Blog – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Wed, 29 May 2024 08:56:23 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.1 Die Krux mit der Relegation https://ballverliebt.eu/2024/05/29/die-krux-mit-der-relegation/ https://ballverliebt.eu/2024/05/29/die-krux-mit-der-relegation/#respond Tue, 28 May 2024 22:33:54 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20117 Die Krux mit der Relegation weiterlesen ]]> Da konnte Leon Goretzka im 25 Jahre alten Bochum-Trikot auf der Tribüne noch so leiden: Sein VfL, bei dem der jetzige Bayern-Profi seine Karriere begann, war im Hinspiel der Relegation gegen Fortuna Düsseldorf 0:3 unterlegen. In Deutschland ist es sehr ungewöhnlich, dass sich der Zweitligist durchsetzt und es passte ins Bild, dass Düsseldorf selbst dieser klare Auswärtssieg nicht reichte – die Fortuna unterlag daheim 0:3 und zog im Elfmeterschießen den Kürzeren.

Damit liegen die Bundes- gegen die Zweitligisten in der Relegation 13:3 in Führung. Was sagt das aus, und wie ist die Lage in anderen Ländern mit Relegation?

Die Relegation in Deutschland

Zum 16. Mal wird in Deutschland seit Wiedereinführung der Relegation (die es zuvor in den Achtzigern ein paar Jahre lang gab) zwischen dem Dritten der 2. Liga und dem Drittletzten der Bundesliga gespielt. Fortuna Düsseldorf war drauf und dran, den Kraftakt zum zweiten Mal zu schaffen. Doch das Heimspiel gegen Bochum ging 0:3 verloren und Takashi Uchino jagte den entscheidenden Elfmeter über das Tor.

Als die DFL die Entscheidungsspiele wieder einführte, war die gängige Annahme: Der Zweitligist sollte sich durchsetzen, er kommt nach einer guten Saison aus einer Position der mentalen Stärke. Die erste Relegation schien dies zu untermauern, damals setzte sich Nürnberg völlig problemlos gegen Energie Cottbus durch.

Im Laufe der Zehnerjahre wurde aber immer mehr deutlich, dass die Bundesligisten den deutlich längeren Atem hatten, so gut wie immer behielten sie die Oberhand, oft war tatsächlich ein Klassenunterschied zu erkennen – etwa bei Hoffenheim 2013 oder Wolfsburg 2017 und 2018. Nach dem wilden Swing von 2024 kann man formulieren: Nicht mal ein 3:0-Auswärtssieg reicht dem Zweitligisten für den Aufstieg.

Es hatte sich schon zuvor abgezeichnet

Eigentlich hätte es aber keine große Überraschung sein dürfen, dass tendenziell eher die Bundesligisten im Vorteil waren – wenn man sich die Entwicklung ansieht, welche die Aufsteiger seit der Wiedervereinigung genommen haben.

In den Neunzigern hatten oftmals alle drei Aufsteiger die Klasse gehalten, nicht alle ohne Kampf, aber doch – alleine dreimal hintereinander von 1995/96 bis 1997/98. Das ist danach nur noch einmal passiert, ehe die Entscheidung für die Wiedereinführung der Relegation gefallen ist – einer der Aufsteiger ist immer direkt wieder abgestiegen, immer wieder sogar zwei der drei.

Wenn im Jahrzehnt vor Einführung der Relegation praktisch sicher war, dass einer der drei Aufsteiger nicht gut genug sein würde, die Klasse zu halten – warum hätte sich der Dritte der Zweiten Liga dann regelmäßig gegen einen Bundesligisten durchsetzen sollen, der über die Saison schon immerhin zwei andere Teams hinter sich gelassen hat?

Zumal seither es in zwei von drei Jahren so war, dass selbst von den zwei direkten Aufsteigern einer nicht gut genug ist. Nicht nur das: Achtmal wurde einer der beiden Direkt-Aufsteiger sogar Letzter, nicht selten chancenlos abgeschlagen. All das legt den Schluss nahe, dass sich die Bundesliga in den letzten Jahrzehnten leistungsmäßig von der 2. Liga entfernt. Diese blutet übrigens auf beiden Seiten: In der zeitgleich eingeführten Relegation zwischen zweiter und dritter Leistungsstufe führt die 3. Liga mit 11:5, diesmal setzte sich der Drittliga-Dritte Regensburg in zwei engen Matches auf Augenhöhe gegen den Zweitliga-Drittletzten Wiesbaden durch. Es scheint klar: Das Niveau der 3. Liga ist näher an der 2. Liga ist als das der Zweiten an der Ersten.

Und: Nur eines der drei Teams, die bisher über die Relegation in die Bundesliga aufgestiegen ist, hat nach dem Aufstieg auf direktem Weg die Klasse gehalten. Das war Union Berlin.

Die Barrage in Frankreich

In Frankreich nennt man die Relegation „Barrage“, das Prinzip ist aber das selbe – der Drittletzte der Ligue 1 spielt seit 2017 gegen den Dritten der Ligue 2 (bzw. gegen den Sieger des zweitliga-internen Aufstiegsplayoffs). Zweimal fiel diese aus, und zwar als 2020 die Saison coronabedingt abgebrochen wurde und als 2023 die höchste Liga von 20 auf 18 Teilnehmer verkleinert wurde.

Die Sample Size ist hier deutlich kleiner, es zeichnet sich aber ein etwas anderes Bild – auch hier haben die Erstligisten die Nase vorne, aber nur 3:2 und St.-Étienne kann für den „Ausgleich“ der Zweitligisten sorgen. Andererseits fällt auf: Wenn sich die Ligue-1-Teams durchsetzen, dann zumeist deutlich. Der Zweitligist ist einmal im Elfmeterschießen siegreich gewesen, einmal mit Gesamtscore 2:1.

Im weiteren Kontext gesehen, ist in den 15 Jahren vor Einführung der Relegation 14-mal mindestens einer der Aufsteiger direkt wieder abgestiegen, fünfmal hat es zwei der drei erwischt. Auffällig: Seit nur noch die Top-2 aufsteigen, haben elf der zwölf Direkt-Aufsteiger in ihrer ersten Saison die Klasse gehalten, die beiden Relegations-Aufsteiger Troyes und Auxerre sind direkt wieder abgestiegen.

Unterstützer der Relegation mögen in Frankreich also wohl nicht ganz ohne Berechtigung sagen, dass sie den Zweck erfüllt hat. Man schützt die Ligue 1 vor Vereinen, die nicht den sportlichen Atem dafür haben – oder diese Vereine vor der Ligue 1. Anzunehmen ist aber, dass die meisten dennoch lieber ein Jahr chancenlos oben dabei sind als gar nicht.

Schweiz und Österreich

In Österreich hat es in den 90ern ein paar Jahre eine Relegation gegeben, zweimal blieb die Admira oben, zweimal setzte sich der Zweitliga-Zweite durch – einmal KeLi Linz, einmal Marc O’Polo Ried, Sponsorennamen gab es auch damals schon.

Hinzu kam der Klassenerhalt von St. Pölten gegenüber Wr. Neustadt bei der Liga-Vergrößerung von 2018 und der klare Sieg des Zweitliga-Dritten von 2021 (Austria Klagenfurt war hinter dem lizenzlosen FC Blau-Weiß Linz und dem nicht aufstiegsberechtigten FC Liefering ins Ziel gekommen) gegen eben jenen SKN. Dass in den letzten 25 Jahren nur ein einziger Zweitliga-Meister gleich wieder abgestiegen ist (Wacker Innsbruck 2019), ist gut dokumentiert.

In der Schweiz ist das sehr ähnlich: Der letzte Zweitliga-Meister, der direkt wieder abgestiegen ist, war der FC Vaduz vor 15 Jahren. Die einzigen beiden Aufsteiger, die nicht zumindest ein Jahr in der Super League überlebt haben, waren – ganz genau – die beiden Barrage-Aufsteiger Vaduz 2021 und Lausanne-Ouchy 2024.

Dabei war die Barrage, wie sie auch bei den Eidgenossen genannt wird, zumeist durchaus eng – bis auf letztes Jahr, als sich Außenseiter SLO gegen einen komplett verunsicherten FC Sion durchgesetzt hat. Der Höhepunkt war natürlich, als der FC Aarau (mit Stefan Maierhofer auf dem Platz) ein 4:0 aus dem Hinspiel gegen Xamax Neuchâtel im Rückspiel noch vergeigt hat.

Ein ähnliches Bild zeichnen die Jahre zwischen Abschaffung der Dreiteilung von Nationalliga A und B, wie es sie auch in Österreich zwischen 1986 und 1993 gegeben hat, 2003 und dem Aus der Barrage nach 2012. Auch hier setzten sich der Erstliga-Vorletzte doppelt so häufig durch wie die Zweitliga-Vizemeister.

Es folgt einer gewissen Logik

Wenn man argumentiert, dass die Relegation – die in dieser Form in den letzten 20 Jahren in Europa eher eingeführt als eingestampft wurde – die Planungssicherheit für die Erstligisten erhöht, ist das nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn man zu 80 Prozent davon ausgehen kann, dass es in der deutschen Bundesliga nur zwei der 18 Klubs erwischt, und nicht wie zuvor drei, lässt sich der Abstiegskampf mit etwas weniger akuter Panik angehen.

Gleichzeitig sollte man meinen, dass es für die beiden Fix-Aufsteiger dann auch leichter sein sollte, sich oben zu halten. Dies ist in der Praxis jedoch nicht der Fall: Seit Einführung der Relegation bleiben deutlich seltener zwei Aufsteiger oben als zu jener Zeit, als jährlich drei Teams neu in die Liga stießen.

Als letztes Jahr der HSV zwar engagiert gegen den VfB zu Werke ging, letztlich aber 0:3 und 1:3 verlor, hieß es allenthalben: Wenn Hamburg schon gegen das drittschlechteste Team der Liga keinen Stich macht, wie soll sich der HSV dann in der Bundesliga etablieren? Dass Stuttgart zwölf Monate später Vizemeister und die Saison dabei vor Bayern München abschließen sollte, war nicht abzusehen. Aber der Punkt ist ein valider.

Oder man dreht es um, und sagt: Eigentlich wäre es vielleicht sogar besser für die Bundesliga, wenn es keine Relegation gäbe, weil man annehmen muss: Stiege der Zweitliga-Dritte direkt auf, muss er noch chancenloser sein, als es jene beiden Teams sind, die in der Tabelle vor ihm gelandet sind.

Ja, es ist eine Henne-Ei-Diskussion. Im Ganzen lässt sich, bei einem Blick auch auf andere Länder mit Relegation, sagen: Über die Jahre gesehen, ist die Zahl der direkten Aufsteiger vermutlich die richtige.

Und das englische Aufstiegs-Playoff?

Auch England hat ja seine Entscheidungsspiele um den Aufstieg, wiewohl dieses eine rein zweitliga-interne Angelegenheit ist. Theoretisch ist es selbst dem Sechstplatzierten möglich, noch aufzusteigen. Wie oft können sich die Playoff-Sieger in der Premier League halten – vor allem angesichts der Tatsache, dass gerade alle drei Aufsteiger der letzten Saison die drei Abstiegsplätze in dieser Saison belegen?

Nun, klar ist: Seitdem die „First Division“ zur „Premier League“ wurde, ist ihre häufigste Platzierung in der englischen Top-Liga – mit Abstand! – der letzte. In den letzte 32 Jahren ist 18 der 32 Playoff-Sieger direkt wieder abgestiegen, achtmal als Letzter, viermal als Vorletzter. Hier ist allerdings ein spannendes Phänomen zu beobachten: Hat es direkt nach PL-Einführung sechs der ersten acht Playoff-Sieger erwischt (Swindon, Leicester, Bolton, Palace, Charlton und Watford), ist Luton in erst der zweite Wembley-Gewinner in den letzten fünf Jahren, der wieder runter muss .

Und von den drei Aufsteigern war Luton sogar noch der beste.

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Bayer, Arsenal, Sportclub und Co.: Unbesiegt ein ganzes Jahr https://ballverliebt.eu/2024/05/27/bayer-arsenal-ajax-milan-steaua-perugia-sportclub-ungeschlagen/ https://ballverliebt.eu/2024/05/27/bayer-arsenal-ajax-milan-steaua-perugia-sportclub-ungeschlagen/#respond Mon, 27 May 2024 17:26:23 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20058 Bayer, Arsenal, Sportclub und Co.: Unbesiegt ein ganzes Jahr weiterlesen ]]> Das hat selbst Bayern München nie geschafft: Bayer Leverkusen wurde ohne eine einzige Niederlage erstmals deutscher Meister und gewann zum Drüberstreuen auch noch den DFB-Pokal, mit einem 1:0 im Finale gegen Kaiserslautern. In schwächeren Ligen kommt das schon mal vor. In jenen Ligen aber, deren Vereine auch international um die Titel mitspielen bzw. mitgespielt haben, ist das äußerst ungewöhnlich. Öfter als einmal alle zehn Jahre kommt das im Schnitt nicht vor.

Hier ein Überblick: Das sind Europas ungeschlagene Teams in Top-Ligen – und der letzte heimische Verein, dem das gelungen ist.

2023/24 – Bayer Leverkusen

Als Xabi Alonso den Klub im Herbst 2022 von Gerardo Seoane übernommen hat, war das Team Vorletzter in der Bundesliga und wirkte eher leblos. Innerhalb weniger Wochen hatte der Baske Leverkusen auf den siebenten Platz geführt, danach in der Europa League ins Halbfinale. Dort war danach zu lesen: Nicht selten hat in der Vergangenheit bei Bayer die Qualität des Trainers nicht mit dem Kader mithalten können – nun war’s umgekehrt.

Meister, Cupsieger, Europacup-Finalist

Im Sommer wurde von Sportdirektor Simon Rolfes und seinem Trainer gezielt der Kader verstärkt: Granit Xhaka als Kämpfer mit Leaderqualitäten und Spielübersicht von Arsenal, Flügelflitzer und Flankengott Alejandro Grimaldo von Benfica, Offensiv-Allrounder Jonas Hofmann von Mönchengladbach und der bullige Knipser Victor Boniface von Union St.-Gilloise.

Das waren die Puzzleteile, die gefehlt hatten. Leverkusen legte in die Saison los wie die Feuerwehr. Das auf rasche Ballzirkulation, Manipulation von Räumen, scharfem Pressing und hohem Tempo aufgebaute Spiel überforderte die Gegner in der Bundesliga. Der einzige Punktverlust in den ersten 12 Spielen war das 2:2 auswärts bei den Bayern, im Dezember gab’s mal zwei Remis gegen Stuttgart und Dortmund. Sonst: Nur Siege, und wenn man mal hinten lag, konnte man sich auf Nachspielzeit-Tore verlassen. Aus „Leverkusen“ wurde „Laterkusen“ und aus „Vizekusen“ letztlich „Meisterkusen“.

Auch im Europacup retteten späte Tore immer wieder die Serie, im nationalen Cup kam man ins Finale. Am Ende verlor Bayer nur ein einziges der 53 Pflichtspiele in der Saison, und zwar Nummer 52, das Endspiel in der Europa League gegen Atalanta. Und Xabi Alonso – heiß umworben von Bayern München, als logischer Klopp-Nachfolger bei Liverpool gehandelt, als Ancelotti-Kronprinz bei Real Madrid geltend – hat sich für einen Verbleib in Leverkusen entschieden.

2011/12 – Juventus

Nach dem Zwangsabstieg 2006 ist Juventus zwar direkt wieder aufgestiegen, mehr als eine Nebenrolle in den großen Jahren von Inter unter José Mourinho spielten die Bianconeri aber nicht. Im Sommer 2011 wurde das neue Stadion fertig, das Exil im Turiner Olympiastadion war zu Ende. Als Juve im Mai 2011, am Ende einer anonymen Saison auf Platz sieben allerdings Antonio Conte als Nachfolger von Gigi Delneri präsentierte, war dies nicht gerade eine Verpflichtung, die großen Aufbruch vermittelte.

Meister und Cup-Finalist

Conte hatte ein paar Monate als Atalanta-Trainer hinter sich und hatte Bari und Siena zum Aufstieg geführt, einen Namen hatte er aber immer noch eher als Kämpfer im erfolgreichen Juve-Mittelfeld der späten Neunziger. Sehr viel inspirierter schien der Transfer von Andrea Pirlo, den Juve ablösefrei vom amtierenden Meister Milan holte. Besser als Siebenter wird’s schon werden, aber ein Push zum Titel?

Als es in der 11. Runde zum Duell mit dem stark gestarteten Lazio kam, war Juve zwar ungeschlagen, aber dank fünf Remis auch nur Zweiter. Das 2:0 gegen die Römer sowie das 3:3 (nach 1:3-Rückstand) gegen Napoli ein paar Tage später sagten aus: Ja, dieses Juve ist ernst zu nehmen. Bis Mitte März hatte Juve 13 Siege und 14 Remis angesammelt, lag vier Punkte hinter Milan auf Rang zwei. Das Rückspiel im Cup-Halbfinale gegen Milan wurde dann zum endgültigen Turning Point. Dort setzte sich Juventus nach Verlängerung durch und während man sich selbst zu einer Siegesserie aufschwang (in den verbleibenden zehn Liga-Spieltagen wurden 28 von 30 Punkten geholt), strauchelte Milan rund um die Viertelfinal-Partien in der Champions League gegen Peps Barcelona. Milan ließ Punkte gegen Catania und Bologna, verlor gegen die Fiorentina und Juve war nicht mehr einzufangen.

In den 43 Pflichtspielen der Saison (Juve spielte keinen Europacup) lag man zu Abpfiff der 90 Minuten zwei mal zurück – im angesprochenen Cup-Halbfinal-Rückspiel gegen Milan (das 1:2 gestanden war) sowie im Cup-Finale gegen Napoli, das 0:2 endete. In der Liga gab es in den 38 Spielen 23 Siege und 15 Remis.

Acht weitere Jahre lang sollte es keinen anderen Meister als Juventus geben, 2015 und 2017 stießen die Turiner ins Endspiel der Champions League vor. Auch für Conte war es die Basis für eine steile Karriere: Dreimal Meister mit Juve, einmal mit Chelsea, einmal mit Inter, dazu EM-Viertelfinale als italienischer Teamchef – ehe er bei Tottenham zur ebenso cholerischen wie wirkungslosen Karikatur seiner selbst wurde.

2003/04 – Arsenals Invincibles

Der Prototyp der unschlagbaren Mannschaft sind „The Invincibles“ – jenes Team von Arsenal, das in der Saison 2003/04 als einziges Team seit Preston in der Spielzeit 1888/89 eine komplette Meisterschaftssaison in Englands Top-Liga ohne eine einzige Niederlage bleiben sollte. Es war der Höhepunkt von Arsène Wengers Trainerkarriere.

„The Invincibles“

Als der Franzose 1996 zu Arsenal kam, erbte er von George Graham eine solide, aber eher holzgeschnitzte Truppe. Er führte moderne Trainingsmethoden ein, dazu verdonnerte er seinen Spielern eine Ernährung nach sportwissenschaftlichen Richtlinien und auch taktisch-inhaltlich war Wenger am Puls der Zeit – bzw., im Premier-League-Kontext, dieser voraus.

Die Außenverteidiger sollten bewusst ihren Offensivdrang ausleben, dank des Tempos der Innenverteidiger konnte die Linie hochschieben, die Flügel waren mit Rechtsfuß Pirès links und dem unermüdlichen Ljungberg rechts besetzt, das Zentrum mit zwei ebenso zweikampf- wie spielstarke Spielern in Gilberto Silva und Kapitän Vieira. Und natürlich vorne – der Zauberer Bergkamp, der vier Augen und den sechsten Sinn zu haben schien, als hängende Spitze und ein Thierry Henry am Höhepunkt seiner Schaffenskraft, ein Duo, das sich blind verstand.

Arsenal überlebte im September die extrem hitzige Partie im Old Trafford, als Vieira in der Schlussphase ausgeschlossen wurde und Van Nistelrooy beim Stand von 0:0 in der 94. Minute einen Elfmeter an die Latte drosch. Die Gunners streuten immer wieder mal Remis ein, blieben United aber auf den Fersen, bis Mitte Jänner hatte Arsenal drei Punkte Rückstand. Im Februar hatte United einen Durchhänger, Arsenal gewann neun Spiele im Gang, darunter das 2:1 bei Chelsea trotz Rückstand nach 27 Sekunden. Dass Wengers Truppe Meister werden würde, zeichnete sich ab – es ging irgendwann nur noch darum, ob sie es ohne Liga-Niederlage schaffen würden.

Und Arsenal wackelte im April. Aus im Champions-League-Viertelfinale gegen Chelsea mit Wayne Bridges entscheidendem Tor in der Nachspielzeit. Aus im FA Cup drei Tage zuvor, 0:1 im Highbury gegen Manchester United. Im Ligacup hatte Arsenal beide Halbfinal-Spiele gegen Middlesbrough in den Sand gesetzt. Aber in der Premier League blieb die Weste sauber – 26 Siege und 12 Remis. Es blieb bis heute der letzte Meistertitel von Arsenal, und Wenger trottete den Trends spätestens ab den späten Nuller-Jahren zunehmend hinterher, anstatt sie zu prägen.

1994/95 – Ajax Amsterdam

Das Geläuf war tief, der Gegner renitent und die Uhr lief runter. Hätte Jari Litmanen im November 1994 kurz vor Schluss nicht mehr das 1:1 gegen Salzburg in der Champions League erzielt, zwei Wochen nach einem 0:0 in Österreich, wäre das „perfekt“ in der Saison von Ajax da vorbei gewesen. Doch das von Louis van Gaal am Reißbrett entworfene Spiel der jungen Rasselbande aus Amsterdam sollte nicht nur Salzburg überleben, sondern auch alle anderen.

Meister und Champions-League-Sieger

Routinier Danny Blind war der klassische Ausputzer hinten, flankiert von zwei Manndeckern. Rijkaard vor ihm war ein „Deep Lying Playmaker“ mit Manndecker-Aufgaben für den gegnerischen Mittelstürmer, Seedorf und Davids waren die kämpfenden Lungen mit striktem Verbot, auf die Außenbahnen zu driften. Dort sorgten Overmars und Finidi für die Breite, während sich Litmanen aus der Tiefe der Zehnerposition der Manndeckung im Strafraum entzog und vertikal in diesen reinstieß, während Ronald de Boer eher Wegblocker und Gegner-aus-der-Position-Zieher als klassischer Mittelstürmer war. Wenn die Beine schwer wurden, kamen die beiden 18-jährigen Joker Nwanwko Kanu und Patrick Kluivert nach vorne rein.

Nach einigen Jahren im Schatten von Hiddinks PSV Eindhoven (und deren Erben unter Bobby Robson) war das neue Ajax, aufgebaut vom 1991 installierten Louis van Gaal, ausgereift und die Saison 1994/95 sollte die Krönung werden. National blieb nur Roda Kerkrade gegen Ajax ungeschlagen (zweimal 1:1, die Limburger lieferten mit Platz zwei die beste Saison der Vereinsgeschichte). Aber Ajax war unantastbar – 27 Siege und 7 Remis bei 106:28 Toren, die Konkurrenz in der Eredivisie war kaum mehr als ein Spielball. Die einzige Pflichtspielniederlage in der ganzen Saison kam in der Verlängerung des Cup-Viertelfinales gegen Feyenoord.

In der regulären Spielzeit schaffte es also in 49 Spielen der Saison niemand, Ajax zu bezwingen, auch weil man in der Champions League nicht viel liegen ließ. Milan wurde in der Gruppenphase zweimal besiegt, Hajduk Split im Viertelfinale war kein Gegner, die Bayern prügelte man im Halbfinale mit einem 5:2 aus dem Amsterdamer Olympiastadion. Die Krönung folgte im Finale von Wien, gegen die routinierte Truppe des AC Milan, als Patrick Kluivert kurz vor Schluss das 1:0 markierte.

Ein Jahr später zog Ajax wieder ins Finale ein, unterlag dort Juventus im Elfmeterschießen. Aber das Bosman-Urteil im Dezember 1995 war der Todesstoß – es war nun nicht mehr möglich, ein international konkurrenzfähiges Team zusammen zu halten. Zwei Jahre später waren Seedorf, Davids, Finidi, Reiziger, Overmars, Bogarde und Kluivert weg, Rijkaard hatte aufgehört, und wenig später nahm Van Gaal die De-Boer-Zwillinge zum FC Barcelona mit.

1991/92 – AC Milan

Als Arrigo Sacchi 1987 Trainer des AC Milan wurde, machte sich der bis dahin völlig unbekannte Coach daran, den in seinem einförmigen taktischen Korsett erstarrten italienischen Fußball zu revolutionieren. Die strikte Manndeckung im asymmetrischen Italo-4-3-3 mit offensiver linker Seite und defensivem rechten Flügel, in dem sich alle gegenseitig neutralisierten, war dem damals 31-Jährigen ein Graus.

Er etablierte Zonendeckung, ein 4-4-2 mit ganz geringen Abständen zwischen den Linien und war damit sofort erfolgreich – 1988 wurde Milan im ersten Anlauf Meister, 1989 und 1990 gewann man den Europacup der Meister. Als Sacchi im Frühjahr 1991 bei Klub-Präsident Berlusconi ausgebrannt um das Ende seiner Amtszeit bat, verpflichtete Milan Fabio Capello.

Meister

Als Trainer war Capello, in den Siebzigern Stammspieler bei Juventus, ein unbeschriebenes Blatt gewesen, seine Abschlussarbeit für die Trainerlizenz schieb er aber über die Raumdeckung . Das prädestinierte ihn als Sacchi-Nachfolger. Der Kader blieb de facto unverändert, es begann aber zäh: In drei der fünf ersten Serie-A-Spiele rettete Milan erst in der Nachspielzeit bzw. kurz davor ein 1:1 (u.a. gegen Juventus), erst danach nahmen die Rossoneri Schwung auf.

Im Europacup saß Milan in dieser Saison eine Sperre ab, weil man sich nach dem Flutlichtausfall in Marseille im Frühjahr 1991 weigerte, weiterzuspielen . Während die italienische Konkurrenz im Herbst Reisen nach Trondheim, Moskau, Tampere, Reykjavík, Bukarest und Oviedo unternehmen musste, konnte sich Milan ganz auf die Liga konzentrieren. Milan blieb gegen die Großen ungeschlagen und fuhr die Pflichtsiege gegen die Kleinen ein. Juventus konnte bis in die zweite Saisonhälfte Schlagdistanz halten, aber die Erbarmungslosigkeit, mit der Milan einfach nicht und nicht verlor, war zu viel für die Konkurrenz.

Nach dem drittletzten Spieltag und einem 2:0 gegen Lazio stand der Titel de facto fest, eine Woche später auch rechnerisch. Die Serie A schloss man mit 22 Siegen und 12 Remis ab, Milan erzielte dabei 74 Tore – das waren 16 mehr als das zweit-offensivste Team einer extrem defensiven Liga, Zdeněk Zemans Foggia. Insgesamt gab es in den 42 Pflichtspielen nur eine Niederlage, nämlich das 0:1 bei Juventus im Cup-Halbfinale.

Das Gespann Capello-Milan ließ dem Scudetto von 1992 jene von 1993, 1994 und 1995 folgen, gewann dazu die Champions League 1994 (im Finale 4:0 gegen Barcelona) und erreichte dort 1995 noch einmal das Finale (siehe Abschnitt „Ajax“). Capello wurde als Trainer auch zweimal mit Real Madrid und einmal mit der Roma Meister, zumindest auf dem Platz zudem zweimal mit Juventus – die beiden Titel von 2005 und 2006 wurden aber aberkannt. Aus Gründen.

Und Frank Rijkaard sollte drei Jahre später wieder eine ungeschlagene Saison hinlegen. Auch hier: siehe Abschnitt „Ajax“.

1986/87 bis 1988/89 – Steaua Bukarest

Ein wenig Losglück war schon auch dabei, als Steaua Bukarest unter Trainer Emerich Jenei 1986 ins Finale des Europacups der Meister einzog. Ein echtes Schwergewicht hatten die Rumänen nicht aus dem Weg räumen müssen, ehe sie den FC Barcelona im Elmeterschießen bezwangen, wobei Keeper Helmuth Duckadam alle vier Versuche der Katalanen parierte. Jenei übernahm daraufhin die rumänische Nationalmannschaft und Duckadam musste seine Karriere krankheitsbedingt erst 27-jährig beenden. Eine Eintagsfliege war dieses Steaua-Team aber nicht.

86 Siege, 16 Remis, 0 Niederlagen, 326:66 Tore

Jeneis Co-Trainer Anghel Iordănescu übernahm, das Team blieb weitgehend zusammen und wurde 1987 ungeschlagen rumänischer Meister. Nun ist die rumänische Liga nicht gerade europäische Spitzenklasse, damals nicht und heute noch viel weniger. Diese war damals die Spielwiese der konkurrierdenden Söhne von Diktator Nicolae Ceaușescu: Valentin mischte in der Klubleitung bei Steaua mit, dem Verein des Verteidigungsministeriums. Sein kleiner Bruder Nicu, auserkoren um seinem Vater irgendwann als „Conducator“ nachzufolgen, kontrollierte Dinamo, den Klub von Polizei und Geheimdienst. Die internationale Titelverteidigung endete für Steaua im Herbst 1986 schon an der ersten Hürde, dem RSC Anderlecht, den man ein paar Monate zuvor im Semifinale noch bezwungen hatte.

Als Steaua 1986 ins Europacup-Finale geschlichen war, kannte man im Westen niemanden, im Rückblick haben sich einige aber sehr wohl einen Namen gemacht. Lázsló Bölöni etwa, eleganter Orchestrator im Mittelfeld, der im Winter 1987/88 die Genehmigung für einen Auslandstrasfer erhielt und später als Trainer Meister in Portugal und Belgien werden sollte. Libero Miodrag Belodedici, der 1991 bei Roter Stern Belgrad erneut den Meistercup gewinnen sollte. Dan Petrescu, der sich als 20-Jähriger auf der linken Seite festspielte und später als Routinier mit Chelsea den Europacup gewann. Das Angriffs-Duo mit Marius Lăcătuș (nach der Wende in Spanien und Italien aktiv) und Victor Pițurcă, der sein Heimatland als Teamchef für zwei EM-Endrunden qualifizieren würde.

Und natürlich Gheorghe Hagi. Der Spielmacher von der Schwarzmeerküste kam 1987 als 21-jähriger Jungspund zu Steaua und brachte individuelle Klasse und Flair ins Angriffsspiel. Aus den 87 Meisterschaftstoren von 1986/87 wurden 114 im Jahr darauf und sogar 121 zu Saisonende 1989, jeweils reichte es nur ganz knapp vor Rivale Dinamo zum Titel, obwohl es in allen drei Saisonen keine einzige nationale Niederlage gab. Im September 1989 endete die Serie nach 104 Spielen – bis heute europäischer Rekord – mit einem 0:3 gegen Dinamo.

Eh nur Rumänien? Mitnichten: 1988 kam Steaua im Meistercup ins Halbfinale, 1989 sogar erneut ins Finale (das aber klar gegen den AC Milan verloren wurde), weiterhin mit annähernd unverändertem Personal. Hagi, Lăcătuș, Balint, Rotariu und Lung waren Stammkräfte bei Rumäniens WM-Achtelfinal-Einzug von 1990 (unter Jenei); Hagi, Petrescu, der 1988 als Bölöni-Ersatz ins Team gekommene Popescu, Lăcătuș und Dumitrescu waren sogar beim WM-Achtelfinal-Einzug von 1998 (unter Iordănescu) noch dabei, Hagi führte 2000 Galatasaray zum Triumph im UEFA-Cup.

Steaua war nach der Wende und den West-Transfers der Schlüsselspieler erledigt, spätestens mit Bosman gab es kein zurück mehr. Heute gibt es mit FCSB (juristischer Nachfolger) und CSA Steaua (ideeller Nachfolger) zwei Vereine, die um das Erbe streiten. Das Hoch von Steaua in den 80ern sollte Rumäniens Fußball aber immerhin noch für die ganzen 90er als Basis für Nationalteam-Erfolge dienen.

1978/79 – AC Perugia

Unbekannte Klubs aus kleinen Städten sind in der Serie A nichts Neues. Was in den letzten Jahren Sassuolo, Frosinone oder Carpi waren, war 1975 die AC Perugia. Erstmals war da der politisch traditionell weit links angesiedelte Verein aus der umbrischen Hauptstadt erstklassig und mit den Plätzen acht, sechs und sieben etablierte man sich unter dem jungen Trainer Ilario Castagner rasch erstaunlich solide im vorderen Mittelfeld.

Zweiter

Im Sommer 1978 verlor Perugia Mittelfeld-Motor Walter Novellino an den AC Milan, sicherte sich dafür die Dienste von Mittelstürmer Gianfranco Casarsa und Manndecker Mauro della Martira, beide von der knapp nicht abgestiegenen Fiorentina. Die Saison begann gut: Ein 0:0 gegen Inter, ein brutales 1:0 gegen die Fiorentina, ein erstaunliches 2:1 gegen Meister Juventus. Überraschungen waren in Italien nicht unbekannt, in der Vorsaison war Vicenza Zweiter geworden (und 1979 abgestiegen). Dass Perugia nach sieben Spielen (3 Siege, 4 Remis) die Tabelle anführte, sorgte dennoch für hochgezogene Augenbrauen.

Da in sechs der folgenden sieben Spiele die Punkte geteilt wurden, übernahm der AC Milan die Führung. Es war in diesen Spätherbst-Tagen 1978 schon erkennbar: Perugia verliert einfach nicht. Perugia gewinnt aber auch nicht besonders viel. Das ging nach dem Jahreswechsel so weiter: Einem 3:1 gegen Bologna folgten vier weitere Remis (das gegen Inter wurde nach 0:2-Rückstand erst in der Nachspielzeit gesichert). Siege gegen Avellino und Atalanta – und wieder vier Unentschieden in Folge. Vor dem Spitzenspiel daheim gegen Milan betrug der Rückstand zwei Punkte und der eigentlich gelbgesperrte Salvatore Bagni durfte doch mitmachen, der Referee des vorangegangenen Spiels machte selbst darauf aufmerksam, Bagni und einen Mitspieler vertauscht zu haben.

Das Match gegen Milan endete 1:1, beide Tore aus Elfmetern (jener für Perugia war wohl eher ein Geschenk), der Rückstand blieb bestehen und er wurde auch nicht mehr kleiner. „Il Perugia di Miracoli“, das wundersame Perugia, blieb letztlich die ganze Liga-Saison ungeschlagen (im Cup-Viertelfinale scheiterte man an Napoli) – 18 Remis in den 30 Spielen waren dann aber doch das eine oder andere zu viel, um die ganze große Sensation zu schaffen. Milan wurde Meister.

Die Truppe machte nichts Besonderes. Typisch italienisch, knorrig in der Manndeckung, eine gut funktionierende Einheit, aber das Entertainment bezog man eher aus dem Narrativ als aus den Spielen, nur 34 Tore erzielte Perugia in den 30 Spielen. Die Truppe war über Jahre eingespielt und schwamm auf einer Welle. Nicht viele sollten auch danach noch eine große Karriere haben: Salvatore Bagni wurde bei Inter in den 80ern Teamspieler, Nappi als Reservist mit Prohaskas AS Roma 1984 Meister, für alle anderen war diese Saison das Highlight. Und Trainer Castagner? Der führte Milan 1982/83 nach dem Abstieg wieder zurück in die Serie A, dann war er anderthalb Jahre bei Inter. Aber ein echter Star wurde auch aus ihm nicht.

Perugia stieg zwei Jahre nach dem Vizemeister-Titel wieder ab, war 1987 in die Viertklassigkeit abgestürzt, Mitte der Neunziger unter Präsident Luciano Gaucci – einem bizarren Verrückten – wieder in die Serie A zurückgekehrt, trainiert von… Ilario Castagner. 2004 stieg Perguia letztmals aus der Serie A ab, Castagner ist letztes Jahr 82-jährig gestorben.

1958/59 – Wiener Sportclub

Den Betriebsunfall des Abstiegs 1952 hatte der Sportclub schon 1953 wieder korrigiert, nach dem direkten Wiederaufstieg kam Trainer Hans Pesser von Hütteldorf nach Hernals. Bei Rapid hatte er das „Brasilianische System“ von einer Südamerika-Tournee mitgebracht und damit das immer noch im 2-3-5-System spielende Establishment durchgewirbelt. Als sich Teamchef Nausch noch gegen das WM-System wehrte, war Pesser schon längst einen Schritt weiter.

Meister und Europacup-Viertelfinalist

Beim Sportclub gab es ein gut gedrilltes WM-System, womit man einigen Gegnern immer noch voraus war. Es ist überliefert, dass Pesser beim Training mit einem Megaphon auf einem Podest stehend seine Spieler dirigierte, Lauf- und Passwege einstudieren ließ und so wenig Zufall wie möglich haben wollte – damit war er im Wien der Fünfziger schon suspekt. Alle sollten sich am Spiel gegen den Ball beteiligen, alle sollten auch nach vorne denken und spielen können. Das war geradezu unerhört im Österreich dieser Zeit. „Mit neun Spielern angreifen und mit neun Spielern verteidigen“, unkten die Kritiker, „das geht nur, wenn zwei und zwei fünf ist!“

Fokuspunkt beim Sportclub in diesen Jahren waren neben dem linken Läufer Leopold Barschandt (Teil des 1954er-WM-Teams) vor allem Goalie Rudi Szanwald und Stürmer Karl Mießler gewesen. Der Stürmer sorgte für Tore am Fließband, jedoch ließ eine nächtliche Alko-Fahrt durch Wien, Blechschäden und Polizei-Verfolgung inklusive, im März 1956 seine Karriere entgleisen. Der Torhüter wurde bei einem Länderspiel in Ungarn im Oktober 1955 beim Schmuggeln erwischt und fasste eine mehrmonatige Sperre aus. Szanwald kehrte in alter Stärke zurück und hütete bei der WM 1958 sogar das österreichische Tor, Mießler war danach nie mehr der selbe.

Nach dem überraschenden zweiten Platz 1955 und zwei mäßigen Folgejahren – auch, aber nicht nur wegen Szanwalds und Mießlers Fehlverhalten – spielte der Sportclub einen starken Herbst 1957, verlor erst kurz vor Weihnachten erstmals (ein 2:4 gegen Rapid), wurde den ganzen Frühling von Rapid gejagt, hielt aber zum allgemeinen Erstaunen dem Druck stand und montierte im September 1958 Juventus im Meistercup mit dem legendären 7:0 ab. Die Sturmreihe mit den routinierten Verbindern Knoll und Hamerl, den Flügeln Horak und Skerlan sowie Mittelstürmer Erich Hof feuerte aus allen Rohren, 1957/58 erzielte der Sportclub 100 Tore in den 26 Liga-Spielen, in der Folgesaison sogar 104.

Der Sportclub-Titel von 1958 wurde keineswegs als Zufall betrachtet, doch aber als Eintagsfliege. Zu Unrecht: Mit einem 4:3 gegen Rapid übernahm der WSC im Oktober 1958 erneut die Tabellenführung, wurde erneut von Rapid die ganze restliche Saison gejagt, und hielt zum zweiten Mal hintereinander die Nerven zusammen. Im April wurde auch das Rückspiel gegen die Hütteldorfer gewonnen (3:2, wie im Herbst im Praterstadion). Der Europacup endete erst im Viertelfinale gegen Real Madrid, die Meisterschaft 1958/59 ohne Niederlage mit dem dritten und bis heute letzten Meistertitel.

Ein Jahr später – Rapid hatte sich 1960 doch gegen den Sportclub durchgesetzt – ging Pesser zur Admira, die er 1966 zum ebenso bisher letzten Meistertitel führte. Der Sportclub versank ohne ihn im Mittelfeld, wurde in den 1980ern zum Fahrstuhlklub und verabschiedete sich 1994 für immer aus der höchsten Spielklasse. Hans Pesser, 1986 im 75. Lebensjahr verstorben, ist mit sieben Meistertiteln bis heute der diesbezüglich erfolgreichste österreichische Trainer der Nachkriegsgeschichte.

Und der Sportclub von 1958/59 der bis heute letzte österreichische Erstligist, der eine ganze Saison lang ungeschlagen blieb.

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Rangnick vs. Koller: Die Hermann-Gerland-Frage und das ÖFB-Team https://ballverliebt.eu/2023/09/14/vergleich-rangnick-foda-osterreich/ https://ballverliebt.eu/2023/09/14/vergleich-rangnick-foda-osterreich/#comments Thu, 14 Sep 2023 21:58:21 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=19114 Mit 13 von 15 möglichen Punkten hat Österreich das EM-Ticket schon vor dem Quali-Endspurt schon so gut wie sicher. Einerseits. Andererseits hätten drei der fünf Spiele leicht auch mit einem statt sieben Punkten enden können, dazu gab es das 1:1 im Test gegen Moldawien. Die Entwicklung in den anderthalb Jahren unter Ralf Rangnick macht einen optimistisch, die Erinnerung an die 2016er-EM vorsichtig.

„Immer Glück ist Können“, sagte Hermann Gerland einst. Die Frage ist: Trifft dieses Zitat des legendären Nachwuchs- und Co-Trainers von Bayern München auf das ÖFB-Team (schon) zu?

Nicht *nur* Glück

Nein, natürlich war das 2:1 in Linz gegen Estland nicht (nur) Glück, sondern ein hochverdienter, wenn auch hart erkämpfter Last-Minute-Sieg in einem Match, wo der Spielverlauf gegen Österreich sprach. Der Umstand, dass man nie in Hektik verfiel und stets weiter andrückte, war ein Zeichen für die Resilienz des Teams.

Nein, natürlich war auch der 3:1-Sieg in Stockholm nicht (nur) Glück, sondern das Produkt von höherer Effizienz vor dem Tor, höherer individueller Qualität und dem Umstand, dass – anders als in Linz gegen Estland – der Spielverlauf mit einigen ausgelassen schwedischen Chancen in jener Phase, als der Gegner klar gefährlicher war, dem ÖFB-Team entgegen kam.

Und nein, natürlich war auch das 1:1 in Brüssel nicht (nur) Glück, sondern der Lohn für eine starke erste Halbzeit auswärts beim Gruppenkopf und -favoriten. In der letzten halben Stunde lag ein belgischer Führungs- bzw. Siegestreffer zwar absolut in der Luft, aber er fiel eben nicht.

Die große EUROphorie

Erinnern wir uns acht Jahre zurück. Auf dem Weg zur EM 2016 in Frankreich hat die Truppe von Marcel Koller 28 von 30 möglichen Punkten geholt. Das grandiose 4:1 in Schweden gilt noch heute (zu recht) als einer der glanzvollsten Siege der österreichischen Fußball-Geschichte und war der Höhepunkt der Koller-Generation. Die Siegesserie sorgte für ein Euphorie-Ballon, der die Luft bei der Endrunde auf geradezu dramatische Weise entwich.

Die andere Seite der EM-Quali für 2015 war nämlich: Beide Siege gegen Russland und beide Siege gegen Montenegro kamen mit einem Tor Differenz. In Moskau zeigte das ÖFB-Team zwar eine Halbzeit lang ein ähnlich tolles Match wie in Stockholm, aber beim 1:0-Heimerfolg gegen Russland war Österreich ganz klar nicht das bessere Team und das 1:0 gegen Montenegro wurde ob vieler ausgelassener Chancen beinahe noch verschenkt. Schweden und (vor allem) Russland krachten bei der EM schmählich in der Vorrunde raus.

Kollers kleiner Kern

Kollers Mannschaft von 2014/15 war das erste österreichische Nationalteam seit Ewigkeiten, auf das man sich im Ernstfall verlassen konnte. Zur Wahrheit gehörte aber auch: Über 90 Prozent der Einsatzzeit in der Quali für die EM 2016 entfielen auf nur 12 (!) Spieler und die einzige Position, die nicht unumstritten besetzt war, war die des linken Innenverteidigers.

Österreich in der Quali für die EM 2016

Der Kern der Mannschaft war damals sehr klein. Das hatte den Vorteil, dass sie extrem eingespielt war. Das hatte aber den Nachteil, dass sie anfällig war für Formschwankungen oder Verletzungen. Praktisch der ganze Stamm hatte in der Saison 2014/15 zumindest im ÖFB-Dress ein durchgängiges Hoch. Aber zur EM selbst kamen vor allem Harnik und Alaba im Formtief, Junuzovic wurde im ersten Spiel gegen Ungarn rausgetreten, Dragovic versank daraufhin im Treibsand. Die Alternativen fehlten völlig, Koller stellte im entscheidenden dritten Spiel gegen Island auf ein zuvor nie im Ernstkampf geprobtes Dreierketten-System um.

An diesem Tag gegen Island war Österreich überlegen, drängte auf den Sieg, der aber nicht gelang; das Nachspielzeit-Gegentor zum 1:2 setzte dem gefühlten Fiasko die Krone auf. In der Quali für die EM 2016 gab es viele knappe Siege, in jener für die WM 2018 drei Niederlagen mit einem Tor Differenz (2:3 Serbien, 0:1 Irland, 0:1 Wales), dazu Remis gegen Wales, in Irland und dann auch gegen Georgien. Man spielte tatsächlich signifikant schwächer als zwei Jahre zuvor, aber es fielen auch auffällig viele Punktverluste sehr knapp aus.

Ein Grund dafür war auch die fehlende Fähigkeit, auf einen Spielverlauf zu reagieren – das wurde 2016 und 2017 sehr deutlich. Rangnick scheut sich nicht, auch schon nach 20 Minuten einen Plan über den Haufen zu werfen – wie beim 3:0 in seinem ersten Spiel in Kroatien oder beim 4:1 gegen Aserbaidschan. Die Spieler sind clever und flexibel genug, dass diese Switches ohne Reibungsverluste über die Bühne gehen.

Der Vergleich macht vorsichtig

Zeitsprung, das Jahr 2023. Österreich hat Schweden in Wien 2:0 und in Stockholm 3:1 besiegt, der Lärmpegel vom Fan-Jubel war vor allem beim späten Führungstreffer im Happel-Stadion ohrenbetäubend. Das kommende Heimspiel gegen Belgien war innerhalb von drei Stunden restlos ausverkauft, die Euphorie um das Team hat im Juni ähnliche Sphären erreicht wie in Koller-Zeiten.

Schweden war in zweieinhalb der drei bisherigen Spiele gegen Belgien und Österreich teilweise eklatant unterlegen. Man beklagt zwischen Malmö und Umeå den Umstand, dass man vom nordischen Quartett aktuell am schlechtesten dasteht und aktuell sogar von den Finnen ausgelacht wird, letztes Jahr ist man in die C-Liga (!) der Nations League abgestiegen, hinter Norwegen und Slowenien.

Sprich: Anders als 2014/15 kann man sich 2023 nicht einreden, dass Schweden ein starker Gegner gewesen wäre. Estland schon gar nicht. Und Belgien hatte deutlich sichtbar mehr Reserven, obwohl der mit Abstand beste Spieler, Kevin de Bruyne, im Hinspiel gefehlt hat und das im Rückspiel auch wird.

Stimmungsdämpfer Moldawien-Test

Dass der Weg zur EM 2024 glanzvoller wäre als der zur EM 2016, kann man also nicht sagen. Und dann war da ja noch das Testspiel gegen Moldawien. Das Publikum in Linz, von dem man im ÖFB-Lager im März noch so geschwärmt hatte und das gerade in der auf der Kippe stehenden Partie gegen Estland den Funken auf die Spieler überspringen hat lassen, war ob der dünnen Darbietung hörbar ungehalten.

Österreich – Moldawien 1:1 (0:1)

Rangnick probierte personell aus, Bachmann – ein Torhüter, der seine Stärken auf der Linie und seine Schwächen in der Ballbehandlung hat, damit bei Rangnick ohnehin nicht hoch im Kurs steht – patzte schon nach dreieinhalb Minuten schwer und fing sich ein Gegentor. Das nicht eingespielte Team fand nie in den gewünschten Rhythmus, es lief alles ein wenig aneinander vorbei, vieles war umständlich, wenig war zwingend. Anstatt noch weitere Reservisten bzw. Debütanten bringen zu können, musste Rangnick Alaba, Arnautovic, Baumgartner und Schlager bringen, später auch Sabitzer. Es gab zwar immerhin den Ausgleich, es war aber eher ein Stimmungskiller als ein Warmschießen.

Die Frage nach der Kadertiefe

Dennoch blieb der Test gegen Moldawien blieb nicht ohne Erkenntnisse. Die größte davon: Auf gar zu viele der Chefitäten kann Rangnick nicht verzichten, auch wenn der Kader 2023 um Welten tiefer ist als jener von 2015.

Österreich in der Quali für die EM 2024

Waren damals zehn Startplätze de facto fix vergeben, sind es nun gefühlt nur drei – nämlich jene von David Alaba, Nicolas Seiwald und Michael Gregoritsch. Baumgartner war nach dem Wechsel zu Leipzig, wo er noch nicht wirklich zum Einsatz kommt, im September-Fenster Bank-Spieler und das Außenverteidiger-Trio mit Posch (rechts) und Mwene bzw. Wöber (links) verbreitet kein Bauchweh, aber auch nicht immer offensiv-spielerische Wucht.

Dennoch: Deutlich mehr Spieler als 2015 haben eben kein Dauer-Hoch. Sabitzer war im April und Mai verletzt, Arnautovic ebenso. Baumgartner kämpft um Minuten und war auch nicht zu 100 Prozent fit, Wöber ist mit Leeds abgestiegen, Lainer und Lindner haben bzw. hatten einen viel wichtigeren Kampf zu führen als den mit Gegenspielern.

21 Akteure haben in den bisherigen fünf Spielen zehn Prozent der möglichen Minuten (also 45 Minuten) auf dem Platz gestanden, vor acht Jahren waren es nur 16 Spieler mit zehn Prozent oder mehr gewesen. Haben die zwölf Spieler mit der meisten Einsatzzeit damals über 92 Prozent der möglichen Minuten gespielt, sind es in der laufenden Qualifikation keine 78 Prozent für das Top-Einsatzzeit-Dutzend. Anders als Koller damals kann Rangnick nun nicht nur Verletzungen und Formschwankungen ausgleichen, sondern auch je nach Kontrahent und eigener Spielanlage aufstellen.

Mit Schlager, Laimer oder Grillitsch im Zentrum? Mit Danso oder Lienhart hinten? Mit Wimmer oder Sabitzer im linken Halbfeld? Das ist ein Luxus, den Rangnicks Vor-Vorgänger nicht hatte. Das Moldawien-Spiel hat aber auch die Grenzen des Durchtauschen-Könnens aufgezeigt.

Unterschiedliche Erwartungshaltung

Ein ganz großer Unterschied in der Wahrnehmung ist die gestiegene Erwartungshaltung. Die frühen Koller-Jahre sind vor allem deswegen in so geradezu verkitscht schöner Erinnerung, weil man als Österreicher davor über ein Jahrzehnt von einer Misere in die nächste getaumelt war, man Hans Krankl und Didi Constantini als Teamchef ertragen musste, man inhaltlich selbst an die Mittelklasse den Anschluss verloren hatte und man realistisch nur auf das Ausbleiben einer Blamage hoffte. Der Fatalismus gehört(e) in Österreich einfach dazu: Mehr als Zufallssiege geht gegen die Guten nun mal nicht aus.

Dann kam Koller, führte modernes Pressing ein – oder mal grundsätzlich überhaupt eine konstant erkennbare Spielidee – und verbreitete etwas im österreichischen Fußball geradezu Unerhörtes: Optimismus, der mit Leistungen und Resultaten auch noch untermauert wurde. Es stand auf tönernen Füßen, wie man später merken sollte, aber es stand immerhin mal.

Letztlich war es die Koller-Zeit, die Foda zum Verhängnis geworden ist. Ohne das Koller-Hoch wären die phantasielose Spielweise und die hart an der Minimalgrenze streifenden Resultate unter Foda wesentlich besser angenommen worden. So war aber selbst, als im Herbst 2019 das EM-Ticket gesichert wurde, das Happel-Stadion kaum mehr als halbvoll. Foda wurde zähneknirschend geduldet, das EM-Hoch verpuffte schon im ersten Länderspiel-Fenster nach dem heroischen Kampf gegen Italien auf spektakuläre Weise mit unüberhörbaren „Foda raus“-Rufen, zwei Monate nach dem EM-Achtelfinale.

Die Fußball-Öffentlichkeit sah die Spieler bei Bayern München und Leipzig und mit Salzburg in der Champions League, wusste was sie können könnten und wussten vor allem aus der Koller-Zeit, dass ein strukturierter Offensiv-Plan mit einem Nationalteam bis zu einem gewissen Grad sehr wohl möglich war.

Rangnick kam und bewies das. Das Fußball-Volk sieht sich bestätigt und rennt dem Team die Bude ein, zumindest in Bewerbsspielen.

Und, was ist nun mit dem Gerland-Zitat?

„Immer Glück ist Können“? Nun, in den letzten zehn Monaten hat Österreich Spiele gegen Italien und Schweden (2x) gewonnen, hat in Belgien nicht verloren und späte Siege gegen Andorra und Estland eingefahren, dazu gab es ein 4:1 gegen Aserbaidschan und das matte 1:1 gegen Moldawien. Die Sample Size ist mit acht Partien also nicht sehr groß.

Wo Rangnicks 2023-Team weiter ist als Kollers 2015er-Truppe ist die Kadertiefe: Ausfälle und Formschwankungen können heute besser aufgefangen werden als damals. Die Erfahrungen aus 2016 lassen aber zu, dass man die laufende Qualifikation auch mit einem kritischen Auge sehen darf. Belgien? Ja, die haben Deutschland heuer geschlagen, aber das haben in den letzten Monaten gefühlt eh alle. Schweden? Nur noch ein Schatten der Vergangenheit. Aserbaidschan? Harmlos. Estland? Gerade nochmal gut gegangen.

Vor dem Turnier von 2016 konnten selbst Warnschüsse in Form von schwachen Aufbauspielen (knapper Sieg gegen Albanien, Niederlage gegen die Türkei, Bewegungstherapie gegen Malta) die überbordende Begeisterung nicht einfangen. Wie sich weitere Bodenwellen in Form von verhackten Tests wie dem gegen Moldawien auf die Stimmung vor der EM 2024 auswirken würden, kann man unmöglich vorhersagen.

Einerseits: Wer die rot-weiß-rote Fußball-Seele kennt, kann davon ausgehen, dass auch das die Erwartungshaltung kaum bremsen würde. Selbst unter Foda wäre man ja 2021 beinahe ins Viertelfinale gekommen – na, dann ist das mit Rangnick und diesem Kader doch das Minimal-Ziel! Andererseits ist der Horror der Endrunde von 2016 noch nicht ganz aus der aktiven Erinnerung gewichen, und die Auslosung wird die Erwartungshaltung natürlich beeinflussen. Heißen die Gruppengegner Frankreich, Spanien und Serbien – oder doch Schottland, Albanien und Slowenien?

Die Wahrheit ist: Ob „immer Glück“ beim ÖFB-Team „Können“ ist, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht letztgültig konstatiert werden. Die EM wird Aufschluss darüber geben, die Art und Weise des Auftritts in Deutschland auch. Kann Österreich nächsten Sommer die Vorrunde überstehen? Sicher. Vielleicht sogar das Viertelfinale erreichen? Wer weiß! Gehört Österreich zu den Top-10 in Europa? Nein, realistischerweise nicht. Aber ist Rangnicks Team von 2023 weiter als Kollers Truppe von 2015?

Nicht in ausnahmslos allen Aspekten. Aber im Ganzen: Ja, sehr wahrscheinlich schon.

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Die sieben Jahre des Jürgen Klopp https://ballverliebt.eu/2023/02/16/dortmund-liverpool-sieben-jahre-klopp/ https://ballverliebt.eu/2023/02/16/dortmund-liverpool-sieben-jahre-klopp/#respond Thu, 16 Feb 2023 10:00:03 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=18678 Die sieben Jahre des Jürgen Klopp weiterlesen ]]> Sieben volle Saisonen war Jürgen Klopp in Mainz Trainer. Es folgten sieben Jahre in Dortmund. Aktuell ist er in seiner siebenten kompletten Spielzeit in Liverpool engagiert. Vor allem bei seinen Amtszeiten beim BVB und bei den Reds gibt es frappierende Ähnlichkeiten: Zwei Jahre zur Eingewöhnung, der Gipfel in der vierten Saison, eine Rückkehr an die alte Form nach einem mittelmäßigen fünten Jahr – und eine über weite Strecken verflixte siebente Saison.

Was Klopp geerbt hat

Nach der Beinahe-Pleite von 2005 hatte Dortmund kein Geld und befand sich in einer Lage, in der man einem Graue-Maue-Dasein entgegen schlingerte. Viel Ballbesitz, wenig Tempo, wenig Enthusiasmus. Unter Thomas Doll dämmerte man zu einem apathischen 13. Platz in der Bundesliga. Früh war den Verantwortlichen klar, dass – wenn man schon keine glitzernden Stars kaufen kann – anders für Schwung gesorgt werden musste. Man engagierte für die kommende Saison Jürgen Klopp von Mainz.

In Liverpool war nach die Saison 2014/15 nach dem Beinahe-Titel zuvor enttäuschend: Suárez war weg, Gerrard in seiner Abschiedstour weit über dem Zenit. Da die neue Saison 15/16 kaum besser begann als die alte geendet hatte, trennte man sich von Brendan Rodgers und krallte sich Klopp. Dieser erreichte zwar das Europa-League-Finale, er musste sich aber erst mal in der Liga und mit einem Kader, der seinen Vorstellungen nur bedingt entsprach, zurechtfinden.

Jahr 1: Die Akklimatisierung

Als Klopp in 2008 in Dortmund übernahm, ging es zunächst eher darum, die zwar zahlreichen, aber desillusionierten Fans auf seine Seite zu ziehen. Die alte Innenverteidigung Kovac/Wörns wurde verramscht, Klopp nahm Subotic aus Mainz mit, in Ansätzen war erkennbar, was Klopp wollte. Der Europacup war ein Spiegelbild: Daheim gegen Udiese gegenwehrlos verwelkt, auswärts überragend, im Elfmeterschießen verloren. Eine wechselhafte Saison endete mit dem knappen Verpassen des Europacup-Platzes.

Die Transferes von Mané (Southampton) und Wijnaldum (Newcastle) wurden registriert, aber nicht als brüllender Angriff wahrgenommen, ebenso wie die ablösefreie Verfplichtung von als maximal mittelmäßig eingeschätzte Bundesliga-Verteidigern (Matip und Klavan). Aber Liverpool kam gut in die Saison und konnte zwar Chelsea nicht halten, war aber bis zum Einbruch nach dem Jahreswechsel (kein Sieg im Jänner, als Mané beim Afrikacup war sowie Coutinho und Matip verletzt) Best of the Rest. Am Ende rettete man immerhin Rang vier und die Champions-League-Qualifikation.

Jahr 2: Die Puzzleteile setzen

Alex Frei war nicht der Stürmertyp für das bedingungslose Jagd-Spiel der Marke Klopp, Hajnal war nicht gut genug, Kringe auch nicht. Geld für tolle Neue war immer noch nicht da, also holte man sich Bender (1860) und Großkreutz (Ahlen) aus der 2. Liga, Şahın und Hummels spielten sich ins Team und Barrios kam als neuer Stürmer. Die Folge war erstmal ein komplett verhackter Saisonstart, nur ein Sieg bis Anfang Oktober und ein peinliches Pokal-Aus, schecklich. Aber man blieb ruhig, vertraute der Entwicklung, der „Kinderriegel“ in der Abwehr mit Subotic und Hummels spielte sich ein, der „Heavy-Metal-Fußball“ begann zu greifen. Dortmund kletterte noch auf den fünften Platz.

Auch in Liverpool begann Klopps zweite Saison zäh: Punktverluste gegen Watford und Burnley, grässliches 0:5 bei Man City. Aber auch in Liverpool wurden nun die Puzzleteile gesetzt. Die Fragezeichen waren aber groß: Salah, der bei Chelsea kläglich gescheitert war? Ein schottischer Linksverteidiger von Hull City? Und ist ein Abwehr-Hüne von Southampton, obwohl zweifellos gut, wirklich 80 von den 140 Millionen Pfund wert, die man von Barcelona für Streik-König Coutinho bekommen hat? Turns out: Ja, das war alles gut, ebenso wie andernorts als spinnerter Luxus belächelte Maßnahmen wie die Arbeit mit einem eigenen Einwurf-Trainer. Es begann zu flutschen, in der Champions League eliminierte man City souverän, verlor erst im Finale dank Karius‘ Gehirnerschütterung und Ramos‘ Brutalo-Foul an Salah gegen Real Madrid. In der Liga stand Platz vier zu Buche, für mehr war es noch zu unkonstant, standen zu viele Remis.

Jahr 3: Das Durchstarten

Nach WM- und EM-Turnieren haben die Bayern oft Probleme: 2007 wurde Stuttgart Meister, 2009 Wolfsburg, und auch 2010/11 standen sich Van Gaals Münchner oft selbst im Weg. Der BVB hingegen holte sich ums kleine Geld einen unbekannten Japaner und mit eben jenem Kagawa (bzw. nach dessen Verletzung der ganz junge Götze) hatte die Liga kein Mittel mehr gegen den Dortmunder Hochintensitäts-Powerfußball. Die kollektive Laufleistung war konstant bei 120 Kilometern und darüber, was die ungewöhnlich junge Truppe aber gut wegsteckte. Nervend war nur, dass man jede Gelegenheit und jedes unter die Nase gehaltene Mikrofon nützte, um „das M-Wort“ offensiv nicht in den Mund zu nehmen. Im Pokal verlor man gegen Burghausen und im Euroapcup gegen PSG und Sevilla, aber in der Liga zog Dortmund durch und wurde Meister.

War in Dortmund Kagawa der letzte Puzzlestein, so stellten in Liverpool Alisson und Fabinho die letzten Stücke dar, die noch fehlten. Liverpool gegenpresste nicht nur jegliche Lebenslust aus den Gegnern, sondern war auch im Ballbesitz Weltklasse geworden, Klopp erfand sich die Außenverteidiger – Robertson und Alexander-Arnold – als die eigentlichen Spielgestalter. Die Reds erzielten 89 Tore und kassierten nur 22, es gab 97 Punkte und nur eine einzige Niederlage in der ganzen Liga-Saison. Aber die war entscheidend. Man City, 2:1-Sieger über Liverpool am 3. Jänner 2019, kam nämlich mit 98 Punkten über die Ziellinie. Allen anderen Teams war man zwei Klassen überlegen und mit dem 2:0-Finalsieg in der Champions League über Tottenham – nach der unfassbaren Aufholjagd gegen Barcelona im Halbfinale – war Liverpool Champion of Europe.

Jahr 4: Die große Krönung

Wer gedacht hatte, Dortmund wäre gut, hätte aber doch am Ende vor allem von einer schwachen Bayern-Saison profitiert, hatte 2011/12 schwer zu schlucken. Robert Lewandowski, wieder so ein No-Name-Stürmer zum Billigtarif, um viereinhalb Mille von Lech Posen gekommen, prügelte die Bälle, die sich die Mitspieler eroberten, am Fließband über die Linie. Der Abgang von Nuri Sahin wurde mit Ilkay Gündogan großartig aufgefangen, die Truppe blieb von Verletzungen weitgehend verschont. Der BVB blamierte sich zwar nach Kräften in der Champions League und hatte nach sechs Liga-Spielen schon drei Niederlagen aufgehäuft, blieb in den restlichen 28 Matches aber ungeschlagen – 81 Punkte in 34 Spielen (das hatten selbst die Bayern bis dahin nie geschafft), 80:25 Tore und dann war da ja noch die 5:2-Hinrichtung, die man den Bayern im Pokalfinale überstreifte.

27 Spiele, 26 Siege, 1 Remis, 64:17 Tore, bereits 22 Zähler Vorsprung auf City: Was Liverpool zwischen August 2019 und Februar 2020 aufführte, war die unheimlichste Machtdemonstration, die jemals über die Premier League hereingebrochen ist. Beinahe wäre Liverpool wäre schon am 7. März 2020 als Meister festgestanden – vor der Corona-Unterbrechung, in der gegnerische Fans zwischen schadenfreudigem Feixen und panischer Realitätsverweigerung die komplette Annullierung der Saison forderten, damit Liverpool nur ja nicht erstmals nach 30 Jahren Meister würde. Die Annullierung geschah natürlich nicht und Liverpool wurde Champion und nur ein 0:4 gegen City nach Neustart verhinderte, dass man die Dreistelligkeit erreichte – 99 Punkte.

Jahr 5: Die ersten Risse

Die Bayern ließen die Demütigungen nicht auf sich sitzen, Jupp Heynckes schaltete zwei Gänge nach oben, etablierte einen erdrückenden Ballbesitzfußball, der nur eine einzige Liga-Niederlage zeitigte – dafür acht Siege en suite zum Saisonbeginn und dann nochmal 14 hintereinander im Frühjahr. Dortmund hingegen baute schon im Herbst immer wieder Remis ein (Nürnberg, Frankfurt, Hannover, Stuttgart), dazu Niederlagen im Derby und gegen den HSV. Man war über die Saison komfortabel besser als alle anderen, aber die Gegner hatten sich auf das Überfalls-Pressing eingestellt, nach den großen Erfolgen ließ auch der Hunger etwas nach – dafür nahm Klopps Ärger über Vorwürfe, ein „Plan B“ würde fehlen, zu. Mit 25 Punkten Rückstand auf die Bayern wurde Dortmund Zweiter, dafür ging es international dahin, mit dem Last-Minute-Wunder gegen Málaga und einem grandiosen 4:1 über Real Madrid ging es ins Finale. Dort forderte man die Bayern mit der wohl besten Saisonleistung voll, es langte aber nicht ganz.

Nachdem sich Liverpool 2019 keinen einzigen wirklichen Neuzugang geleistet hatte, gönnte man sich 2020 Thiago von den Bayern (als großartig bekannt) und Diogo Jota von den Wolves (was eher als Ergänzung aufgefasst wurde). Es war aber die Defensive – die in den drei Jahren zuvor nur 0,8 Tore pro Spiel zugelassen hatte – die im Jahr nach dem Titel die großen Sorgen bereiten sollte. Van Dijk riss sich das Kreuzband, Gomez die Patellasehne, Matip schleppte sich schon malad durch den Herbst und ruinierte sich dann den Knöchel. Klopp musste hinten Notlösungen zaubern (Fabinho spielte lange hinten, Henderson bis zu seiner Leisten-OP auch, dann holte man sich Kabak von Schalke; Nat Phillips wurde zur Stammkraft), damit fehlte die Basis für das aggressive Mittelfeld und die spielgestaltenden Außenverteidiger, das Werk brach in sich zusammen, zwischendurch verlor Liverpool sechs Heimspiele hintereinander. Ein starker Endspurt – 29 von 33 Punkten in den letzten elf Spielen – rettete zumindest Platz drei.

Jahr 6: Das Aufbäumen

Ein wiederkehrendes Thema bei Dortmund waren die Begehrlichkeiten, welche die jungen Spieler bei finanzkräftigeren Klubs weckten. Sahin ging 2011 zu Real Madrid (und blieb unglücklich), Kagawa ging 2012 zu Manchester United (und blieb unglücklich), Götze ging 2013 zu den Bayern (und blieb unglücklich). Alle drei kamen früher oder später wieder zurück, nur Lewandowski (dessen Wechsel zu den Bayern 2014 früh feststand) nicht. Henrikh Mkhitaryan und Pierre-Emerick Aubameyang kamen und mit ihnen war Dortmund wieder deutlich besser als der Rest der Liga, aber die erbarmungslose Siegesmaschine der Bayern unter Pep Guardiola (zwischendurch 19 Dreier in Serie) war zu konstant, selbst büßte man mit nur einem Sieg in sieben Spielen zum Hinrunden-Ende alle Chancen ein. Der BVB holte mehr Punkte als 2013, büßte in den letzten 16 Spielen nur noch zwei Zähler auf die Bayern ein. Man war wieder Zweiter, aber mit Optimismus.

Für die neue Saison waren Van Dijk und Matip wieder da, Liverpool verstärkte die defensive Tiefe mit Ibrahima Konaté, Jota wirkte als patenter Ersatz für Firmino, der verletzungsbedingt zum Teilzeit-Arbeiter wurde und auch Winter-Neuzugang Luis Díaz fügte sich rasch ein. Und tatsächlich war Liverpool mit fitter Defensive wieder dort, wo man vorher war. Die Reds jagten City die ganze Saison vor sich her, Lichtjahre vor dem Rest der Liga, es war eine Wiederholung der Saison 2018/19. Der Titel entschied sich erst in der Schlussphase des letzten Spieltages, als City sein Match gegen Villa nach 0:2 noch noch 3:2 gewann, damit das Titelrennen 93:92 gewann. Für Liverpool blieben die Siege in FA Cup und Liga-Cup (beide im finalen Elferschießen gegen Chelsea) sowie die bittere – und nicht dem Spielverlauf entsprechende – Niederlage im Champions-League-Finale gegen Real Madrid.

Jahr 7: Der Kollaps

Ciro Immobile sollte im BVB-Sturm den abgewanderten Lewandowski ersetzen, aber der Italiener war nicht kompartibel mit dem intensiven und komplexen Klopp-Kick. Der rein für den Flügel vorgesehene Aubameyang musste nach vorne, Mkhitaryan auf die Seite, alles kleine Details und Dortmund war in der Form kein Bayern-Jäger mehr. Die unglaubilche Pechsträhne aber, die noch dazu kam – vorne ging nichts rein, hinten dafür die unmöglichsten Dinger – sorgte für eine beispiellose Pleitenserie. Nach 14 Runde war Dortmund Letzter, in der Winterpause auf einem Abstiegsplatz – obwohl man nach Statistiken doch immerhin Top-6 hätte sein müssen. Im Frühjahr renkte sich vieles wieder ein, der BVB fuhr nun die den Leistungen entsprechenden Ergebnisse ein und rettete sogar noch einen Europacup-Platz. Aber im April kündigte Klopp seinen Abschied an: „Ich habe immer gesagt: Wenn ich nicht mehr das Gefühl habe, der perfekte Trainer für diesen Verein zu sein, werde ich es sagen!“

Das langwierige Theater um die Vertragsverlängerung von Salah, der Verkauf von Mané an die Bayern und die teure Verpflichtung von Darwin Núñez – das alles deutete an: Es steht ein Umbruch bevor. Hatte Klopp bei Dortmund immer wieder auf prominente Abgänge reagieren müssen, war die Sachlage bei Liverpool umgekehrt: Über so viele Jahre mit einer beinahe unveränderten Truppe zu spielen, heißt auch, dass der irgendwenn nötige Generationswechsel umso härter ausfallen würde müssen. Dann verletzte sich Diaz im Herbst am Knie und es gab nur noch Notlösungen auf der linken Seite. Dazu fehlt im Mittelfeld die ordnende Hand, weil Henderson über dem Zenit zu sein scheint und Klopp vermehrt auf den 13 Jahre jüngeren Harvey Elliott setzt, man schiebt extrem hoch und die Absicherung hinter Alexander-Arnold ist nicht immer gegeben, es hagelt Gegentore. Der Unterschied zur letzten Saison in Dortmund: Dort waren die Zahlen besser als die Ergebnisse. Das sind sie nun in Liverpool nicht. Ein Europacup-Platz ist immer noch voll im Bereich des möglichen, einer in der Champions League aber wohl nicht mehr.

Und es ist wieder die siebente Saison, in der es für Klopp am schlechtesten läuft.

Sieben Jahre Mainz

Die Verlockung ist groß, diese Parallelen zwischen Klopps Zeit in Dortmund und jener in Liverpool auch mit seinen – ebenso sieben! – Jahren in Mainz zu überlagen und tatsächlich sind auch hier zahlreiche Gemeinsamkeiten zu erkennen. Klopp übernahm im Frühjahr 2001 in akuter Abstiegsgefahr, am 25. Februar beim 1:3 gegen Fürth hat er noch gespielt und wurde verletzt ausgewechsel, am 28. Februar beim 1:0 gegen Duisburg war er schon Trainer, der Klassenerhalt ging sich aus.

Im ersten vollen Jahr in Mainz war kein Zurechtfinden nötig, das von Wolfgang Frank gut vorbereitete Team war empfänglich für modernen Viererketten-Fußball. Mainz gab drei Viertel der Saison lang das Tempo vor, am Ende ging die Luft aus, in einem dramatischen letzten Spieltag wurde der Aufstieg verpasst. Im Jahr darauf lief es ähnlich und wieder ging es in der letzten Runde nicht nach oben, weil Frankfurt im Fernduell in den letzten zehn Minuten aus einem 3:3 gegen Reutlingen ein 6:3 machte und um ein Tor besser über die Ziellinie kam als Mainz.

Das dritte Jahr, als Klopp in Dortmund und Liverpool durchstartete, rettete man dann doch den Bundesliga-Aufstieg. Auch in Mainz wurde das vierte Jahr zum Höhepunkt, als man auch in der Bundesliga mit guter Laune und aggressivem Forechecking-Fußball begeisterte. Nach 14 Spielen war Mainz Siebenter, ehe man mit sieben Niederlagen am Stück noch in die Abstiegskampf abrutschte, letztlich war der Bundesliga-Verbleib aber relativ souverän schon am drittletzten Spieltag fixiert. Für den kleinen „Karnevals-Klub“ beim ersten Ausflug in der höchsten Liga ein großartiger Erfolg.

Im fünften Jahr, wo es in Dortmund und Liverpool wechselhaft wurde, war Mainz von Beginn an im Abstiegskampf verstrickt, blieb aber sich und seiner Herangehensweise treu und schaffte erneute den Ligaerhalt. Im sechsten Jahr, als Dortmund und Liverpool wieder im Aufschwung waren, ging bei Mainz dafür nichts mehr – man war da schon dort, wo Klopp bei seinen weiteren Stationen ein Jahr später ankommen sollte. Mainz stieg 2007 aus der Bundesliga ab und 2008 – auch wegen der starken Konkurrenz von Mönchengladbach und Hoffenheim – nicht wieder auf. Dass Klopps Zeit am Bruchweg zu Ende gehen würde, deutete sich in seiner letzten Mainz-Saison früh an: Die Bayern fragten an, beim HSV wurde er zum Vorstellungsgespräch geladen

Dortmund bekam den Zuschlag.

Wie geht es in Liverpool weiter?

In Mainz war nach dem siebenten Jahr der Abgang zu einem großen Klub nicht mehr zu verhindern. Für Dortmund war das von den Bayern unter Heynckes und Guardiola dramatisch nach oben gesetzte Level unmöglich mitzugehen, weil man ständig den eigenen personellen Substanzverlust auszugleichen hatte, anstatt sich um das Steigern der eigenen Stärke kümmern zu können.

In Liverpool steht Klopp nun vor der Herausforderung, nach vielen Jahren mit annähernd unveränderter Mannschaft einen Generationswechsel moderieren zu müssen. Alisson, Salah, Henderson, Van Dijk, Milner, Firmino und Matip sind schon über 30, Fabinho folgt heuer. Liverpool hat sowohl einige vielversprechende junge Spieler (Elliott und Bajcetic, dazu Winter-Neuzugang Gakpo) als auch mehr als genug Geld am Konto, um sich fast nach Belieben weiter teure Spieler der Marke Núñez, Díaz, Konaté oder Gakpo zu leisten.

Die Frage ist also nicht, ob Liverpool eine neue Mannschaft für eine neue Generation aufbauern kann. Sondern sie ist eher, ob Jürgen Klopp – der im Sommer 56 Jahre alt wird – sich dieser Herausforderung nach über zwei Jahrzehnten permanentem Vollstress im Trainerjob mit über 1.000 Pflichtspielen annehmen will und, wenn ja, wie dieses Klopp-Liverpool 2.0 aussieht und welche auch inhaltlichen Veränderungen es gibt.

Das kann niemand anderer beantworten als Klopp selbst.

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In Sachen Hinteregger https://ballverliebt.eu/2022/06/24/hinteregger-rucktritt-frankfurt-sirnitz/ https://ballverliebt.eu/2022/06/24/hinteregger-rucktritt-frankfurt-sirnitz/#respond Fri, 24 Jun 2022 06:29:41 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=18113 In Sachen Hinteregger weiterlesen ]]> Wenn Martin Hinteregger eines ist, dann ist er „anders“. Um Etikette im medial hochgezüchteten Fußballbetrieb scherte sich der Kärntner nie, das verschaffte ihm Kultstatus in Österreich genauso wie in Frankfurt. Der plötzliche Rücktritt mit 29 Jahren ist darum auch „Typisch Hinti“. Ein Nachgeschmack bleibt aber.

Hinti gibt die Richtung vor

Viele Gewinner kannte die Amtszeit von ÖFB-Teamchef Franco Foda wahrlich nicht. Martin Hinteregger ist die große Ausnahme. Er war der wichtigste Spieler im Konzept des Deutschen, über ihn lief die Spieleröffnung praktisch im Alleingang, er gab die Richtung vor, hatte das Spielfeld vor sich und die Mitspieler im Blick. No Hinti, no Party: In 40 der 48 Foda-Spiele war er dabei, stets von Beginn an. Bei fünf Spielen fehlte er verletzt, einmal gesperrt, einmal wurde ihm ein sinnloser Text-Kick gegen Luxemburg erspart. Davon abgesehen war das 0:0 in Polen das einzige Match unter Foda, bei dem Hinteregger nicht gespielt hat, obwohl er gekonnt hätte.

Hinteregger debütierte im Herbst 2013 im ÖFB-Team, 66 weitere Einsätze sollten folgen. Das letzte Spiel von Franco Foda, Stefan Ilsanker und mutmaßlich von Aleksandar Dragovic war auch Hintereggers letztes Match für den ÖFB.

Auch bei Frankfurt war seine Spielübersicht ein großer Faktor, und so zielsicher er auf dem Platz agierte, so zielsicher ging er auch außerhalb des Platzes seinen eigenen Weg. Es ist schwer, bei Hinteregger, aus der 300-Seelen-Ortschaft Sirnitz in den Gurktaler Alpen stammend, nicht das Klischee des schlichten Bergbauernkindes zu bedienen, nach dem Motto: Du bekommst den Buben aus dem Bergdorf, aber nicht das Bergdorf aus dem Buben. Seine Vorliebe für die Jagd ist bekannt. Dass er einmal mit Patronenhülsen im Gepäck vor dem Abflug zum Auswärtsspiel vom Flughafenpersonal erwischt wurde, ist verbrieft. Er selbst erklärte dies damals sinngemäß mit Schusseligkeit und fehlender Sorgfalt.

In Sirnitz begann es, in Sirnitz endete es

Wer schon mal in Sirnitz war, der weiß: Es ist wunderschön dort, aber auch so ein wenig Anus Mundi. Als knapp Siebenjähriger begann der kleine Martin hier zum Kicken, der Trainer war auch sein Vater. Der Bursche zeigte Talent, ging mit 13 Jahren nach Salzburg, Red Bull war dort gerade erst zwölf Monate am Werk. Der Rest ist Geschichte.

Jene letztlich abschließende Geschichte um den Hinti-Cup ist in allen Details breitgetreten worden, erst von Michael Bonvalot, dann von allen anderen. Hinteregger beteuert in seinem von der Eintracht veröffentlichten Statement zwar, dass er sich schon länger mit Rücktrittsgedanken trägt, der Zeitpunkt seines Rücktritts vier Tage nach der Veranstaltung in Sirnitz ist aber zumindest verdächtig, zumal er sich weiterhin uneinsichtig gibt.

Schlechtes Krisenmanagement

Die Causa Hinteregger war seit Bonvalots Artikel am 8. Juni zu einem Lehrstück kaputten Diskurses im Social-Media-Zeitalter geworden. Die eine Hälfte Österreichs hat sich über Hinteregger aufgeregt, weil er mit einer den Identitären zumindest nahestehenden Person mittlerer Prominenz gemeinsame Geschäfte gemacht hat. Die andere Hälfte Österreichs hat sich über die eine Hälfte aufgeregt, viel war von „linkem Gesinnungsterror“ und dergleichen die Rede.

Dazu einige Anmerkungen.

Hinteregger selbst sagt, ihm wäre das politische Wirken von Heinrich Sickl nicht bekannt gewesen. Menschen aus dem medialen Betrieb, die Hinteregger persönlich kennen, halten das sogar für glaubhaft, ebenso wie seine Aussage, dass er „rechtes, intolerantes und menschenverachtendes Gedankengut auf das Schärfste verurteilt“. Gleichzeitig fährt er verbale Attacken gegen Bonvalot – wobei es inhaltlich nichts zu widerlegen gibt. Man mag seine „Meinung und Haltung“ teilen oder nicht, aber sein Artikel war sauber recherchiert, die gesellschaftliche Grundfunktion des Journalismus als Kontrollinstanz, als „vierte Gewalt im Staat“ wahrnehmend.

Grob fahrlässig ins PR-Desaster

Eintracht Frankfurt ist ein Verein, der sich in Person von Präsident Peter Fischer als Speerspitze gegen rechts positioniert. „Es kann niemand bei uns Mitglied sein, der die AfD wählt, in der es rassistische und menschenverachtende Tendenzen gibt“, sagte Fischer vor einigen Jahren. Hinteregger versuchte die Kooperation mit Sickl zu rechtfertigen, dass die AfD „zehnmal schlimmer ist als die FPÖ“ und er von der Existenz der Identitären Bewegung nichts gewusst habe, geschweige denn, für welches Gedankengut sie stehe.

Auch ohne Hinteregger gezielte Absicht zu unterstellen, war es doch zumindest grob fahrlässig: Wer bei einem Verein arbeitet, der sich so klar offen positioniert wie Eintracht Frankfurt, muss einfach dafür Sorge tragen, dass es keine Geschäftsbeziehungen in den offen rassistischen Rand der Gesellschaft gibt. Eine Kooperation mit einem gewöhnlichen FPÖ-Mandatar – hätte eine schiefe Optik gehabt, wäre aber wohl aussitzbar gewesen. Eine Kooperation, die auch nur im Geruch ist, Identitäre Standpunkte zu teilen, ist in diesem Kontext ein noch größeres No-Go, als es das auch ohne diesen Zusammenhang wäre.

Von A bis Z war es einfach mega-patschert, es war wieder: Schusseligkeit und fehlende Sorgfalt. Einem Julian Baumgartlinger beispielsweise wäre nichts davon passiert. Auch er war stets einer, der sich wie Hinteregger der medialen Knochenmühle des Profifußballs nie verbiegen ließ, immer er selbst blieb, auch kritische Aussagen tätigte. Unüberlegtes Handeln konnte man dem Kapitän der Generation Koller aber nie unterstellen.

Zwölf intensive Jahre

Mit dem sofortigen Karriere-Ende endet eine zwölfjährige Profikarriere, die in vielerlei Hinsicht bemerkenswert war. Hinteregger war nie längerfristig verletzt, länger als zwei Monate hatte er in seiner Laufbahn nie aussetzen müssen. Auch, wenn er jung reingekommen ist – Debüt bei den Red Bull Juniors unter Niko Kovac mit 17 Jahren, Stammkraft in der Bundesliga mit 18 Jahren – hätte er im Normalfall noch eine Handvoll guter Jahre vor sich gehabt. Andererseits sagt er selbst, dass die Freude im Herbst 2021, als weder er noch die Eintracht gut spielten, stark gelitten hätte. Ohne Freude am Spiel nützt auch ein nach dem Muskelfaserriss vom 5. Mai erholter Körper nichts.

Als 18-Jähriger wurde er in der Saison 2010/11 eben unter Huub Stevens Stammspieler in der Salzburger Bundesliga-Truppe und er blieb das bis zu seiner Leihe zu Gladbach im Jänner 2016. Nach der EM 2016, wo er alle drei Matches für Österreich spielte, verweigerte den von Ralf Rangnick gewünschten Wechsel zu Leipzig. „Lieber in Augsburg um den Abstieg als mit Leipzig um den Titel“, hatte er ausrichten lassen, das Verhältnis zwischen ihm und Rangnick gilt seither als belastet, ob der neue Teamchef langfristig auf ihn oder Alaba als aufbauenden linken Innenverteidiger gesetzt hätte, werden wir nie erfahren.

Das erste und das letzte Liga-Spiel für Martin Hinteregger im Profifußball.

Zweieinhalb Jahre blieb er in Schwaben, ehe er zur Frankfurter Eintracht wechselte. Hier erlebte er die beste Zeit seiner Karriere, aber selten war ein Hoch ohne Tief, wie im echten Leben eben. 2019 ging es ins Europacup-Halbfinale, Hinteregger vergab im Elferschießen gegen Chelsea den entscheidenden Schuss. 2022 gewann Frankfurt die Europa League, Hinteregger fehlte mit einer Muskelverletzung. „Ich will meine Karriere bei der Eintracht beenden“, sagte er noch vor einer Woche im Standard.

Unangenehme Lage auch für den Klub

Das ist nun schneller gegangen als erwartet. Ob der Ärger über den durch die Organisation des Hinti-Cups entstandenen Wirbel wirklich nur eine untergeordnete Rolle in der Entscheidungsfindung gespielt hat, kann nur er selbst sagen. Vor einem Monat jedenfalls gab er noch zu Protokoll, sich auf die Champions League mit Frankfurt zu freuen und sich „das nicht entgehen lassen“ wollte. Denn ein Champions-League-Spiel hat sich für ihn nie ergeben.

77 Europacup-Spiele zwischen Herbst 2010 und Frühjahr 2022 hat Hinteregger absolviert.

Letztlich war es auch für den Verein keine angenehme Situation. Einerseits kann man es eine Angestellten nicht glaubhaft durchgehen lassen, mit einer den Identiären nahestehenden Person Geschäfte zu machen, ob unwissend oder nicht. Dazu hat man im Klub verschnupft darauf reagiere, dass der Spieler im medialen Alleingang seine drohende Ausmusterung verkündet hat und dass er nach einer angeblich wilden Party-Nacht die Verabschiedung von Ilsanker, Barkok und Da Costa verschlafen hat. Andererseits ist Hinteregger Leistungsträger und Publikumsliebling.

Dass sich der Klub angesichts der Umstände – nolens volens – vom Spieler trennen könnt e, stand vor dem für 23. Juni anberaumten Treffen von Hinteregger und seinem Manager Christian Sand mit Eintracht-Sportvorstand Markus Krösche ausdrücklich im Raum. Das Karriereende erwischte die Eintracht zunächst aber doch auf dem falschen Fuß. Hinti halt.

Weiterer Lebensweg

Man kündigte an, nun „Abstand zu gewinnen und mein Leben neu auszurichten“. Wie immer das aussehen mag, man möchte Martin Hinteregger wünschen, dass er im Leben nach dem Fußball ankommt und dass es ihn so ausfüllt wie das Fußballspielen. Er ist seit rund einem Jahr mit seiner Michele zusammen, hat im Frühjahr ein Gasthaus in der Nähe von Frankfurt übernommen. Dieses startet seinen Betrieb am 24. Juni 2022, am Tag nach seinem Rücktritt vom Profifußball.

Als Trainer kann man ihn sich nur schwer vorstellen, als TV-Experte wäre er sicher unterhaltsam, vielleicht zieht er sich auch komplett aus der Öffentlichkeit zurück und geht, wie etwa Rubin Okotie, in seiner Rolle als Gastronom auf.

Was immer es wird: Alles Gute dabei, Hinti.

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20 Jahre WM 2002: Als nicht nur der Fußball zwischen Matura und Studium steckte https://ballverliebt.eu/2022/01/10/wm-2002-in-japan-und-korea-20-jahre-danach-ist-nicht-nur-der-fussball-zwischen-matura-und-studium/ https://ballverliebt.eu/2022/01/10/wm-2002-in-japan-und-korea-20-jahre-danach-ist-nicht-nur-der-fussball-zwischen-matura-und-studium/#respond Mon, 10 Jan 2022 08:56:51 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=17983 20 Jahre WM 2002: Als nicht nur der Fußball zwischen Matura und Studium steckte weiterlesen ]]> Jetzt steht uns also 2022 ins Haus. Das heißt, dass die WM von 2002 in Japan und Südkorea bald zwanzig Jahre auf dem Buckel hat. Ich habe für dieses Gaga-Turnier immer eine gewisse Faszination verspürt. Woran das liegt, habe ich aber nie so genau festmachen können. Vermutlich ist es eine Mischung aus einem in jeder Hinsicht aus dem Ruder gelaufenen Turnier, verbunden mit der Zeit, in der es stattfand – und den persönlichen Umständen der Wahrnehmung.

Ein räudiger K.o.-Baum

Freitag am frühen Nachmittag, es ist der 14. Juni 2002, der Grundwehrdiener Eitzinger verstaut in der Kaserne seine Bundesheer-Sachen und trägt die gerade zu Ende gegangenen letzten Spiele der Gruppe H in seinem Turnierbaum ein. Stilecht, wie es sich für einen verkrachten Rekruten gehört, auf einem Schokobananen-Papierl mit grünem Filzstift schnell, schnell aufgekritzelt. Japan ist Gruppensieger, nach einem lockeren 2:0 am Vormittag gegen ein tunesisches Team, dessen Ausscheiden bereits vor dem Match festgestanden war und das sich entsprechend lustlos präsentierte.

Japan – Tunesien 2:0 (0:0)

„Es ist also wirklich so“, denkt der 18-jährige Rekrut in sich hinein, „einer aus Japan, Türkei, Senegal und Schweden ist im Halbfinale…“ Die blecherne Spint-Tür knallt zu, ab ins Wochenende. Am Weg raus bekommt man am Radio beim CvD noch mit, dass sich nach Frankreich und Argentinien auch Portugal nach der Vorrunde verabschiedet, Blamage gegen Südkorea, ein verzweifeltes Team bricht in sich zusammen, zwei Ausschlüsse. Smartphones gibt es noch nicht, mobiles Internet heißt noch „WAP“ und steckt in den Kinderschuhen, so war das eben. Man konnte sich Nachrichten in 160 Zeichen-SMS aufs Nokia-Handy (oder Ericsson, je nachdem) schicken lassen, wenn einem das die paar Cent wert war.

Neue Lage: 84 Tage.

Nicht mehr ganz Neunziger…

Für den späteren Lehramts-Studenten Eitzinger lag die WM 2002 zwischen der Matura und dem Studienbeginn, also quasi zwischen dem Glauben, dass man eh schon groß wäre, und der ernüchternden Erkenntnis, dass die echt Welt da draußen doch ein wenig komplizierter ist. Vielleicht kann man das im Fußball für jeden Zeitpunkt sagen, für mich fühlt sich gerade 2002 im Nachhinein aber tatsächlich genauso an.

Der Libero war im Grunde tot. Nur noch fünf, sechs Teams ließen ihre Manndecker den Stürmern nachdackeln, mit einem freien Mann als Ausputzer dahinter. Wer es noch machte? Die Slowenen zum Beispiel. Die waren das erste Mal bei einer WM dabei, es gab böses Blut zwischen Trainer Katanec und seinem Star Zahovič, man verlor alle drei Spiele. Saudi-Arabien war auch noch in der Libero-Gang, wiewohl das beim 0:8 gegen Deutschland nicht viel gebracht hat. Und auch Kroatien.

Kroatien war überhaupt sinnbildlich für diese kleiner werdende Gruppe an Teams. Neun der elf Stammkräfte waren 30 Jahre oder älter, man versuchte die Magie von 1998 aufzuwärmen, war am Ende aber doch nur eine überwuzelte Mischung affektierter Alt-Stars und steckengebliebener Alt-Talente. Man sah so gestrig aus wie man war, verlor gegen Mexiko und Ecuador und flog früh heim. Der reine Mann-gegen-Mann-Kampffußball, der sich im deutschsprachigen Raum und am Balkan bis dahin halten hat können, hatte sich weitgehend überlebt.

…aber auch noch nicht ganz 21. Jahrhundert

Andererseits gab es ein kompaktes Verteidigen mit echter Raumdeckung im heutigen Sinn auch noch praktisch gar nicht. Damals dachte man sich nichts dabei, man kannte es nicht anders. Wenn man sich Spiele wie das Achtelfinale zwischen Brasilien und Belgien heute ansieht, ist man beinahe schockiert: Es wird fröhlich der Ballführende angelaufen, ohne jede Absicherung, die Formationen brechen permanent auf, es ergeben sich Räume deluxe.

Brasilien – Belgien 2:0 (0:0)

Andererseits waren nach vorne marodierende Außenverteidiger wie Roberto Carlos, den ein damals noch sehr junger Wolff Fuss am Premiere-Mikro gewohnt blumig als „Ein-Mann-Büffelherde“ bezeichnete, die Ausnahme. Wenn es sie gab, dann wurden sie als Wing-Backs neben einer Dreierkette bzw. neben Libero und Manndeckern aufgeboten. Außenverteidiger in Viererketten waren noch viel mehr tatsächliche Verteidiger, angesetzt auf die Mittelfeld-Außen des Gegners. Schweden spielte mit Mellberg und Lucic außen, zwei echten Kanten. Dazu Wuschelkopf Carles Puyol bei Spanien, Tomasz Hajto bei Polen, Juri Kovtun bei Russland, Jacky Peters bei Belgien.

Höhe- und Schlusspunkt des Bosman-Fallouts

Sechseinhalb Jahre zuvor, im Dezember 1995, war das Bosman-Urteil gefallen. Dies bedeutete de facto das Ende von Ausländerbeschränkungen bei Klub-Mannschaften. Schon zuvor, bei der WM 1994, hatte sich angedeutet: Jene „kleinen“ Fußballländer, die viele Spieler in anderen Ligen hatten, waren im Vorteil – Bulgarien und Schweden hatten damals das Halbfinale erreicht. Es mussten nicht mal Top-Teams sein, wie bei Hristo Stoitchkov (Barcelona) oder Thomas Brolin (Parma). Es reichte, wenn man einen der je drei verfügbaren Ausländer-Plätze bei Mittelständlern ergatterte. Auf einer ähnlichen Welle ritt Kroatien 1998 ins Halbfinale.

2002 hatten schon sehr viele WM-Teilnehmer eine erkleckliche Anzahl an Personal in den großen Ligen. Das war ja auch der Schmäh beim Eröffnungsspiel, weil der Senegal gegen Frankreich mit elf Spielern aus der französischen Liga angetreten war. Die vermeintlichen Favoriten – vor allem die aus Europa – hatten ihre Ligen mit Ausländern geflutet, der eigene Spielerpool war kleiner geworden und die Reaktion darauf noch ausgeblieben. Aber schon 2006 sollte die Boom-Zeit für die „Kleinen“ schon wieder vorbei sein.

Näher an 2022 als an 1998

Zwischen 1998 und 2002 herrschte wahrhaft Goldgräber-Stimmung. Als die WM 1998 über die Bühne ging, hat es den alten Europacup der Cupsieger noch gegeben, 16 der 24 Champions-League-Teilnehmer waren tatsächlich Champions. In Deutschland gab es zwei Bundesliga-Livespiele pro Spieltag im Pay-TV und das war schon eine Sensation; Bilder von anderen Top-Ligen waren so gut wie gar nicht zu sehen gewesen.

Vier Jahre später war der Cupsieger-Bewerb längst zu Grabe getragen, in Deutschland waren sämtliche Bundesliga-Begegnungen live in voller Länge auf Premiere (dem Vorläufer von Sky) zu sehen, dazu Spiele aus England, Italien und Spanien wie selbstverständlich ebenso. Mit der Erweiterung der Champions League von 24 auf 32 Teams wurde auch eine zweite Gruppenphase installiert, aus 11 Spielen zum Triumph waren plötzlich 17 geworden. In gewisser Weise war 2002 schon näher an 2022 als an 1998.

Anything goes?

Umso größte war der Wirbel, als der Kirch-Konzern – sprich: Premiere – die Exklusiv-Rechte für die Übertragungen der WM im deutschsprachigen Raum hatte. Das hieß, dass bis auf wenige Spiele die komplette WM im Pay-TV stattfinden würde, so zumindest war der Plan von Leo Kirch: Eröffnungsspiel, Halbfinals und Endspiel, dazu die DFB-Partien auf ARD und ZDF. Sonst nichts.

Das der Rekrut Eitzinger das Vorrundenspiel zwischen Brasilien und Costa Rica im Soldatenheim (vulgo „Kant’n“) der Rieder Kaserne zumindest teilweise nebenbei auf ORF verfolgen konnte, war einem Kompromiss geschuldet: Eines der drei Vorrunden-Spielen pro Tag (bzw. zwei von vier) lief im Free-TV, den Rest gab es in 10-Minuten-Zusammenfassungen ab 22 Uhr. Im Hause Eitzinger gab es Premiere und der VHS-Rekorder nahm vier Wochen lang im Dauerbetrieb fast jedes einzelne Match auf.

Kamerun – Irland (1:1) war das erste Spiel am zweiten Turniertag und damit das erst von vielen Spielen, das im deutschsprachigen Raum nur auf „Premiere“ zu sehen war. Wolff Fuss kommentierte aus Unterföhring.

Für ORF und ARD/ZDF war dies ein gangbarer Weg, da die Matches zwischen 8.30 und 13.30 Uhr begannen und die Sommerferien und damit auch die Urlaubssaison noch nicht begonnen hatten. Es hätte also ohnehin kaum jemand die Spiele live verfolgen können. Aber der Bogen war überspannt, Kirch pleite. Premiere bzw. nach der Übernahme im Sommer 2009 Sky zeigten noch die WM-Turniere von 2006 und 2010, aber nicht mehr exklusiv.

Alles ging für Premiere auch schon 2002 nicht mehr: Nur Marcel Reif (in Japan) und Fritz von Thurn und Taxis (in Südkorea) waren als Kommentatoren vor Ort, alle anderen sprachen aus der Box in Unterföhring: Woff Fuss und Kai Dittmann ebenso wie Hansi Küpper und Tom Bayer.

Auch Chaos-WM folgte einer Logik

Sportlich ist die WM vor allem dafür bekannt, dass die beiden Top-Favoriten Frankreich und Argentinien schon in der Vorrunde hängen geblieben sind, dafür personell eher durchschnittliche Teams wie Südkorea, Türkei, Senegal und die USA in die letzte Turnierwoche gespült wurden. Zufall? Zu der Zeit betrachteten es viele als solcher. „Fußball ist kein Wunschkonzert. Leider nicht“, beklagte etwa Herbert Prohaska.

Schweden – Argentinien 1:1 (0:0)

Tatsache war, dass Argentinien vier potenzielle Zehner hatte: Juan Sebastián Veron, England-Rekordtransfer von Manchester United. Der talentierte Pablo Aimar, der Valencia zum spanischen Titel geführt hatte. Ariel Ortega, genial veranlagt und chronisch unzuverlässig. Und Javier Saviola, Jungstar des FC Barcelona. Kein Team bei der WM 2002 hatte mehr Ballbesitz, mehr Torschüsse (wiewohl zumeist aus schlechten Positionen) und mehr Ecken als Argentinien – aber nur zwei Tore in drei Spielen waren zu wenig. Einem 1:0-Arbeitssieg über Nigeria folgten ein 0:1 gegen England und ein 1:1 gegen Schweden.

In Marcelo Bielsas 3-3-1-3 blieb nur Platz für einen Zehner. Martin Blumenau konstatierte korrekt: „Argentinien leidet an dieser Spinnen-Mittelfeld-Krankheit, die das kreative Potential nach außen versetzt und dadurch auch den Spielwitz an den Rand drängt. Die Seiten-Pärchen Sorin-Lopez und Zanetti-Ortega verfransten sich hoffnungslos und weder von Aimar noch von Veron war etwas sinnvolles zu sehen.“ Stürmer Claudio López musste auf die linke Seite ausweichen, Spielmacher Ortega auf die rechte, Saviola hatte den Cut für den Kader gar nicht geschafft. Der bullige Verón war für das Forechecking-Spiel der Marke Bielsa ungeeignet und als Aimar im dritten Spiel gegen Schweden anfangen durfte, zeigte Argentinien die beste Leistung, scheiterte aber an der Chancenverwertung.

Und Frankreich? Die Verletzung im linken Oberschenkel, die sich Zidane nach der mega-langen Saison – sein Traumtor im CL-Finale war nur zwei Wochen vor dem Eröffnungsspiel – in einem Vorbereitungsmatch fünf Tage vor WM-Start zugezogen hatte, wurde als Sargnagel für den damals amtierenden Welt- und Europameister bezeichnet. Und in der Tat waren weder Djorkaeff (beim 0:1 gegen den Senegal) noch Micoud (beim 0:0 gegen Uruguay) ein gleichwertiger Ersatz für Zidane, der sich im letzten Gruppenspiel gegen Dänemark sichtlich angeschlagen über das Feld schleppte und nichts an der 0:2-Niederlage ändern konnte.

Dänemark – Frankreich 2:0 (1:0)

Wahr ist aber auch, dass es keinen Ersatz für den zwei Jahre zuvor zurückgetreteten Didier Deschamps gab. Er war derjenige, der hinter Zidane das Spiel orchestrierte – Ballbesitz gewann, Tempo vorgab, Bälle verteilte, der Dirigent war. Das fehlte Frankreich: Emmanuel Petit war ein elegante Verteiler, aber kein Zweikämpfer. Patrick Vieira konnte Bälle gewinnen, aber nicht viel damit anfangen. Und Makélélé war nach der langen Saison mit Real schlicht ausgebrannt.

Dazu kam auch noch die Verletzung von Robert Pirès, dem Premier-League-Spieler des Jahres, Pech mit der Chancenverwertung (fünf Aluminium-Treffer) und dem Spielverlauf (Leboeuf nach 10 Minuten verletzt und Henry nach 25 Minuten ausgeschlossen) gegen Uruguay sowie eine damit entstandene mentale Negativ-Spirale. Und natürlich der Wirkungstreffer des Eröffnungsspiels.

Zwei Spiele als Marker der Zeitenwende

In gewisser Weise markierte die WM 2002 das Ende des individuell dominierten Mann-gegen-Mann-Fußballs der 90er und zeigte ersten sichtbare Zeichen davon, dass nicht so hochklassig besetzte Teams mit einer exakt eingeprobten Strategie trotz Qualitäts-Defiziten die vermeintlich Großen düpieren können.

Zwei Spiele dieses Turniers können als plakative Grenzsteine dieser Zeitenwende dienen. Das eine, eben das Eröffnungsspiel zwischen dem Senegal und Frankreich, ist in der kollektiven Erinnerung *das* Spiel des Turniers geblieben. Das andere, jenes von Gastgeber Südkorea gegen Portugal, ist ein wenig im Nebel der Zeit verloren gegangen. Beide Matches endeten mit 1:0-Siegen der Außenseiter.

Senegal und Südkorea besiegten bzw. entnervten Frankreich und Portugal mit konsequentem Pressing

Herzstück beim Senegal war das heftig pressende Mittelfeld-Trio, das den Gegnern selten Kontrolle über das Spiel erlaubte. Die Franzosen waren darauf überhaupt nicht vorbereitet, ebenso wenig wie auf den ständig an der Abseitslinie lauernden Elhadji Diouf und die kantigen Außenverteidiger. Die Franzosen glaubten, auch ohne Zidane problemlos drüber zu kommen. Es dauerte eine Stunde, bis ihnen dämmerte, was gespielt wurde. Da war’s zu spät. In den kommenden Spielen profitierte der Senegal von guten Kniffen von Trainer Bruno Metsu und auch ein wenig vom Glück, vor allem bei 3:3 gegen Uruguay.

Guus Hiddink hatte bei Südkorea keine muskulösen Kanten zur Verfügung, dafür quirlige Dauerläufer. Das Prinzip, die Gegner mit scharfem Anlaufen zu quälen, war aber ähnlich: Die Koreaner entwickelten einen ungeheuren Spaß daran, den Gegner zu nerven. Die hölzernen Polen waren leichte Opfer (2:0) und auch Portugal zeigte Wirkung: In Folge der korrekten roten Karte für João Pinto, der seinem Gegenspieler von hinten fast die Beine durchsäbelte, ging eine portugiesische Trauber den Referee sogar körperlich an. Nach einer Stunde flog Beto mit Gelb-Rot, er war zu langsam und zu patschert gewesen. Die Portugiesen – allen voran Figo – verzweifelten und Südkorea ging durch den jungen Park Ji-Sung auch noch in Führung. Ein Remis hätte beiden zum Weiterkommen gereicht, darauf hatte Südkorea aber keine Lust, man hielt den Druck bis zum Schluss hoch.

Südkorea kam im Achtelfinale zu einem von Referee Moreno begünstigten, aber nicht gänzlich unverdienten Sieg über die auch an der eigenen Handbremse gescheiterten Italiener. Dann, im Viertelfinale, körperlich eigentlich schon komplett kaputt, gab es einen vom Referee Ghandour geschenkten, schmeichelhaften Elferschießen-Sieg gegen Spanien. Die intensive Spielweise in der schwülen koreanischen Hitze forderte ihren Tribut: Beim Senegal war im Vierfelfinale gegen die Türkei die Tanks leer, Südkorea hatte im Halbfinale gegen Deutschland nichts entgegen zu setzen.

Als dieses Halbfinale um die Ecke gekommen war, waren die vielen Siege der Underdogs schon ein wenig unheimlich und ein Finale zwischen der Südkorea und der Türkei schien nach dem Turnierverlauf schon logisch. Die Halbfinals wurden dann doch beide im Free-TV versendet, Ankick jeweils 13.30 Uhr an einem Dienstag und einem Mittwoch, davon hatten der Rekrut Eitzinger und seine Mitstreiter aber nichts. Sie saßen in Allentsteig fest, durch das Gelände turnend bzw. fahrend. Handys waren während der Truppenübung tagsüber (offiziell) nicht gestattet und Radios eigentlich auch nicht.

Dass sich „eine Gruppe von Grundwehrdienern, die nicht namentlich genannt werden will“ beim lokalen Radiosender Hell’s Bells von AC/DC wünschte (und auch bekam), blieb vom Gruppenkomandanten nicht unbemerkt, aber ungesühnt, der Stabswachtmeister fand das offenkundig gar nicht uncool. Der spaßbefreite Spieß hat nichts davon mitbekommen.

Die spannenden Türken, die hölzernen Amis

„Fußball ist, so wie jede Kunst, work in progress. Derzeit führt dieser Entwicklungs-Fluss aber nirgendwohin. Es stockt“, konstatierte derweil Martin Blumenau, „die athletischen und technischen Anforderungen werden größer, die taktischen halten jedoch nicht mit. Das Spiel stagniert, weil zu wenige über seine Entwicklung nachdenken und noch viel weniger das auf dem Platz in die Hand nehmen. Normalerweise bringt ein großes Turnier eine Art von Schub, von Input. Manchmal zeigt ein großes Turnier auch nur, wo man steht. Oder wie in diesem Fall, DASS man steht.“

Darum hatten auch die wenigen Teams, die tatsächlich etwas Abweichendes zur WM brachten, einen Vorteil. Während etwa Bielsa bei Argentinien vier Spielmacher hatte und seiner dogmatischen Sturheit geschuldet nur einen davon potenziell gewinnbringend eingesetzt hat, hatte Şenol Güneş drei und er packte sie auch alle bestmöglich in sein System. Nach zwei holprigen Spielen mit Dreierkette stellte Güneş die Formation um – in ein weirdes, asymmetrisches 4-3-1-2, das es so nie wieder gegeben hat.

Der giftige Emre kam von der Acht auf der halblinken Seite, der präzise Baştürk war der Freigeist auf der Zehn und der bullige Hasan Şaş agierte rund um Sturmspitze Hakan Şükür herum. Ergün bzw. Hakan Ünsal stießen als Linksverteidiger weit vor und sorgten neben Emre für die Breite, dafür driftete der aus Mannheim stammende Deutsch-Türke Ümit Davala von der rechten Acht vor dem defensiv ausgerichteten Fatih Akyel auf die Außenposition nach vorne, um für die Breite zu sorgen sowie Baştürk und Şaş nicht im Weg zu sein. Sechser Tugay stopfte umsichtig die Löcher.

Die Türkei packte drei offensive Spielmacher in ein gut ausbalanciertes, asymmetrisches System. Die Amerikaner waren die inhaltlich die spielerisch limitierte Ausnahme unter den Überraschungen.

Das war eine der aufregenden Ausnahmen, war aber auch recht fragil. Als Emre im Achtelfinale gegen Japan gelbgesperrt war und Ergün ihn ersetzen musste, fehlte dem Mittelfeld jede Dynamik. Natürlich profitierte man auch von der relativ leichten Auslosung, aber der dritte Turnier-Platz nach der Halbfinal-Niederlage gegen Brasilien war vollauf gerechtfertigt.

Die einzigen echten Viertelfinal-Glücksritter waren die Amerikaner. Sie kamen zu einem eher zufälligen Auftakt-Sieg gegen Portugal, retteten danach ein glückliches Remis gegen Südkorea und wurden von einer B-Elf der längst ausgeschiedenen Polen vorgeführt. Das Achtelfinale gegen Mexiko ist für die Amerikaner, was für die Österreicher „Córdoba“ ist: Das eine Spiel auf der Weltbühne, in dem man es dem großen Nachbarn mal so richtig gezeigt hat. Noch heute schallen die „Dos a Cero!“-Rufe durch jedes amerikanische Stadion, wenn es gegen ein Team aus Mexiko geht.

Bruce Arena ging vom davor verwendeten 4-4-2 ab und spiegelte das 3-5-2 der Mexikaner, nach acht Minuten ging man aus einem Konter in Führung. Danach reichte es, einfach banal das mexikanische Mittelfeld in Manndeckung zu nehmen, den zunehmend verzagten Gegner so zu langen Pässen in die Spitze zu zwingen und diese mit den drei Innenverteidigern im Strafraum abzuräumen. Nach einer Stunde erhöhte die USA auf 2:0, die Entscheidung.

Zu einem eigenen, kreativen Gedanken waren die Amis aber niemals fähig. Es war voller Einsatz, aber die ebenso volle spielerische Armut. Darum war auch das Viertelfinale gegen eine ähnlich holzgeschnitzte deutsche Truppe so ein erbärmliches Schauspiel zweier minderbemittelter Kämpfertruppen mit Fußball, der geistig, technisch und taktisch in den Achtzigern stecken geblieben war.

Alles außer Fußball

Die Türkei hatte im WM-Playoff Österreich eliminiert, 1:0 in Wien und 5:0 in Istanbul, mit Linienrichter Egon Bereuter gab es dennoch einen rot-weiß-roten Beitrag bei der WM in Asien. Bei Spanien-Slowenien stand der damals 39-jährige Vorarlberger für den Marokkaner Mohamed Guezzaz an der Linie, bei Südkorea-USA für den Schweizer Urs Meier, bei Brasilien-Costa Rica assistierte er dem Ägypter Gamal Ghandour und beim „Dos a Cero“-Match zwischen der USA und Mexiko war der Portugiese Vitor Melo Pereira sein Chef. Man erkennt, wo das Problem war.

Die beunruhigend vielen schlechten Schiedsrichter-Leistungen – nicht nur die beiden breitgetretenen bei Südkoreas Matches gegen Italien und Spanien, aber vor allem diese – wurden zunehmend zum eigentlichen Gesprächsstoff eines Turniers, das ohnehin kaum jemand sah und dessen Ergebnisse man auch würfeln zu können schien. Urs Meier und Kim Milton Nielsen bekamen die Halbfinals und Pierluigi Collina das Endspiel, man rettete, was zu retten war. Ab 2006 wurden endlich fixe Schiedsrichter-Gespanne aus dem selben Land eingesetzt.

Ein weiterer Grund, warum das Turnier ist Österreich nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, war der zeitgleich abgewickelte Crash des FC Tirol, der kurz zuvor unangetastet den dritten Meistertitel in Folge eingesackt hatte. Am Tag des Achtelfinales zwischen Südkorea und Italien setzte das Neutrale Schiedsgericht den verzweifelten Innsbrucker Versuchen, den Klub am Leben zu erhalten, mit der letztinstanzlichen Bestätigung des Lizenzentzuges ein endgültiges Ende. Tags darauf folgte der Insolvenzantrag, am Tag des Viertelfinales zwischen Südkorea und Spanien wurde der Nachfolge-Klub „FC Wacker Tirol“ offiziell gegründet. Am Tag vor dem ersten Halbfinale zwischen Südkorea und Deutschland war klar, dass man sich mit Wattens zusammenspannt und den Platz der WSG in der Regionalliga West bekommt.

Die Revolution wird abgesagt

Unter der Oberfläche hat sich in den vier Wochen in Asien eine Evolution angedeutet, die Revolution wurde aber abgesagt. Das mannschaftstaktische Block-Verteidigen, das bei der WM noch kaum zu sehen war, entwickelte sich recht rasch und sollte – mit Ausnahme der super-unterhaltsamen Offensiv-EM 2004 – den Toreschnitt in den großen europäischen Ligen von über 2,7 im Jahr 2001 auf unter 2,5 im Jahr 2007 absacken lassen. Als danach Pep Guardiola bei Barcelona und Jürgen Klopp bei Dortmund das Offensiv- und Gegenpressing bei großen Klubs einführten, war die WM 2002 in der kollektiven Erinnerung längst zum fußballhistorisch kaum bedeutsamen Chaos-Turnier geschrumpft.

Und wer traf sich im Finale? Die Brasilianer, wo sieben Feldspieler nur dazu da waren, dem individuellen Genie des Angriffstrios „RoRiRo“ mit Ronaldo, Rivaldo und Ronaldinho den Rücken frei zu halten. Und die Deutschen, ein denkbar biederes Team, in dem zwar fast niemand kicken konnte, dafür umso besser zweikämpfen; am Leben gehalten von Kahns Paraden und Ballacks Präsenz. Mehr Neunziger ging kaum.

Zumal ein Wunderkind der 90er der WM seinen Stempel aufdrückte: Ronaldo. Er war als 17-Jähriger beim WM-Titel 1994 im Kader und 1998, dem rätselhaften medizinischen Notfall in der Nacht vorm Finale zum Trotz, am Weg zum größten brasilianischen Star seit Pelé. Ronaldo, antrittsschnell, technisch perfekt und eiskalt vor dem Tor, hatte jene Karriere vor sich, die seinem portugiesischen Namenskollegen vorbehalten bleiben sollte.

Denn er war ein Ferrari-Motor in einem klapprigen Fiat-500-Oldtimer, sein Körper spielte nicht mit. Von 21. November 1999 bis 20. September 2001 spielte er nur fünf Minuten, beim Cup-Spiel gegen Lazio, wo er sich das zuvor schon kaputte Knie endgültig sprengte. Zwischen Sommer 1999 und der WM 2002 kam Ronaldo nur auf 23 Pflichtspiel-Einsätze, davon 15 vom Anpfiff weg. Er war längst abgeschrieben. In Asien aber traf Ronaldo mit Ausnahme des 2:1 im Viertelfinale gegen England in jedem Spiel, beim 2:0 im Endspiel gegen die DFB-Auswahl doppelt. Ein Comeback wie ein Traum.

Das Finale war übrigens ein erstaunlich flottes Spiel, Deutschland zeigte – obwohl Beißer Jeremies statt des gelbgesperrten Ballack, dem einzigen Deutschen mit ein wenig Flair, auflaufen musste – die mit Abstand beste Leistung der K.o.-Phase. Die Vorentscheidung kam halb durch die zweite Hälfte, als Kahn einen Weitschuss nach vorne prallen ließ und Ronaldo zum 1:0 abstaubte. Zehn Minuten später hieß es 2:0, es war der Endstand. Kapitän Cafú durfte als erstes die Trophäe küssen.

Und mit der Beginnzeit am Sonntag, dem 30. Juni um 13 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit konnten es sogar tatsächlich alle sehen. Man hatte die Wahl zwischen Robert Seeger (ORF), Béla Réthy (ZDF) und Marcel Reif (Premiere) am Mikrofon.

Überspannte Bögen

Die Kirch-Pleite war nur einer der überpannten Bögen, die langsam wieder zurückgebogen wurden. Für die Saison 2002/03 wurde die zweite Gruppenphase der Champions League gekübelt, ab sofort gab es ein K.o.-Achtelfinale. Der 31. Mai blieb der früheste Start-Termin einer Endrunde. 2002 war es so gemacht worden, um nicht voll in den Tsuyu zu kommen, die ostasiatische Regenzeit.

Spielereien mit Trikots wurden auch weniger marktschreierisch. Das Ansinnen von Puma, Kamerun wie beim Afrikacup mit ärmellosen Trikots auflaufen zu lassen, wurde von der FIFA abgeschmettert. Das Doppel-Trikot von Nike, mit einer saugfähigen „zweiten Haut“ unter dem sichtbaren Leibchen, wurde so nicht mehr weiterverfolgt – endgültig zu Grabe getragen von Edmílsons slapstickhaften Anzieh-Versuchen im Finale, wo er vor Weltpublikum beinahe daran scheiterte, das Trikot korrekt anzuziehen.

Das alles ändert nichts daran, dass 2002 ein weiterer Schritt zur Kommerzialisierung war. Vor allem Nike und Adidas legten sich voll ins Zeug, um ihre Produkte an den Mann zu bringen, erstmals wurden wirklich aufwändige TV-Spots gedreht, wie von da an im Zwei-Jahres Takt. Das kann man bedauern, man kann aber auch 20 Jahre später noch Nikes Käfig-Turnier, mit Éric Cantona als Ringmaster, als großartig bewundern. Dagegen war der „Footballitis“-Spot von Adidas, wiewohl augenzwinkernd und knuffig, doch eher altbacken.

Bleibende Wirkung?

Japan und Südkorea hatten eigentlich jeder alleine die WM ausrichten wollen, mit der FIFA (João Havelange) auf Japans Seite und der UEFA (Lennart Johansson) auf Südkoreas. Um nicht zwischen die Fronten zu geraten und womöglich die WM an Mexiko zu verlieren, wurden die beiden Länder, die sich nicht ausstehen können, zusammen gespannt. Jeder brachte zehn Stadien ins Spiel, also 20 Austragungsorte für 64 Spiele – ein bombastischer Witz. Manche Städte waren mit ihren Spielen schon durch, ehe andere das erste Mal dran waren. Immerhin, Klubs aus J1-League und K-League verfügen nun über wunderbare Stadien.

Hierzulande waren die, die viel gesehen haben, nach den vier Wochen mit vielen lähmenden Darbietungen ambitionsloser Teilnehmer und einem Overkill an seltsamen Resultaten irgendwie froh, dass die zunehmend als clownesk empfundene Nummer durch war und es keinen kompletten Schock-Weltmeister gab. In einer Kaserne im Innviertel wurde der Weltmeister registriert, kaum mehr. Die Zahl am Lage-Pflock wurde immer kleiner, das dicke Ende kam aber erst, mit dem August-Hochwasser und dem damit verbundenen Assistenz-Einsatz. Die Aufräumarbeiten im mitgenommenen Innviertel und in der verwüsteten Wachau waren für die Allgemeinheit sicher von größerem Wert als eine zweite dreiwöchige Truppenübung, die dafür gestanzt wurde.

Immer weiter

Das erste Fußballspiel nach der WM, bei dem der Rekrut Eitzinger dabei war, fand in Krems statt, ein 0:0-Hundskick gegen Hundsheim in der Regionalliga. Das Sepp-Doll-Stadion, Ortskundige wissen das, liegt direkt neben den Kremser Messehallen. Eine Hundertschaft dort auf Feldbetten nächtigender oberösterreichischer Grundwehrdiener müffelte die schlecht durchlüfteten „Österreichhallen“ voll, nachdem tagsüber Keller aus- und ruinierte Weinberge abgeräumt worden waren.

Die verbleibenden Tage in Uniform waren nach Beendigung des Einsatzes im einstelligen Bereich angekommen, am 6. September 2002 um etwa 15.30 Uhr am Nachmittag wurde die Kaserne zum letzten mal verlassen, und zwar in Zivil. Tags darauf kamen weite Teile der Truppe in Wien noch einmal zusammen, vornehmlich um die Sau rauszulassen. Der nie besonders party-affine Philipp Eitzinger hingegen war, wie eine handvoll Gleichgesinnter, im Ernst-Happel-Stadion.

Österreich startete die EM-Qualifikation an diesem Samstag nämlich mit einem Heimspiel gegen Moldawien. WM-Boom gab es keinen, die EM-Vergabe für 2008 war noch drei Monate entfernt. Mühsam erholte sich das Land von den Schrecken des Hochwassers, das sieben Menschen das Leben und vielen tausend die Existenz geraubt hat. Die Heimspiele der Champions-League-Qualifikation hatten von maximal halbgefüllten Tribünen stattgefunden (der GAK zählte 5.500 gegen Lok Moskau, Sturm 8.000 gegen Maccabi Haifa) und auch das Länderspiel gegen Moldawien war kein Kassenschlager. Rund 30.000 Plätze im Prater blieben leer.

Zwei Elfmeter-Tore von Andi Herzog brachten einen harzigen 2:0-Sieg gegen ein Team, das Österreich neun Monate später sogar besiegen sollte. Es war aus vielerlei Gründen gut, dass das ÖFB-Team nicht in Asien bei der WM dabei gewesen war.

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Riesen-Nations-League als Mittelfinger für Zwei-Jahres-WM der FIFA https://ballverliebt.eu/2021/12/21/riesen-nations-league-als-mittelfinger-fuer-zwei-jahres-wm-der-fifa/ https://ballverliebt.eu/2021/12/21/riesen-nations-league-als-mittelfinger-fuer-zwei-jahres-wm-der-fifa/#respond Tue, 21 Dec 2021 11:01:44 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=17973 Riesen-Nations-League als Mittelfinger für Zwei-Jahres-WM der FIFA weiterlesen ]]> Eine europäische Nations League mit… Argentinien? Brasilien? Venezuela gar? Was sich wie eine seltsame Schnapsidee anhört, hat einen ernsten Hintergrund. Die Pläne einer gemeinsamen Nations League von UEFA und CONMEBOL ab 2024 – bei der alle Spiele in Europa ausgetragen würden – haben einen klaren Adressaten: Die FIFA. Deren Pläne einer WM im Zweijahres-Rhythmus sollen so untergraben werden.

Warum genau Arsène Wenger das Spiel mitmacht, wird eines der großen Fußball-Mysterien dieser Zeit bleiben. Dass die FIFA um Gianni Infantino Druck macht, um die ab 2026 eh schon auf 48 Teilnehmer aufgeblähte WM dann auch noch alle zwei Jahre zu veranstalten, folgt aber einer inneren Logik. Macht, Geld, Prestige – you name it.

In einem großen Videocall hat die FIFA ihren Mitgliedern kurz vor Weihnachten ein besonderes Präsent in Aussicht gestellt: Knapp vier Milliarden Euro soll die Verdoppelung der WM-Endrunden bringen, die natürlich brüderlich aufgeteilt werden: Neun Millionen für jeden Mitgliedsverband, egal ob Brasilien oder Guam. Wobei den Verbandsboss von Guam, Valentino San Gil, das offenkundig nicht besonders interessiert haben dürfte.

Die WM über allem

Der langjährige Arsenal-Erfolgtrainer Arsène Wenger ist das Gesicht, das die FIFA im Bemühen um gute Presse voranstellt. „Wir sehen uns Widerstand ausgesetzt, aber 90 Prozent davon basiert auf Emotionen“, lässt der 72-Jährige beispielsweise wissen. Sein Chef lässt sich derweil als Wohltäter der Fußballwelt feiern, weil „die junge Generation öfter eine WM sehen möchte“, wie Infantino aus Studien herauslesen will.

Der Schmäh soll sein, dass es nur noch zwei internationale Fenster pro Jahr geben hätte sollen – ein Vorschlag, der bei nämlichem Videocall übrigens abgeschmettert wurde – und sich so die Anzahl der Spiele nicht vergrößern hätte sollen. Der Nebeneffekt ist klar: Die Kontinente können damit gerade noch ihre eigenen Meisterschaften plus einer Schnell-Schnell-Quali durchpeitschen.

Ansonsten gibt es nur noch die WM, und zwar alle zwei Jahre. Große Schecks aus den potenziellen Ausrichterländern von China bis Saudi-Arabien inklusive.

Gemeinsame Nations League als Ersatz-WM

Aleksander Čeferin und Alejandro Domínguez jetzt als die Guten in einem schwarz-weißen Kampf zwischen Imperium und Rebellen hinstellen zu wollen, würde der Sache nicht gerecht. Am Ende verteidigen UEFA und CONMEBOL auch nur ihre eigenen Pfründe, ihre Vormachtstellung und ihre Einkommenssicherheit.

Die Idee ist klar umrissen: Ab 2024 nehmen die zehn südamerikanischen Länder an der europäischen Nations League teil, alle Spiele würden weiterhin in Europa ausgetraten werden. Die sechs Top-Nationen – aktuell wären das Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Uruguay, Peru und Chile – werden in die A-Gruppe eingeordnet, die verbleibenden – also aktuell Paraguay, Ecuador, Bolivien und Venezuela – in die B-Gruppe. So hat es UEFA-Vize Zbigniew Boniek ausgeplaudert. Nähere Details zur Durchführung sind noch nicht durchgesickert.

Da genau alle Weltmeister (und auch alle WM-Finalisten) aus diesen beiden Kontinenten stammen, wäre diese gemeinsame Nations League de facto eine Ersatz-WM.

Ohne Top-Nationen keine lukrative Zweijahres-WM

Infiantino gab an, die „notwendige Mehrheit“ für eine Zweijahres-WM ab 2026 beinander zu haben, was durchaus sein kann, denn UEFA und CONMEBOL verfügen zusammen „nur“ über rund ein Drittel der Stimmen. Mit der gemeinsamen Nations League einhergehend wäre aber ein Boykott der Länder aus Europa und Südamerika.

Quasi: Wenn ihr alle zwei Jahre eine WM wollt, liebe FIFA, dann macht. Aber ohne uns.

Europa und Südamerika verfügen juristisch nicht über eine Sperrminorität, aber realpolitisch über eine Verfassungs-Mehrheit. Denn eine WM ohne diese Länder wäre ein Turnier dritter Klasse. Wenn sich Mexiko, Nigeria, Japan und Katar einen Turniersieger ausmachen, ist das nett. Es hätte aber kaum mehr als die Bedeutung des Confed-Cups – oder des gerade in Katar gespielten Arab Cups – als Generalprobe für eine „echte“ WM.

Ohne Brasilien und Frankreich, ohne Argentinien und Spanien, ohne Kolumbien und Italien, ohne Deutschland und England gibt es auch kein dauerhaftes Plus von vier Milliarden Euro, sondern ein gewaltiges Minus.

Auch persönliche Anomisitäten

Die FIFA ist nicht bereit, von der Zweijahres-WM herunter zu steigen. Sie wird aber auf UEFA und CONMEBOL zugehen müssen, um nicht selbst ins Desaster zu rennen. Grundsätzlich lässt sich mit Geld in diesen Gefilden so gut wie alles regeln. Der persönliche Animosität zwischen den Beteiligen ist hierbei aber ein Bremsklotz.

Die UEFA hat schon mit ihrer Fundamental-Opposition die expandierte Klub-WM von Infantino – in Kooperation mit dem Coronavirus – zumindest auf Eis legen lassen, die FIFA sitzt immer noch auf ihrem eher sinnlosen und kaum beachteten Exhibition-Turnier als Klub-WM fest, während die UEFA im Klubfußball praktisch die Weltmonopolstellung auf Einnahmen aus Klub-Bewerben hat.

Der im Herbst abgelöste ÖFB-Präsident Leo Windtner äußerte in seinem letzten Interview im Amt den Verdacht, die Zweijahres-WM soll die Klub-WM über die Hintertür retten – quasi als Zugeständnis der UEFA: Die einen geben ihren Widerstand zur großen Klub-WM auf, dafür die anderen die Pläne zur Zweijahres-WM. Im Moment stehen sich die Streitparteien gegenüber, schießen und warten, wer als erstes getroffen zusammen zuckt.

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In memoriam Paul Gludovatz: Die Karrieren der 2007er-Halbfinalisten https://ballverliebt.eu/2021/11/13/in-memoriam-paul-gludovatz-die-karrieren-der-2007er-halbfinalisten/ https://ballverliebt.eu/2021/11/13/in-memoriam-paul-gludovatz-die-karrieren-der-2007er-halbfinalisten/#respond Sat, 13 Nov 2021 12:16:48 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=17145 In memoriam Paul Gludovatz: Die Karrieren der 2007er-Halbfinalisten weiterlesen ]]> 14 Jahre ist es her, als mitten hinein in das tiefste Leistungsloch des österreichischen Fußballs in jüngerer Vergangenheit plötzlich eine Horde von 20-Jährigen mit aktivem Spaß-Fußball ins Halbfinale der U-20-WM stürmten. Trainer dieser Truppe, der „Generation Kanada“, war 2007 ein gewisse Paul Gludovatz. Der Burgenländer ist nun 75-jährig den Folgen einer Corona-Erkrankung erlegen.

Er kam nach seiner Zeit beim ÖFB zur SV Ried, die er einmal zum Cup-Sieger (2011) und zweimal zum Herbstmeister (2010/11 und 2011/12) machte, dazu führte er die Innviertler im Europacup beispielsweise zum Sieg über Brøndby. An seinem unüblichen 3-3-3-1-System scheiterten die heimischen Trainer reihenweise.

Auch einige der Spieler, die damals in Kanada mit dabei waren, setzten von dort aus zu einer großen Karriere an. Von Prödl, Junuzovic und Harnik über Suttner, Madl und Hinum bis hin zu Pirker, Enzenberger und Zaglmair: Das machten die Semifinalisten von 2007 seither – und das machen sie heute.

Die Nationalspieler

Sebastian Prödl (alle 7 Matches durchgespielt) war Kapitän der Truppe. Vom damaligen Sturm-Amateure-Trainer Franco Foda 2005/06 auch auf der Sechs eingesetzt, zog Foda Prödl im Frühjahr 2007 als Innenverteidiger ins Bundesliga-Team hoch, wo sich der große Kirchberger sofort durchsetzte. Auslands-Angebote lehnte er bis nach der Heim-EM 2008 – die er als Stammkraft absolvierte – ab, danach ging Prödl zu Bremen, wo er 2009 gleich ins Europacup-Finale kam. Nach sieben Jahren bei Werder (149 Bundesliga-Einsätze) zog es Prödl nach England zu Watford, wo er auch drei Jahre erste Wahl war (85 Premier-League-Spiele), 2016 absolvierte er seine zweite EM. Seit Sommer 2018 kam Prödl aber auch in Folge anhaltender Knieprobleme nur noch zu fünf Pflichtspiel-Einsätzen, ein Knochenmarksödem verhinderte Einsätze für Udinese Calcio, wohin er im Winter 2019/20 gewechselt ist.

Zlatko Junuzovic (6x von Beginn, 1x eingewechselt, Zehner). Schon anderthalb Jahre vor der WM debütierte Junuzovic, der bereits als 17-Jähriger für den GAK in der Bundesliga gespielt hatte, im Nationalteam, es sollten noch 54 weitere A-Einsätze folgen. Nach der WM folgten zwei Jahre in Kärnten, der Transfer zur Austria 2009 war schon überfällig. Ein halbes Jahr nach dem verpassten Titel 2011 ging Junuzovic zu Bremen, wo er sich sofort zurecht fand und nach Jahren auf der Austria-Außenbahn auch im Zentrum spielen durfte. Junuzovic war integraler Bestandteil des Koller’schen Pressing-Spiels, welches das Team zur EM 2016 bringen sollte. Nach sechseinhalb Jahren und knapp 200 Spielen für Werder wechselte Junuzovic 2018 zu Salzburg, wo er den Routinier in der jungen Truppe gibt und auf seine alten Tage nun auch ein paar Titel gewinnt. Erstaunlich: Obwohl seine Blessur im ersten Spiel die EM 2016 das ganze ÖFB-Team ins Verderben stürzte, war Junuzovic in seiner langen Karriere nie schwerer verletzt.

Martin Harnik (6x von Beginn, 1x eingewechselt, rechte Außenbahn). Der in Hamburg aufgewachsene Sohn eines Steirers spielte zwar niemals für einen österreichischen Klub, aber ab 2005 für den ÖFB. Zwei Wochen nach der WM debütierte er für die Kampfmannschaft von Werder Bremen, zwei weitere Wochen später für das Nationalteam – wo er sich gleich mit einem Tor einführte. Weil er in Bremen – damals ein echtes Spitzenteam – nie über eine Teilzeit-Rolle hinauskam, holte er sich 2009/10 ein Jahr Spielpraxis bei Düsseldorf und ging dann nach Stuttgart. Beim VfB erzielte er 68 Tore in sechs Jahren, nach dem Abstieg und der EM 2016, zu der er schon formschwach angereist war, folgten Stationen bei Hannover und Hamburg, ehe er im Sommer 2020 seine Profi-Karriere mangels konkreter Angebote im norddeutschen Raum, wo er mit Frau und zwei Kindern lebt, beendete und nun eher aus Gaudi bei Fünftligist Dassendorf kickt. Harnik ist Inhaber eines Fleisch-Geschäftes und Gesellschafter eines Partyartikel-Händlers und war zuletzt auch als Co-Kommentator bei DAZN im Einsatz.

Veli Kavlak (6x von Beginn, zentrales Mittelfeld), der jüngste im Kader, hatte bereits kurz nach seinem 16. Geburtstag in der Kampfmannschaft von Rapid debütiert und gehörte beim Titel 2008 zum Stammpersonal. Ein Wechsel in eine größere Liga – Interesse von Besiktas wurde kolportiert – scheiterte am Veto von Rapid, erst 2011 durfte Kavlak in die Türkei wechseln. Dort kam er in den folgenden vier Jahren zu über 100 Liga-Einsätzen, ehe die Schulter – die schon 2008 operiert werden hatte müssen – w.o. gab. Die Ursache wurde nie restlos geklärt – vermutet werden etwa eine Fehlstellung inklusive Bandscheibenvorfall im Halswirbel und Probleme mit Nervensträngen. Jedenfalls spielte Kavlak im Sommer 2014 das letzte seiner 31 Länderspiele und im März 2015 stand er zum letzten Mal in der Besiktas-Startformation. Offiziell beendet hat Kavlak seine Karriere nicht, aber da er nach mittlerweile neun Operationen immer noch mit seiner Schulter kämpft, ist eine Fortsetzung kaum noch denkbar.

Erwin Hoffer (4x von Beginn, 3x eingewechselt, Stürmer), denn alle stets Jimmy nannten, stammt aus dem Admira-Nachwuchs und kam ein Jahr vor der WM, bei der er drei Tore erzielte, zu Rapid. Dort bildete der schnelle Hoffer gemeinsam mit dem großen Stefan Maierhofer das gefürchtete Sturm-Duo „MaierHoffer“, das Rapid 2008 Meister wurde und 08/09 zusammen 50 Bundesliga-Tore erzielte. Der Wechsel zu Napoli 2009 war attraktiv, aber nach einem größtenteils auf der Tribüne des San Paolo verbrachten Jahr wurde er zu Kaiserslautern, Frankfurt und Düsseldorf verliehen, ehe er zu Karlsruhe transferiert wurde. Nach sieben Jahren in Deutschland (davon fünfeinhalb in der 2. Liga, insgesamt 37 Tore) zog es Hoffer 2017 nach Belgien und vor anderthalb Jahren wieder zurück zur Admira, wo seine zunehmenden Tempo-Defizite einen nachhaltigen Einfluss auf dem Feld leider verhindern. Das letzte seiner 28 Länderspiele (4 Tore) absolvierte Hoffer bereits 2012 – Marcel Koller berief ihn danach nicht mehr ein.

Rubin Okotie (4x von Beginn, 3x eingewechselt, Stürmer) hatte zunächst auch nach der WM, bei der er zwei Tore erzielt hat, bei Austria-Trainer Daxbacher einen schweren Stand, der Kinder-Fußball bei der WM habe schließlich nichts mit der österreichischen Bundesliga zu tun. Erst 2008 traute ihm Daxbacher die Stammformation zu, 2009 erlitt Okotie einen Knorpelschaden. Es folgten ein Jahr Verletzungspause und diverse Vereinswechsel ohne viele Einsätze, erst 2012/13 bei Sturm Graz sowie ab 2014 bei 1860 München kam er wieder zu regelmäßigen Matches und damit auch zum Nationalteam, wo er bis zur EM 2016 Back-up für Marc Janko war. Mit Zweitliga-Stationen in China und Belgien trudelte seine aktive Karriere aus, heute betreibt Okotie mit seiner Frau Vanessa ein veganes Restaurant in Wien-Alsergrund.

Markus Suttner (4x von Beginn, Außenverteidiger) bildete vor der WM bei den Austria-Amateuren die Viererkette mit Ulmer, Madl und Ramsebner; nach Kanada erging es ihm zunächst wie Klub-Kollege Okotie: Trainer Daxbacher traute ihm die Bundesliga noch nicht zu. Erst ab Spätherbst 2008 kam er zum Einsatz, dann dafür regelmäßig – und zwar für viele Jahre. Bis 2015 sammelte Suttner über 250 Spiele für die Austria, einen Bundesliga-Titel und er etablierte sich im Nationalteam (20 Länderspiele) als Back-up für Christian Fuchs. Es folgten zwei Saisonen als Stammkraft in der deutschen Bundesliga bei Ingolstadt und anderthalb als Teilzeit-Kraft in der Premier League bei Brighton, ehe er noch anderthalb Jahre bei Düsseldorf absolvierte. Seit 2020 ist Suttner (nach 76 Bundesliga- und 14 Premier-League-Spielen) zurück bei der Austria.

Michael Madl (6x von Beginn, Innenverteidiger) erging es bei der Austria wie Okotie und Suttner – geringgeschätzt vom eigenen Trainer. Darum ging er nach der WM für ein Jahr nach Innsbruck, um Spielpraxis zu sammeln, kehrte zur Austria zurück und war auch vor einer Knieverletzung im Winter selten erste Wahl. Zwei solide Jahre bei Wr. Neustadt brachten ihm einen Vertrag bei Sturm Graz ein, wo er wertgeschätzt und sogar zum Kapitän wurde. Im Winter 2015/16 wagte er den Sprung nach England, wo er bei Zweitligist Fulham ein halbes Jahr Stamm war, danach aber nur noch immer sporadischer Minuten bekam. So kehrte er nach zwei Jahren auf der Insel nach Österreich zurück, wo er seither bei der Austria spielt. Im ÖFB-Team kam Madl im Herbst 2016 zum einzigen Mal zum Zug. Im vergangenen Sommer hörte Madl auf.

Andreas Lukse (2x von Beginn, Torhüter) war gemeinsam mit Madl bei diesem Match gegen die Slowakei 2016 der letzte aus dem Kanada-Kader, der in einem A-Länderspiel mitwirken durfte. Lange hat es allerdings nicht so ausgesehen: Von einer Handvoll Einsätzen als Zweiergoalie bei Rapid im Herbst 2008 abgesehen, dauerte es bis Frühjahr 2015, ehe er nach diversen Stationen in 2. Liga und Regionalliga in Altach ein Bundesliga-Stammleiberl ergattern konnte – zumindest für zweieinhalb Jahre, ehe seine Schulter Probleme machte. Ins Altach-Tor kehrte er nicht mehr Vollzeit zurück, dafür ging er 2019 nach Nürnberg – wo er nicht nur, aber auch wegen Verletzungen im Oktober 2019 letztmals auf dem Platz stand. Seit Sommer ist er bei der Vienna.

Die langjährigen Bundesliga-Spieler

Thomas Hinum (6x von Beginn), aus St. Valentin stammend, kam 2006 von Regionalligist St. Florian zu Zweitligist Schwanenstadt, wo ihn Andi Heraf sofort zur Stammkradt machte – neben Kanada-Kollege Michael Stanislaw. Nach drei Jahren bei Austria Kärnten und einem auf der Rapid-Bank erlebte er als Stamm-Rechtsverteidiger von Paul Gludovatz‘ großem Ried-Team von 2011 bis 2014 die beste Zeit seiner Karriere. Es folgten je zwei Jahre beim LASK und bei Blau-Weiß Linz, seit zwei Jahren ist er bei Zweitligist Amstetten – wo der B-Lizenz-Coach nunmehr Co-Trainer ist. Hinum hat 156 Bundesliga-Matches und noch mehr Zweitliga-Spiele in den Beinen, zum A-Nationalteam hat es aber nicht gereicht.

Michael Stanislaw (6x von Beginn, defensives Mittelfeld) war auf der Sechs gesetzt. Nach seiner Jugend im Admira-Nachwuchs kam der in Leoben geborene und in Wien aufgewachsene Stanislaw 2006 zu Schwanenstadt, wo er prompt Zweitliga-Vizemeister wurde. 2008 zog er mit dem Klub nach Wr. Neustadt um, wo er bis zu seinem Abschied 2012. Es folgten Stationen in Ungarn und Horn, ehe ihm nach einem halben Jahr in Ritzing der Klub um die Ohren flog. Stanislaw, der auf 71 Bundesliga- und 107 Zweitligaspiele kam, kickt noch heute in der Burgenlandliga bei Bad Sauerbrunn.

Peter Hackmair (6x von Beginn, 1x eingewechselt, Mittelfeld) war in Kanada die erste Wahl auf der rechten Außenbahn, kam aber auch im Zentrum zum Einsatz. Der vom Attersee stammende Hackmair wurde in der Saison vor der WM unter Heli Kraft Stammspieler in Ried und als solcher Vizemeister, 2008 zog er sich mit einem Kreuzbandriss zu. Er kämpfte sich zurück, wie auch nach einem Leistenbruch 2009 und einem weiteren Kreuzbandriss 2010. Ein Knorpelschaden im Frühjahr 2012 bedeutete aber, dass er das letzte seiner 134 Bundesliga-Spiele (da bereits im Trikot von Wacker Innsbruck) schon im Alter von 24 Jahren absolvierte. Hackmair schrieb eine Autobiographie, bereiste die Welt, war zeitweilig auch TV-Experte und arbeitet nun als Unternehmensberater.

Tomas Simkovic (1x von Beginn, 1x eingewechselt, offensives Mittelfeld). Zweieinhalb Saisonen bei den Zweitliga-Amateuren, aber kein einziger Bundesliga-Einstz – ein halbes Jahr reichte es dem in Bratislava geborenen Offensiv-Spieler, er ging zu Schwanenstadt und machte den Umzug des Zweitligisten nach Wr. Neustadt auch mit. Dort trug er zum Aufstieg bei und nach anderthalb Bundesliga-Saisonen holte sich die Austria Simkovic als Junuzovic-Ersatz zurück. Simkovic wurde mit der Austria 2013 Meister, unter Stöger war er Stammkraft, Nachfolger Bjelica konnte mit Simkovic aber nichts anfangen – im Winter 2013/14 flüchtete er nach Kasachstan, wo er vier Jahre blieb. Es folgte ein Jahr in Litauen, danach wurde er in Lettland zweimal Vizemeister und einmal Cupsieger. Einer Rückkehr nach Österreich steht Simkovic offen gegenüber – aber nicht um jeden Preis.

Siegfried Rasswalder (6x von Beginn, Linksverteidiger) ist der einzige im 2007er-Kader, der aus dem einstmals gerühmten Leobener Nachwuchs kam. Nach 20 Bundesliga-Einsätzen und einem Abstieg mit dem LASK schien seine Karriere in der höchsten Liga aber auch schon wieder beendet zu sein. Es folgten zwei Regionalliga-Jahren in Horn und Klagenfurt und ein Transfer zum damaligen Zweitligisten Hartberg, Rasswalder blieb dem TSV auch nach dem Abstieg in die Drittklassigkeit treu – und wurde dafür mit dem Durchmarsch 2018 doch noch mit zwei Bundesliga-Jahren belohnt. Nach 214 Pflichtspielen für Hartberg, davon 37 in der Bundesliga, entschied sich Rasswalder 2020 für das Ende seiner Profi-Karriere und eine berufliche Zukunft als Lokführer und das Fußballspielen in seiner Heimat, beim Eisenbahnerklub in Knittelfeld.

Daniel Gramann (2x von Beginn, 2x eingewechselt, Innenverteidiger). Der WM-Back-up von Michael Madl wurde medial fast nur als Sohn des damaligen ÖFB-Pressechefs Wolfgang Gramann sowie vor allem als Neffe von Andi Herzog bekannt, was ihm gegenüber aber unfair ist. Er debütierte als 17-Jähriger für die Admira in der Bundesliga, nach einem Zweitliga-Jahr in Hartberg wurde Gramann Stammkraft in Altach, ehe ihn eine langwierige Zehenverletzung zurückwarf, auch nach dem Transfer zu Kärnten war er selten lange verletztungsfrei. So „fehlten die Entwicklungsschritte und ich blieb in der wichtigen Zeit stehen“, wie er gegenüber 90minuten sagte. Seit 2012 ist der 56-fache Bundesliga- und 26-fache Zweitliga-Spieler in Regional- und Landesligen unterwegs, heute ist Gramann Geschäftskundenberater bei Raiffeisen.

Die es nicht geschafft haben

Bartolomej Kuru (1x von Beginn, Torhüter) galt als großes Talent auf der Torhüter-Position, drei Zweitliga-Jahren als Nummer eins der stark besetzten Austria-Amateure steht aber nur ein einziger Bundesliga-Einsatz gegenüber, im bedeutungslosen letzten Spieltag 2007. Kurt Garger holte Kuru 2009 in die Slowakei – als dritten Keeper. Es folgen Stationen bei der Vienna (als Nr. 2) beim tschechischen Zweitligisten Bohemians Prag (als Nr. 3), in Parndorf (mit dem Abstieg in die Regionalliga) und St. Pölten (ohne jeglichen Startelf-Einsatz). Kuru stieg in der Folge mit Bruck/Leitha in die Regionalliga auf und war zwischendurch auch in Wr. Neustadt, aktuell ist er bei Neusiedl unter Vertrag.

Thomas Panny (4x von Beginn, Rechtsverteidiger) war der Pechvogel der WM in Kanada. Der Stamm-Rechtsverteidiger brach sich vor dem Halbfinale das Wadenbein – eine Verletzung, die seine junge Karriere de facto ruinierte. Kurz nach seinem 19. Geburtstag kam der Admiraner zu seiner Bundesliga-Premiere, wegen dem folgenden Abstieg und der Verletzung blieb es sein einziger BL-Einsatz. Nach der Verletzung wurde er von Schwadorf nicht übernommen, 2009 ging er zum FAC und er bekam einen Job bei der Berufsfeuerwehr – wo er auch heute noch arbeitet.

Thomas Pirker  (2x eingewechselt, Innenverteidiger) hatte sich im Frühjahr vor der WM in die Stammformation von Zweitligist FC Kärnten gespielt und kam in Kanada zweimal in der Schlussphase auf das Feld. In der Folge wurde er zu Bundesligist Austria Kärnten hochgezogen, zog sich aber sofort einen Bänderriss zu und kam nie mehr wirklich zum Zug. Via Vöcklabruck ging es zum WAC, ein Bandscheibenvorfall setzte ihn dort 2010 außer Gefecht. Pirker ist Sport- und Deutschlehrer an der Praxis-NMS Klagenfurt und trainiert auch deren Schülerliga-Team, selbst ist er immer noch unterklassig am Ball.

Bernhard Morgenthaler (3x von Beginn, 2x eingewechselt, linke Außenbahn) duchlief den Nachwuchs der Admira und wurde im Frühjahr 2006 Stammkraft, ist in den folgenden anderthalb Jahren aber aus der Bundesliga und dann auch noch aus der Ersten Liga abgestiegen – und sein geplanter Abgang zum GAK 2006 scheiterte am wasserdichten Admira-Vertrag. Nach der Fusion mit Schwadorf kam er weder bei Peischl noch bei Schachner zum Zug, 2009 ging er für ein Jahr in die Regionalliga zu Pasching. 2010 probierte er es noch einmal bei der Admira, aber ein Knorpelschaden sorgte wenig später de facto für das Ende der Profi-Karriere mit 25 Jahren. Es begann eine Karriere als Berufsfeuerwehrmann.

Ingo Enzenberger (1x eingewechselt, rechte Außenbahn) wurde fußballerisch in Salzburg ausgebildet und war Einwechselspieler, als die Red Bull Juniors 2007 unter Thorsten Fink Meister der Regionalliga West wurden. „Er hat selten gespielt, trotzdem ist er nachher beim Kreis der Spieler oft in der Mitte gestanden. Weil alle auf ihn gehört haben“, erklärte Co-Trainer Gerhard Schweitzer seine Rolle in einem OÖN-Interview. Nach der WM wechselte Enzenberger zur Altstar-Truppe von Schwadorf, wo er unter Bernd Krauss im Herbst noch regelmäßig spielte, unter Heinz Peischl im Frühjahr nicht mehr. Er kehrte zu den Jungbullen zurück, wo er 2008/09 Stammkraft unter Adi Hütter war, aber seine Dienste danach nicht mehr gefragt waren. Via Anif und Neumarkt kehrte Enzenberger in seine Heimat Gmunden zurück, er ist heute Projektmitarbeiter am Universitäts-Sportinstitut in Salzburg.

Michael Zaglmair (4x von Beginn, Torhüter) etablierte sich als Einser-Keeper in Kanada, er startete alle K.o.-Spiele. Der Mühlviertler wurde über Jahre als kommender LASK-Keeper aufgebaut, aber schon früh machte sein Knie ihm ein Strich durch diese Rechnung. Drei Jahre nach der WM und mit nur 24 Bundesliga-Einsätzen und ebenso vielen in anderthalb Jahren Regionalliga in Horn verschlug es Zaglmair der Liebe wegen nach Regensburg. Er arbeitet als Pressesprecher in der Regensburger Niederlassung des Reifenherstellers Continental.

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In memoriam Diego Maradona: Die Karriere des Goldjungen https://ballverliebt.eu/2020/11/26/in-memoriam-diego-maradona-die-karriere-des-goldjungen/ https://ballverliebt.eu/2020/11/26/in-memoriam-diego-maradona-die-karriere-des-goldjungen/#respond Thu, 26 Nov 2020 15:30:12 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=17262 In memoriam Diego Maradona: Die Karriere des Goldjungen weiterlesen ]]> Er wurde nur 60 Jahre alt, aber er hat gelebt für 100 Jahre – mindestens. Diego Maradona prägte den Weltfußball in den 1980ern wie kein anderer, sein technisches und spielerisches Genie sind ebenso unvergessen wie seine Allüren, seine Exzesse und seine Skandale. Der kaum mehr als 1,60m kleine Linksfuß verzauberte die Welt und vor allem in seiner Heimat Argentinien und in Neapel, wo er die beste Zeit seiner Karriere verbrachte, wird er wie ein Gott verehrt.

In memoriam: Dies war die Karriere des Pibe del Oro, des Goldjungen.

Die frühen Jahre

Diego Armando Maradona Franco wurde am 30. Oktober 1960 in Lanús, einem Stadtteil von Buenos Aires, geboren. Argentinien war nach dem Militärputsch gegen Juan Peron fünf Jahre zuvor und dem fragilen Ende der Junta 1958 ein Land auf der politischen und sozialen Suche nach sich selbst, der Versuch einer Demokratie unter dem linksgerichteten Artur Frondizi mündete in eine Militärdiktatur, ehe Peron zurückkam und Argentinien in eine Art Erbmonarchie umwandelte – die wiederum von General Videla weggeputscht wurde.

Die Begeisterung für den Fußball aber war eine Konstante im zweitgrößten Land Südamerikas – ähnlich wie in der Politik wechselten sich die Philosophien permanent ab. In den 1960er-Jahren war als Reaktion auf die Blamage mit der Schönspielerei bei der WM 1958 die Härte Trumpf, in den 1970ern löste César Luis Menottis technisches Tempo-Spiel („linker Fußball“, wie es genannt wurde) den Schlägertruppen-Kick á la Osvaldo Zubeldía ab.

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In dieser Zeit wurde Diego, ältestes von acht Kindern von Eltern, die aus der Provinz in die Hauptstadt gezogen waren, als Achtjähriger von Argentinos Juniors entdeckt. Er durchlief die Junioren-Teams des Klubs, dessen Stadion seit 16 Jahren Maradonas Namen trägt, und debütierte im Herbst 1976 in der Kampfmannschaft. Das Team stieg in den kommenden vier Jahren von einer der schwächsten Mannschaften der Liga zu einem Klub aus der erweiterten Spitze auf. Im Februar 1981 kam der Wechsel zu Maradonas Herzensklub, den Boca Juniors, zu Stande.

Maradonas erster Superclásico – 3:0 gegen River Plate

Sechs Wochen nach seinem ersten Einsatz für Boca kam es zu Maradonas erstem Superclásico – mit fünf amtierenden Weltmeistern auf dem Platz. Schon nach zwei Minuten bugsierte Maradona eine Flanke mit der Hand ins Tor, genauso wie er es fünf Jahre Später gegen England machen sollte, und kassierte dafür Gelb. Maradona, gerade 20 Jahre alt, zeigte sich trickreich und mit Tatendrang: Nach dem 1:0 durch Brindisi ließ er sich auch davon nicht stoppen, dass er von hinten niedergegrätscht wurde, stand auf, lief weiter, wurde geblockt, und Brindisi staubte zum 2:0 ab. Wenig später vollendete er einen Konter über Carlos Cordoba, in dem er noch im Fünferraum Tarantini und Fillol aussteigen ließ.

Boca gewann den Grunddurchgang der Saison 1981, schied im Playoff aber schon im Viertelfinale gegen Veléz Sarsfield aus. River wurde Meister.

Die erste WM: Der Druck ist zu hoch

Nur drei Monate nach seinem Liga-Debüt trug Maradona im Frühjahr 1977 erstmals das Trikot der argentinischen Nationalmannschaft. Teamchef Menotti traute dem jungen Burschen die mentale Belastung einer WM im eigenen Land aber noch nicht zu und berief Maradona nicht für die Heim-WM 1978 – die Argentinien gewann. Ein schwerer Schlag für das junge Jahrhundert-Talent, das Argentinien ein Jahr später in Japan zum U-20-Weltmeister-Titel führte.

Bei der WM 1982 stand Maradona, 22 Jahre alt, längst im Zentrum des argentinischen Teams, das in ansonsten annähernd unverändertem Personal die Titelverteidigung anging. Das Turnier in Spanien begann für Argentinien allerdings mit einem 0:1 gegen Vize-Europameister Belgien.

WM 1982: Auftakt-Niederlage gegen Belgien

„Da die argentinische Mannschaft sehr stark auf Maradona zugeschnitten ist, ist Menottis Truppe urplötzlich eine unberechenbare, wankelmütige Diva geworden“, konstatierte der Kicker nach dem Spiel. Star-Allüren waren ihm damals schon nicht fremd: Zu Maradonas Entourage gehörten neben seinem Manager noch zehn Familienangehörige, vier persönliche Freunde sowie sein persönlicher Pressesprecher.

„Nach der Niederlage kullerten Tränen über das braungebrannte Gesicht des Superstars, der völlig demoralisiert in einer Ecke saß und mit niemandem sprechen wollte“, so der Kicker nach dem Spiel gegen Belgien: „Der Stern am argentinischen Fußball-Himmel funkte bisher nur wenig Licht. Wieder einmal zeigte sich, dass er der großen Nervenbelastung nicht standhalten kann.“

Und weiter: „Torwart Fillol, ein ausgekochter und besonnener Profi, glaubt, dass Diego Maradona sich nur dann als Weltstar etablieren kann, wenn er auch Niederlagen und psychische Tiefschläge wegstecken kann.“ Worte mit Weitsicht. Bei der WM in Spanien konnte er das nicht: Argentinien rettete sich in die Zwischenrunde, verlor dort die erste Partie gegen Italien und war in der zweiten gegen Brasilien – die gewonnen werden musste – nach 85 Minuten mit 0:3 im Rückstand.

Maradona verlor die Nerven, trat Batista voll gegen das Knie und wurde ausgeschlossen.

Licht und Schatten beim FC Barcelona

Nach der WM 1982 blieb Maradona quasi gleich in Spanien, er wechselte von Boca zum FC Barcelona. In seiner ersten Saison beim Klub wurde Barcelona mit einem Final-Erfolg über Real Madrid Cupsieger, zudem wurde er nach einem seiner klassischen Tore zwischen Genie und Chuzpe im Liga-Match im Bernabeu von den Real-Fans mit Applaus bedacht. Sein Clash of Characters mit dem (allerdings recht schnell gefeuerten) Trainer Udo Lattek gehört koch heute zur Vereinsfolkore.

Dennoch: So richtig glücklich wurde Maradona in Barcelona nicht, auch nicht, nachdem 1983 Menotti dort sein Trainer wurde. In der Saison 1982/83 musste Maradona drei Monate wegen einer Hepatitis-Erkrankung aussetzen und als er sieben Spiele vor Saisonschluss zurückkehrte, war der Titelzug abgefahren. Am Beginn der neuen Saison wurde er im Spitzenspiel gegen den Meister aus Bilbao von Athletic-Verteidiger Goikoetxea brutal niedergestreckt, wieder musste Maradona monatelang zuschauen – sogar ein verletzungsbedingtes Karriereende stand im Raum.

Die Meisterschaft konnte man schon im Frühjahr mehr oder weniger abhaken, ehe man mit einer Siegesserie am Saisonende immerhin noch auf einen Punkt an Meister Athletic Bilbao herankam. Im Cupfinale kam es zum erneuten Aufeinandertreffen mit der robusten Kämpfer-Truppe von Trainer Javier Clemente – jener Mann, der später als spanischer Teamchef nichts mit Guiardiola anfangen konnte, weil der Pässe spielt und keine Zweikämpfe führt.

Cup-Finale 1984: Massenschlägerei gegen Athletic

Es war ein giftiges Spiel voller Feindseligkeiten, die Basken provizierten Maradona, wo sie nur konnten, vor allem nach der frühen Führung. Er wurde beinahe im Minutentakt umgetreten, oft durch fiese Fouls von hinten, mit gestrecktem Fuß – alles, um seinen Rhythmus zu brechen und sein Gemüt zu erhitzen. Athletic brachte die knappe Führung über die Zeit und holte das Double, aber nach dem Schlusspfiff des extra theatralischen Referees Ángel Franco brach der aufgestaute Frust heraus.

Die Massenschlägerei unter den Augen von König Juan Carlos, der die Siegerehrung vornehmen sollte, war der unrühmliche Höhepunkt von Maradonas letztem Spiel für den FC Barcelona werden. Dem Klub war sein exaltiertes Verhalten auf und neben dem Platz schon länger ein Dorn im Auge, Maradona vermisste die Rückendeckung von Seiten des Vereins. Letztlich waren beide Seiten froh, dass Napoli den immer noch erst 23-Jährigen in die Serie A holte.

Der Durchbruch: Die WM 1986

Etwa zeitgleich zu Maradonas Wechsel an den Vesuv entschied sich Argentiniens neuer Teamchef Carlos Bilardo zu einer extremen Maßnahme: Nach einer besonders ernüchternden Tour durch Europa opferte Bilardo einen Stürmer zugunsten eines dritten Innenverteidigers und zog die Flügelspieler weit zurück. Dieser ultra-defensive Zugang mit fünf Verteidigern hinter drei zentralen Mittelfeldspielern lockte die Gegner heraus und so bekam der Zehner – nominell als zweite Spitze aufgestellt, aber tatsächlich mit vielen Freiheiten ausgestattet – Räume.

Ein Fest für Maradona.

Bis zur WM-Endrunde in Mexiko 1986 hatte Maradona das Image als unglaublich talentierter, aber nervenschwacher Heißsporn, den seine Nerven im entscheidenden Moment im Stich lassen. Ein guter Spieler, zweifellos, aber nicht in der Lage, ein Team zu schultern, wenn es sich auf ihn verlässt. In Mexiko aber widerlegte Maradona alle Kritiker.

WM-Viertelfinale 1986: Solo-Tor und Hand Gottes

Ohne größere Probleme kam Argentinien durch die Vorrunde, mit Siegen gegen Südkorea und Bulgarien sowie einem 1:1 gegen Italien, wobei Maradona den Ausgleich erzielte. Nachdem man das Achtelfinale gegen die Brutalo-Fraktion aus Uruguay heil überstanden hatte, ging es ins Viertelfinale gegen England. Und ab da drehte Maradona erst so richtig auf.

Seine beiden Tore in dem nach dem Falklandkrieg auch emotional aufgeheizten Spiel in der Mittagshitze des Azteken-Stadions gehören zu den berühmtesten der Fußball-Geschichte. Nach torloser erster Halbzeit wollte Maradona in der 51. Minute, in den Strafraum ziehend, zum Doppelpass mit Valdano ansetzen. Hodge funkte dazwischen, hob den Ball aber genau in Maradonas Laufweg zurück vor das Tor. Dieser ging ebenso wie Englands Torhüter Peter Shilton hoch zum Ball, dieser wurde leicht abgelenkt und landete schließlich zum 1:0 im Tor. Kopfball, dachte Referee Bennasser aus Tunesien. Den Protesten der Engländer zum Trotz hatte auch Linienrichter Bogdan Dotshev aus Bulgarien nichts gegen den Treffer einzuwenden.

Dabei war es die Hand. Nach dem Spiel sagte Maradona augenzwinkernd, es war wohl eine Mischung aus dem Kopf Maradonas und der Hand Gottes gewesen. Die Phrase, die Diego immer begleiten würde, war geboren. Vier Minuten später setzte er im Mittelfeld zu einem Solo an, nahm es mit jedem auf, der sich ihm in den Weg stellte und schloss auch noch selbst zum 2:0 ab. Das „Tor des Jahrhunderts“ – the most famous and the most infamous goal, innerhalb weniger Augenblicke.

Auch im Halbfinale gegen Belgien erzielte Maradona beide Tore, eine späte Revanche für die Niederlage im Auftaktspiel von 1982. Im Endspiel gegen die Bundesrepublik Deutschland führte Argentinien schon 2:0, ehe die Deutschen aus zwei Eckbällen zum 2:2 ausglichen. Maradona aber, der von Matthäus gekonnt bewacht worden war, packte kurz vor Schluss einen weiteren Geniestreich aus. Seine Vorlage verwertete Burruchaga zum 3:2-Siegtreffer.

Argentinien war Weltmeister, und sie hatten es – überspitzt formuliert – nur einem Mann zu verdanken. El Pibe de Oro, der Goldjunge, war mit 25 Jahren am Gipfel angekommen.

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Lebende Legende in Neapel

Als er 1984 von Barcelona zu Napoli ging, war der Klub zweimal nur knapp dem Abstieg entgangen. Die Verpflichtung Maradonas war ein Risiko für den Verein, aber es zahlte sich aus. In seiner ersten Saison am Vesuv erzielte Maradona in der berüchtigt defensivstarken Serie A 14 Tore an den 30 Spieltagen und Napoli landete im sicheren Mittelfeld, 1986 schaute bereits der dritte Platz heraus. Wie einst bei Argentinos Juniors.

Die Fans aus Neapel lagen Maradona von der ersten Sekunde an zu Füßen. Über 70.000 Menschen kamen zu seiner Vorstellung im San Paolo, und der in Barcelona Verstoßene fühlte sich von Beginn an wohl. Hier, im heißblütigen und gleichzeitig dankbaren Neapel, war er der Liebling der Massen, er genoss die Freiheiten auf dem Platz und die Mentalität der Menschen.

Von der WM als Weltstar nach Neapel zurück gekehrt, war alles so wie es sein musste. Das Team war von Trainer Ottavio Bianchi in seiner zweiten Saison perfekt eingestellt, und gegen den Trickser in der Form seines Lebens waren selbst die hartgesottenen Verteidiger der Serie A machtlos. Von den ersten 22 Spielen der 30 Matches umfassenden Saison verlor Napoli nur ein einziges.

Der Heimsieg über Juventus – de facto das Meisterstück

Nach dem 2:1-Sieg über Juventus (trainiert von Ex-Napoli-Coach Rino Marchesi) am 24. Spieltag führte man die Tabelle mit fünf Punkten, also mit der Zwei-Punkte-Regel mit zwei Siegen und einem Remis Vorsprung, an. Der Erfolg über die Alte Dame war gefühlt die Meisterschafts-Entscheidung. Es war der erste Titel überhaupt für einen Klub südlich von Rom – für den Mezzogiorno, immer schon eine vernachlässigte und arme Gegend, bedeutete der erste Scudetto für Napoli alles. Eine Woche lang wurde Titel-Karneval gefeiert. Und danach wurde dank des Finalsieges über Atalanta im Cup sogar das Double fixiert.

Das frühe Aus im Meistercup in der 1. Runde gegen Real Madrid in der Saison 1987/88 war zu verschmerzen, dass die Titelverteidigung nach sieben Monaten an der Tabellenspitze mit einer 2:3-Heimniederlage am drittletzten Spieltag gegen Milan verspielt wurde, tat aber doch weh. Ein Jahr nach dem umjubelten Titel trug sich Maradona sogar mit Abwanderungsgedanken, zumal das 2:3 gegen Sacchis Milan wegen einer Muskelzerrung im linken Bein sein letzter Saisoneinsatz war. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.

UEFA-Cup-Sieg mit Klasse und Glück

Maradona blieb und Napoli wirbelte im Herbst 1988 durch die Serie A. Ein 8:2 gegen Pescara, ein 5:3-Sieg auswärts bei Juventus Turin, ein 4:1-Heimerfolg gegen Milan. Napoli spielte wieder eine starke Saison, holte wie im Vorjahr 1,4 Punkte pro Spiel, aber gegen die Siegmaschine von Inter (26 Siege in den 34 Spielen) war man machtlos – es wurde wieder Platz zwei.

Dafür klappte es 1988/89 im UEFA-Cup nach Wunsch. Aus dem Training heraus mühte man sich vor dem späten Ligastart im Oktober über PAOK Thessaloniki drüber, es folgten Siege gegen Lok Leipzig und Girondins Bordeaux. Nach dem Winter verlor Napoli das Viertelfinal-Hinspiel bei Juventus jedoch mit 0:2, das 3:0 nach Verlängerung im undurchsichtigen Nebelsud des Rückspiels war dann aber die Initialzündung. Im Halbfinale war Bayern München kein Gegner – die Leichtigkeit wurde perfekt symbolisiert von Maradonas Aufwärm-Übungen zu Opus‘ „Live is Life“ im Münchner Olympiastadion.

Im Finale wartete der VfB Stuttgart, bei dem Stürmerstar Jürgen Klinsmann vor dessen Wechsel zu Meister Inter im Hinspiel gelbgesperrt. Dennoch waren die Schwaben im San Paolo keineswegs eingeschüchtert. Nach einer Viertelstunde griff Napoli-Goalie Giuliani bei einem Weitschuss von Gaudino noch dazu daneben, Stuttgart führte 1:0 und hatte das so wichtige Auswärtstor.

Napoli drehte das UEFA-Cup-Finalhinspiel gegen Stuttgart

Maradona hatte einen schweren Stand gegen Jürgen Hartmann, mit der Führung im Rücken verlegte sich Stuttgart zudem darauf, Napoli nicht in den Strafraum kommen zu lassen. Nach einer Stunde wirkten die Italiener schon recht ratlos, ehe sie von einer wilden Fehlentscheidung des griechischen Referees Gerassimos Germanakos profitierten. De Napoli hob einen Ball in den Strafraum in eine Spielertraube, Stürmer Carnevale kam mit der Hand an die Kugel, die zu Maradona weitersprang. Der Argentinier stoppte sich den Ball ebenfalls mit der Hand, zog ab, und aus kaum einem Meter Entfernung bekam Günther Schäfer den Schuss an den angelegten Arm – und da zeigte Germanakos auf den Elfmeter-Punkt.

Maradona verwandelte zum 1:1 und die Stuttgarter waren so aufgebracht, dass sie ihre Linie ein wenig verloren, Napoli bekam die zweite Luft und kurz vor Schluss gelangte ein langer Ball von der Mittellinie zu Maradona, der legte zu Careca quer. Das 2:1, der Siegtreffer.

Zwei Wochen später beim Rückspiel in Stuttgart besorgte Alemão nach 20 Minuten die Führung für Napoli. Klinsmann glich zwar postwendend aus, aber den Deutschen fehlte nach vorne der klare Plan und hinten der gelbgesperrte Buchwald. So kamen die Italiener durch einen Energieanfall von Ciro Ferrara, Doppelpass mit Careca inklusive, noch vor der Pause zum 2:1 und Careca besorgte nach einer Stunde das 3:1. Damit war Napoli 5:2 im Gesamtscore voran – Stuttgart drückte nach dem Anschlusstreffer zwar noch nach Kräften, aber mehr als das 3:3 von Olaf Schmäler in der Nachspielzeit schaute nicht mehr heraus.

Ein halbes Jahr später wurde Napoli im Achtelfinale des UEFA-Cups daheim von Werder Bremen zum 1:3 ausgekontert, einmal griff Giuliani daneben, zweimal waren die Bremer Angreifer um Wynton Rufer zu flink. Zwei Wochen später wurde man in Bremen sogar mit 1:5 abmontiert. Maradona war mittlerweile fast zu sehr der Alleinunterhalter in der Offensive geworden: Hatten 1987/88 Carnevale und Careca noch 32 Tore beigesteuert, waren es in der folgenden Saison nur noch 21 und Maradona, schon zwei Jahre zuvor Torschützenkönig, riss Napoli heraus.

In den ersten 16 Liga-Spielen der Saison 1989/90 blieb Napoli ungeschlagen und im Dezember betrug der Vorsprung auf den Zweiten Sampdoria schon vier Punkte, wirklich überzeugen konnte man aber nur in den Top-Spielen (3:0 gegen Milan, 2:0 gegen Inter) – die Regel waren mühsame 1:0-Siege sowie diverse Unentschieden gegen Nachzügler wie Cesena oder Cremonese. Im Nachhinein betrachtet zeigte sich im Herbst 1989 erstmals, dass das Team als Ganzes seinen Zenit wohl schon überschritten hatte. Erfolgstrainer Ottavio Bianchi war nach dem UEFA-Cup-Sieg zur Roma weitergezogen, Alberto Bigon war von Cesena als Nachfolger verpflichtet worden.

Mit Fortdauer der Saison wurden zwar die Pflichtsiege eingefahren, dafür letzte es deutliche Niederlagen gegen Lazio (0:3), Milan (0:3) und Inter (1:3), womit man die Tabellenführung gegen Arrigo Sacchis großes Milan verspielte. Nach einem 1:2 gegen Sampdoria schien fünf Spiele vor Schluss alles vorbei und der dritte Vizemeister-Titel in Folge bahnte sich an. Doch im Endspurt patzte auch Milan, ließ einen Punkt in Bologna liegen und verlor in Verona – Napoli gewann die letzten fünf Partien allesamt und war Meister.

1987 Meister, 1988 Zweiter, 1989 Zweiter, 1990 Meister – dazu Cupsieger 1987, UEFA-Cup-Sieger 1989, Torschützenkönig 1988 – in seinen vier Jahren als Weltmeister war Maradona zweifellos der König der Fußballwelt.

Diego allein gegen Italien

Das argentinische Nationalteam hingegen lieferte nach dem Titelgewinn vier eher peinliche Jahre ab. Bei der Copa América 1987, im eigenen Land ausgetragen, hievte Maradona seine Mannschaft noch ins Halbfinale. Zwei Jahre später, bei der Copa América 1989, erzielte Argentinien nur zwei Tore in sieben Spielen.

Die WM in Italien begann, wie man es nach dem Verlauf der vorangegangenen Jahr fast befürchten musste: Mit einer 0:1-Blamage gegen Kamerun. Nach dem 2:0 über die Sowjetunion und einem müden 1:1 gegen Rumänien humpelte Argentinien als Gruppendritter ins Achtelfinale. In der Heimat bot sich Carlos Bilardos Intimfeind Menotti bereits als dessen Nachfolger an, Maradona wirkte nach der anstrengenden Saison, auf der so viel Verantwortung auf seinen Schultern gelastet hatte, ausgelaugt.

Und dann wartete im Achtelfinale auch noch Brasilien. Der große Gegner aus Südamerika dominierte das Match, lief sich aber in der argentinischen Abwehr fest – bis zehn Minuten vor Schluss Maradona zu einem Solo ansetzte, vier brasilianische Abwehrspieler auf sich zog und den Ball zum völlig freistehenden Claudio Caniggia durchstecken konnte. Das 1:0, das goldene Tor, der Sieg.

Wie schon 1986 stellte Bilardo sein Team vornehmlich auf das Zerstören ein, während Maradona für die Glanzpunkte sorgen sollte. Der Unterschied zu 1986: Der zynische Anti-Fußball wurde auf seine nervtötende Spitze getrieben – Treten und Meckern, Theatralik und Schauspielkunst, sogar vor gesundheitsgefährdendem Schummeln schreckte man nicht zurück. Das ging so weit, dass man dem Brasilianer Branco eine Wasserflasche reichte, die mit Tranquilizern versetzt war. „Da war ein bisschen gesegnetes Wasser drin“, grinste Maradona schon während des Turniers. Jahre später räumte sogar Bilardo ein, dass die Geschichte mit dem gepanschten Drink nicht erfunden war.

Im Viertelfinale hielt man Ivica Osims Jugoslawen über 120 Minuten bei einem 0:0 und gewann danach im Elfmeterschießen, Maradona selbst vergab zwar, aber Jugoslawien brachte nur zwei der fünf Versuche im Tor unter. Im Halbfinale ging es gegen Italien. Den Gastgeber, der bis dahin ein starkes Turnier gespielt hatte. Das Spiel fand in Neapel statt. Ausgerechnet.

Heimspiel in Neapel: WM-Halbfinale 1990 gegen Italien

„Der Rest Italiens schaut auf euch herunter“, ließ Maradona im Vorfeld in einem Appell an die Neapolitaner verlauten. Er jedoch, Maradona, ist derjenige, der ihnen mit den sportlichen Erfolgen Selbstvertrauen gegeben hat, eine Form von Stolz, die man südlich von Rom gegenüber dem reichen Norden nie mit so viel Recht vertreten konnte. Er, Madarona, ist das eigentliche Kinder der Stadt, er repräsentiert die napolitanische Art und Weise zu Leben. Also sollten die Fans ihre nationalen Gefühle hinanstellen und im Halbfinale stattdessen für Argentinien singen. „Es ärgert mich, dass die Neapolitaner 364 im Jahr nicht als Italiener gelten“, sagte Diego, und wenn, dann als Abschaum des ganzen Landes, „und jetzt sollen sie Italien unterstützen?“

„Diego nei cuori – Italia nei cori“, verlautete ein gut sichtbares Spruchband im San Paolo („Diego in den Herzen, Italien in den Gesängen“), aber Maradonas Worte waren nicht wirkungslos geblieben. Die Italiener waren ernsthaft besorgt, dass sich das WM-Halbfinale auf eigenem Boden wie eines der gefürchteten Auswärtsspiele in der Serie in Neapel anfühlen wurde. Das tat es zwar nicht, aber ganz so feurig wie in den vergangenen Spielen in Rom war der Support für die Squadra Azzurra auch nicht. Die argentinische Hymne wurde nicht mit Pfiffen, sondern mit Applaus begleitet.

Toto Schillaci brachte Italien in einem intensiven Spiel nach einer Viertelstunde in Führung und Italien, auch nach fünfeinhalb Spielen ohne Gegentor im Turnier, schien auf dem Weg ins Finale – ehe Keeper Walter Zenga nach einer Stunde zu ungestüm aus dem Tor heraus kam und Caniggia zum 1:1 traf. Dabei blieb es nach 90 und 120 Minuten, wobei Ricardo Giunti in der Verlängerung die rote Karte sah. Wieder ging es ins Elfmeterschießen. Als Maradona antrat und auch traf, wurde er von den Fans bejubelt. Eine Minute später scheiterte Aldo Serena. Argentinien war im Finale.

Ohne Giusti sowie die gelbgesperrten Caniggia, Batista und Olarticoechea, ohne große Kraftreserven nach zweimal 120 Minuten und zunehmend auch ohne Nerven verlor man das Finale gegen Deutschland. Die Zuseher in Rom hatten Maradonas Aussagen vor dem Halbfinale nicht vergessen, standen wie ein Mann hinter dem DFB-Team, Maradona wurde bei jedem Ballkontakt gnadenlos niedergepfiffen und von Buchwald konsequent aus dem Spiel genommen. Argentinien beendet das Match nach zwei Ausschlüssen mit acht Feldspielern – und als Paria in den Augen vor allem der italienischen Medien und Tifosi.

Aus dem Paradies vertrieben

Das WM-Halbfinale gegen Italien, obwohl siegreich bestritten, wurde zum Wendepunkt in Maradonas Karriere. Die Medien hielten Maradonas Drogen-Exzesse nun nicht mehr unter Verschluss – Diego war zwar schon im Grunde seit Beginn seiner Zeit in Neapel drogenabhängig und unterhielt auch freundschaftliche Bande zur allgegenwärtigen neapolitanischen Unterwelt, in Zeiten des Erfolges wurde dies aber für die Öffentlichkeit unter den Teppich gekehrt. Das war vorbei.

Hinzu kam, dass sein Körper – Maradona wurde im folgenden Herbst 30 Jahre alt – immer öfter zu Zwicken begann. Sein Rücken verhinderte ein Mitwirken gegen Cagliari (1:2), sein Knöchel einen Einsatz gegen Genoa (1:1). Vor dem Match gegen Bari (0:0) nahm sich ein matter Maradona selbst aus dem Kader, um zwei Tage nach dem Spiel unangemeldet und völlig aufgedreht zum Training zurückzukommen. Napoli gewann ohne Maradona kein einziges Spiel, aber mit ihm sah es auch nur durchschnittlich aus – vier Siege, drei Niederlagen. Im Meistercup schied man im Achtelfinale im Elfmeterschießen gegen Spartak Moskau aus. Ohne Maradona, der geschwänzt hat. Napoli stellte ob dieser Arbeitsverweigerung die Gehaltszahlungen ein.

Gerüchte über finanzielle Troubles machten in Folge der Trennung von seinem Manager Guillermo Coppola die Runde. Im Dezember klagte Napoli bei Maradona auf Rückzahlung von Gehaltsvorschüssen und die Kündigung von Werbeverträgen über eine in Liechtenstein ansässige Briefkastenfirma. Zeitgleich bestätigte ein Vaterschaftstest, dass er vier Jahre zuvor ein Dienstmädchen geschwängert hatte. Es wurde spekuliert, dass er nach dem Weihnachtsurlaub gar nicht nach Neapel zurückkehren würde, letztlich blieb Maradona über die Feiertage aber sogar in Italien. Im Laufe des Winters kam ein Prozess um Drogenhandel dazu.

Sein Tor bei der 1:4-Niederlage gegen Meister Sampdoria am 24. März – sein erst sechstes in der laufenden Saison – war das letzte im Trikot von Napoli. Wenige Tage später lieferte ein Doping-Test einen positiven Befund auf Kokain. Frau Claudia und die Kinder Dalma (3) und Giannina (zehn Monate, die spätere Ehefrau von Sergio Agüero) verließen Italien sofort, 24 Stunden später füchtete auch Diego in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Argentinien.

Zur Urteilsverkündung am 6. April 1991 war er also gar nicht mehr in Italien. Er fasste eine 15-monatige Sperre für jegliche bewerbsmäßige fußballerische Tätigkeit aus – bis zum Ende der Saison 1991/92. Der Kicker fasste zusammen: „Was haben sie ihm nicht schon alles vergeben, diesem immer etwas zu dicken und immer etwas zu faulen sportlichen Genie, das nur in Neapel denkbar war. Nirgendwo auf der Welt ist ein Sportler leidenschaftlicher geliebt worden als dieser Mann in dieser Stadt. Nirgendwo sonst wurden die Launen eines Spielers so geduldig toleriert. Und nirgendwo sonst konnte einer so tief fallen wie Maradona in Neapel. Er wurde langsam aber zielsicher zur Parodie eines Profis.“

Die Transfer-Posse des Jahres

Als im Sommer 1992 die Sperre ablief, hatte Maradona immer noch einen gültigen Napoli-Vertrag für ein weiteres Jahr. Klub-Präsident Ferlaino pochte auf Einhaltung und konnte sich die Boshaftigkeit nicht verkneifen, Maradona nochmal eine 200.000-Dollar-Strafe aufzubrummen, weil er ja nicht zum Trainingsauftakt in Neapel erschienen ist. Maradona betrachtete das Gezerre um ihn daheim in Buenos Aires – auf polizeilich überwachtem Entzug und vorläufig ohne Ausreiseerlaubnis.

Ferlaino wusste, dass Maradona schon alleine wegen der Prozesse nicht nach Italien zurückkehren wollte, er wollte aber auch nicht vor den Fans als derjenige dastehen, der Maradona gehen ließ. Ferlaino pokerte, dass er nur mit südamerikanischen Klubs verhandeln wolle, die sich Maradona aber nicht leisten konnten. Er verlangte Maradonas Rückkehr, im Gegenzug forderte Maradona ein Jahressalär von fünf Millionen Dollar – damals eine unerhörte Summe.

Nach viel hin und her – die Posse dominierte die Schlagzeilen im Sommer 1992 – stellte Maradona Mitte August klar: Entweder, Ferlaino lässt mich zu Sevilla und Trainer Carlos Bilardo gehen, oder ich höre auf.

Bilardo schlug in Andalusen derweil in die selbe Kerbe („Entweder Maradona kommt, oder ich trete zurück!“), auch Boca Juniors und Palmeiras aus São Paulo gaben Bewerbungen um Maradona ab. Nach zwei Monaten Zank stellte sich die FIFA zwischen die Fronten und stellte ein Ultimatum, Napoli erlaubte nun zumindest Verhandlungen. Am 13. September landete Maradona in Erwartung einer baldingen Einigung in Sevilla, am 22. September war alles in trockenen Tüchern.

Pointe bei Maradonas Transfer zu Sevilla: Der Großteil der 3,5 Millionen Dollar Ablöse bezahlte Milan-Präsident Silvio Berlusconi – unter der Bedingung, dass seine TV-Kanäle die vielen geplanten Show-Spiele übertragen darf.

Das andalusische Missverständnis

Manolo Jimenez lieferte pflichtschuldig die Kapitänsbinde bei Maradona ab und Bilardo stellte das Team schon darauf ein: Ab sofort werden ihr in der Öffentlichkeit Statisten neben Diego sein. Aber verlasst euch auf sein Können, dann wird sich das auszahlen. Und in den ersten Monaten tat es das tatsächlich: Maradona war zwar nicht gerade top-fit und nach eineinhalb Jahren Sperre sichtlich ohne Matchpraxis, aber seine brillianten Momente sorgten für einen guten Herbst.

Sein erstes Spiel war am 4. Oktober in Bilbao, gegen jenen Klub, gegen den acht Jahre zuvor seine erste spanische Karriere in einer Massenschlägerei endete. Sevilla etablierte sich zwischen den Plätzen fünf und sieben, was angesichts des Kaders und der schwachen Vorsaison recht gut war. Der Höhepunkt von Maradonas Herbst in Sevilla sollte das Match gegen Real Madrid kurz vor Weihnachten werden. Er trickste wie zu Glanzzeiten und führte Sevilla zu einem hochverdienten 2:0-Erfolg.

Glanzleistung beim 2:0-Erfolg über Real Madrid

Die Flitterwochen-Phase dauerte aber nur ein paar Monate. Der Klub behandelte Maradona nicht wie einen Gott, sondern wie einen 32-Jährigen nach einer Drogensperre. Diego sah das nicht ein, sein Privatleben war von Professionalität weit entfernt, er hielt sich nicht an Absprachen mit dem Klub was außertourliche Aktivitäten wie eine Reihe von Exhibition-Länderspielen anging. Als er auch noch Trainer Bilardo gegen sich aufbrachte, war klar, dass es keine zweite Saison mit Maradona in Sevilla geben würde.

Abschied mit einem Knall

Maradona ging heim nach Argentinien und schloss sich 1993 Newell’s Old Boys an, kam dort aber nur sporadisch zum Einsatz und überwarf sich innerhalb kurzer Zeit mit dem Trainer. Schon im Winter 1993/94 wurde der Vertrag wieder aufgelöst. „Diego ist nicht in der Lage, mit Anstand und Würde in einer ihm gemäßen Art zu spielen“, hieß es von Vereinsseite dazu. Reporter, die vor Maradonas Haus auf eine Stellungnahme des Stars wartete, wurden von diesem mit einem Luftgewehr beschossen.

Coco Basile, Argentiniens Teamchef zu dieser Zeit, berief Maradona wie den ebenfalls nach einjähriger Drogensperre wieder spielberechtigten Caniggia dennoch für die WM in den USA. Die Qualifikation war mit viel Mühe und diversen Peinlichkeiten überstanden worden und mit dem Duo hoffte Basile darauf, die Vergangenheit wieder aufwärmen zu können. Überall sonst wurde die Einberufung Maradonas eher mit Belustigung zu Kenntnis genommen. Madarona als spielendes Maskottchen, quasi: Es könne sein, dass Maradona tatsächlich seine einstige Klasse aufblitzen lässt, prophezeite der Kicker: „Es kann aber auch sein, dass er vorzeitig nach Hause fährt, weil ihm das Frühstücks-Ei zu hart ist.“

Maradonas letztes Länderspiel: Sieg gegen Nigeria

Letztlich wurde es irgendwie beides. Maradona tauchte mit einem ungewohnten Kurzhaarschnitt auf und wirkte tatsächlich relativ fit, es war auch großer Einsatzwille zu erkennen. Er spielte als Zehner hinter Batistuta, mit zwei offensiven Flügelstürmern – beim 4:0 zum Auftakt gegen Griechenland war sein Aktionsradius zwar gering, seine Aktionen selbst aber ließen erahnen, was er drauf haben könnte. Auch im zweiten Spiel gegen Nigeria kam eine sehenswerte Vorstellung heraus, bei der Maradona beide Tore zum 2:1-Sieg vorbereitete.

Die nach dem Spiel abgegebene Doping-Probe enthielt jedoch Spuren von Ephedrin. Maradona wurde sofort von der WM ausgeschlossen und blickte seiner nächsten 15-monatigen Sperre entgegen. Auch an seinen Teamkollegen ging das Geschehen nicht spurlos vorbei. Es folgten ein 0:2 gegen Bulgarien im dritten Gruppenspiel und das Aus durch ein 2:3 gegen Rumänien im Achtelfinale.

Fade-Out und Trainer-Maskottchen

Nach Ablauf der Sperre dockte Maradona im Herbst 1995, mittlerweile fast 35-jährig, bei Boca Juniors an. In der Frühjahrs-Meisterschaft 1996 spielte Boca unter Trainer Bilardo lange vorne mit, aber gegen Ende der Saison ging die Puste aus. Maradona, mit schon etwas mehr als einem deutlichen Bauchansatz, pausierte bis Sommer 1997, kam danach zurück, lieferte aber prompt den nächsten positiven Drogen-Test ab. Es winkte eine dritte Sperre, aber bevor das Urteil gefällt wurde, verkündete Maradona exakt an seinem 37. Geburtstag das Karriereende.

Sein letztes Match als Profifußballer war ein Superclásico. Boca gewann 2:1.

Madaronas letztes Spiel – ausgerechnet ein Superclásico

Noch bis 2001 gab es alle möglichen Abschiedsspiele und Maradona blieb als omnipräsente Stimme zu alles und jedem stets präsent. 2008 wurde er dann sogar höchst selbst Teamchef von Argentinien, die WM 2010 endete aber auch wegen seiner vorsintflutlichen Arbeit mit einem deftigen 0:4 gegen Deutschland im Viertelfinale. Vier Jahre später bei der WM in Brasilien sah die ganze Welt zu, wie er auf der Tribüne jubelte, litt und eben einfach er war.

In der Folge nahm Maradona alle möglichen Trainerjobs an, er wirkte aber oft eher als ein Marketing-Gag und ein Maskottchen, weniger wie ein ernsthafter Trainer. Dynamo Brest in Weißrussland ernannte ihn prompt zum Ehrenpräsidenten, beim mexikanischen Zweitligisten Dorado hielt es ihn sogar fast ein ganzes Jahr, zuletzt fungierte er als Trainer bei Gimnasia y Esgrima de la Plata in der argentinischen Primera Division – und hätte der Verband nicht entschieden, den Abstieg wegen der Pandemie auszusetzen, wäre er in die 2. Liga abgestiegen.

Am 30. Oktober 2020 wurde Maradona 60 Jahre alt, drei Tage später wurde er mit einem Blutgerinnsel im Gehirn ins Krankenhaus eingeliefert. Zehn Tage danach durfte er das Krankenhaus verlassen, zwei Wochen später erlitt Maradona eine Herzattacke.

Diese überlebte er nicht.

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