Südafrika 2010 – Tag 9 | Was tun, wenn man gegen die japanische Defensive kein Mittel findet? Wenn man gegen zehn Australier die Zielstrebigkeit verliert? Wenn gegen Dänemark unbedingt ein Tor her muss? Holland, Ghana und Kamerun sagten sich heute: Wir haben keine Lösung – aber wir bewundern das Problem…
Holland – Japan 1:0 (0:0)
Zu viel England geschaut? Die Holländer versuchten es gegen die tief stehenden Japaner ohne Tempo, ohne konsequentes Flügelspiel, ohne echte Kreativität. Auffällig: Zu Beginn rochierten die Flügelspieler Van der Vaart (nominell links) und Kuyt (nominell rechts) immer wieder, und wenn es wirklich über die Seiten ging, kamen auch durchaus gefällige Aktionen zu Stande. Aber vor allem Van der Vaart entfernte sich mit Fortdauer des Spiels von der Seitenlinie und zog, wie schon gegen Dänemark, immer mehr zu Sneijder in die Mitte. Die Folge: Auf den Seiten war einiger Platz und so konnten sich die Asiaten immer wieder an Vorstößen versuchen.
Die Japaner spielten wieder ein 4-1-4-1, mit Honda als vorderstem Mann, dafür Okubo auf der linken Seite. Natürlich verlegten sich die Asiaten auf abwarten und kontern, was allerdings schon deutlich besser aussah als gegen Kamerun, gegen Ende der ersten Hälfte wurden die Japaner sogar für ihre Verhältnisse richtig frech. Wirkliche Chancen gab’s zwar nur aus Freistößen, aber das sehr diszipliniert spielende Team hatte in einer vor sich hin plätschernden ersten Hälfte keine echten Probleme, das 0:0 zu halten.
Die Holländer kamen mit deutlich mehr Schwung aus der Kabine, auch weil Van Persie sich mehr nach hinten zurückzog, um Überzahl im Mittelfeld zu erzeugen. Aber es musste ein Gewaltschuss von Sneijder herhalten, um zum Erfolg zu kommen – anders konnte es gegen die gute japanische Abwehr nicht gehen. Die Führung ging auch in Ordnung, weil Oranje deutlich mehr für das Spiel getan hatte. Während man aber nach dem 2:0-sieg über Dänemark noch sagen konnte, „Geduld gehabt, immer alles kontrolliert“, war es eine herbe Enttäuschung, was nach der Führung gegen Japan passierte.
Dann nämlich ließ sich die Mannschaft von Teamchef Bert van Marwijk extrem weit zurückdrängen, das Umschalten auf die Offensive klappte überhaupt nicht mehr, kaum einer rückte nach. Das auf dem Papier so spielstarke Team verlegte sich schon über eine halbe Stunde vor Schluss auf das Verwalten des 1:0-Vorsprungs. Auf der anderen Seite übernahm nun Okubo etwas mehr Verantwortung in der Offensive, auch Matsui auf der rechten Seite rückte nun etwas nach vorne. Dem trug Teamchef Okada Rechnung, indem er mit Nakamura (für Matsui) einen Mann brachte, der diese Rolle besser ausfüllen kann. Nakamura gesellte sich zu bzw. hinter Honda, wodurch die Japaner zwischen einem 4-4-2 und einem 4-4-1-1 pendelten. Sie hatten das Spiel nun im Griff, konnten aber kein Kapital daraus schlagen.
Später kamen mit Tamada (für Okubo) und Okazaki (für Hasebe) zwei weitere Offensivkräfte, die Vier-Mann-Abteilung im Angriff rochierte nun viel, brachte aber nichts wirklich entscheidendes vor das Tor – von der guten Chance in der Nachspielzeit einmal abgesehen. Die Wechsel von Van Marwijk, der Elia (für den wieder extrem enttäuschenden Van der Vaart) und Afellay (für Sneijder) brachte, waren logisch. Aber was er mit dem Einsatz des eher statischen Strafraumstürmers Huntelaar für den spielstarken Van Persie bezweckte, wo doch seit Ewigkeiten kein Ball mehr ernsthaft vor das japanische Tor kam, bleibt im Dunkeln.
Fazit: Die Holländer waren vor dem Tor zu statisch und zu langsam, verlegten sich nach dem Tor auf Beamtenfußball und hätten sich über einen Ausgleich sicherlich nicht beschweren dürfen. Die Japaner haben gezeigt, dass in ihnen durchaus Offensivgeist steckt, wenn nötig, aber auch, dass ein Killer vor dem Tor fehlt. Ein Remis wäre korrekt gewesen.
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Ghana – Australien 1:1 (1:1)
Arm an Kreativität agiern heute aber nicht nur die Holländer, sondern auch die Australier. Pim Verbeek stellte sein Team an einigen Positionen um, der prominenteste Neue war sicherlich Harry Kewell, der für den rotgesperrten Tim Cahill in der Sturmspitze agierte. Die Aussies fingen flott an und gingen auch in Führung – als Geschenk des ghanischen Schlussmanns Kingson, der einen harmlosen Ball nach vorne prallen ließ und Brett Holman ohne Probleme abstauben konnte. Aus dem Spiel heraus aber gelang wenig, obwohl die Fehlerquote bei der Ersatz-Innenverteidigung mit Addy (der bei seinem feisten Foul gegen Ende der 1. Hälfte mit Gelb noch gut bedient war) und Jonathan beinahe minütlich zunahm.
Bei Ghana spielte Kevin-Prince Boateng im Gegensatz zum ersten Spiel zu Beginn im defensiven Mittelfeld im 4-2-3-1; in dem Andrew Ayew auf von der linken Seite in die Zentrale wechselte, Kwadwo Asamoah ging dafür nach links. Im Ballbesitz, den sich die Ghanaer nun vermehrt erkämpften, sogar mitunter auf Halblinks, weil Boateng in die vordere Viererkette aufrückte. Gemeinsam mit Tagoe prüfte er zumehmend den australischen Linksverteidiger Carney – der aber genauso überfordert war wie Chipperfield im ersten Spiel, den Carney ersetzte. Kein Zufall daher, dass die Aktion zum verdienten Ausgleich über Ayew und diese Seite eingeleitet wurde.
Da Kewell auf der Linie stehend den Arm nicht rechtzeitig wegziehen konnte und den Schuss damit aufhielt, gab’s Elfmeter und Rot für den Stürmer – und das 1:1 als Draufgabe. Die Australier reagierten mit großer Verunsicherung vor allem im Spielaufbau. Culina und Valeri, die beiden Sechser, brachten nach vorne überhaupt nichts zu Wege, die Außenverteidiger kamen ebenso wenig durch. Das Team aus Ghana stellte nun die Passwege geschickt zu, ließ praktisch nichts mehr zu. Zudem verpufften lange Bälle der Australier, weil vorne mit Kewell der Abnehmer fehlte; Holman rückte aus dem zentralen Mittelfeld nicht kosequent in die Spitze. Ähnlich also wie der Özil bei den Detuschen gestern, mit dem Unterschied dass von den Flanken (Emerton und Bresciano) nichts kam. So wäre eine Führung von Ghana, die das Spiel in Überzahl absolut im Griff hatten, durchaus schon vor der Pause verdient gewesen.
Allerdings nur davor. Nach dem Seitenwechsel nämlich ließ Ghana alles vermissen, was dieses Team hätte zeigen müssen – beziehungsweise, die Afrikaner zeigten, warum ihre beiden Tore bislang beide aus Elfmeter gefallen sind. Von Zug zum Tor, von schnellem Kurzpass-Spiel gegen die ja nicht allzu bewegliche Abwehr der Australier, war keine Spur mehr. Dafür jede Menge Verzweiflusschüsse aus 25 Metern plus. Die Australier merkten, dass von Ghana nichts mehr kam, und Verbeek brachte nach etwa zwanzig Minuten in der zweiten Hälfte Chipperfield für die Immobilie Bresciano auf der linken Seite und mit Kennedy für Holman einen echten Stürmer. Und siehe da: Plötzlich waren die Australier wieder im Spiel, weil sich die junge ghanische Abwehr mit der neuen Situation überhaupt nicht zurecht kam.
Auch mit Routinier Muntari, der für den viel zu oft viel zu umständlichen Kwadwo Asamoah zum Einsatz kam. Erst mit zur Einwechslung von Sturmspitze Amoah wenige Minuten vor Schluss (für Boateng) hatte man nie mehr den Eindruck, dass Ghana dieses Spiel noch gewinnen könnte, der Überzahl zum Trotz. Im Gegenteil: Die nun erheblich mutigeren Australier waren dem Siegtor bis zur Schlussoffensive der Ghaner deutlich näher.
Fazit: Ghana hat spielerisch mehr Potential und war über eine Stunde ein Mann mehr – es fehlte dem jungen Team aber an der Abgeklärtheit, die Situation „Pflichtsieg“ auch tatsächlich umzumünzen. Die Australier suchten in der zweiten Hälfte dennoch ihre Chancen und verdienen sich den Punkt somit.
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Kamerun – Dänemark 1:2 (1:1)
Paul le Guen hat nachgegeben – und die jungen Deutschen Choupo-Moting und Joel Matip, die beide gegen Japan keine gute Figur gemacht haben, rausgenommen, auf ein 4-4-2 umgestellt und Samuel Eto’o in die Spitze gestellt. In der Mittelfeldraute agierte (endlich) Alex Song als Sechser, Emana als Zehner, dazu der routinierte (und heute starke) Geremi rechts und der (nicht ganz so starke) Enoh auf der linken Seite. Mit Erfolg: Die Kameruner übernhemen sofort die Kontrolle über das Spiel und nützen einen schrecklichen Fehlpass von Poulsen, der sich wie schon im ersten Spiel gerne zwischen die Innenverteidiger fallen ließ, zur frühen 1:0-Führung.
Die Dänen waren in einem 4-2-3-1 aufgestellt, mit Bendtner als Sturmspitze, Tomasson neu zentral hinter ihm, Grønkjær links und Rommedahl rechts. Gerade Grønkjær war durchaus gefällig nach vorne, leistete sich aber in der Rückwärtsbewegung einige böse Schnitzer. Generell war beibeiden Teams die rechte Angrifsseite die stärkere und die linke Abwehrseite die schwächere. Simon Poulosen, der dänische LV, hate mit Geremi und auch Mbia mächtig zu tun, weshalb der nach vorne nicht viel machen konnte; sein Widerpart Assou-Ekotto hielt beim Gegentor ein ausgiebiges Nickerchen.
Sehr fleißig nach vorne war dafür RV Lars Jacobsen, der Enoh im linken Mittelfeld bei Kamerun ordentlich beschäftigte. Allerdings war das Spiel auch geprägt von beängstigens unsicheren Abwehrreihen. Wie beim Ausgleich: Ein profaner Abschlag von Sørensen reichte aus, um die komplette gegnerische Abwehr auszuhebeln. Assou-Ekotto stand irgendwo und ließ Rommedahl ungehindert flanken, Bassong und Nkoulou reagierten zu spät und konnten Bendtner nicht mehr stellen.
In der Pause brachte Le Guen für den angeschlagenen Enoh dann Makoun, was zur Folge hatte, dass er die linke Seite de facto aufgab. Makoun ist kein Flügelspieler, so musste Assou-Ekotto die ganze Seite beackern, weil es Makoun im nunmerhrigen 4-3-1-2 (Emana als Zehner, die Dreierkette mit Geremi, Song und Makoun) immer ziemlich in die Mitte zieht. So hatte Geremi rechts zwar immer noch Mbia, Assou-Ekotto auf links musste nun aber zwei Positionen spielen. Was sich bitter rächte: Ein langer Ball erneut auf Rommedahl, Assou-Ekotto ist noch vorne, und Makoun stellt sich dem Dänen nur halbherzig entgegen. Zudem deckten Bassong und Nkoulou innen beide Bendtner zu, aber keiner kam Makoun zu Hilfe. Und das 2:1 für Dänemark war gefallen.
Le Guen sah sich das recht ideenlose Treiben seiner Mannschaft gegen eine dänische Defensiv-Abteilung, die sich nach dem Seitenwechsel klar gesteigert hat, noch ein paar Minuten an und brachte dann Stürmer Idrissou für Innenverteidiger Bassong und ging damit volles Risiko – weil so mit dem (bekannt unsicheren) Nkoulou meist nur noch ein Verteidiger hinten war, mit den attackierenden Mbia und Assou-Ekotto als Unterstützung falls notwenig. Das war auf dem Papier nun ein 3-3-1-3, im Ballbesitz aber eher ein 1-2-4-3, mit Idrissou vorne links, Webó und dann Aboubakar eher rechts und Eto’o zentral. Die Angriffe der Kameruner waren aber eher verzweifelt als durchdacht, eher Zufallsprodukte als herausgespielte Aktionen. So blieb es beim 2:1 für Dänemark, die kühlen Kopf bewahrten (wenn ihnen dieser nicht, wie Christian Poulsen, per Volltreffer warmgeschossen wurde).
Fazit: Die Dänen präsentierten sich vor allem nach der Pause als reifere und abgeklärtere Mannschaft, daher geht der Sieg gegen die eher wirr und blind anrennenden Kameruner in Ordnung. Außer Selbstvertrauen bringt er aber nicht mehr als ein Remis: Japan muss immer noch geschlagen werden. Bei einem 3:1 hätte ein Remis gereicht.
(phe)