Vier Clasicos in 17 Tagen – und im ersten davon (dem in der Liga) war sich Mourinho nicht zu schade, daheim auf Ballbesitz zu verzichten. Nach 50 Minuten gegenseitigem Belauern bracht erst Barças Führung und Albiols Ausschluss Bewegung in die Partie. Die hatte es dann aber in sich.
150 Liga-Heimspiele in Folge hatte Mourinho nicht verloren. Bis zum 0:1 gegen Gijon – und die Gefahr war gegeben, dass es im ersten von vier Clasicos in 17 Tagen gleich die nächste hinterher gab. Denn die Erinnerung an das 0:5-Debakel im Camp Nou im November lebt noch. Die besondere Konstellation ergab vor dem Spiel aber auch besondere Fragen. Denn die Tatsache, dass dieses erste Spiel das bedeutungsloseste davon ist – die Meisterschaft ist so oder so praktisch entschieden – hatte wohl auch Einfluss darauf, inwieweit Mourinho seine Lehren aus dem 0:5 einsetzt, ohne sich eventuelle Überraschungsvarianten für die drei folgenden Spiele schon jetzt zu zerschießen.
Mourinho opferte für dieses Spiel Özil für Pepe – und der Portugiese hatte einen klaren Auftrag: Verhindern, dass sich Messi zwischen Verteidigung und Mittelfeld ausbreiten kann. Wann immer sich Messi je 15 Meter links und rechts vom Zentrum zwischen den Reihen aufhielt, war Pepe nicht weit. Er war also kein Sechser im klassischen Sinn, sondern mehr ein Kettenhund. Mit Erfolg: Bis auf zwei Szenen war Messi in der kompletten ersten Hälfte kein Faktor.
Zwar war die Formation bei Mourinho ein 4-3-3, aber eben ein sehr defensiv ausgelegtes: Das Dreier-Mittelfeld bestand aus einem sehr tief stehenden Kettenhund und zwei vornehmlich Defensiven, wie üblich Xabi Alonso und Khedira. Die Formation mit sieben defensiven Feldspielern hieß bei Real aber auch: Rückzug! Die Madrilenen überließen Barça bereitwillig den Ball und verzichteten zumeist auch auf ein wirklich konsequentes Pressing. Dafür war Messi gut aufgehoben, machten außerdem Marcelo (gegen Pedro) und Ramos (gegen Villa) defensiv einen herausragenden Job. Vorsicht war bei allem Ballbesitz – zuweilen bis 75% – aber auch bei den Gästen aus Barcelona oberste Bürgerpflicht.
So ging Dani Alves kaum einmal über die Mittellinie und wenn doch, war der extrem starke Marcelo sofort zur Stelle. Risikopässe wurden bei den Blaugrana komplett gemieden. So standen sich zumeist die beiden Mannschaften gegenüber wie zwei Schwergewichtsboxer, von denen keiner zuerst einen womöglich entscheidenden Fehler, keiner zuerst seine Deckung etwas lüften will.
Real attackiert früher
Nach etwa einer halben Stunde ging Xabi Alonso etwas weiter nach vorne und auch die anderen Madrilenen störten die Kreise von Barcelona nun etwas früher. Die gewohnten Ballstaffetten der Gäste wurden so immer mehr gestört, es gelang nun noch weniger, gemütlich im Mittelfeld den Ball hin und her zu schieben und auf die Lücke zu warten. Auch machte Real zunächst nicht wie im November den Fehler, eine allzu hohe Verteidigungslinie zu spielen – es gelang Barcelona nur ein einziges Mal, mit einem schnellen Steilpass hinter die Viererkette zu kommen.
So hatten zwar die Katalanen konstant über zwei Drittel Ballbesitz, aber die individuellen Duelle entschieden trotzdem eher die Madrilenen für sich: Marcelo war auch nach vorne effektiver als Dani Alves, Pepe hatte Messi gut im Griff, Villa machte gegen Ramos keinen Stich. Und Di María provozierte immer häufiger leichte Ballverluste, die mit schnellem Umschalten zu einem Chancenplus für Real führten – so vergab Ronaldo ungewohnt kläglich, so musste kurz vor der Halbzeit ein Ball von der Linie gekratzt werden.
Strafe für höhere Verteidigung
Zu Beginn der zweiten Halbzeit wollte Mourinho offenbar den Druck auf das Barcelona-Mittelfeld weiter erhöhen, denn die Abwehrkette stand nun deutlich höher als noch im ersten Durchgang. Ein hohes Risiko – denn genau das hatte ja, wie erwähnt, massiv zum 0:5-Debakel im November beigetragen. Und auch diesmal dauerte es nur ein paar Minuten, bis dieses Risiko bestraft wurde: Ein schneller Steilpass auf Villa (genau so hatte er seine zwei Tore beim 5:0 gemacht), und Albiol kann sich nur noch mit einer Ringereinlage helfen. Einzig korrekte Entscheidung: Rot für Albiol, Elfer für Barcelona. Den Messi über die Linie zitterte – das 1:0.
Mourinho reagierte umgehend auf die Unterzahl – aber nicht mit einem neuen Verteidiger. Stattdessen rückte Pepe zurück in die Viererkette, Özil kam statt Benzema auf den Platz und nahm die rechte Seite ein, Cristiano Ronaldo rückte von dort in die Spitze. Real agierten nun mit einem klaren 4-4-1 und bekam das Spiel besser in den Griff – auch natürlich, weil Barça das zuließ.
Barcelona verlegt sich auf Halten
Das Team von Pep Guardiola wusste: In Führung, ein Mann mehr – das Spiel kann eigentlich nicht mehr verloren werden. Und mehr hatte Barcelona offenbar auch nicht im Sinn, denn einen Ausgleich mehr oder weniger billigend in Kauf nehmend, zog man sich nun, völlig untpyisch, etwas zurück. Was aber sicher auch zu einem großen Teil an der wieder aufbrechenden Verletzung von Puyol lag: Denn statt ihm musste Busquets in die Verteidigung, Seydou Keita musste den Part im defensiven Mittelfeld übernehmen. Und das kann er nicht auf höchstem Niveau, was der Grund war, warum Guardiola das Risiko mit Puyol überhaupt eingegangen war.
Real nahm diese Einladung dankend an und vor allem Angel di María nützte nun die defensive Spielweise von Dani Alves aus. Es ist keine neue Erkenntnis: Das Verteidigen ist keine der ganz großen Stärken des Brasilianers, und so bereitete ihm Di María – vom sehr fleißigen Marcelo unterstützt; auch Özil machte auf seiner Seite nun ganz gut Betrieb.
Neue Variante: Khedira als Zehner
Trotzdem musste Di María in Minute 67 weichen, ebenso wie Xabi Alonso. Für die beiden kamen Arbeloa und Adebayor, was wieder einige Umstellungen zur Folge hatte: Ronaldo ging auf links, Adebayor in die Spitze, Arbeloa nach rechts hinten, dafür Ramos nach innen und Pepe wieder nach vorne ins defensive Mittelfeld.
Alles soweit nicht unlogisch – eine neue Variante war es allerdings, Khedira (der eine extrem starke Partie ablieferte) praktisch als Zehner, als vordersten zentralen Mittelfeldmann einzusetzen. Der Plan dahinter war klar: Druck auf den leistungsmäßig klar abfallenden Seydou Keita ausüben. Ohne den Hub im defensiven Zentrum, den Busquets nicht mehr spielen konnte, fehlte es Barça am Umschalten auf Offensive.
Zudem geigte Özil nach seiner Einwechslung grandios auf der rechten Seite (was letztlich für Adrianos Auswechslung sorgte) und es bereitete der unangenehme Adebayor in vorderster Front vor allem dem Verlegenheits-IV Busquets große Probleme. Real hatte nun zwar immer noch deutlich weniger Ballbesitz als der Gegner, war aber die klar gefährlichere und eigentlich auch spielbestimmende Mannschaft.
Was in Minute 81 auch belohnt wurde. Mit einem Foul wie ein Sinnbild für die jeweiligen Leistungen: Der schwache Dani Alves legte den bärenstarken Marcelo im eigenen Strafraum, Strafstoß, Ausgleich. Cristiano Ronaldo verwandelte sicher.
Barça zieht wieder etwas an
Wie zum Beweis, dass sie es ja eigentlich könnten, versuchte Barcelona in den Schlussminuten nicht ohne Erfolg, die Daumenschraube wieder etwas anzuziehen. Die Katalanen pressten wieder früher, zogen wieder mit mehr Erfolg ihr Spiel auf und konnten sich so wieder etwas befreien. Messi entzog sich der Umklammerung von Pepe nun, indem er vermehrt auf die linke Seite ging und Villa dafür eher ins Zentrum, um als Passempfänger im Zentrum auch mal Bälle abblocken zu können.
Guardiola brachte zudem Maxwell (für Adriano) und Afellay (für den schwachen Pedro), um neue Impulse zu setzen. Beinahe hätte es in der Nachspielzeit auch noch geklappt mit dem Siegtreffer – kurz, nachdem auch Real die letzte Chance vergeben hatte.
Fazit: Punktsieg für Mourinho
Es war klar, dass Real-Coach Mourinho derjenige Coach sein muss, der sich eher auf den Gegner einstellen muss als umgekehrt – und der Portugiese tat das brillant. Auch, weil er nicht zu feig war, vor eigenem Publikum vordergründig feig zu sein und in Kauf zu nehmen, unter 30% Ballbesitz zu haben. Er ließ ein Geduldspiel zu und hatte alle Argumente auf seiner Seite: Hätten die zwei klaren Chancen vor der Pause gesessen, Real wäre mit einer Führung in die Halbzeit gegangen.
Letztlich war das Risiko, mit einer höheren Verteidigungslinie Barça nach der Pause mehr unter Druck setzen zu wollen, zu hoch. Doch auch in Unterzahl reagierte Mourinho goldrichtig: Marcelo und den jeweiligen linken Flügelmann (erst Di María, dann Ronaldo) nach vorne, um Alves zu ärgern. Khedira auf die Zehn, um Keita auf die Füße zu steigen. Adebayor nach vorne, um Busquets‘ Schwächen in der Innenverteidigung anzubohren. Özil zunächst zu opfern, um Pepe als Kettenhund Messi aus dem Spiel zu nehmen, so gut es ging. Mourinho war absolut spot-on.
Dass es letztlich „nur“ zu einem 1:1 gereicht hat und die geringen Hoffnungen auf die Meisterschaft damit endgültig verflogen sind, wird er verschmerzen können – bzw., wohl oder übel müssen. Die Frage wird nun sein, inwieweit er die Erkenntnisse aus diesem Spiel in den kommenden drei wieder ausspielen kann, und inwieweit Guardiola darauf reagiert – oder reagieren kann. Eine Rückkehr von Mascherano ins Abwehrzentrum, wie im Rückspiel gegen Donetsk, ist eine mögliche Variante, sollte Puyol nicht für Spiel 2, das Pokalfinale, fit werden – oder er ihn nicht wieder riskieren will.
Letztlich aber kann man diese 1:1 als leichten Punktsieg für Mourinho werten. Er hat auf das 0:5 vom November und auch auf den Spielverlauf richtig reagiert. Wobei man Guardiola zu Gute halten muss, dass er aufgrund der Personalsituation kaum Alternativen zu Keita auf der Sechs und Busquets in der Innenverteidigung hatte.
(phe)