sarah Zadrazil schob Sarah Puntigam weiter nach vorne, während Celina Degen auf der Sechs abdeckte. Ohne Zadrazil fehlten in dieser Zone, auch weil Achcińska und Matysik gut verdichteten, so gut wie jegliche kreativen Impulse. Der vom Starkregen aufgeweichte Platz machte ein auf kurze Pässe aufgebautes Angriffsspiel zusätzlich schwierig.

Ihre besten Momente hatten die Österreicherinnen, wenn sich die Flügelspielerinnen Purtscheller (rechts) und Dunst (links) entweder alleine oder mit Unterstützung einer Mitspielerin – etwa Wienroither oder Höbinger – nach vorne tanken konnten. Mit dieser individuellen Qualität konnten die polnischen Außenspielerinnen nicht mithalten und aus einem über Dunst vorgetragenen Vorstoß resultierte jener Eckball, den Österreich nach 37 Minuten zum längst verdienten 1:0 nützte.

Der einzige echte Vorwurf, den sich die ÖFB-Frauen gefallen lassen müssen ist, nicht schon früher für die Entscheidung gesorgt zu haben – vor allem das Umschalten nach Ballgewinnen klappte nicht wie gewünscht. Ballgewinne gab es grundsätzlich zwar sehr wohl einige, aber sehr selten so kontrolliert, dass unmittelbar ein eigener Angriff aus aussichtsreicher Position gestartet werden konnte. Eine der wenigen Situationen, in denen das gelang, nützte Campbell prompt zum 2:0 und kaum anderthalb Minuten später lenkte Polens Verteidigerin Oliwia Woś eine eigentlich harmlose Flanke der für Degen eingewechselten Schasching zum 3:0 ins eigene Netz.

Das Gegentor zum 3:1 war unnötig, ändert aber nichts daran, dass dies eine angesichts der Personalsituation (Zadrazil out), Gruppenkonstellation (nach vorne ging nix mehr, gegen Polen durfte nicht verloren werden) und Wetter (bäh!) sehr solide Vorstellung war, die mit einem auch in der Höhe mindestens verdienten 3:1-Sieg belohnt wurde.

Das 0:4 in Hannover

Der Klassenerhalt war mit dem 3:1 für Österreich fix, aber weil Deutschland zeitgleich in ein peinliches 0:3 in Reykjavík lief – zwei grobe Schnitze von Torhüterin Merle Frohms inklusive – konnten die ÖFB-Frauen Island selbst bei einem eigenen Sieg in Deutschland nicht mehr überholen. So hatte das Match im mit 44.000 Zusehern ausverkauften Stadion in Hannover nur noch die Bedeutung eines Testspiels unter Wettkampfbedingungen.

Das Personal blieb das selbe und auch die Herangehensweise war recht ähnlich wie gegen Polen: Deutlicher Flügelfokus im Aufbau und gegen den Ball mit Campbell als erster Anläuferin ganz vorne und einem weit aufrückenden Mittelfeld als Absicherung. Bei Deutschland spielte im letzten Test vor Olympia Ann-Katrin Berger statt Frohms im Tor – und das sollte sich als Glücksgriff erweisen.

Denn Österreich schaffte es mit dem bekannten Anlaufen zumeist gar nicht so schlecht, einen gezielten deutschen Aufbau zu verhindern. Mit der spielstarken Berger im Tor aber hatten die angelaufenen Deutschen einen logischen Ausweg und Bergers lange und zentimetergenauen Abschläge hebelten die österreichische Pressing-Absicherung ein ums andere Mal aus. Mit Brand und Bühl sowie Schüller und Freigang, die mit Tempo auf die Restverteidigung zuliefen, hatte Deutschland eine brandgefährliche Waffe – die Österreich nie in den Griff bekam.

Zusätzlich fanden die Deutschen – wenn sie sich ohne Bergers Einbindung um die Pressingwelle herum spielen konnten – mit den in der ersten halben Stunde invers aufgestellten Flügeln (Linksfuß Bühl rechts, Rechtsfuß Brand links) mit schlauen Diagonalpässen auf die Außen immer wieder die Schnittstellen in der österreichischen Abwehrkette. So gelang Deutschland das frühe 1:0, ein langer Berger-Abschlag leitete kurz vor der Halbzeitpause das 2:0 ein.

Der Aufbau über die Flügel, der bei Österreich gegen Polen noch das bestimmende Feature gewesen war, kam in Hannover überhaupt nicht zur Geltung. Purtscheller blieb zumeist an Linder hängen und Barbara Dunst, so aktiv, stark und durchsetzungkräftig gegen Polen, produzierte Fehlpässe am laufenden Band. Wirkliche Torgefahr strahlte Österreich das ganze Spiel hindurch nicht aus.

Fuhrmann brachte für die zweite Halbzeit Feiersinger (statt Höbinger) und Schasching (statt Puntigam) – erstmals teilten sich also Schasching und Degen das zentrale Mittelfeld. Nach dem schnellen 3:0 für die Gastgeber (schnelles Umschalten nach Ballgewinn gegen Georgieva und Degen) war das Match endgültig durch, Deutschland ließ sich ein wenig zurückfallen und lud Österreich vermehrt zum Aufbau ein, störte aber robust und versuchte widerum, hinter die Mittelfeld-Kette zu kommen.

Nach Oberdorfs Verletzung (sie wurde in der 70. Minute ausgewechselt) wollte oder konnte das deutsche Team nicht mehr so konsequent das Spiel umsetzen, dennoch brachten die ÖFB-Frauen Billa (war für Campbell gekommen) nur ein einziges Mal in eine aussichtsreiche Abschlussposition. Das vermeintliche deutsche 4:0 wurde dem DFB-Team von den sagenhaft schlechten niederländischen Schiedsrichter-Assistentin Franca Overtoom vorenthalten – sie und ihre Schwester Marisca an den Linien trafen falsche Abseits-Entscheidungen am laufenden Band, enthielten Deutschland eine ziemlich klare Ecke vor und es wurde eben auch übersehen, dass der Ball in der 91. Minute deutlich hinter der Linie war, ehe Barbara Dunst ihn klären konnte.

Das Frühjahr, eine Ernüchterung

Es gab die bärenstarke erste Hälfte in Linz gegen Deutschland, das wirklich solide Heimspiel gegen Polen – das waren die Höhepunkte eines im Ganzen eher ernüchternden Frühjahres. Wähnte man sich im Herbst, nach Gruppenplatz zwei vor Norwegen, weiter als man wirklich war? Möglich.

Man kommt aber nicht umhin, gerade die Spiele in Reykjavík und Hannover auch inhaltlich unter die Lupe zu nehmen. In Island war der Wind ein großes Thema und ja, auch Deutschland kam damit nicht zurecht. Aber: Man ist zwei Tage vor dem Match angereist, man wusste um die Wetterbedingungen – aber es gab keinerlei Anpassungen im eigenen Spiel, anders als bei Island.

Und in Hannover war der Lieblings-Move der Deutschen mit den langen, exakten Pässen von Ann-Katrin Berger hinter die österreichische Mittelfeldkette schon innerhalb der ersten Minuten erkennbar. Wirklich reagiert wurde darauf nicht, immer und immer und immer wieder kam Deutschland ziemlich billig vor die luftige österreichische Restverteidigung – und noch in der Nachspielzeit fing man sich auf diese Weise das 0:4 ein.

Hier müssen sich auch Irene Fuhrmann, ihr Co-Trainer Markus Hackl und ganz sicher auch die beiden Spielanalysten Julian Lauer und Sven Palinkasch Kritik gefallen lassen.

Die ÖFB-Frauen haben in diesem Frühjahr das Minimalziel – also Platz drei in der Gruppe vor Polen und damit den Klassenerhalt in der A-Gruppe – souverän erreicht. Knackpunkt im Rennen um das direkte EM-Ticket waren, wie erwartet, die beiden Spiel gegen Island – das glückliche 1:1 in Ried und das angesprochene 1:2 in Reykjavík, bei dem das Resultat noch das Beste war.

Woran lag es?

Es hat sicher nicht geholfen, dass Sarah Zadrazil in vier Spielen verletzt passen musste und Katharina Naschenweng in allen sechs, aber das alleine ist es nicht. „Wir müssen im Ballbesitz noch sicherer werden, noch bessere und noch schnellere Lösungen finden“, gab Barbara Dunst nach der Ohrfeige von Hannover zu Protokoll. Norwegen hatte sich im Herbst in drei von vier Halbzeiten vom österreichischen Pressing verrückt machen lassen, gegen das grundsätzlich lieber spielende als kämpfende Team aus Portugal war es ein patentes Mittel.

Island hat sich diesem Spiel komplett entzogen, da fand Österreich keine Lösungen. Dazu kam, dass Deutschland einfach die technische und fußballerische Klasse hat, sich aus dem Anlaufen zu Befreien (auch, wenn keine Berger im Tor steht, wie in Linz). Der isländische Sieg gegen die DFB-Frauen lässt den Abstand in der Tabelle auf Island mit sechs Punkten schon arg wild aussehen.

Etwas alarmierend ist, dass Österreich in den zwölf Pflichtspielen von Nations League und EM-Quali kein einziges Mal ohne Gegentor geblieben ist. Zugegeben, einige davon waren belanglos – die Treffer beim 2:1 gegen Norwegen und beim 2:1 gegen Portugal kassierte man in der Nachspielzeit, das beim 3:1 gegen Polen als man schon mit drei Toren im Vorsprung war. Aber wenn man kein einziges Zu-Null drüber bringt, verliert man halt irgendwann doch wichtige Punkte, wie daheim gegen Island. Niemand erwartet, dass Österreich gegen Frankreich und Deutschland stets den Kasten sauber hält. Gegen Polen oder Island sollte man das aber schon hin und wieder schaffen.

Und zur Wahrheit gehört eben auch, dass einige der aus dem großen Team von 2017 verbliebenen Stützen ihren Zenit halt doch überschritten haben dürften. Sarah Puntigam verleiht nicht mehr ganz die defensive Stabilität früherer Tage und bei ihrem Klub läuft es auch nicht nach Wunsch – Houston hat von den bisher 16 Saisonspielen erst drei gewonnen. Verena Hanshaw sah auch in der Liga-Saison in Frankfurt im defensiven Umschalten mehr als nur einmal eher unglücklich aus, ihr Stellungsspiel war öfters Mal nicht astrein – vielleicht tut ihr der Wechsel zum italienischen Meister AS Roma als Aigbogun-Ersatz auf der linken Seiten gut.

Das zweistufige Playoff

Vermutlich war es auch nicht optimal, dass Fuhrmann explizit Slowenien als den einen Erstrunden-Gegner im Playoff herausgenommen hat, der es bitte nicht sein soll – Murphy’s Law, natürlich wurde es Slowenien. Ja, natürlich ist Slowenien der stärkste der acht möglichen Gegner gewesen. Aber das ist ein wenig so, als würde ein mittelguter Erstligist nach einer Cup-Auslosung gegen einen überlegenen Regionalliga-Meister stöhnen. Naja sicher hätte man sich gegen einen Landescup-Sieger aus der fünften Liga leichter getan, aber das ändert nichts daran, dass auch der Regionalliga-Meister eineinhalb Klassen schwächer ist als man selbst.

Slowenien hat eine Handvoll Qualitätsspielerinnen. Lara Prašnikar natürlich von Eintracht Frankfurt, dazu die grundsolide Kaja Eržen auf der rechten Seite und die umsichtige Sara Agrež. Sechser Kaja Korošec hat mit dem FC Paris letztes Jahr Wolfsburg eliminiert, Zara Kramžar wird großes Talent nachgesagt. Nur: Da ist halt auch die Innenverteidigung mit Spielerinnen aus Belgien und der 2. Liga in Italien; die – bei allem Respekt – alte Mateja Zver vom SKN St. Pölten, Čonč war selbst beim spanischen Beinahe-Absteiger Las Planas nur Wechselspielerin und Špela Kolbl, die ganz vorne spielt, ist in der schwachen eigenen Liga aktiv und war im Herbst noch Linksverteidigerin.

Apropos Herbst: Da ist Slowenien überraschend aus der B-Liga abgestiegen, deshalb war man ja überhaupt erst in der Situation, als C-Ligist gleich gegen ein A-Liga-Team spielen zu müssen. Sloweniens erste Elf kann schon ein zäher Gegner sein, gar keine Frage, aber schon innerhalb der Startformation ist das Leistungsgefälle groß und von den Spielerinnen, die Teamchef Saša Kolman von der Bank bringen kann, reden wir da noch gar nicht.

Slowenien hat die Gruppe mit Lettland, Nordmazedonien und Moldawien mit dem Punktemaximum und 26:0 Toren gewonnen. Zum Vergleich: Österreich hat in der EM-Quali für 2022 gegen Lettland und Nordmazedonien alleine 32:0 Tore angehäuft.

Wird die erste Runde gegen Slowenien im Oktober überstanden, und davon muss man ausgehen, würde im entscheidenden Duell – beide Runden werden in Hin- und Rückspielen ausgetragen – der Sieger aus dem Duell von Polen und Rumänien warten, also höchstwahrscheinlich wieder Polen.

Das sieht unglücklich aus, weil Polen der einzig mögliche Gegner aus der A-Gruppe war. Aber zumindest Portugal und Schottland sind sicher höher einzuschätzen als Polen, gegen die Österreich in den letzten Monaten eben zwei 3:1-Siege eingefahren hat und zwar deutlich sicherer, als man im Herbst zu zwei hart umkämpften 2:1-Siegen gegen Portugal gekommen ist, die beide auch anders ausgehen hätten können.

Die Zuschauerzahlen

In der Zuschauertabelle liegt Österreich auf Platz 12 mit 4.500 Zusehern in den drei Spielen. Das ist zwar ein Minus gegenüber dem Herbst (da waren es 5.400), aber dennoch ist man einen Rang geklettert – weil die Schweiz, Wales und Schottland nach dem Abstieg in die B-Liga jeweils rund die Hälfte der Zuseher eingebüßt haben (Portugal und Finnland haben Österreich im Gegenzug überholt).

Dies verdeutlicht, wie wichtig die weitere Zugehörigkeit für den ÖFB auch ist: Denn natürlich kann man Matches gegen Deutschland und Frankreich besser verkaufen als, wenn man den Vergleich mit der Schweiz zieht, gegen Aserbaidschan und Ungarn. Zuschauer-Krösus über die jeweils sechs Heimspiele in Nations League und EM-Quali ist übrigens England mit 45.000 Zuschauern pro Heimspiel.

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Österreich führt Deutschland vor: Wie kam es und was heißt das? https://ballverliebt.eu/2023/11/22/oesterreich-fuehrt-deutschland-vor-wie-kam-es-und-was-heisst-das/ https://ballverliebt.eu/2023/11/22/oesterreich-fuehrt-deutschland-vor-wie-kam-es-und-was-heisst-das/#comments Wed, 22 Nov 2023 22:15:10 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=19476 Österreich führt Deutschland vor: Wie kam es und was heißt das? weiterlesen ]]> Eine Mannschaft hat an diesem Abend in Wien exakt gewusst, was zu tun ist. Wer wann wie welchen Laufweg einzuschlagen, welchen Pass zu spielen, welche Idee zu befolgen hat. Die andere Mannschaft war Deutschland.

Der österreichische 2:0-Sieg war kein vom Spielverlauf begünstigtes Resultat, bei dem Österreich den Gegner mit einer offensiven Herangehensweise überraschte, wie Córdoba 1978. Kein Freak Result eines sportlich eines sportlich sonst eher bedeutungslosen Teams wie Wien 1986. Kein Anzeichen für eine etwas überhebliche Denke bei Deutschland, die ein paar Wochen später bei der WM offen zu Tage treten sollte, wie Klagenfurt 2018.

Das war eine sportliche, läuferisch, taktische und inhaltliche Vernichtung – nach einem Jahr, in dem Österreich ordentlich an Selbstvertrauen gewonnen hat und Deutschland vor der Heim-EM ein zielloser, von taktischen Experimenten verunsicherter Haufen ist.

Österreich – Deutschland 2:0 (1:0)

Dass die Umsetzung schwierig ist, steht außer Frage. Aber das Grundprinzip jenes Fußballs, den Ralf Rangnick von seinem österreichischen Team sehen will, ist nicht besonders kompliziert: Die Gegner anlaufen, sobald diese nicht mit dem Rücken zum eigenen Tor stehen. Strukturen für das Gegenpressing herstellen, um bei eigenem Ballverlust sofort doppeln zu können, ohne Gefahr zu laufen, Räume dahinter zu offenbaren. Tempowechsel im Aufbau, von gemächlichem Suchen der Lücke bis zum plötzlichen Steilpass auf den Zielspieler vorne, der den Ball ablegt. Den gegnerischen Aufbau durch das Zentrum lenken, indem man die Außenspieler isoliert.

So kommen die eigenen Stärken – von der Pike gelernter Pressingfußball, Athletik – bestmöglich zur Geltung, während die Schwächen – fehlende spielerische Kreativität, fehlende echte Außenspieler – bestmöglich kaschiert werden. So hat sich das ÖFB-Team souverän für die EM qualifiziert, noch dazu als bester der zehn Gruppenzweiten.

Klare erste Elf vs. Herumprobieren

Österreich ist gegen Deutschland im gewohnten 4-4-1-1 angetreten, mit zwei Änderungen gegenüber dem Spiel in Estland: Mwene startete links hinten statt Wöber, dazu tauschten Laimer und Baumgartner die Plätze; Laimer spielte gegen Deutschland rechts im Mittelfeld, Baumgartner als hängende Spitze. Alles in allem: So klar, so gewohnt, so erwartbar.

Bei Deutschland schraubte schon Hansi Flick im Frühjahr heftig und maximal erfolglos an der Systemschraube, bei Julian Nagelsmann ist es ähnlich. Bei seinen ersten beiden Matches im Rahmen einer USA-Reise kam ein 4-2-2-2 zum Einsatz: Zwei Zehner (Wirtz und Musiala), vorne ein Strafraumstürmer und ein oft weit auf den rechen Flügel ausweichender Leroy Sané, dafür links ein offensiver Linksverteidiger (Gosens) und einem defensiveren Rechtsverteidiger (Süle bzw. Tah). Als defensiver Anker verblieben Gündogan und Groß im Mittelfeld-Zentrum.

Es wurde vorne viel rochiert und es gab offensiv durchaus vorzeigbare Darbietungen beim 3:1 gegen die USA und dem 2:2 gegen Mexiko – gerade das Angriffsspiel war unter Hansi Flick extrem statisch und vorhersehbar, damit selbst für Gegner aus der zweiten Reihe wie Polen recht leicht zu verteidigen. Die andere Seite der Medaille war aber auch, dass Deutschland in diesem Matches sehr anfällig für Konter war.

Nagelsmanns „Havertz-Idee“

Was vor den Matches in Berlin gegen die Türkei und in Wien gegen Österreich als großer, wilder taktischer Kniff verkauft wurde – „Havertz als Linksverteidiger“ – ist in der Realität nicht anderes als ein etwas asymmetrisches 3-4-3. In Berlin gab also Havertz den linken Wing-Back (und er machte das auch recht gut), problematisch war aber, dass sein Gegenstück auf der rechten Seite – Leroy Sané – das mit der Defensivarbeit weitgehend verweigerte. Die Türken bohrten diesen eklatanten Schwachpunkt an und kamen zu einem 3:2-Sieg.

In Wien war nun Julian Brandt mit dieser Rolle betraut – im offiziell angegebenen 4-2-2-2 schien er als rechter Zehner auf und Havertz als Linksverteidiger.

All das ist per se nichts, was einen Fußball-Profi von Arsenal, Bayern, Dortmund oder Leverkusen kognitiv überfordern sollte – im Gegenteil. Das Problem ist nur: Im Verein hat man viel Zeit, solche Ideen zu verfeinern, Abläufe einzustudieren, Automatismen herzustellen. Als Nationaltrainer ist das ganz anders. Nicht von ungefähr ist der Klubfußball wesentlich schneller, komplexer, sportlich attraktiver als der Nationalteam-Fußball.

Schwächen kaschieren …

Die große Schwäche von Deutschland in den letzten Jahren ist es, dass es einfach keine Verteidiger von Welt-Niveau gibt. Innen kaum und außen schon gar nicht. In der letzten Auflage der halbjährlichen „Rangliste des deutschen Fußballs“ schafften es überhaupt nur fünf Außenverteidiger in der Liga in die Auflistung – ein Portugiese, ein Holländer und ein Franzose, dazu ein Deutscher, der mittlerweile aufgehört hat (Hector) sowie Benjamin Henrichs.

Diese Schwäche will kaschiert werden, und Nagelsmanns Plan war es, mit dem Überhang an guten offensiven Mittelfeldspielern den Ballbesitz vorne zu etablieren, um gar nicht erst in defensive Verlegenheiten zu kommen. Die gab es zwar auch schon in Hartford und Philadelphia gegen die USA und Mexiko, aber dort funktionierte zumindest das Rochaden und Ballkontroll-Spiel in der gegnerischen Hälfte.

…und Stärken ausspielen

Und hier kam die große Stärke des ÖFB-Teams in Spiel und der eklatante Unterschied, der zur DFB-Mannschaft augenscheinlich wurde. Österreich presste den ballführenden Deutschen konsequent an, aber nicht wild, sondern sehr kontrolliert und mit klaren Pressing-Triggern. Wenn die Deutschen Ballbesitz etabliert hatten, zog sich Österreich mit zwei Viererketten zurück.

In dem Moment, wo ein deutscher Spieler abdrehen musste, der Ball nach außen gespielt wurde – kurz: Wo nicht unmittelbar ein Steilpass in den Rücken der Pressingwelle drohte – liefen die Österreicher den Gegner an. Das war gleichzeitig risikominimierend, weil eben kaum die Gefahr bestand, in dieser Vorwärtsbewegung kalt erwischt zu werden.

Andererseits war es extrem effektiv, weil bei Österreich nach anderthalb Jahren mit 17 Spielen Rangnick tatsächlich jeder immer wusste, was wann wie wo zu tun ist. Bei den Deutschen, ohne Automatismen, fehlte das Tempo im Realisieren der Passoptionen bzw. zum Herstellen selbiger. Daher dauerte es oft zu lange bis zum Abspiel, daher waren sie leichte Opfer für das reibungslos funktionierende österreichische Pressing.

Deutschland neutralisiert

Havertz hatte Lainer und Posch gegen sich, zwei spezialisierte Balleroberer. Für Schlager und Seiwald im Zentrum ist sowieso genau das die Kernkompetenz. und vorne gab es mit Gregoritsch einen Zielspieler und mit Baumgartner eine sehr mobile zweite Spitze. Das österreichische Umschalten war sehr schnell, gewohnt direkt und die deutsche Verteidigung hatte dem nicht viel entgegen zu setzen. Hummels war noch nie schnell, Tah traf einige falsche Entscheidungen, an Goretzka flogen die Bälle vorbei.

Der gigantische Raum, der sich beim 1:0 bot, war in seinem Ausmaß geradezu schockierend und es war beleibe nicht die einzige derartige Szene.

Harmloser EM-Gastgeber

Nachdem sich Leroy Sané zu Beginn der zweiten Hälfte zu einer impulsiven Dummheit gegen Mwene hinreißen ließ und die rote Karte sah, ging Deutschland auf ein konventionelleres 4-4-1 – mit Henrichs links und Tah rechts hinten, dafür ging Havertz auf die rechte Mittelfeld-Seite. Deutschland sah im konventionelleren sofort stabiler aus, ohne aber viel zulegen zu können.

Als Österreich in der 74. Minute das 2:0 erzielt hatte – einer der schnellen Vertikalpässe von Alaba wurde von Zielspieler Gregoritsch auf Baumgartner weitergeleitet, der Hummels aussteigen ließ – hatte Deutschland nur ein einziges Mal ernsthaft auf das Tor von Alexander Schlager gezielt, das war nach einer halben Stunde. Erst danach kamen einige Torannäherungen, aber Österreich war dem 3:0 näher als Deutschland dem Ehrentor.

So geht Nationalmannschaft

Der Umstand, dass Österreich eine gutklassige – wenn auch nicht ganz der absoluten Elite zugehörende – Mannschaft ist, hat das Jahr 2023 gezeigt. Das gilt vor allem, wenn zumindest weite Teile des Stammpersonals auch auf dem Feld sind, so wie gegen Deutschland. Michael Gregoritsch neigt dazu, die (vermeintlich) leichten Chancen nicht zu nützen, um dann bei den komplizierten Dingen aufzutrumpfen – auch das zieht sich durch dieses Jahr, man denke an das Heimspiel gegen Estland.

Rangnicks ÖFB-Team ist der Prototyp einer gelungenen Nationalmannschaft: In der knappen Zeit, die einem am Trainingsplatz zur Verfügung steht, werden die Stärken so in die Spielstrategie eingebaut, dass die Schwächen so wenig wie möglich zum Tragen kommen. Dieser Spagat zwischen vielen Ideen und wenig Zeit erfordert eine besondere Arbeitsweise. Julian Nagelsmann wäre nicht der erste profilierte Klub-Trainer, der an diesem Spagat scheitert, und er wäre auch nicht der letzte.

Umso erstaunlicher, dass Rangnick – der noch nie ein Nationalteam trainiert hat – das offenkundig so gut hinbekommt.

Erwachsener Auftritt in Estland

Dazu passt auch der Auftritt beim letzten EM-Quali-Spiel fünf Tage zuvor in Tallinn. Das Match war für die bereits qualifizierten Österreicher von minimaler tabellarischer Bedeutung und für die am letzten Platz einzementierten Esten von gar keiner.

Wie so ein Spiel aussehen kann, haben wir im Herbst 2019 erleben müssen, keine 300 Kilometer südlich von Tallinn, in Rīga. Damals spielte ein wild zusammen gewürfelter und ziemlich offensichtlich in keinster Weise auf den Gegner eingestellter Haufen von Reservisten in Lettland so erbarmungswürdig aneinander vorbei, dass der bis dahin punktelose Letzte der wirklich nicht besonders starken Gruppe sogar 1:0 gewonnen hat.

Seriös und geduldig

Das Österreich von 2023 hat aber so gut wie nichts mehr mit dem Österreich von 2019 zu tun. Rangnick – womöglich auch vorsichtig nach dem unglücklichen Auftritt einer Experimental-Elf gegen Moldawien im September – schickte die Einserpanier auf das novembergatschige Feld und dieses bot einen hochseriösen, konzentrierten und geduldigen Vortrag.

Estland – Österreich 0:2 (0:1)

Man rückte in die vom estnischen 5-3-2 freigegebenen Halbräume vor, spielte keine riskanten Pässe und schüttelte Estland mit blitzschnellen Tempoverschärfungen durcheinander. Man war schnell und konsequent im Gegenpressing, leitete die estnische Spieleröffnung mit den in den Halbräumen zumachenden Baumgartner und Sabitzer ins Zentrum.

Zwei Schlampigkeitsfehler von Lienhart bescherten Estland Chancen, aber anders als im März in Linz ging der Außenseiter nicht in Führung und mit dem österreichischen 1:0 (schnelle Kombination über die linke Seite) und dem schnell folgenden 2:0 (Lienhart nach Eckball) war die Sache erledigt.

Österreich hat, was Deutschland nicht hat

Der deutsche Blick ging durchaus neidvoll auf das österreichische Team: Hier greift ein Rädchen ins andere, die Einheit funktioniert tatsächlich als Mannschaft, alle haben in ihrem Notenheft die selbe Seite aufgeschlagen und spielen im selben Takt.

Hinzu kommt, dass es vor allem in David Alaba eine gestandene Persönlichkeit gibt, die immer anspielbar ist, das Spiel lesen kann, dirigiert und der eine unumstößliche Autorität hat. Wie mühsam waren die jahrelangen Diskussionen, auf welcher Position er im Nationalteam am wertvollsten ist und die Freiheiten, die er sich in den späten Koller-Jahren nahm, beschädigten die Mannschaft und den damaligen Teamchef in einer ähnlichen Weise, wie dies nun bei Joshua Kimmich und dem DFB-Team der Fall ist.

Alaba hat seine Position gefunden, in Klub ebenso wie im ÖFB-Team, und er füllt die Regie-Rolle aus der Innenverteidigung mit so großer Präsenz, solcher Übersicht und solcher kognitiver Verlässlichkeit, dass ein Bruno Pezzey stolz auf ihn wäre. Die öffnenden Pässe von Instinkt-Fußballer Martin Hinteregger auf der selben Position waren eine der wenigen funktionierenden Moves der lähmenden Foda-Jahre. Die allumfassende Kontrolle, die der mittlerweile 31-Jährige ausstrahlt, stellt das allerdings in den Schatten.

Nicht davontragen lassen

Österreich hat sich in diesem Jahr souverän für die EM qualifiziert. Hat Belgien gefordert und Schweden zweimal besiegt – und das waren keine leichten Spiele, sondern solche, die zeitweise auf der Kippe standen und die Geduld, Ruhe und Vertrauen in die eigene Spielweise erforderten. Und man hat zum krönenden Abschluss den Deutschen ein krachende Ohrfeige verpasst.

Es fällt tatsächlich schwer, sich nicht vollends davontragen zu lassen und diese Truppe als die Wiedergänger des Wunderteams zu feiern, auserkoren um die Welt zu erobern. Tatsächlich hat es das Team unter Rangnick geschafft, mit einer aktiven Spielweise die Massen zu begeistern und das Happel-Oval, vom oft nicht anzusehenden Gewürge unter Foda fast schon aktiv aus dem Stadion vertrieben, mühelos mit begeisterten Fans zu füllen.

Nur: Eine unkritische Euphorie birgt die altbekannte Gefahr, ob der Fallhöhe sehr hoch werden zu lassen. Die Begeisterung war 1989 nach dem DDR-Spiel und den Testspielsiegen gegen Argentinien und Spanien gewaltig, aber das Team war längst nicht so gut, wie es den Anschein hatte – Landskrona hat viel zerstört. Die Begeisterung war 1997 gewaltig, aber das Team war über dem Zenit und war bei der WM am absteigenden Ast – Valencia hat viel zerstört. Die Begeisterung war auch 2015 gewaltig, aber das Team war zu grün auf diesem Niveau, zu dünn aufgestellt, Verletzungen und Formkrisen konnten nicht aufgefangen werden – die EM selbst hat viel zerstört.

Es ist denkbar, dass die aktuelle Truppe genau den Sweet Spot erwischt, in dem sie auf ihrem Höhepunkt zu einem großen Turnier antritt. Die Wahrheit ist, dass kaum eine Mannschaft derart präzise gecoacht zur EM im kommenden Sommer fahren wird wie Österreich. Wenige Nationalteams spielen einen so aggressiven, nach vorne gerichteten Stil wie das ÖFB-Team und von den sechs Teams im insgesamt nicht sehr beeindruckenden zweiten Topf ist Österreich wohl jenes, das die anderen wohl am ehesten nicht haben wollen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das österreichische Team sehr ausgeglichen und gut besetzt ist, aber von der reinen individuellen Qualität realistischerweise nicht zu den Top-10 am Kontinent gehört. Gerade bei Nationalteams, wo die Dichte an sehr guten Trainern viel, viel geringer ist als im Klub-Fußball, kann man hier einiges mit Hirnschmalz ausgleichen. Aber alles geht auch hier nicht.

Also: Genießen, ja. Gerne auch ein bisserl Schadenfreude in Richtung Deutschland, das gehört dazu. Frohsinn darüber, eine richtig coole Nationalmannschaft zu haben – auf jeden Fall! Aber auch nicht ganz ohne Netz den Boden unter den emotionalen Füßen verlieren.

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Ernüchternde Bilanz einer ernüchternden WM-Quali https://ballverliebt.eu/2021/11/20/bilanz-wm-quali-2022-osterreich-foda-milletich-israel/ https://ballverliebt.eu/2021/11/20/bilanz-wm-quali-2022-osterreich-foda-milletich-israel/#respond Sat, 20 Nov 2021 07:02:32 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=17928 Ernüchternde Bilanz einer ernüchternden WM-Quali weiterlesen ]]> Mit einem 4:2 gegen Israel und einem 4:1 gegen Moldawien beschließt das ÖFB-Nationalteam die WM-Qualifikation und liegt am Ende auf dem vierten Platz, hauchdünn hinter Israel. Am März geht es ins Playoff, man ist dort jenes Team mit der schlechtesten Bilanz aller zwölf Teilnehmer. Welche Bedeutungskraft haben die beiden Erfolge in den letztlich völlig bedeutungslosen letzten beiden Matches?

Das 4:2 gegen Israel

Österreich – Israel 4:2 (0:1)

In der ersten Halbzeit war eine Strafraumbesetzung bei ÖFB-Team de facto nicht vorhanden. Nicht nur einmal zog Marco Grüll in Richtung Strafraum, in dem kein einziger Mitspieler stand – die waren alle außerhalb postiert. Entsprechend gering war die Torgefahr. Das wurde nach dem Seitenwechsel deutlich besser: Da standen oft drei bis vier ÖFB-Spieler in der Box, damit wurde auch die israelische Abwehr mehr beschäftigt und vor allem Hatem Elhamed zeigte massiv Wirkung, Alleine zwischen der 66. und der 72. Minute drehte der Verteidiger von Hapoel Be’er-Sheva unter Gegnerdruck drei üble Korken, einer davon führte zum Tor zum 3:2.

Generell funktionierte das Anlaufen im zweiten Spielabschnitt gut: Es gab viele Ballgewinne, ähnlich wie in der Anfangsviertelstunde beim Hinspiel in Haifa, und ein defensives Umschalten von Israel gab es kaum noch. Österreich fand viel Raum vor und es gab in der Folge zahlreiche Torchancen.

Da es Österreich in der zweiten Halbzeit gelang, sich länger und nachhaltiger in der gegnerischen Hälfte festzusetzen, wurden auch Grillitsch und Seiwald im Mittelfeld-Zentrum entlastet. Zuvor waren die beiden permanent am Auf- und Absprinten, weil die beiden einen Riesenraum zwischen Abwehrreihe und Angreifern abdecken mussten, um dort die Räume für die Israelis eng zu machen. Im Aufbau war Grillitsch viel mehr eingebunden als Debütant Seiwald, der vor allem dann die Anspiele bekam, wenn zwei bis drei Israelis in seiner unmittelbaren Nähe standen. Der Jungspund löste diese Situationen aber zumeist gut auf.

Das 4:1 gegen Moldawien

Österreich – Moldawien 4:1 (2:0)

Gegen Moldawien hatte es Österreich wesentlich einfacher. Wie Israel stellte sich auch dieser Gegner in einem 5-3-2 auf, die Außenbahnen ließen die Gäste erstaunlich frei und sie schafften es auch nicht, Druck auf die österreichische Zentrale auszuüben.

So konnte sich Grillitsch ungestört die Bälle zwischen den Innenverteidigern abholen, damit nach vorne gehen und die Pässe verteilen. Auf der linken Seite waren sowohl Ulmer als auch Grüll bemüht, steil zu gehen. Die Abstimmung der beiden passte nicht immer, klappte im Ganzen aber recht gut. Ähnliches galt für Trimmel und Schaub auf der linken Seite, der Köln-Legionär zeigte sich als deutliches Upgrade zum gegen Israel wirkungslosen Schöpf.

Österreich nützte die Überlegenheit zu einer verdienten 2:0-Pausenführung und ein erstaunlich bescheuertes Elfmeter-Foul von Posmac führte zum 3:0 per Straßstoß. Nach einer Stunde nahm Foda dann Grillitsch, der das Spiel diktiert hatte, zugunsten von Dejan Ljubicic vom Feld. Die direkte Folge war, dass das Aufbauspiel Österreich spürbar erlahmte und die Moldawier etwas Luft zum Atmen bekamen.

Trotz des moldawischen Anschlusstreffers bestand aber nie die Gefahr, dass das Match kippen könnten und das ÖFB-Team kam zu einem ungefährdeten 4:1-Erfolg.

Und was machen wir nun mit dieser Qualifikation?

Den beiden Pflichtsiegen – bei denen alleine 8 der 19 Tore erzielt wurden – zum Trotz: Der vierte Platz ist in dieser Gruppe ein indiskutables Endresultat und selbst der dritte Platz, zu dem nur ein Tor gefehlt hat, wäre kaum besser. Schottland hat drei Spieler mit gehobenem Premier-League-Niveau, sonst kaum mehr als brave Zweitliga-Kämpfer. Israel hat zwei Stürmer mit Qualität, aber sonst nicht mehr besonders viel.

Der zweite Platz hinter den tatsächlich sehr guten Dänen hätte für Österreich das absolute Minimum sein müssen, und es hätte nicht mal eng sein dürfen. Schon vor zwei Jahren machten Foda und das ÖFB-Team deutlich härtere Arbeit aus einem zweiten Quali-Platz, als notwendig gewesen wäre, und zwar in einer vergleichbar schwachen Gruppe. Wurde 2019 aus überwiegend mäßigen Leistungen zumindest noch das erwartbare Minimum an Resultaten geholt, gelang 2021 nicht mal mehr das.

Seit dem Herbst 2018 wurde offensichtlich, dass Foda – anders als in seinen letzten Monaten als Sturm-Trainer – eben doch nicht langfristig über seinen Schatten springen kann. Dass er in der Tiefe seines Herzens ein Kontrollfreak ist, der nichts so sehr verabscheut wie Risiko auf dem Fußballfeld. Stabilität in der Defensive geht ihm über alles, gefährliche Pässe in der Eröffnung sollen um jeden Preis verhindert werden. Dennoch gab es in der Quali für die EM 2020 neun Gegentore in zehn Spielen. Nur zwei der 20 direkt qualifizierten Teams kassierte noch mehr.

Es wirkte, als wolle Foda in der Folge noch mehr die defensive Absicherung haben, die Abwehrreihe stand verglichen mit der Angriffsreihe immer sehr tief, ging praktisch nie über die Mittelinie hinaus. Gleichzeitig wurde aber vorne gepresst, in einer Intensität wie einst unter Koller, aber ohne die nötige Absicherung zwischen Pressingwelle und Abwehr. Die Folge war jener Kontrollverlust, den Foda unbedingt vermeiden wollte, und eine Flut an Gegentoren – besonders frappant beim 0:4 gegen Dänemark.

Dieses Phänomen, gleichzeitig hoch zu pressen und tief zu stehen – was nicht möglich ist – gab es bei Foda einst schon bei Sturm Graz zu sehen. Und auch damals hat es nicht nachhaltig funktioniert. „Foda ist ein durchschnittlicher Trainer, aber seine Mutlosigkeit reißt ihn auf ein unglaublich tiefes Niveau herab. Wenn er einmal seinen Mut zusammennimmt (in den seltenen Fällen), dann gehen da plötzlich wirklich ein paar Türen auf“, analysierte unser Leser martidas nach dem 0:1 in Kopenhagen, und weiter: „Ich habe, glaube ich, noch nie einen Trainer gesehen, der so sehr an seinem eigenen Charakter scheitert, weit mehr als an seinen Fähigkeiten.“

Nichts davon ist neu, alles ist bekannt und der Achtelfinal-Einzug bei der EM hat auch keine Veränderung zum Positiven gebracht. Eher im Gegenteil.

Abstimmung mit den Füßen

Die Tage von Franco Foda als ÖFB-Teamchef sind nach menschlischem Ermessen bald gezählt, es bräuchte schon ein Wunder in Form von zwei Playoff-Siegen im März, um ihn im Amt zu halten. Die Fans haben ohnehin schon längst mit den Füßen abgestimmt. Waren unter Marcel Koller noch im Schnitt 42.200 Zuseher, 47.500 Zuseher und 33.900 Zuseher bei den jeweils fünf Heimspielen der drei Turnier-Kampagnen, war es schon beim Weg zum EM-Ticket unter Foda nur noch 28.600.

Das einzige kompetitive Heimspiel 2021, bei dem Zuseher erlaubt waren – dem ersten Heimspiel nach der erfolgreichen EM – lockte gegen Schottland keine 20.000 Zuseher ins Happel-Stadion und die, die da waren, forderten unmissverständlich den Rauswurf des Teamchefs. Natürlich ist es ein wenig unfair, die beiden bedeutungslosen Heimspiele noch dazuzurechnen, aber aus den drei zuschaueroffenen Herbst-Spielen gab es einen Schnitt von 8.300. Vierstellig war’s zuletzt 1990/91, in der berüchtigten Färöer-Qualifikation.

Und warum muss Foda nicht gleich gehen?

Koller wurde 2016/17 ebenso Vierter in seiner Gruppe und wurde mit freundlichen Worten, aber auch einem festen Tritt in den Hintern verabschiedet. Sportdirektor Willi Ruttensteiner, der nun als Israels Teamchef mit einem viel schlechteren Team als Österreich vor Österreich gelandet ist und der Koller 2011 gegen ein konsterniertes ÖFB-Präsidium durchgedrückt hat, wurde mit nicht besonders freundlichen Worten und einem noch festeren Tritt in den Hintern verabschiedet.

Und ÖFB-Präsident Leo Windtner wurde von einem Präsidium, das angeführt von Herbert Hübel seine Chance zur Revanche für 2011 gekommen sah, bei seiner letzten Wiederwahl so sturmreif geschossen, dass er keine Hausmacht mehr hatte und sein Amt nun folgerichtig abgab.

Die Gegenreformation, die sich 2017 angedeutet hat, scheint vollzogen.

Das heißt aber nicht, dass sich Schöttel und Foda ihrer Posten nun sicher sein können. Dass sie nicht mit der gleichen Vehemenz in die Wüste geschickt werden wie Koller und Ruttensteiner – die nachweislich mehr für den heimischen Fußball geleistet haben wie ihre jeweiligen Nachfolger – vor vier Jahren, ist erstaunlich genug. Dass Milletich und Schöttel am Rande des Matches gegen Moldawien ähnlich unkoordiniert aneinander vorbeigeredet haben wie Alexander Schallenberg und Wolfgang Mückstein, war aber schon auffällig.

Es scheint klar, dass Milletich zunächst die Personalie Sportdirektor geklärt haben will, ehe die Baustelle Teamchef angegangen wird. Gespräche mit Thomas Janeschitz wurden schon in Klagenfurt kolportiert. Dieser war 2009 Nachfolger des letzte Woche verstorbenen Paul Gludovatz als Leiter der ÖFB-Trainerausbildung geworden und wirkte auch als Co-Trainer von Marcel Koller.

Schöttel ist in seinen vier Jahren als Sportdirektor öffentlich vor allem mit wirren Pausen-Interviews bei Länderspielen und sonst großer Zurückhaltung aufgefallen, für die Akademien in den Bundesländern hat er sich dem Vernehmen nach nicht wirklich interessiert. Schöttel ist – anders als der im persönlichen Umgang als extrem schwierig geltente Willi Ruttensteiner – maximal uneitel und sehr angenehm. Aber den Eindruck, dass beim ÖFB wirklich was weitergegangen wäre, hat man eher nicht.

Hätte Milletich nun eine sofortige Foda-Entlassung durchgedrückt, wäre ihm der öffentliche Applaus sicher gewesen und er hätte jene Handlungskraft signalisiert, die Windtner in der letzten Phase seiner Präsidentschaft gefehlt hat. Aber er hätte nur ein Problem (Foda) durch ein anderes (Sportdirektor, dessen Verbleib nicht gesichert ist, sucht Nachfolger, der ohne vorheriges Kennenlernen des Teams in ein vermutlich aussichtsloses Playoff geht) ersetzt.

Wäre es klug gewesen, Foda schon nach den bodenlosen September-Spielen zu liefern? Vermutlich. Aber da war das Präsidium noch mit sich selbst beschäftigt. So hat man einen Herbst verloren, in dem man schon die Weichen stellen hätte können – in aller Ruhe, die Qualifikation war ja eh gelaufen. Dieses Vakuum hat Foda, so kann man annehmen, das Playoff gesichert.

Nur die Aussage, dass sich der Teamchef „das Playoff verdient“ habe, kann man so nicht stehen lassen. Drecks-Fußball ist noch tolerierbar, sei es auch mit Bauchweh, wenn er die Resultate liefert. Wenn Drecks-Fußball auch noch für Drecks-Ergebnisse sorgt – und zwar mit einem Kader, mit dem weder das eine noch das andere nötig wäre – ist das kein Anlass für eine Belohnung. Im Gegenteil.

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Ballverliebt Classics: Córdoba, ganz neutral https://ballverliebt.eu/2020/04/16/ballverliebt-classics-cordoba-ganz-neutral/ https://ballverliebt.eu/2020/04/16/ballverliebt-classics-cordoba-ganz-neutral/#comments Thu, 16 Apr 2020 06:29:28 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=16886 Ballverliebt Classics: Córdoba, ganz neutral weiterlesen ]]>

Kein Fußballspiel ist in Österreichs Fußballgeschichte so verklärt wie dieses. Bei den einen sorgt schon das Wort „Córdoba“ für verdrehte Augen, für die anderen steht es, ebenso wie Edi Fingers berühmter Radio-Kommentar, für die größte Stunde im heimischen Fußball seit dem Krieg. Auch 42 Jahre danach sorgt der österreichische 3:2-Sieg über Deutschland noch für Emotionen.

Aber wie gestaltete das Spiel jenseits mythischer Zuschreibungen, wie trat das ÖFB-Team 1978 taktisch und spielerisch auf? Dieser weitgehend blinde Fleck verlangt nach neutraler, nüchterner Beobachtung.

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Hans Krankl hat mit dem FC Barcelona den Europacup gewonnen, Herbert Prohaska mit der Roma den Scudetto und Bruno Pezzey mit Frankfurt den UEFA-Cup, Walter Schachner verbrachte später sieben Jahre in der Serie A – für sie war die WM 1978 der internationale Durchbruch. Für die Routiniers Edi Krieger, zuvor mit Brügge im Meistercup-Finale, und Josef Hickersberger war die WM Höhe- und Schlusspunkt ihrer internationalen Karrieren.

Sie alle sind untrennbar mit dem Begriff „Córdoba“ verbunden, doch nicht bei allen war es tatsächlich klar, dass sie auch spielen würden. Andere hatten ihren Fixplatz im Team vermeintlich sicher gehabt.

Personalsuche im Vorfeld

So wäre das Wunsch-Duo im defensiven Mittelfeld eigentlich Josef Hickersberger und Roland Hattenberger gewesen. Hickersbergers lädiertes linkes Knie wurde rechtzeitig heil, Hattenbergers Schulter nicht. Stürmer Sepp Stering, die wie Hattenberger sämtliche Quali-Spiele absolviert hatte, war mit einem Kreuzbandriss out.

Auch Erich Obermayer hat sich erst in den letzten Vorbereitungsspielen statt Peter Persidis in die Startformation gespielt, als staubiger Ausputzer-Libero hinter dem aufrückenden Pezzey. Eine Offensiv-Variante mit Pezzey und Offensiv-Libero Edi Krieger, wie in der Quali etwa gegen Malta, war Teamchef Helmut Senekowitsch zu riskant. Außerdem laborierte Krieger im Vorfeld des Turniers an einer Rippenverletzung und war für das erste Match gegen Spanien ohnehin gesperrt.

Das Fehlen von Hattenberger wurde nach der Ankunft in Argentinien immer mehr zur Gewissheit. Zunächst schien Senekowitsch eine Variante mit Günther Happich oder Heribert Weber statt Hattenberger zu favorisieren; Ernst Baumeister wäre der Hickersberger-Backup gewesen.

Oder, andere Variante: Kreuz – hängender Stürmer oder Flügel – rückt ins Zentrum, dafür der flinke Oberacher oder der direktere Schachner neben Krankl ganz vorne. Auch als möglich wurde eine Variante mit Hickersberger (der in Düsseldorf vom Libero bis zur Sturmspitze schon alles gespielt hatte) am Flügel betrachtet. Dann hätten Weber, Prohaska und Kreuz im Mittelfeld sowie Jara am anderen Flügel gespielt sowie Krankl als Solo-Spitze.

Das eigentliche Schlüsselspiel

Bei der WM in Argentinien nahmen 16 Teams teil, in der Vorrunde wurden vier Vierergruppen absolviert. Die Top-2 jeder Gruppe zogen in die Finalrunde mit wiederum zwei Vierergruppen ein. Deren Sieger bestreiten das Endspiel, die jeweiligen Zweiten das Match um Platz drei. Österreich war in einer Vorrundengruppe mit Turnier-Mitfavorit Brasilien sowie mit Spanien und Schweden. Das als recht hoch gesteckt betrachtete Ziel war der Einzug in die Finalrunde, im Grunde war man in Österreich aber happy, überhaupt erstmals nach 20 Jahren wieder bei einer WM dabei zu sein.

Für das erste Match gegen Spanien war klar, dass es zumindest einen Punkt braucht, um auf die Finalrunde hoffen zu können. Senekowitsch entschied sich für Schachner als zweite Spitze, der junge Steirer kam eher aus der Etappe des linken Flügels. Kreuz bearbeitete den rechten Flügel; Hickersberger bildete mit Prohaska ein Zwei-Mann-Zentrum und Jara wurde links aufgestellt.

Österreich begann nervös, ging aber nach zehn Minuten durch einen von Schachner sehenswert abgeschlossenen Konter 1:0 in Führung. Die Spanier blieben das Team mit mehr Ballbesitz und waren auch nach dem 1:1 durch einen Weitschuss von Dani (21.) die Mannschaft auf der aktiven Suche nach Gelegenheiten. Österreich klammerte sich an das Remis und setzte vereinzelte Nadelstiche, ehe in der 77. Minute sogar das Siegestor fiel: Miguel Angel konnte einen Weitschuss von Jara nicht fangen, Krankl staubte ab.

Der 2:1-Erfolg war ein „Hit and Run“, ein durch solide Defensive mit zwei verwerteten schnellen Gegenstöße sowie einem zwar dominanten, aber auch eher einfallslosen Kontrahenten aus Spanien gesicherter Erfolg. Ohne dieses etwas glückliche 2:1 zum Auftakt wäre das restliche Turnier aus österreichischer Sicht so nicht möglich gewesen.

Österreich 1978 aus taktischer Sicht

Eine wirklich aufregende Mannschaft im Sinne eines Spektakels war das ÖFB-Team 1978 nicht. Zwei Punkte muss man aber herausheben: Die sehr genau abgestimmte und zumeist ungemein taktisch disziplinierte Balance zwischen Abwehr und Mittelfeld sowie die gute Ballbehandlung. Gab es 1990 und 1998 immer (mindestens) eine handvoll technisch limitierter Kampfkicker, konnte 1978 tatsächlich jeder mit dem Ball umgehen und war ein potenzieller Spielgestalter – allenfalls der als reine Absicherung spielende Libero Erich Obermayer fällt da ein wenig heraus.

Das bestimmende Element im Aufbau waren die Vorstöße von Bruno Pezzey. Der damals noch sehr junge Wuschelkopf hatte im Vorwärtsgang genau jene Rolle inne, mit der Franz Beckenbauer in den zehn Jahren davor die Rolle des Libero revolutioniert hatte. Die Vorstöße Beckenbauers hatten im Zentrum für Überzahl gesorgt und boten somit Raum und Zeit zur Spielgestaltung.

Dies war grundsätzlich bei Pezzey genauso, mit dem Unterschied, dass er zusätzlich nomineller Manndecker der gegnerischen Sturmspitze war. Im ÖFB-Team war es Libero Obermayer, der Pezzey den Rücken frei hielt; einer aus dem zentralen Mittelfeld – zumeist Hickersberger – sicherte zusätzlich ab.

Routinier Hickersberger war im Zentrum für die Absicherung, die Balleroberungen, die Übersicht und das Stopfen von Löchern zuständig. Sein Aktionsradius war extrem groß, er arbeitete, damit Prohaska – stark in der Gestaltung, aber mit Schwächen in der defensiven Zweikampfführung – mit Läufen aus der Tiefe das Spiel nach vorne tragen kann. Krieger, der ab dem zweiten Match spielte, konnte je nach Anforderung als Wachhund für den gegnerischen Gestalter oder als vertikaler Box-to-Box-Spieler eingesetzt werden.

Das bedeutete, dass Österreich 1978 eine solide Defensive sowie ein gut abgestimmtes und im Spiel gegen den Ball recht versiertes Mittelfeld hatte. Das hieß aber auch, dass sich die Arbeit im Aufbau auf die jungen Schultern von Prohaska (22) und Pezzey (23) konzentrierte. Dies machte die österreichische Spielgestaltung relativ berechenbar. In den fünf Spielen bis zum Deutschland-Match gelangen nur vier Tore: Ein Konter, ein Abstauber nach Weitschuss, ein Elfmeter und nur ein einziges nach einem gezielten Aufbau.

Turnierverlauf für das ÖFB-Team

Weil auch den Schweden eine Safety-First-Spielweise eigen und die Trekronor mit Spielmacher Anders Linderoth auch sehr eindimensional waren, entwickelte sich im zweiten Spiel Österreichs eine zähe Angelegenheit ohne Torraumszenen. Ein geschenkter Elfmeter verhalf dem ÖFB-Team kurz vor Ende der ersten Halbzeit zur Führung, Konter gegen die zum Risiko gezwungenen Schweden danach wurden nicht genutzt. Durch den 1:0-Erfolg stand der Aufstieg in die zweite Gruppenphase aber schon fest.

Brasilien hatte weder gegen Schweden (1:1) noch gegen Spanien (0:0) gewonnen und brauchte gegen Österreich einen Sieg, zudem fielen Spielgestalter Rivelino (krank) sowie dessen Partner Zico und Stürmer Reinaldo (beide verletzt) aus. Österreich kam mit dem damals unüblichen 4-2-2-2 Brasiliens nicht zurecht und der letzte mentale Punch fehlte auch, eine nervöse Seleção gewann 1:0. Damit war Brasilien weiter und Österreich Gruppensieger.

Österreich rechnete sich im ersten Finalrunden-Spiel gegen Holland Chancen aus, das von Ernst Happel trainierte Oranje-Team hatte bis dahin nicht überzeugt. Der stumpfe, langsame Rasen von Mendoza hatte Holland vor Probleme gestellt, aber auf dem kurzen, schnellen Geläuf von Córdoba kam das flinke Pressing- und Positionswechselspiel voll zur Geltung. Nach einem schlecht verteidigten Standard, einem patscherten Elfmeterfoul von Prohaska und einem Konter lag Österreich schon zur Pause 0:3 im Rückstand, die Köpfe blockierten, die defensive Disziplin war weg und am Ende hieß es gar 1:5.

Gegen die Italiener, die beim 0:0 gegen Deutschland klar dominierend gewesen waren, gab es hingegen die sicherlich cleverste Vorstellung im ganzen Turnier. Senekowitsch nützte den Systemvorteil, den Österreich gegen Bearzots italinisch-typisches, schiefes 3-5-2 hatte, voll aus. Kreuz und Schachner spielten auf vertauschten Seiten, wodurch Cabrini weit nach hinten gedrückt wurde, dafür stand Gentile oft verloren im Halbfeld herum; Krieger kümmerte sich um Rossi – somit hatte Sara keinen Gegenspieler und war der wahre Spielgestalter. Ein verlorenes Laufduell von Strasser gegen Rossi brachte eine unglückliche 0:1-Niederlage.

Das deutsche Team

Deutschland kam als amtierender Weltmeister und EM-Finalist nach Argentinien, aber es war nicht mehr das Team von 1974. Der Hauptunterschied: Franz Beckenbauer war nicht mehr dabei.

Die deutsche Erfolgself, die 1972 Europameister und 1974 Weltmeister war und 1976 noch einmal ins EM-Finale kam, war personell und taktisch eine Mischung der dominierenden Bundesliga-Teams von damals – den Bayern mit ihrem geduldigen Ballbesitzspiel und dem aufrückenden Beckenbauer sowie Mönchengladbach mit dem spritzigen Umschaltspiel und vielen Positionswechseln.

Noch 1976 beim EM-Finale wurde ein Bayern-Ballbesitzspiel mit drei maßgeblichen Bayern-Spielern gezeigt – Beckenbauer, Schwarzenbeck und Hoeneß. Zwei Jahre später wurde vor allem Beckenbauer vermisst, dessen Platz als Libero von Manni Kaltz eingenommen wurde. Dieser war vor allem als Rechtsverteidiger von Offensivgeist beseelt, aber ihm fehlte die Übersicht und die gestalterische Gabe von Beckenbauer (wie allen anderen Kandidaten, fairerweise).

So ähnelte das deutsche Spiel jenem der Österreicher durchaus: Defensiv solide und kaum zu überwinden, aber ohne jeden Punch im Spiel nach vorne. Hölzenbein, Bonhof und Flohe waren gute Spieler, aber ohne die Präsenz und die Ideen vom Libero fehlte etwas. Dazu tüftelte Bundestrainer Helmut Schön ohne Erfolg an der Besetzung der Flügelpositionen. Dribbler Abramczik isolierte sich selbst, Dieter Müller war eher im Zentrum daheim, Hansi Müller eher im offensiven Mittelfeld.

Ein Interview von DFB-Präsident Hermann Neuberger, in dem er Schön und der Mannschaft fehlenden Teamgeist, fehlende Ideen, fehlende Kondition und schlechtes Training vorwarf sowie eine interne Standpauke ankündigte, sorgte zusätzlich für Zündstoff. Der daheim gebliebene Paul Breitner richtete der DFB-Delegation via seiner Kolumne in der „Bild“ öffentlichkeitswirksam allerhand Meinung aus. Es rumorte gewaltig.

In der Vorrunde kam Deutschland nicht über 0:0 gegen Polen und Tunesien hinaus, das 6:0 gegen Mexiko blieb der einzige Sieg; in der Finalrunde gab es ein glückliches 0:0 gegen Italien und ein unglückliches 2:2 gegen Holland. „Wer unter die besten Vier kommen will, muss schon hin und wieder eine Begegnung gewinnen“, stöhnte Schön, zumal Heinz Flohe nach einer Muskelzerrung im Italien-Spiel nicht mehr zur Verfügung stand.

Somit brauchte Deutschland für einen Finaleinzug ein Remis im Parallelspiel und einen eigenen Sieg mit fünf Toren Differenz über Österreich. Ein knapperer Sieg reichte sicher für das Spiel um Platz drei, ebenso ein eigenes Remis bei einer italienischen Niederlage gegen Holland. Österreich war fix schon vor dem Duell mit Deutschland fix ausgeschieden.

Trash Talk

Schon nach Abschluss der Vorrunde vermittelten die Österreicher den Eindruck, dass die Finalrunde ein schöner Bonus ist und alle Ziele im Grunde erreicht sind. Man wollte sich gegen Holland und Italien vernünftig verkaufen, aber man wusste vor allem: Im letzten Spiel gegen Deutschland kann man dem ungeliebten Nachbarn noch viel kaputtmachen. Entsprechend wurde gestichelt. „Wenn die Deutschen gegen uns so schwach sind wie gegen Polen und Tunesien, freue ich mich schon auf das Spiel“, feixte Hickersberger im Kicker.

Auf Manni Kaltz‘ selbstbewusste Ansage, er würde sich selbst zu den drei besten Abwehrspielern der Welt zählen, konterte Kurt Jara trocken: „Dann müssten aber mindestens 300 andere in den letzten Tagen gestorben sein.“ Herbert Prohaska attestierte dem DFB öffentlich „fehlende Spielerpersönlichkeiten“ und sogar Teamchef Senekowitsch versprach dem Titelverteidiger: „Ein Aussetzer wie gegen Holland passiert uns nur einmal.“

Nicht, dass die verbalen Spitzen nur von Österreich nach Deutschland geflogen wären, keineswegs. Aber der kleine Underdog lehnte sich bei medialen Trash Talk in den Tagen vor dem Match schon ungewöhlich weit aus dem Fenster.

Selbstbewusste österreichische Anfangsphase

Von einem deutschen Sturmlauf, um den angepeilten 5:0-Sieg einzufahren, war von Anfang an nichts zu bemerken. Im Gegenteil: Schon in den ersten Minuten wurden alle Schwächen, welche das DFB-Team im Turnierverlauf gekennzeichnet hatte, deutlich sichtbar. Das Spiel wurde fast nur mit dem Ball am Fuß nach vorne getragen. Vor der Abwehr gab es vor allem Querpässe, um einen Kanal zu finden, in den man hineindribbeln konnte.

Ganz anders die Österreicher. Das Mittelfeld wurde sehr schnell überbrückt und vor allem die linke Seite war sehr konstruktiv. Heini Strasser nützte seinen Ballbesitz gegen den defensivfaulen Abramczik gut, Willy Kreuz sorgte für Überladungen gegen Berti Vogts. So konnte Kreuz auf der linken Seite weitgehend ungehindert nach vorne arbeiten, vor allem, wenn es schnell ging.

Vermutlich hatte Schön Kreuz tatsächlich auf der linken Angriffsseite erwartet, so wie er es zumeist gegen Italien gespielt hat, weil er seinen rechten Manndecker Vogts auf Kreuz angesetzt hatte und Dietz, der immer den gegnerischen Rechtsaußen übernahm, auf Schachner. Weil Kreuz und Schachner aber bald auf ihre üblichen Seiten wechselten, war Dietz plötzlich rechts-defensiv und Vogts links aufgestellt. „Strikte Manndeckung“, wie auch ORF-Kommentator Robert Seeger schnell bemerkte.

Auch, dass „Österreich so offensiv agiert wie noch in keinem Spiel bei dieser WM“, vermittelte Seeger recht bald. Dennoch war es das deutsche Team, das wie aus dem Nichts nach 18 Minuten in Führung ging: Karl-Heinz Rummenigge taucht plötzlich auf der rechten Seite auf, kein Österreicher ist da, um ihn zu übernehmen, doppelter Doppelpas mit Dieter Müller, und schon steht’s 1:0 für Deutschland.

Weiter keine Struktur bei Deutschland

Die angriffigere Spielweise hatte dafür gesorgt, dass im österreichischen Zentrum die gewohnte Kompaktheit gefehlt hatte und man relativ offen gegen den Ball agierte, so hatte man sich auch das Gegentor eingefangen, aber dennoch blieb Österreich grundsätzlich das besser abgestimmte Team. Doch bei allem Offensivgeist: Da Kreuz und Schachner von relativ weit hinten kamen und – wie in den vorangegangenen fünf Spielen auch – das Nachrücken einem gewissen Sicherheitsgedanken geopfert wurde, blieb Krankl ganz vorne oft ein wenig isoliert.

Deutschland ließ auch mit der Führung im Rücken jede Struktur vermissen. Es ließ sich noch weiter zurückfallen und die Spitzen wurden nur noch durch lange Bälle ins Spiel gebracht. Beer hing in der Luft, Hölzenbein wurde durch Sara und Kreuz vermehrt zum Helfen zur Außenbahn gedrängt und Bonhof fand selten ein Ziel für seine dynamischen Vertikalläufe.

Die größte Vorgabe blieb aber Abramczik. Strasser hatte den Standard-Trick des 22-Jährigen schnell durchschaut (Haken nach rechts), ließ Abramczik immer wieder auflaufen und der Schalker blieb isoliert. Nur sein Mundwerk lief heiß. „Ein ekelhafter Mensch“, sollte Robert Sara danach sagen: „Jeder Italiener, gegen den wir gespielt haben, war sympathischer als er!“ Ambraczik provozierte seine Gegenspieler am laufenden Band, kurz vor Schluss streckte er Koncilia nach einem Abwurf nieder, wandelte vor allem gegen Ende am Rande des Ausschlusses.

Österreich fast der Zahn gezogen

Deutschland brachte die 1:0-Führung in die Halbzeit, Schön brachte für den zweiten Abschnitt Hansi Müller statt Erich Beer. Der 20-jährige Stuttgarter brachte spürbar Linie ins deutsche Spiel. Mit ihm gelang es dem DFB-Team viel besser, den Ballbesitz im Angriffsdrittel zu halten, er unterstützte auch die Offensiv-Reihe darin, Vorstöße von Pezzey zu unterbinden und Steilpässe zu den österreichischen Stürmern zu verhindern.

Zwar brannte in der ÖFB-Defensive nicht viel an, weil diese in der Rückwärtsbewegung gut verzögerte und den Deutschen die Anspielstationen nahm. Hansi Müllers Positionierung auf der halblinken bis linken Seite bedeutete aber, dass Rummenigge mehr Freiheiten hatte und nun als extrem mobiler Zehner agierte. So waren Sara (mit Hansi Müller) und Pezzey (mit Dieter Müller) gebunden und Rummenigge wurde ohne direkten Gegenspieler zum klar gefährlichsten Deutschen.

Dies wiederum zwang Hickersberger zu vermehrtem Hintenbleiben und die Versuche der Österreicher, Chancen zu kreieren, waren immer mehr von einer gewissen Ratlosigkeit gezeichnet. Deutschland war, immer noch 1:0 in Führung, auf dem besten Wege, den rot-weiß-roten Kontrahenten den Zahn zu ziehen. Bis zur 60. Minute, als Krieger nach einem Vorstoß den Ball von halbrechts vor das Tor hebt, Kreuz nicht ganz zum Kopfball kommt und die Kugel dem hinter Kreuz postierten Vogts auf die Beine fällt und von dort ins Tor kullert.

Der österreichische Ausgleich zum 1:1 hatte sich in der Viertelstunde davor nicht gerade abgezeichnet.

Schlag auf Schlag

Der deutsche Plan, das 1:0 staubig über die Zeit zu bringen, war durchkreuzt. Das Finale hatte das DFB-Team offenkundig abgeschrieben, aber zumindest das Spiel um Platz drei hätten sie schon gerne noch gespielt. Jedenfalls stachelte der Ausgleich die deutschen Lebensgeister spürbar an; für den kaum sichtbare Dieter Müller kam mit Klaus Fischer eine neue Sturmspitze.

Im eigenen Defensiv-Drittel schufen die Deutschen nun stets schnell Überzahl in Ballnähe und das Zweikampfverhalten im Mittelfeld war nach dem Ausgleich ebenfalls robuster, die ganze Herangehensweise körperlicher. Im Parallelspiel hatte Holland gegen Italien zum 1:1 ausgeglichen, es brauchte also immer noch einen deutschen Sieg für das Kleine Finale.

Aber es war die österreichische Mannschaft, die nachsetzte. Strasser spielte auf der linken Seite den vorstoßenden Krieger frei, dessen Flanke fand Krankl. Dessen Bewacher Rüssmann war zwei Meter weg, Libero Kaltz stand *irgendwo*, so konnte Krankl die scharfe Flanke mit links stoppen, einmal am Boden auftropfen lassen und mit einem Drehschuss zum 2:1 verwerten.

Die österreichische Führung währte aber nicht lange: Nach Wiederanpfiff war der Ball exakt 12 Sekunden im Spiel, ehe Hickersberger mit einem Foul an Abramczik einen Freistoß verursachte. Bonhof brachte diesen vor das Tor, Hölzenbein war mit dem Kopf zur Stelle, Ausgleich zum 2:2.

Schlagabtausch in der Schlussphase

In der Folge bekam das Spiel immer mehr von einem Handball-Match. Beide Offensiv-Reihen und beide Defensiv-Abteilungen blieben jeweils in ihrem Bereich, ein konstruktives Mittelfeld gab es nicht mehr und die Bälle flogen in hohem Bogen von einem Strafraum zum anderen. Die Kräfte waren offenkundig am Schwinden.

Holland erzielte zeitgleich das 2:1 gegen Italien und den Deutschen würde damit das 2:2 zum zweiten Gruppenplatz reichen. Ab etwa der 80. Minute ging Bonhof vermehrt nach vorne, mit dem offensichtlichen Bestreben, einen österreichischen Aufbau von hinten schon im Keim zu ersticken. Mit Erfolg: Lange Seitenverlagerungen und hohe Steilpässe kamen praktisch nicht mehr an.

Krankls zweiter großer Auftritt

Es war offensichtlich, dass das Spiel einem Endstand von 2:2 entgegen schnaufte, mit dem die Deutschen um Platz drei spielen dürften und mit dem sich Österreich mit erhobenem Haupt von der WM verabschieden würde können. Und dann, 87. Minute, schlug Robert Sara von der Mittellinie eine 50-Meter-Seitenverlagerung, die Rüssmann falsch berechnete und so den Weg zu Hans Krankl fand.

Rüssmann sprintete Krankl hinterher, holte ihn aber nicht mehr ein. Kaltz konnte den Rapid-Stürmer auch nicht mehr aufhalten, der schoss, traf, das 3:2, Jubel. „Das ganze Turnier habe ich keinen Libero hinter mir gebraucht – nur bei diesem Tor, und da war von Manni Kaltz nichts zu sehen“, sollte Rüssmann noch Jahre später schimpfen.

Eine Minute später hatte Abramczik den erneuten schnellen Ausgleich noch auf dem Fuß, als die österreichische Abseitsfalle bei einem Standard nicht funktionierte, aber der Schuss ging knapp rechts am Tor vorbei. Dann pfiff Referee Abraham Klein das Match ab.

Der erste österreichische Sieg über Deutschland nach 47 Jahren war Tatsache.

Ende und Anfang

Ohne das späte Tor von Krankl hätte es Deutschland tatsächlich geschafft, mit einem einzigen Sieg in sechs Spielen um Bronze kämpfen zu dürfen. So hatte Italien trotz des 1:2 gegen Holland den zweiten Gruppenplatz gesichert und holte sich im P3-Spiel ein 1:2 gegen Brasilien ab. Helmut Schön vollzog seinen angekündigten Rückzug und zwei Jahre später, als sich das DFB-Team den EM-Titel holte, waren nur noch Kaltz, Dietz, Rummenigge und Hansi Müller übrig. In Córdoba endete eine große deutsche Ära…

…und eine starke österreichische begann. Für Krankl, Prohaska und Pezzey war das Turnier das Sprungbrett zu erfolgreichen Karrieren in Spanien, Italien bzw. Deutschland. Helmut Senekowitsch, der von Sekaninas bonzenhaften Gutsherren-Art, den ÖFB zu führen, genug hatte, zog es nach Mexiko, später nach Spanien, Griechenland und für ein paar Monate auch nach Deutschland. Die mit acht Teams ausgetragene EM 1980 verpasste Österreich hauchdünn gegen den späteren Finalisten Belgien, bei der WM 1982 zog man trotz internen Problemen wieder in die zweite Gruppenphase ein.

Das Spiel in Córdoba selbst war untypisch für das ÖFB-Team bei der WM 1978 – weil eine an sich eher defensivstarke Mannschaft von Beginn an mit großem Drang nach vorne agierte und es sichtbar war, dass es sich für sie um mehr als das sechste Turnier-Spiel handelte. Hier war eine Truppe am Werk, die ein Statement setzen wollte. Nicht das Spiel an sich, aber dieses gesetzte Ausrufezeichen in diesem bis heute letzten Bewerbsspiel außerhalb Europas prägte den österreichischen Fußball und dessen interne Wahrnehmung über viele Jahre hinweg – zumal Österreich in den zehn Bewerbsspielen gegen den DFB seither ein Remis und neun Niederlagen bei 4:23 Toren eingefahren hat.

Und der Mythos Córdoba ist bis heute präsent – zumindest, wenn es mal wieder gegen Deutschland geht.

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Deutschland 6, Österreich 1 – WM-Halbfinale 1954 als Zeitenwende https://ballverliebt.eu/2020/04/10/deutschland-oesterreich-wm-halbfinale-1954-zeitenwende/ https://ballverliebt.eu/2020/04/10/deutschland-oesterreich-wm-halbfinale-1954-zeitenwende/#respond Fri, 10 Apr 2020 07:09:12 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=16836 Deutschland 6, Österreich 1 – WM-Halbfinale 1954 als Zeitenwende weiterlesen ]]> Österreich wird WM-Dritter! Was heute bestenfalls nach PlayStation klingt, war 1954 Realität. Das Turnier in der Schweiz war der Schlusspunkt jener Ära, in der Österreichs Fußball zur erweiterten Weltspitze gehörte. Es manifestierte auch den Kampf zwischen konservativen Bewahrern und progressiven Vordenkern im heimischen Fußball.

Und das 1:6 im Halbfinale gegen die BRD markierte den Tag, an dem Deutschland endgültig – und für seither immer – an Österreich vorbei zog.

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Bewahrer gegen Progressive. Der romantische Blick auf die eigene glorreiche Vergangenheit gegen den offenen Blick über den Tellerrand der eigenen Grenzen. Neue Kräfteverhältnisse gegen althergebrachtes Überlegenheitsgefühl. Die WM 1954 bedeutete für Österreich Höhe- und Endpunkt der Stärkephase nach dem Krieg.

Einen Podcast zum Thema haben wir auch:

Aufbau und Spitzenklasse

Ab 1945 bildete sich in Österreich (oder eher: in Wien) eine junge Truppe mit Spielern, die zu Kriegsende zwischen 18 und 23 Jahre alt sind – die Körner-Brüder und Stopper Happel von Rapid, der hoch veranlagte Mittelläufer Ocwirk vom FAC (1947 zur Austria), der kraftvolle Offensiv-Allrounder Wagner von Wacker, der bullige Dribbler Stojaspal von der Austria, Rechtsverbinder Decker von der Vienna.

Einige Jahre zahlten sie Lehrgeld, ab 1949 war das Team aber gereift. Auf die WM 1950 in Brasilien verzichtete der ÖFB dennoch. Die Reise wurde als zu teuer für den erwarteten Misserfolg betrachtet. Die Angst vor einer WM-Blamage wirkt angesichts der Glanzauftritte von 1950 und 1951 aber skurril: Siege gegen Italien (1:0), Ungarn (5:3), Jugoslawien (7:2) und Schottland (1:0 in Glasgow und 4:0 in Wien), dazu Auswärts-2:2 in Paris und im Wembley.

Österreich gehörte 1950 und 1951 ohne Zweifel zur absoluten europäischen Spitze. Danach wirkte es aber so, als wäre der Zenit überschritten: Es gibt es Niederlagen gegen Frankreich (1:2), Jugoslawien (2:4) und England (2:3) sowie müde 1:1 in der Schweiz und in Portugal – das Rücktritts-Angebot von Teamchef Nausch Ende 1952 wurde vom ÖFB aber abgelehnt.

System und Stil von vor dem Krieg

ÖFB-Präsident Hans Walch dürfte aber relativ schnell gedämmert haben, dass das womöglich die falsche Entscheidung war. „Es war ja nicht nur Nauschs angeschlagene Gesundheit, warum ihm Frühwirth, Pesser und Molzer als Trainer zur Seite gestellt worden sind“, so Fußball-Historiker Clemens Zavarsky, „sondern weil Nausch ein Verfechter der Wiener Schule war und diese als veraltet galt.“

Denn Wahrheit war auch: Als einziges Nationalteam hielt Österreich eisern am 2-3-5 fest, anstatt das WM-System (3-2-5) zu installieren. Dieses war 1925 von Arsenal-Trainer Herbert Chapman erfunden worden, Sepp Herberger hatte es beim DFB auch schon vor dem Krieg eingeführt. Der Vorteil des 3-2-5 war, dass man die gegnerischen Flügel bewachen konnte, ohne dafür einen Läufer abzustellen (dieser konnte den gegnerischen Verbinder decken) und durch Verschieben des ballfernen Verteidigers ins Zentrum Überzahl dennoch gegen den Mittelstürmer zu haben.

Im 2-3-5 sieht sich der Mittelläufer (ML) oft den beiden gegnerischen Verbindern alleine gegenüber, weil die Außenläufer auf die gegnerischen Flügelstürmer spielen müssen – Unterzahl im Zentrum und defensive Instabilität ist die Folge. Andererseits hat man mit drei Läufern in 2-3-5 mehr kreative Optionen.

Bis Anfang der 1950er hatten alle Länder das klassische 2-3-5 beerdigt. Nur Walter Nausch, der als linker Läufer Stammspieler im Wunderteam 1931-33 war, war überzeugt: Die „Wiener Schule“, das kombinationssichere, auf Ballbesitz basierende offensive „Scheiberlspiel“, wäre nur in einem 2-3-5 möglich.

Das Manndeckungsspiel im WM-System erachtete Nausch als Antithese des Donau-Fußballs, des schönen Spiels aus Wien und Budapest, das vor dem Krieg Weltruhm erlangt hatte. Das Opfern des Mittelläufers zugunsten eines dritten Verteidigers war für Nausch ein Sakrileg – zumal er mit Ernst Ocwirk den weltbesten Mittelläufer seiner Zeit hatte. Ocwirk war ein Fußball-Weltstar, wegen seiner großen Klasse und weil er seine Position revolutionierte: Kein Pracker englischer Schule, sondern ein Feingeist mit unübertroffener Spielübersicht und -intelligenz. Seine 50-Meter-Pässe, die zentimetergenau ankamen, waren berühmt und bei den Gegnern auch berüchtigt. Günter Netzer sollte 20 Jahre später praktisch genauso spielen.

Ocwirk hatte Nausch und Austria-Trainer Wudi Müller allerdings schon 1952 gewarnt: Weil andere Länder längst umgestellt hatten, hatte er im Zentrum oft mit Unterzahlsituationen zu kämpfen. „Alleine schaff‘ i das Zentrum nimmer!“ Nausch wischte die Bedenken beiseite und kassierte Rückschlag um Rückschlag.

In der Staatsliga waren einige Trainer längst weiter. Hans Pesser – der im Training  oft mit Megaphon auf einem Podest stand, um seine Spielern die richtigen Positionen und Laufwege zu vermitteln – hat bei Rapid 1949 von einer Südamerika-Tournee das „brasilianische System“ mitgenommen, in dem sich die Außenläufer voll auf die gegnerischen Flügel konzentrieren und der linke Verbinder zurück rückt, um mit dem Mittelläufer die gegnerischen Verbinder zu decken – zudem gibt es einen freien Mann ganz hinten, die Vorform des Libero, bei Rapid gespielt von Happel. Mit diesem System wurde Rapid 1949/50 Meister.

Der erste, der in Österreich auf ein klassisches WM umstellte, war Edi Frühwirth bei Wacker im Herbst 1952. Wacker stellte so in der Saison 1952/53 die mit Abstand beste Abwehr, erzielte vorne 101 Tore in den 26 Spielen und zog im Titelrennen nur ganz knapp gegen die Austria den Kürzeren. Dass man ein 3-2-5 nicht offensiv spielen könne, war damit auch in Österreich widerlegt.

Nausch vs. Fortschritt

„Frühwirth war ein moderner Trainer und dass er bei Wacker das WM-System vorexerziert hat, hat Nausch schon nicht gepasst“, erklärt Zavarsky. Nausch betrachtete Wacker als Dammbruch, der das 2-3-5 auch in Österreich verdrängen würde.

Nach der starken Saison von Wacker entfernte Nausch 1953 Frühwirth sogar aus dem ÖFB-Trainerstab und behielt stur das 2-3-5 bei, unterstützt auch vom Eindruck des 9:2-Erfolgs von Meister Austria im Herbst 1953 gegen den deutschen Titelträger Kaiserslautern, der den Kern des DFB-Teams stellte. Ocwirk war der überragende Mann als kreativer Mittelläufer, als Spielgestalter aus der Tiefe.

Eine Galavorstellung von Erich Probst mit fünf Toren beim 9:1-Heimsieg im WM-Qualiduell gegen Portugal war ein zusätzlicher Befreiungsschlag für Nausch, ehe man sich in Lissabon beim Rückspiel zu einem 0:0 quälte, mit dem man sich ein Entscheidungsspiel ersparte. Die Tordifferenz wurde damals nicht herangezogen.

Frühwirth ersetzt erkrankten Nausch

Im Februar 1954 erkrankte Walter Nausch. Woran, daraus machten zeitgenössische Medien und auch alle Beteiligten seither ein großes Geheimnis. Jedenfalls kam Edi Frühwirth in den Trainerstab zurück, gemeinsam mit Pesser – der mittlerweile von Rapid zum Sportclub gewechselt war – und ÖFB-Trainer Josef Molzer leitete er die Vorbereitung zur WM. Nausch stieß erst im Laufe des Turniers zur Delegation, überließ die tägliche Arbeit aber offenbar weiterhin Frühwirth.

Erste Amtshandlung Frühwirths: Umstellung auf das WM-System. Happel spielte Stopper, Hanappi rückte aus der Läuferreihe nach hinten, bald wurde auch der zweite gelernte Verteidiger (Stotz) durch einen gelernten Läufer (Barschandt) ersetzt. Man war den Ungarn bei einem knappen 0:1 in Wien annähernd ebenbürtig, stand beim 2:0 gegen Wales defensiv bombensicher und schoss sich nach dem Trainingslager in Obertraun mit einem 5:0 gegen Norwegen für die WM warm.

Dort startete man mit einem 1:0-Zittersieg gegen Schottland, ehe man locker 5:0 über die Tschechoslowakei hinweg fegte. Österreich hatte viermal hintereinander zu Null gespielt (damals, als selbst Meister im Schnitt 1,5 bis 1,8 Tore pro Spiel kassierten, praktisch außerirdisch) und war wegen des eigenwilligen Turniermodus ohne ein drittes Spiel ins Viertelfinale eingezogen. Der Gegner dort war nicht Italien, sondern die Schweiz. Der Turnier-Gastgeber hatte die Azzurri eliminiert.

Das Verhältnis zu Deutschland

Der einzige echte Misserfolg in den Jahren 1950/51 war die 0:2-Heimniederlage gegen das erst ein Jahr zuvor reaktivierte deutsche Nationalteam. Das DFB-Team hatte man schon vor dem Krieg zumeist im Griff gehabt (fünf Siege, zwei Niederlagen), und weil Spieler aus der Sowjetzone naturgemäß nicht mehr zur Verfügung standen, betrachtete man die deutsche Mannschaft in Österreich als deutlich schwächer als man selbst.

Auch die zentralisierte Liga erachtete man beim ÖFB als Vorteil. Zwar wurde 1949 die Staatsliga mit Beteiligung von Bundesländer-Klubs geschaffen, im Grunde waren diese aber kaum mehr als Mitläufer. Der GAK war 1954 das erste Bundesländer-Team, das eine Saison überhaupt in den Top-4 abschloss. In Deutschland wurden fünf regionale Ligen ausgetragen, aus deren Siegern dann der Meister ermittelt wurde. Also: Viele Klubs, aber auch ein gewaltiges Leistungsgefälle. Die Bundesliga wurde erst 1963 eingeführt.

Beim der österreichischen 0:2-Niederlage in Wien im Herbst 1951 stellte Herberger seinen nominellen Stürmer Max Morlock ab, um Ocwirk kaltzustellen und es war die einzige Niederlage in einer sonst sehr starken Phase. Bei 0:0 in Köln im Frühjahr 1953 hatte Österreich ein deutliches Chancenplus und fühlte sich als Punktsieger.

Dann kam auch noch das 9:2 der Austria gegen Kaiserslautern im Herbst 1953. Aus der Sicht der Zeit gesehen war es also keineswegs ungewöhnlich oder gar jenseitig, dass sich Fußball-Österreich dem deutschen Nachbarn sportlich überlegen fühlte. „Gott sei Dank, nur die Deutschen“, wurde im ÖFB-Lager nach der Halbfinal-Auslosung (ja, Auslosung) gejubelt. Die anderen beiden möglichen Gegner waren schließlich Titelverteidiger Uruguay und die als unschlagbar geltenden Ungarn.

Einschub: Hitzeschlacht in Lausanne

Das Halbfinale gegen Deutschland ist nicht zu verstehen, ohne auf das Viertelfinale gegen die Schweiz vier Tage zuvor zu blicken. Wie heiß es an diesem Juli-Tag um 17 Uhr im Stade de la Pontaise war? Nun, Radioreporter Heribert Meisel musste zur Halbzeit w.o. geben und das Mikrofon seinem Assistenten Edi Finger überlassen.

Torhüter Kurt Schmied von der Vienna, der in Bombenform war, hatte sich innerhalb kürzester Zeit einen Sonnenstich eingefangen und torkelte nur noch wie ein Zombie durch den Strafraum. Das 0:3 (Hügi aus 5m) hat Happel verbrochen, aber sowohl beim 0:1 (Weitschuss von Ballaman) als auch beim 0:2 (Roller von Hügi) sah Schmied seltsam abwesend aus. Später, beim vierten Schweizer Tor, irrlichterte Schmied verloren im Strafraum umher und wurde von Ballaman überhoben, beim fünften rutschte ihm der Ball durch die Hosenträger.

Ein fitter Schmied hätte ein Tor kassiert, maximal zwei. Nicht fünf.

Das Glück der Österreicher: Roger Bocquet, Libero in Rappans Riegel-System, ging es (allerdings in Folge eines Tumors, wie später festgestellt werden sollte) kaum besser als Schmid. Mit diesem kaum mehr als körperlich anwesenden Puzzlestein brach die Defensiv- und Kontertaktik in sich zusammen, Rappan tauschte ihn auch nicht – wie sonst üblich – mit einem Flügelspieler, um einen fitten Mann hinten zu haben.

So hatte Österreich hatte viel Raum zu gezielten Weitschüssen und, wenn es schnell ging, auch im Strafraum. Mit drei Toren zwischen den Minuten 25 und 27 glich Österreich auf 3:3 aus, kurz danach gelang ein erneuter Doppelschlag zum 5:3. Hügis Heber stellte vor der Pause auf 5:4, ehe Alfred Körner einen Elfmeter verschoss. Nach der Pause erzielte Wagner das 6:4 und Hügi das 6:5, das 7:5 von Erich Probst eine Viertelstunde vor Schluss war die endgültige Entscheidung.

Das Halbfinale war erreicht, aber zu welchem Preis?

Deutschland unter Sepp Herberger

Im deutschen Spiel drehte sich alles um Fritz Walter. Der Routinier von Kaiserslautern – Meister 1951 und 1953 sowie Finalist 1954 – war, was Ocwirk bei Österreich war, nur eben eine Etage weiter vorne. Während sich Rechtsverbinder Morlock oft in die Spitze orientierte und ein sehr vertikaler Spieler war, agierte Walter dahinter als das, was man später als „Klassische Nr. 10“ bezeichnet hat.

Die Verteidiger und die Läufer hatten nur die Aufgabe, den Gegner zu stoppen, Bälle zu erobern und diese dann auf möglichst direktem Weg bei Fritz Walter abzuliefern, damit dieser seine vier Angriffspartner einsetzen kann. Das waren eben Halbstürmer Max Morlock, der als launische Diva verschriene Helmut Rahn, der zuverlässige und zielstrebige Hans Schäfer sowie Fritz Walters jüngerer Bruder Ottmar. Diese mussten nicht stur ihre Positionen halten, sondern hatten durchaus Freiheiten.

Herberger arbeitete jahrelang zielstrebig auf diese WM hin und orientierte sich dabei nicht an Formkurven. Dass Kaiserslautern das Meisterschaftsfinale wenige Wochen vor dem Turnier gegen Hannover 1:5 verlor, interessierte ihn nicht. Es fuhren fünf Lauterer mit (und alle waren Teil der Wunsch-Elf) und nur ein einziger WM-Stammspieler kam im Jahr vor der Endrunde neu in den Kader, nämlich der Fürther Karl Mai.

Das DFB-Team gewann in der Vorrunde 4:1 gegen die Türkei und schenkte gegen die Ungarn ab, beim 3:8 gegen den haushohen Turnierfavoriten spielten die Reservisten. Im Entscheidungsspiel um den Viertelfinal-Einzug wurde wiederum die Türkei 7:2 besiegt und im Viertelfinale lieferte man Jugoslawien nach der frühen Führung eine Abwehrschlacht, kurz vor Schluss erzielte Rahn das 2:0.

Der Halbfinalgegner Österreich war Herberger gar nicht recht: Gegen Ungarn und Uruguay wäre sein Team krasser Außenseiter gewesen und ein Ausscheiden hätte niemand übel genommen. Gegen Österreich aber würde die Öffentlichkeit einen Sieg erwarten und gerade vor der sicheren ÖFB-Abwehr hatte Herberger Respekt. Das 7:5 ließ er als Freak Result hier nicht gelten, das waren besondere Umstände.

Österreich vor dem Halbfinale

Kurt Schmied konnte vier Tage nach seinem Sonnenstich, so ließen die Teamärzte wissen, im Halbfinale gegen Deutschland unmöglich spielen. Weil Frühwirth Franz Pelikan – den er von Wacker gut kannte – die nervliche Belastung eines WM-Halbfinales nicht zutraute, sollte Walter Zeman den Startplatz bekommen. Im Nachhinein betrachtet wohl eine Fehleinschätzung: Beim Rapid-Goalie war in der Turniervorbereitung eine alte Meniskus-Verletzung wieder akut geworden, zudem litt der damals 27-Jährige unter der für seine Bedürfnisse kurzen Leine innerhalb der WM-Delegation. Zemans Neigung zum Alkohol war zumindest Ernst Happel bekannt; Frühwirth jedoch offenkundig nicht.

Es war nicht der einzige Fehler des Trainerteams. Walter Schleger, Veterinärmediziner und nach seiner Fußballerkarriere Universitäts-Dozent, redete sich im Einzelgespräch mit Frühwirth statt des an sich gesetzten Leopold Barschandt in die Startformation. „Die Abwehr darf ihre Späße von Lausanne nicht wiederholen, sonst gibt’s ein Malheur“, wird Frühwirth in der AZ zitiert, und Martin Maier schreibt:

„Die Stimmung der Österreicher ist ausgezeichnet. Sie rechnen mit einem Sieg. Härte, Kondition und genaues Decken wird, so argumentieren sie, die Stärke der Deutschen sein. Der Härte werden sie ausweichen. Was die Kondition betrifft, werden die Österreicher den Ball laufen lassen: Seine Kondition wird besser sein als die aller Deutschen zusammen und die Luft wird ihm bestimmt nicht ausgehen. Das genaue Decken der Deutschen werden sie durch geschicktes Stellungsspiel verhindern.“

That didn’t age well.

Deutsches Heimspiel, Körner angeschlagen

Das Spiel fand in Basel statt, gleich an der deutschen Grenze, und die Schweizer Behörden kapitulierten vor der deutschen Invasion: 30.000 Bundesbürger stellten sich an der Grenze an und wurden nur noch durchgewunken – ohne Passkontrolle. Anders als am Samstag in Lausanne war das Wetter an diesem Mittwoch in Basel grau und regnerisch.

Zu Beginn war kaum ein Unterschied in der Leistungskraft zu erkennen. Nach ein paar Minuten war aber Frühwirths Idee, die Körner-Brüder auf dem jeweils anderen Flügel aufzustellen – also Alfred ausnahmsweise rechts, Robert links – hinfällig. Durch diese Maßnahme hatten auch Posipal und Kohlmeyer ihre Positionen getauscht, wodurch das deutsche Teamgefüge etwas durcheinander gebracht wurde.

Alfred Körner fasste in einem Duell mit Posipal nämlich eine Muskelverletzung aus.

Er humpelte zur Betreuerbank, wo er ein schmerzstillendes Jaukerl bekam, und war fortan wieder am gewohnten linken Flügel aufgestellt – damit zumindest Robert rechts die gewohnte Offensivkraft entfalten konnte. Die linke Seite hingegen lag mit dem angeschlagenen Alfred Körner und dem mit Rahn zunehmend überforderten Schleger waidwund. Die Deutschen brauchten aber einige Zeit, um das zu realisieren.

Ausgeglichene Anfangsphase

Der deutsche „kicker“ berichtete: „20 Minuten schien Österreich dem Sieg zuzustreben. Da liefen die Bälle den Wienern wie im Kabarett. Ja, so spielte einst das Wunderteam!“ Martin Maier in der AZ hingegen schrieb: „Nervöses Spiel auf beiden Seiten, viele Fehlpässe.“ Die Wahrheit lag wohl irgendwo in der Mitte.

In der 12. Minute zieht Fritz Walter ab, Zeman verschätzt sich ein wenig, aber der Ball streicht über das Tor. Zehn Minuten später kommt Zeman mit den Fingerspitzen gerade noch an einen Schuss von Rahn, lenkt den Ball an die Latte. Auf der anderen Seite verschludert Stojaspal eine Gelegenheit (14.), einen Schuss von Ocwirk (oder Körner?) kann DFB-Torhüter Turek nur abklatschen und Kohlmeyer klärt endgültig (28.).

Österreich geknackt…

In der 31. Minute verlor Stojaspal in der Vorwärtsbewegung den Ball gegen Eckel, der ihn schnell steil auf Morlock passte. Morlock ging, von Koller verfolgt, bis zur Grundlinie durch, konnte vor das Tor flanken. Dort achteten weder Happel noch Hanappi auf Schäfer, der unbedrängt aus fünf Metern abziehen konnte. Zeman, der auf der Linie geblieben war, fiel auch eher patschert hin, als dass er den Ball klärte. Deutschland führte 1:0.

Bei dieser Aktion hatte kein einziger Österreicher gut ausgesehen, es war aber mehr als nur ein kollektiver Tiefschlaf.

„kicker“-Herausgeber Friedebert Becker war gnadenlos. „Die deutschen Spieler, von Herberger von jeher erzogen, nie nach Schema, sondern mit Köpfchen nach eigenen Ideen zu spielen, den Gegner zu beobachten, Schwächen zu erkennen – diese deutschen Spieler hatten das Wiener Schema F schnell durchschaut. Nun wussten sie genau, wie der nächste Pass laufen wird“, schreibt Becker: „Wien spielte, trotz moderner WM-Taktik, doch wie vor 30 Jahren: Scheiberl! Und wunderte sich, dass die Deutschen immer eher an den Ball kamen. Dass sie den Weg des Wiener Passes zu riechen schienen.“

…Österreich geschockt

Das Gegentor traf Österreich bis ins Mark. Es wurde zwar nach einer schnellen Antwort gesucht, aber es schlicht sich in der Offensive eine zunehmende Kopflosigkeit ein. Robert Körner zieht in der 38. Minute aus der Distanz ab und schießt knapp über das Gehäuse, ein Versuch von Probst ist harmlos. Kurz vor dem Halbzeitpfiff wusste sich Liebrich gegen Wagner nur mit einem Foul zu helfen – Zentimeter vor der Strafraumgrenze. Ocwirk zielte seinen Freistoß durch eine sagenhaft schlecht aufgestellte Mauer, aber Turek nahm das Schüsschen locker auf.

Das mentale Drama brach in der Halbzeitpause endgültig durch. Der sonst so ruhige, positive Ocwirk herrschte Dienst und Barschandt, die in der Kabine Erfrischungen verteilten, mit einem unwirschen „Schleicht’s eich!“ an. Die Siegesgewissheit war einer mentalen Lähmung gewichen. „Der Frühwirth hat uns erklärt, was wir falsch machen, aber wir haben gespürt: das Match ist gelaufen“, gab der Kapitän nach dem Spiel im Radio-Interview zu: „Die Angst vor dem Misserfolg hat uns fertig gemacht.“

Vorentscheidung zunächst abgewehrt

In der ersten echten Aktion nach Beginn der zweiten Halbzeit konnte Schäfer Hanappi abschütteln und in den Strafraum flanken, Happel klärte zur Ecke. In der Mitte wären noch Koller und Schleger bei Ottmar Walter, aber im Zweifel spielte Happel eben auf sicher. Dachte er. Fritz Walter drehte den Eckball an den Fünfer direkt vor das Tor. Ocwirk berechnet den Ball falsch, Koller steht an der ballentfernten Seite von Morlock, und zwischen Ocwirk und Koller kommt Morlock an den Kopfball. Der wiederum wie versteinert auf der Linie klebende Zeman ist chancenlos. 2:0 für Deutschland.

Koller lässt die Schultern hängen und kratzt sich mit der rechten Hand ratlos am Hinterkopf. Oje, der geht auf mich. Oje, ich fürchte, das war’s jetzt.

Aber: Österreich warf jetzt noch einmal alles in den Kampf. „Das Tor pulvert die Österreicher auf“, schreibt Maier, „sie spielen, als hätten sie ein frisches Bad genommen.“ Wagner dringt halblinks in den Strafraum ein, umringt von vier Deutschen – Posipal, Eckel, Mai und Morlock. Und doch gelingt es ihm, den Ball an den Flügel zu Alfred Körner zu bringen. Dieser flankt, Liebrich klärt mit dem Kopf vor den Strafraum, genau vor die Füße von Stojaspal.

Stojaspal rennt auf das Tor zu, schießt, Turek kann den Ball nicht fangen, die Kugel hüpft zu Probst. Der Rapidler staubt ab, trifft, nur noch 1:2 aus Sicht von Österreich. „Jetzt geht das schon wieder los“, fauchte Fritz Walter zu seinen Mitspielern, an die ÖFB-Aufholjagd gegen die Schweiz erinnernd.

In zehn Minuten von 2:1 auf 5:1

Nach der Pause merkte Rahn, dass er vom angeschlagenen Alfred Körner kaum defensive Gegenwehr zu erwarten hatte und dass er Walter Schleger in jeder Hinsicht deutlich überlegen war. Koller musste immer öfter aushelfen, was aber Rahns Schwung kaum eindämmte und im Zentrum für offene Räume sorgte. Auf der anderen Seite offenbarten sich die Tempo-Nachteile von Hanappi gegenüber Schäfer, der auch oft ins Halbfeld zog und das Zusammenspiel von Hanappi mit Happel kappte.

Keine fünf Minuten nach dem Anschlusstreffer konnte Hanappi Schäfer wieder nur in den Strafraum nachlaufen, in seiner Not säbelte er Schäfer von hinten nieder. Ein klarer, unumstößlicher Elfmeter, es protestierte auch niemand. Fritz Walter trat an, zielte nach rechts, Zeman flog in die andere Richtung, das 3:1 in der 56. Minute.

Im Gegenzug lenkte der konzentrierte Turek einen Schuss von Probst an die Latte, dafür sorgte Zeman mit einer Unkonzentriertheit in der 61. Minute für den nächsten deutschen Eckball – er wollte einen Ball stoppen, der rutschte ihm aber über den Spann und kullerte über die Out-Linie. Wieder tritt Fritz Walter die Ecke, wieder ist sie raffiniert angeschnitten. Diesmal steht Hanappi zu weit von der Flugkurve entfernt, diesmal steht Happel auf der falschen Seite seines Gegenspielers, diesmal kommt Ottmar Walter an den Kopfball. Wieder ist Zeman auf der Linie nur Zuschauer, wieder ist der Ball im Tor. Das 4:1.

Gerhard Hanappi faltet verzagt die Hände. Aussage, um den heutigen Jargon zu verwenden: „Mah, geh OIDA!“

Drei Minuten später, Österreich war in seiner Verzweiflung weit aufgerückt, kontere das DFB-Team. Rahn läuft alleine auf Zeman zu, umläuft den Torhüter, Zeman greift im Reflex nach Rahns Füßen, hält sie fest. Rahn fällt, natürlich wieder Elfmeter und nach heutigen Gesichtspunkten eine der klarsten Notbremsen der Fußballgeschichte. Zeman blieb zwar der Ausschluss erspart, nicht aber Fritz Walters Elfmeter. Der Torhüter errät diesmal die Ecke, aber Walters Schuss ist zu hart, zu platziert.

Das 5:1, die endgültige Entscheidung in der 65. Minute.

Das ÖFB-Team brach zusammen

Happel, eigentlich der Chef in der Hintermannschaft, versank im Treibsand, zog sich immer weiter vom konstruktiven Spielgeschehen zurück. Martin Maier schimpfte in der SPÖ-nahen Arbeiter-Zeitung: „Was fällt Happel ein, im Strafraum zu spielen, als wäre der Gegner Oberlaa und Rapid führt 10:0?“ Und das ÖVP-nahe Volksblatt ging sogar noch einen Schritt weiter: „Man wünscht Happel zehn Jahre Fegefeuer, verschärft durch täglich zwanzig verlorene Schnapspartien!“

Turl Wagner machte gegenüber dem ORF im Jahr 2012 noch einmal deutlich, wie sehr Happel seine schlechte Leistung und noch viel mehr die vernichtende Kritik getroffen hat. „Unter der harten Schale war bei ihm ein butterweicher Kern, er war sehr sensibel“, so Wagner, „das war eigentlich der Moment, an dem er mit Wien gebrochen hat!“

Schleger war mit Rahn überfordert, der verletzte Alfred Körner keine Hilfe, Kollers Versuche auszuhelfen öffneten für Fritz Walter Räume, die Ocwirk alleine nicht abdecken konnte; Hanappi war zwischen seiner Position als rechter Verteidiger und dem Helfen von Ocwirk aufgerieben. Das ganze System implodierte, alle waren mit den Nerven durch, wussten um das öffentliche und mediale Donnerwetter, das auf sie einprasseln würde.

Und die Deutschen legten immer weiter den Finger in die Wunde.

Deutschland spielte „Such’s Balli“

„Den ständigen Rochaden zwischen Ottmar und Schäfer oder Rahn wussten die Wiener Verteidiger nicht zu begegnen. Man deckte Raum und wurde überspielt. Das Staffeln der drei Verteidiger fehlte, man bildete eine starre Linie, in die Fritz Walter, alles überschauend, seine Minen legte“, analysierte Friedebert Becker im kicker, der an den deutschen 3:2-Sieg im Spiel um Platz drei 1934 verwies: „So wie einst, vor zwanzig Jahren, Fritz Szepan die Wiener hin und her jagte, so lenkte nun Fritz Walter das Spiel ganz nach seinen Wünschen.“

Die Deutschen ließen nicht nach, bombardierten das österreichische Team weiter. Rahn, Morlock und Ottmar Walter feuerten Torschüsse ab. „Und hat Österreich schon mal eine Chance, wie Probst in der 74. Minute“, maulte Maier, „dann steht er wie angewurzelt. Ehe er sich zum Start entschließt und dem Ball entgegen läuft, hat ihn eines der tausend Beine in der deutschen Verteidigung schon weggekickt.“ In der 87. Minute humpelte Alfred Körner vom Platz, es ging nicht mehr, es hatte auch keinen Sinn mehr.

Kurz vor dem Schlusspfiff demonstrierten die Deutschen noch einmal die Leichtigkeit, mit der sie das österreichische Team in der zweiten Halbzeit demontierten. „Fritz, Morlock und Mai bauen im Mittelfeld ein regelrechtes Dreieck auf, in dem Koller und Schleger herumhetzen“, beschreibt Robert Becker in seinem Spielbericht im kicker: „Schäfer hatte sich heimlich in Richtung Eckfahne geschlichen. Dort erreichte ihn prompt Fritz Walters Steilpass.“ Zeman läuft dem auf die rechte Seite rochierten Schäfer aus dem Tor heraus entgegen, Schäfer flankt vor das leere Gehäuse, Ottmar Walter sagt „danke“. Das 6:1, der Endstand.

Diagnose: „Zu viele Jahre taktisch vertrödelt“

Schon seit Jahren war Nausch in Österreich gedrängt worden, endlich mit dem Uralt-System zu brechen und auf die Gegebenheiten zu reagieren, die spätestens nach dem Krieg einfach nicht mehr wegzuleugnen waren. Das Debakel im Halbfinale gegen Deutschland machte es endgültig für alle sichtbar.

„Es zeigte sich, dass in Österreich zu spät auf das moderne Spiel umlernte“, so Friedebert Becker: „So grundgescheit die Wiener auch Frühwirths weitschauende Umschulung aufnahmen, man hatte zu viele Jahre taktisch vertrödelt. Das zeigte sich besonders nach der Pause. […] Wir trösten Frühwirth und Pesser, wir trösten die mutigen Verfechter des neuzeitlichen Fußballs in Wien. Wir wissen, dass die alten Freunde in Wien jammern werden: ‚Mit unserem alten Wiener Stil wäre das nicht passiert!‘ Aber verloren hätte sie doch. Auch die großen Taktiker können nicht binnen weniger Monate nachholen, was in falsch verstandener Romantik in Wien 15 Jahre lang versäumt wurde.“

In Österreich sorgte vor allem die Art und Weise, der stilistische Unterschied für Erweckungsmomente. „Der deutsche Angriff: Eins, zwei, drei, schon beim österreichischen Tor. Der österreichische Angriff: Singers patentierte Zickzack-Nähmaschine näht, immer im Kreis“, monierte Maier. Eine Tiroler Zeitung streute Schiebungs-Gerüchte, Happel und Zeman hätten absichtlich schlecht gespielt, weil sie von deutschen Sponsoren mit lukrativen Transfers gelockt worden wären. Zudem wären die Spieler sauer gewesen, dass der ÖFB das Auslandstransfer-Alter nicht von 30 auf 28 senken wollte, weswegen das Spiel absichtlich verloren worden wäre.

Abenteuerlich.

Happel und Zeman waren wegen ihrer schwachen Leistungen gegen Deutschland die Buhmänner der Öffentlichkeit. Generell wurde der dritte Platz (nach dem 3:1 im kleinen Finale gegen ein desinteressiertes Team aus Uruguay) als schöner Erfolg angesehen, gleichzeitig aber dem verpassten Endspiel nachgetrauert – denn der deutschen Finalsensation gegen Ungarn zum Trotz blieb man dabei, dass Deutschland der leichteste Halbfinalgegner war.

Österreich nach der WM

Die WM war für Österreich eine Zäsur. Zahlreiche Spieler nahmen danach in der Tat ein gut bezahltes Engagement im Ausland an – aber nicht in Deutschland, sondern in Frankreich. Happel (Racing Paris) von Rapid, Stojaspal (Straßburg), Ernst Melchior (Rouen) und Fritz Kominek (Nîmes) von der Austria sowie Sturm-Spielertrainer Karl Decker (Sochaux), Admira-Angreifer Erich Habitzl (Lens) und Wacker-Flügel Ernst Bokon (Metz) folgten Turl Brinek (Monaco) in die Division 1. Ernst Ocwirk zog es 1956 zu Sampdoria in die Serie A.

Die Frage, ob Frühwirth beim Team bleibt, wurde mit seinem Wechsel von Wacker zu Schalke 04 (wo er 1958 Meister wurde) beantwortet. Nausch übernahm die Agenden zunächst wieder voll, aber der ÖFB wollte ihn nach den Lektionen der WM und der Offensichtlichkeit seiner Versäumnisse dennoch loswerden. „Nach der WM hat man ihm sukzessive die Agenden weggenommen und er ist dann nach einem 1:4 gegen Ungarn im November enttäuscht zurückgetreten“, so Clemens Zavarsky.

Das Nationalteam stürzte in den folgenden Jahren dramatisch ab. Verantwortliche kamen und gingen oft nach ein paar Monaten wieder, und als sich 1957 unter Pepi Argauer wieder so etwas wie eine gewisse Stabilität auf akzeptablen Niveau einpendelte, waren nur noch vier 1954er-Spieler übrig: Gerhard Hanappi, Turl Wagner, Karl Koller und Leopold Barschandt. Im Schatten der 54er konnte eine ganze Generation nicht im Nationalteam Fuß fassen, so fuhren 1958 viele ältere Spieler und einige ganz junge zur WM, aber kaum jemand im besten Fußballer-Alter.

Deutschland nach der WM

Nach dem überraschenden 3:2-Finalsieg gegen Ungarn fielen aber auch die Deutschen in ein Loch – und was für eines. 12 der 18 Spiele in den zwei Jahren nach der WM 1954 verlor die DFB-Elf, die ebenfalls einem völligen personellen Wechsel unterzogen wurde. Peinlicher Tiefpunkt war eine 0:3-Blamage in Irland.

In dieser Zeit festigte sich der Eindruck, dass der Titelgewinn ein Zufallssieg war. Die Personalreserven schien dünn und die generelle Substanz nicht ganz dort, wo man sie bei einem amtierenden Weltmeister vermuten würde. Aber das Durchschnittsalter des 1954er-Teams lag bei 28 Jahren, und Herberger gab den nachrückenden Talenten die Zeit, die sie brauchten.

Junge Kräfte wie Uwe Seeler, Aki Schmidt und Horst Szymaniak – die in ihren regionalen Ligen nicht immer auf hohem Niveau gefordert waren – brauchten einfach ein paar Jahre, um sich international zu behaupten. Nur: Anders war es bei den Österreichern ja auch nicht. Rapid, Austria, Vienna und Wacker hatten halt auch Spiele gegen Stadlau, Kapfenberg, Austria Graz und den FC Wien zu absolvieren.

Als sich ÖFB und DFB knapp drei Jahre später das nächste Mal trafen, hatte bei beiden Mannschaften die Besetzung nicht mehr viel mit 1954 zu tun. Nicht nur Deutschland hatte eine ausgiebige Misserfolgs-Serie hinter sich, sondern auch Österreich: In den anderthalb Jahren vor dem Spiel im März 1957 hatte das ÖFB-Team genau ein einziges Match gewonnen – gegen Luxemburg. Herbergers Truppe gewann in Wien 3:2, wieder war es vor allem das Rochadenspiel von Sturmspitze Kraus mit Helmut Rahn, mit dem die ÖFB-Abwehr überhaupt nicht zurecht kam.

„Wie schnell verfliegt der Ruhm, wie schnell verschlingt der Sport seine Opfer“, konstatierte Martin Maier in der AZ über den amtierenden Weltmeister und den WM-Dritten: „Was ist heute von den Teams geblieben? Beide Mannschaften haben neu begonnen. Die Deutschen sind einen Schritt näher, fern zeichnet sich wieder eine starke Mannschaft ab. Mit Österreich ist es schlechter bestellt, alles noch am Anfang, Tasten und Versuchen.“

Deutschland langfristig voran

Wie in Österreich wendete sich auch beim DFB im Frühjahr 1957 das Blatt wieder zum Positiven, als Herberger seine Elf für die WM 1958 in Schweden einigermaßen gefunden hatte. Während Österreich dort in einer starken Gruppe (mit Brasilien, England und der Sowjetunion) ausschied, quälte sich Deutschland mit nur einem Sieg durch eine schwache Gruppe (mit Nordirland, der Tschechoslowakei und den international abgehängten Argentiniern) und schied nach einem Viertelfinal-Erfolg über Jugoslawien im Semifinale gegen Schweden aus.

In der Folgezeit etablierte sich in Österreich wieder eine sehr starke Mannschaft, aber der ÖFB verzichtete auf Kostengründen auf die WM 1962 in Chile, wo Deutschland im Viertelfinale ausschied. Die Einführung der Bundesliga 1963 mit ihrer hohen Leistungsdichte erwies sich für den DFB als überfällig und die BRD etablierte sich langfristig an der Weltspitze, während Österreich zeitgleich in Planlosigkeit und internem Chaos versank.

Es sollte bis 1978 dauern, ehe wieder ein ÖFB-Team gegen die BRD gewinnt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Quellen

„kicker“, Ausgabe vom 5. Juli 1954
Archiv der „Arbeiter-Zeitung“
Story „Der letzte Mittelläufer“ von Clemens Zavarsky, ballesterer Nr. 89, 2014
Österreichs Deutschland-Komplex“ von Gerhard Urbanek, 2009
ORF-Sendung „Ernst Happel“ zum Anlass seines 20. Todestages, 2012
Sind’s froh, dass Sie daheim geblieben sind„, Hrsg. Marschik/Müllner, 2010
Videos AUT-SUI 7:5 sowie BRD-AUT 6:1 (verlinkt im Text)
Vom Libero zur Doppelsechs“ von Tobias Escher, 2016

Diese Ausgabe der „Ballverliebt Classics“ entstand auf Anregung unseres Patreon-Unterstützers Uwe Kranenpohl.

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US-Triumph mit Ansage: Das war die Frauen-WM 2019 https://ballverliebt.eu/2019/07/08/us-triumph-mit-ansage-das-war-die-frauen-wm-2019/ https://ballverliebt.eu/2019/07/08/us-triumph-mit-ansage-das-war-die-frauen-wm-2019/#comments Mon, 08 Jul 2019 08:52:10 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=16296 US-Triumph mit Ansage: Das war die Frauen-WM 2019 weiterlesen ]]> Mit einem 2:0-Finalerfolg über die Niederlande verteidigen die US-Frauen ihren WM-Titel von 2015. Es war ein verdienter Erfolg, denn kein Team zeigte annähernd so großes Potenzial wie der nun vierfache Weltmeister. Die europäische Armada, die sich Rapinoe und Co. in den Weg stellte, konnte das US-Team phasenweise fordern. Aber wirklich gefährden konnten sie es nicht.

Hier gibt es auch unseren Podcast dazu:

USA: Klar top trotz angezogener Handbremse

Finale: USA – Holland 2:0 (0:0)

„Das Wichtigste zuerst: Die USA wird 2019 den Weltmeistertitel verteidigen.  […] Das US-Team kann sich in Frankreich nur selbst schlagen.“ So stand es in unserer Geschichte am 8. November 2018, nach dem Concacaf-Cup. Nun, die USA hat sich nicht selbst geschlagen.

Nach der 13:0-Hinrichtung zum Auftakt gegen Thailand wurde aber die angezogene Handbremse zum wiederkehrenden Thema. Zwar ging man bis auf das Finale in jedem Spiel in den ersten 12 Minuten in Führung, aber  in der K.o.-Phase schaltete man nach der frühen Führung auch immer zurück.

Das mit deutlichem Abstand beste Team ließ einen WM-Titel, der nie in Frage hätte stehen dürfen, eng aussehen. Weil man den Kontrahenten die Tür immer einen Spalt breit offen ließ. Weil man selbst bei knappen Führungen dem verzagten Gegner am Leben ließ, indem man auf ein destruktives 5-4-1 umstellte. Dabei ist die Stärke des Teams nicht so sehr die strukturierte Defensive (die wohl tatsächlich nie so taktisch diszipliniert war wie derzeit), sondern die individuelle Qualität vorne.

Im Finale arbeitete man sich an einem überraschend eingesetzten holländischen Defensiv-System ab, aber nach dem Elfmeter zum 1:0 nach einer Stunde war klar: Das war’s. Und tatsächlich war es danach nur noch eine Frage der Höhe.

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Das US-Team ließ die Gegner aus Europa glauben, sie hätten eine Chance. Letztlich war aber nur England im Halbfinale – dem wohl besten und sicher intensivsten Spiel der WM – nahe dran. Und das, obwohl Phil Neville das Match vercoacht hat.

Megan Rapinoe Superstar

Eine Heldin in der amerikanischen Frauenfußball-Szene ist sie schon seit ihrer legendären Vorlage zum Ausgleich in der 122. Minute im 2011er-Viertelfinale gegen Brasilien und ihren wunderlichen Toren beim legendären 4:3 gegen Kanada im Olympia-Halbfinale 2012. Aber zur international bekannten Figur ist Megan Rapinoe erst bei dieser WM geworden. Nicht so sehr jedoch wegen ihrer vier Tore in Achtel- und Viertelfinale sowie dem vorentscheidenden Elfmeter-Treffer im Finale, mit dem sie auch Torschützenkönigin wurde.

Rapinoe nützte die WM, um auf die Anliegen nach Gleichstellung hinzuweisen, zur LGBT-Ikone zu werden und ihre Ablehnung gegenüber dem Präsidenten ihres Landes (die auf Gegenseitigkeit beruht) zum Ausdruck zu bringen. Die gerade 34 Jahre alt gewordene Rapinoe absolvierte bei ihrer vermutlich letzten WM ein starkes Turnier, gefühlt musste sie aber keine einzige sportliche Interview-Frage beantworten.

Europäische Dominanz – ! oder ?

Sieben der acht Viertelfinalisten kamen aus Europa. Ist die Frauenfußball-Welt also am Weg zur totalen europäischen Dominanz, wie es auch bei den Herren in den letzten 15 Jahren geworden ist? Das muss man von zwei Seiten betrachten.

Einerseits ist es gefährlich, ein so großes Narrativ an drei, vier Achtelfinalspielen aufzuhängen. Australien hat im Elfmeterschießen verloren, Brasilien in der Verlängerung, Japan durch einen kaum zu verhindernden Handelfmeter in der 90. Minute, Kanada bezahlte für eine einzelne defensive Unachtsamkeit. Alle diese Teams hatten ihre Schwächen, aber keines war nennenswert schlechter als Norwegen, Frankreich, Holland und Schweden – wenn überhaupt.

Andererseits ist es aber sehr wohl korrekt, dass in vielen europäischen Ländern in den letzten paar Jahren sehr viel investiert wurde und das Investment Früchte trägt. Die französische Liga wird immer breiter, in Spanien hat sich nun auch Real Madrid angekündigt. In England übernimmt die Premier League demnächst wohl die Federführung über die Frauen-Liga, in Italien bündeln Juventus und Milan die Kräfte, in Holland ist der Verband sehr aktiv und die Liga betreibt einen regen Export-Handel.

Es ist möglich, dass schon nächstes Jahr beim Olympischen Turnier in Japan kein europäischer Vertreter im Halbfinale steht. Aber auf Sicht wird kein Team langfristig bestehen können, das seine Spielerinnen nicht entweder in den europäischen Top-Ligen, der amerikanischen NWSL oder der vermutlich ab 2021 ebenfalls voll-professionalisierten japanischen Liga unter Vertrag hat.

Europas Zufriedene

Der Traum vom ersten WM-Finale seit 2003 platzte für Schweden zwar durch Jackie Groenens Weitschuss im Halbfinale, aber letztlich können alle drei europäischen Halbfinalisten zufrieden sein. Holland, weil man weit weg von der kollektiven Klasse des EM-Titels 2017 war – Martens schleppte sich verletzt durch das Turnier, Van de Donk war schwach, Miedema zumeist harmlos – und nach dem äußerst glücklichen Achtelfinal-Sieg über Japan drei Runden weiter gekommen ist, als Oranje eigentlich zugestanden wäre.

Auch England, weil man sich zwei Jahre vor der Heim-EM als aktuell wohl komplettestes europäisches Team präsentierte und dank der Premier League bald noch mehr Geld in den Frauenfußball gepumpt wird. Dass man das Platz-drei-Spiel abgeschenkt hat und es Phil Neville offen als „nonsense game“ bezeichnete, trübt den guten Gesamteindruck nur minimal.

Und Schweden darf sich nach einigen harzigen Jahren und einer mäßigen Vorbereitung über den ersten Pflichtspiel-Sieg gegen Deutschland nach 24 Jahren (mit zehn deutschen Siegen) freuen, die Olympia-Teilnahme und den dritten Platz sowie eine riesige Party bei der Heimkehr nach Göteborg. Die Problemzone Mittelfeld wurde geschickt umgangen, indem man kompakter stand, wenig Raum zwischen den Ketten ließ und die Pässe von hinten heraus direkt in die Spitze kürzer und damit besser kontrollierbar wurden.

Italien und Norwegen haben mit dem Viertelfinale mehr erreicht, als sie erwarten durften und positive Signale für einen weiteren Neuaufbau ausgesendet.

Ach, Frankreich

Für Frankreich endete Heim-WM 2019 auch im Viertelfinale. So wie die EM 2017. Und Olympia 2016. Und die WM 2015. Und die EM 2013.

Frankreich-USA 1:2 (0:1)

Schon in der Zitterpartie gegen Brasilien im Achtelfinale kam der Gastgeber ins Schwimmen, weil Trainerin Diacre auf 4-4-2 umgestellt hat, Achter Henry offensiv und defensiv gleichzeitig präsent sein musste und damit nie dort war, wo sie gerade gebraucht wurde.

Und die Bilder, auf denen Diacre im Viertelfinale gegen die USA wie versteinert an der Seitenlinie steht und 75 Minuten tatenlos zusieht, wie ihr Team kaum eine vernünftige Torchance kreiert, gehören wohl zu den bleibenden Eindrücken des Turniers – im negativen Sinn.

Diacre bleibt, ist damit auch in der EM-Quali – in der es gegen Österreich gehen wird – französische Teamchefin. Verbandspräsident Le Graët hielt zwar nicht gerade ein flammendes Plädoyer für Diacre, führte das erneute zu frühe Aus aber auf Auslosungs-Pech zurück. Sein schulterzuckendes „Man wird ja schließlich nicht über Nacht Weltmeister“ klingt nach zehn Jahren konstantem Scheitern auf der vorletzten Stufe dennoch etwas lustig, wenn man bedenkt, dass Holland innerhalb von drei Jahren vom Mitläufer zum Europameister und WM-Finalisten geworden ist.

Kein wirklicher Erfolg waren im Übrigen auch die Zuseherzahlen in den Stadien: Der Schnitt von 21.700 ist der drittniedrigste aller acht WM-Turniere. Warum? Die beiden Städte im Süden – Nizza und die Rugby-Hochburg Montpellier – ließen mit unter 50 Prozent Auslastung komplett aus. Die Auslastung in den anderen Spielorten war zwar mit 75 Prozent in Ordnung, dafür waren die verwendeten Stadien dort überwiegend nicht sehr groß.

Deutschland: Wohin geht’s?

Die deutsche Frauen-Bundesliga verliert zunehmend den Anschluss – in der sportlichen Breite, aber vor allem beim medialen Interesse und damit bei der Zuschauer-Aufmerksamkeit. Der Nachwuchs ist immer noch gut, sodass man sich keine großen Sorgen um das Nationalteam machen muss. Aber: Nach der extrem gepushten Heim-WM 2011 ist das Umfeld stehen geblieben, die Rahmenbedingungen werden schwieriger.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg baute um und verjüngte, zeigte sich extrem flexibel und macht es sich zunutze, dass sie sehr viele sehr vielseitige Spielerinnen hat.  Ohne Gegentor ging es ins Viertelfinale, dort wurde die etwas fehlende Kreativität nach vorne und die etwas fehlende internationale Routine in der Defensive aber von Schweden bestraft.

Reden wir über das Coaching

Voss-Tecklenburg ist eine der aktiveren Trainerinnen bei dieser WM gewesen. Die beste Coaching-Leistung des Turniers war (neben Voss‘ gegen Spanien) wohl jene von Japans Asako Takakura im Achtelfinale gegen Holland.

Japan drückte zu Beginn vorne drauf, geriet aber nach 17 Minuten in Rückstand. Takakura ließ ihr Team gegen jede Intuition reagieren, stellte sich hinten hinein und zwang Holland den Ballbesitz auf. Oranje konnte nichts damit anfangen, war verwirrt – so bekam Japan Kontrolle über das Spiel und glich noch vor der Pause aus. Danach legte man sich die Holländerinnen zurecht wie Rafa Nadal den Gegner in einem langen Ballwechsel bei den French Open, bis zum entscheidenden Schlag. Japans Pech: Die beste Chance landete am Pfosten, einige weitere wurden nicht genützt – und in der 88. Minute wurde hinten Kumagai an der Hand angeschossen. Elfmeter, Tor, 1:2 verloren. Ewig schade. Aber für Heim-Olympia 2020 und die WM 2023 ist man mit der sehr jungen Mannschaft gut aufgestellt.

Das Turnier hat aber auch einige, nun ja, Trainer-Performances der Marke Sub-Standard gebracht. Australien war unter Ante Milicic erschütternd eindimensional und wurde von Italien und Norwegen geschickt neutralisiert. Brasilien verließ sich unter Vadão einmal mehr nur auf individuelle Qualität – eine Debinha in Top-Form und die Routine einer Marta alleine können es nicht richten. China hatte genau gar keinen Plan nach vorne, es gab folgerichtig nur ein Tor in vier Spielen. Neuseeland unter Tom Sermanni, in der Vorbereitung mit aggressivem Pressing, agierte dreimal verstörend destruktiv und verlor dreimal. Thomas Dennerby schien seinem Team aus Nigeria nicht gesagt zu haben, ob es nun mit Vierer- oder Fünferkette spielen soll – erstaunlich, dass es dennoch zum Achtelfinale gereicht hat. Und Kanada war unter Kenneth Heiner-Møller nach vorne zu harmlos – Christine Sinclair wird alt und geschickt agierte nur die Defensive.

Zwiespältige VAR-Premiere

Da man die Frauen mit sehr knapper Vorlaufzeit und ohne Praxistest ins kalte VAR-Wasser geworfen hat, gab es Anlaufschwierigkeiten. Vor allem in den ersten zwei Turnierwochen wirkte die Einschreit-Schwelle sehr niedrig und es wurden auch viele Entscheidungen aus dem Graubereich kontrolliert und revidiert – wie beim vermeintlichen 1:0 Frankreichs im Achtelfinale gegen Brasilien.

Die Debatte erreichte ihren Siedepunkt beim Achtelfinale zwischen England und Kamerun (3:0). Nachdem einige enge Entscheidungen via VAR gegen sie ausgefallen sind, drohten die Kamerunerinnen minutenlang, abzutreten. Danach ignorierte die chinesische Schiedsrichterin sogar bewusst den VAR zweimal zu Ungunsten von England, um keinen Abbruch zu riskieren.

In der Folge ging die Zahl der VAR-Interventionen deutlich zurück. Weil die Einschreit-Schwelle anstieg oder nur noch die allerbesten Referees übrig waren – vermutlich beides. Auch, wenn sich manche Spiele zogen und das Gejammer groß war: Spielentscheidende Fehlentscheidungen wurden allesamt ausgebügelt. Und das ist ja der Sinn der Übung.

Torhüterinnen: Sehr solide

Bei der EM 2017 fielen die vielen peinlichen Fehler der Torhüterinnen auf. Ob weibliche Goalies mit kleineren Toren besser aussehen würden? Hope Solo – die US-Keeper-Legende war für das englische TV beim Turnier – argumentiert dagegen: Es liegt nicht an der Größe der Tore, sondern an der Ausbildung der Torhüterinnen.

Sie habe mit ihren 1.75m nie ein Problem gehabt, das große Tor abzudecken – weil sie schon in jungen Jahren vernünftig gecoacht worden ist. Das war bei ihr möglich, weil sie Amerikanerin ist. Außerhalb der großen Frauenfußball-Nationen liegt da viel im Argen. Und man muss nicht nach Thailand oder Äquatorialguinea schauen: Selbst ÖFB-Teamkeeperin Manuela Zinsberger hat erst nach ihrem Wechsel zum FC Bayern mit 18 Jahren ein professionelles Torhüter-Training genossen.

Die Sorge vor einer Wiederholung der peinlichen Fehlerhäufung von 2017 war aber unbegründet: Die Leistungen der Goalies war durch die Bank solide und derbe Schnitzer kamen de facto nicht vor. Von der großartigen Christiane Endler (Chile) über die furchtlose Syd Schneider (Jamaika), die talentierte Chiamaka Nnadozie (Nigeria) bis zu Vanina Correa (Argentinien), die im echten Leben Mama von Zwillingen ist und am Gemeindeamt ihrer Heimatstadt arbeitet: Das war 2019 selbst bei kleinen Frauenfußball-Nationen sehr ordentlich.

Die Sache mit den wiederholten Elfmetern – per VAR-Eingriff waren in der Vorrunde drei parierte Strafstöße annulliert worden, weil die Torhüterin zu früh vor die Linie gesprungen war – hat sich erwartungsgemäß recht schnell erledigt: Die Spielerinnen stellten sich darauf ein und hielten in der K.o.-Runde auch nicht weniger Elfmeter als zuvor. Gut gemacht.

Aufmerksamkeit

Wie erwartet ist das Feld hinter den USA zusammengerückt und breiter geworden. Es konnten mehr Teams als bisher realistisch auf das Halbfinale hoffen, mit Holland hat es eine Mannschaft erstmals ins Halbfinale (als zehntes Land) und auch als achtes Land der Frauen-WM-Geschichte ins Endspiel geschafft.

Vor allem aber ist die weltweite Aufmerksamkeit gestiegen. Das US-Trikot der Frauen ist nun jenes Fußball-Trikot, von dem Nike in den Staaten die größte Stückzahl innerhalb eines Jahres abgesetzt hat. In Holland verfolgten 5,5 Millionen Landsleute im TV (Marktanteil knapp 90%) das Finale, rund fünf Millionen das eigene Halbfinale gegen Schweden – und knapp zwei Millionen das andere, ohne Oranje-Beteiligung. Auch in Deutschland waren die Quoten ordentlich (um die sechs Millionen pro Spiel).

Womit nicht ganz so zu rechnen war: Dass etwa auch in Spanien (wie im Tweet zu sehen) und in Italien die Resonanz groß war. Die RAI zeigte erstmals ein Frauen-Spiel im Haupt-Sender Raiuno (knapp 7 Millionen sahen zu). In Frankreich wurden die Zuseher-Rekorde pulverisiert, ebenso in Brasilien. In England hatten die Spiele der Lionesses mehr Zuseher als die der Herren im Nations-League-Final-Four.

Auch das Investment wächst weiter. In China will Alibaba-Gründer Jack Ma via seines PayPal-Gegenstücks Alipay den Frauen-Sektor mit 145 Millionen Dollar in den nächsten zehn Jahren fluten, um nach 20 mageren Jahren zurück an die Spitze zu kommen. In den USA steigt Budweiser als Liga-Sponsor groß ein und es gibt einen TV-Deal mit ESPN.

Und in Nigeria bekam sogar der Sitzstreik mediale Coverage, mit dem die Frauen nach dem Turnier jene Prämien einforderte, die der Verband ihnen seit Jahren schuldet.

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So geht’s weiter

Gianni Infantino hat neben einer Verdopplung der immer noch recht dünnen Prämien auch die Expansion auf 32 Teams – die früher oder später sicher kommen wird – schon für das nächste Turnier 2023 angeregt. Der Ausrichter dieses Turniers ist noch nicht fixiert, damit ist dies auch noch durchaus möglich. Australien, Japan, Südkorea und Südafrika gelten als die aussichtsreichsten Bewerber; auch Neuseeland, Kolumbien und Brasilien haben sich beworben. Argentinien und Bolivien ebenso, diese beiden dürften aber chancenlos sein. Am 20. März 2020 erfolgt die Vergabe.

Das nächste große Turnier ist jenes in Japan 2020 im Rahmen der Olympischen Spiele von Tokio. Dort werden 12 Teams um Gold, Silber und Bronze rittern; sechs Teilnehmer stehen bereits fest, der Rest wird bis März in Qualifikations-Turnieren ermittelt.

In Europa startet im Spätsommer die Qualifikation für die EM 2021 in England. Die beste Nachricht für Holland, England, Frankreich, Spanien und auch alle anderen: Um die europäische Krone zu erobern, muss man nicht die USA besiegen.

Link-Tipp: Das war die WM 2015

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Klarer Titelkandidat, wackelnde Herausforderer und einige Ärgernisse https://ballverliebt.eu/2019/06/21/klarer-titelkandidat-wackelnde-herausforderer-und-einige-aergernisse/ https://ballverliebt.eu/2019/06/21/klarer-titelkandidat-wackelnde-herausforderer-und-einige-aergernisse/#comments Fri, 21 Jun 2019 19:02:34 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=16265 Klarer Titelkandidat, wackelnde Herausforderer und einige Ärgernisse weiterlesen ]]> Worüber wurde öffentlich geredet bzw. medial geschrieben in den zwei Wochen der Gruppenphase bei der Frauen-WM in Frankreich? Über wiederholte Elfmeter, exzessiven Torjubel bei einem 13:0-Abschuss, über Marta (17 Tore) und Klose (16) und den Vergleich zwischen Männer- und Frauen-Kick, der auch nicht sinnvoller wird, je öfter man ihn bemüht.

Hier nun eine kleine – überwiegend sportliche – Zwischenbilanz nach die Vorrunde und ein Ausblick darauf, was nun von der K.o.-Phase zu erwarten ist.

Die Favoriten

Schon im Vorfeld war klar: Titelverteidiger USA ist der haushohe Favorit. Um gleich mal ein Zeichen zu setzen, wurde ein auf bizarre Weise implodierendes Team aus Thailand bis zu 94. Minute ohne jede Gnade überrannt, mit 13:0 besiegt und jedes Tor bejubelt, als wäre es das entscheidende im Finale gewesen. Ob man das knallharte Verharren am Gaspedal gut findet oder nicht, ist Geschmackssache und es hängt auch zweifellos mit der Equal-Pay-Klage zusammen, welche die US-Frauen gegen den US-Verband eingebracht haben. Aber ein Indikator für die wahre Stärke des US-Teams war dieses Spiel ebenso wenig wie das 3:0 gegen die chilenische Torfrau Christiane Endler und das 2:0 gegen ein zutiefst mittelmäßiges Schweden.

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In der breiten Riege der tatsächlichen und vermeintlichen Anwärter haben sich zwar alle für das Achtelfinale qualifiziert, wirklich überzeugt haben dabei aber nur wenige. Japan etwa, aggressiv und tempohart in der Vorbereitung, agierte geradezu kleinlaut, blieb in zwei der drei Spiele ohne Torerfolg. Spanien hatte viel vom Ball und viele Halbchancen, erzielte aber nur einen einzigen Treffer aus dem Spiel heraus. Brasilien verließ sich vor allem bei Widerstand nur auf individuelle Klasse und wurde, obwohl es zwei Siege gab, gar nur Gruppendritter.

Andere hatten starke Phasen, aber auch einige Aussetzer. Australien etwa gewann gegen Brasilien nach 0:2-Rückstand noch 3:2, agierte aber erwartet eindimensional im Angriff und wurde von den cleveren Italienerinnen ausmanövriert. Kanada war wie erwartet sehr systemflexibel, wie erwartet sehr defensivstark, aber auch wie erwartet eher harmlos im Vorwärtsgang. Schweden agierte über weite Strecken zu behäbig und zu wenig zielstrebig, machte aber gegen die USA eine relativ gute Figur. Europameister Holland musste gegen die Underdogs ordentlich kämpfen, bestand aber immerhin bisher alle Prüfungen.

Und drei Teams präsentierten sich als annährnd ernsthafte Gegner. Allen voran Deutschland: Das flexibelste Team des Turniers kreierte viele Chancen und stellt sich auf jede Situation perfekt ein – das Spiel gegen gutklassige Defensiven bleibt aber ein Fragezeichen. England hatte drei recht unterschiedliche Spiele gegen völlig unterschiedliche Gegner und gewann alle drei, glanzvoll war es aber nicht. Und Gastgeber Frankreich – allerdings nur dann, wenn man die herausgespielten Chancen besser nützt. Beim 4:0 gegen Südkorea mussten Standards herhalten, beim 1:0 gegen Nigeria ließ man unglaublichste Chancen liegen.

Der Weg ins Finale

Wenn die USA ihren Titel verteidigen wollen, haben sie ein knüppelhartes Programm vor sich. Zunächst geht es im Achtelfinale gegen Spanien – jenes Team, das seinen Expected-Goals-Wert am deutlichsten unterschritten hat. Zudem hat Spanien das US-Team im Jänner schon ziemlich gefordert. Andererseits war das bisherige Auftreten ziemlich mau.

Dann würde im Viertelfinale wohl Frankreich warten. Der Gastgeber hat sicher auf einen leichteren Gruppendritten als Brasilien gehofft, aber die tatsächliche Stärke der Brasilianerinnen kann nicht mit dem großen Namen mithalten. Frankreich hat die USA vor ein paar Monaten in einem Testspiel 3:1 besiegt. Im Halbfinale wartet laut Papierform dann England oder Australien. Dieser Turnier-Ast hat es in sich.

Im Jänner hat die USA (allerdings nicht ganz in Bestbesetzung) in Frankreich 1:3 verloren und in Spanien mit viel Glück 1:0 gewonnen. Das waren halt nur Testspiele.

Auf der anderen Seite deutet einiges auf ein Halbfinale zwischen Deutschland und den Niederlanden hin. Es wäre keine Überraschung, sollten etwa Kanada oder Japan dazwischen funken, aber dies ist wohl die weniger problematische Hälfte im Bracket.

Die Verteilung übrigens: Achtmal Europa, dreimal Asien, zweimal Afrika (erstmals doppelt vertreten, dank Kameruns 2:1-Sieg über Neuseeland in der 95. Minute), zweimal Nord- sowie einmal Südamerika. Nur Ozeanien hat sich in Form von Neuseeland mit drei seltsam destruktiven Vorstellungen und drei Niederlagen schon verabschiedet.

Die Olympia-Qualifikation

Ob es wirklich besonders fair ist, die drei europäischen Plätze bei Olympia in Tokio 2020 über diese WM auszuspielen, sei mal dahingestellt. Sicher ist aber, dass das Achtelfinale in puncto UEFA-Olympia-Qualifikation perfekt aufgestellt ist.

In jedem der acht Achtelfinals spielt ein europäischer Vertreter gegen einen außereuropäischen. Manche sind klare Favoriten (Deutschland gegen Nigeria, England gegen Kamerun), manche werden es sehr schwer haben (vor allem Spanien gegen die USA, aber auch Norwegen gegen Australien).

Die drei besten europäischen WM-Teams sind im Zwölfer-Feld von Tokio. Gibt es beispielsweise zwei Halbfinalisten und vier Viertelfinalisten, werden letztere vier im kommenden Frühjahr ein Mini-Turnier um den Platz bei Olympia bestreiten. So war es schon vor vier Jahren.

Die Backmarker

Ja, Thailand. Nie hat sich ein Team mit einer schlechteren Bilanz von einer WM verabschiedet – 1:20 Tore sind neuer Negativ-Rekord. Diesen hielt bislang Argentinien, aber dieses Team verkaufte sich sehr ordentlich, holte zwei unerwartete Punkte und zählt zu den Gewinnern dieser WM.

Überraschungs-Teilnehmer Jamaika hatte dreimal keine Chance, kam aber immerhin mit „nur“ zwölf Gegentoren davon. Debütant Südafrika war offensiv ähnlich harmlos, stellte aber Spanien und China vor große Probleme. Auch Chile versuchte gegen Schweden und die USA nur, halbwegs ungeschoren davonzukommen (0:2 und 0:3, sehr in Ordnung), das Achtelfinale verpasste man nur hauchdünn um ein Tor – der verschossene Elfer gegen Thailand in der Schlussphase war richtig bitter.

Bitter verlief die WM auch für Südkorea: Gegen Frankreich von der unterlegenen Robustheit besiegt, tölpelhaftes Eigentor zur Niederlage gegen Nigeria, haushoch überlegen und durch zwei Elfmeter besiegt von Norwegen. Man fährt mit null Punkten heim, zugestanden wären dem Team aber vier. That’s life.

Die besten Spiele

Deutschland – Spanien 1:0

Viele Partien in der Vorrunde folgten einem ähnlichen Muster wie jene bei der Herren-EM 2016: Ein Team igelt sich hinten ein, das andere arbeitet sich mühsam an der gegnerischen Defensive ab.

Vier Spiele ragen aber heraus, vor allem jenes von Deutschland gegen Spanien. Die Spanerinnen kontrollierten Ball und Gegner, versäumten aber, in Führung zu gehen. Nach einer halben Stunde tauschten Däbritz und Oberdorf die Positionen, um mehr Präsenz ins Zentrum zu bekommen; wenig später traf Däbritz zum 1:0. Nach der Pause kam die junge, giftige Bühl für Hendrich, um vorne umzurühren, Huth ging auf die Seite und Gwinn nach hinten – Spanien hatte damit zu kämpfen und traute sich nicht mehr so konsequent aufzurücken.

Halb durch die zweite Hälfte wechselte dann Sturmspitze Popp auf die Sechs, die Kreative Magull kam dafür für die Spitze und Spanien fand endgültig keine Antwort mehr, wie man gegen das ebenso robuste wie im Passspiel direkte Mittelfeld-Zentrum und die flinken Spitzen ihr Ballbesitzspiel aufziehen solle, ohne in ein zweites Tor zu laufen. Deutschland hatte Spanien an der Taktiktafel besiegt und sich damit ein Achtelfinale gegen Nigeria gesichert, anstatt eines gegen die USA – wichtig im Hinblick auf die Olympia-Qualifikation. Es war nicht das spektakulärste Spiel der Vorrunde, aber zweifellos das interessanteste.

Australien-Brasilien 3:2 (1:2)

Australien wurde von Italien im ersten Spiel neutralisiert und kassierte in der 95. Minute sogar das Tor zur 1:2-Niederlage. Gegen Dauerrivale Brasilien (Sieg im WM-Achtelfinale 2015, Niederlage im Olympia-Viertelfinale 2016) war man also fast schon zum Siegen verdammt.

Das vorhersehbare Angriffsspiel – Zentrum, Außenbahn, Flanke, Kerr – führte nicht zum Erfolg. Brasilien trug außer der Kreativität von Debinha und Andressa Alves nicht viel bei, aber ein Elfmeter und ein von Tamires und Debinha vorgetragener Gegenstoß in den verwaisten Halbraum brachte eine 2:0-Führung für Brasilien. Der australische Hut brannte heftig.

Man kam noch vor der Halbzeit zum 1:2 (eh klar, nach einer Flanke) und nach einer Stunde flog eine weitere Hereingabe von der Seitenlinie an Freund und Feind vorbei zum 2:2 ins Tor. Wenig später versenkte Ex-Neulengbach-Spielerin Mônica eine weitere Flanke per Eigentor zur Führung von Australien – umstritten, weil Kerr im Abseits stand und zwar den Ball nicht berührte, aber Mônicas Klärungsversuch erst nötig machte.

In der Folge traten Brasiliens Schwächen brutal zu Tage. Es gab keinerlei Plan, wie man nun zumindest das Remis erzielen sollte, es gab nur direkte personelle Wechsel, es gab keine einstudierten Passwege, nur das Verlassen auf individuelle Klasse – und Marta war zu Halbzeit ausgetauscht worden.

Kamerun-Neuseeland 2:1 (0:0)

Die mit Abstand dramatischste Schlussphase gab es bei Kamerun gegen Neuseeland. Die Ausgangslage vor dem letzten Gruppenspiel war einfach: Wer gewinnt, ist weiter – ein Remis schickt beide nach Hause.

Dass es ein gutes Match war, könnte man nicht sagen. Im Gegenteil: Die robuste, teilweise ans Rücksichtslose grenzende Spielweise von Kamerun und das direkte, aber ungenaue Passspiel von Neuseeland ließ nie Spielfluss aufkommen. Kamerun hatte Feldvorteile, es dauerte aber eine Stunde, bis Ajara Nchout traf – und wie: Ball angenommen, in der Drehung um die Gegenspielerin herumgehoben und dann ein extrem gefühlvoller Abschluss ohne jede Gewalt.

Neuseeland stellte danach auf 4-3-3 um und warf alles nach vorne, aber Kamerun kontrollierte den knappen Vorsprung und Ferns-Keeperin Nayler verhindert mit Heldentaten das zweite Tor, bis Awona eine harmlose Flanke unbedrängt klären wollte, den Ball aber nicht richtig traf und ins eigene Tor lenkte – das 1:1, das vermeintliche Aus. Weil nun beide Teams ein Tor zum Aufstieg brauchten, folgte eine völlig wilde Schluss-Viertelstunde, geprägt von Panik, Nervosität, einem komplett offenen Mittelfeld und dem Hoffen auf einen Lucky Punch.

Und mit der allerletzten Aktion des Spiels, in der 95. Minute gelang wiederum Nchout ein unglaubliches Tor, in dem sie erst mit zwei 180-Grad-Drehungen die Gegenspielern auf den Hosenboden setzte und dann ganz kontrolliert abschloss, zum 2:1 traf und Kamerun ins Achtelfinale schoss.

Schottland-Argentinien 3:3 (1:0)

Der erstaunlichste Kollaps passierte Schottland gegen Argentinien. Die Schottinnen brauchten einen Sieg zum Achtelfinal-Einzug.

Beide Teams hatten ihre ersten Partien sehr defensiv angelegt; Argentinien ein 0:0 gegen Japan ermauert, Schottland beide Spiele knapp verloren. Im direkten Duell überraschte Argentinien mit einer starken Anfangs-Offensive, ehe Little nach 20 Minuten die Schottinnen entgegen des Spielverlaufs in Führung brachten.

Die Spielqualität brach daraufhin völlig ein, es wurde ein Festival der Ungenauigkeiten. Nach dem Seitenwechsel wurde typisch schottisch (Kopfball nach Flanke, Abstauber nach Ecke) zum 3:0 erhöht, ehe Argentiniens Trainer Borrello die auf der Zehn isolierte Banini herunter nahm und frische Beine in ein nun kompakteres Zentrum gegen müde werdende Schottinnen brachte. Mit Erfolg: Konter zum 1:3 (74.), Weitschuss zum 2:3 (79.) und dann ein Elfmeter in der 90. Minute. Alexander hielt den ersten Versuch, war aber beim Schuss Zentimeter vor der Linie – so wurde wiederholt und Bonsegundo versenkte zum 3:3.

Kontroversen

Dreimal gab es diese Situation – Elfmeter wird gehalten, aber die Torhüterin springt Sekunden-Bruchteile zu früh vor die Linie, was der VAR erkennt, der Elfmeter wird wiederholt und verwandelt. Syd Schneider (Jamaika), Chiamaka Nnadozie (Nigeria) und Lee Alexander (Schottland) erhielten dafür sogar die gelbe Karte.

Was vom IFAB als Kompromiss gedacht war – es muss nur noch ein Fuß zum Zeitpunkt des Schusses auf der Linie sein statt wie bisher zwei, das wird aber dafür rigoros kontrolliert – war das größte, wiederkehrende Ärgernis der Vorrunde. Die FIFA hat angekündigt, ab sofort bei dieser WM keine gelben Karten mehr dafür zu verteilen. Die Premier League hat verkünden lassen, diese strenge Kontrolle demonstrativ zu verweigern.

Auch die Zuschauerzahlen in den acht bisher verwendeten Stadien fielen negativ auf. Nur bei einer einzigen WM waren in der Gruppenphase weniger Zuseher in den Arenen als diesmal – es waren 18.500 Zuseher pro Spiel, was einer Auslastung von 62 Prozent entspricht. Vor allem die beiden Spielorte im Süden, Nizza und Montpellier, haben völlig ausgelassen. Zum Vergleich: 2015 in Kanada waren es in der Gruppenphase 24.500 Zuseher (Auslastung 63 Prozent) pro Spiel gewesen, 2011 in Deutschland 24.900 (Auslastung 79 Prozent) und 2007 in China gar 39.500 Zuseher pro Spiel (Auslastung 80 Prozent).

Es geht ans Eingemachte

Der Modus mit 24 Teams, von denen 16 ins Achtelfinale kommen, vermindert (mit wenigen Ausnahmen, wie Deutschland-Spanien) die Bedeutung von Duellen der Großen in der Vorrunde. Aber jetzt geht es ans Eingemachte, nun werden die großen Geschichten geschrieben.

Die Gruppenphase hat die großen Namen in echte Titelaspiranten und zweifelhafte Wackelkandidaten eingeteilt. Ab sofort gibt es keine zweite Chancen mehr.

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