Eine mutige und engagierte Vorstellung von Österreich bringt dem ÖFB-Team in dessen erstem Spiel bei dieser Europameisterschaft Respekt, aber keine Punkte. Man stellte Turnierfavorit Frankreich vor Aufgaben, schenkte den Franzosen aber per Eigentor kurz vor der Pause die Führung und ermöglichte ihnen damit, in ihre Komfort-Zone zu kommen. Diese konnte Österreich nicht mehr durchdringen und verlor 0:1.
Die bekannten österreichischen Stärken
Grundsätzlich zeigte Österreich genau, was von Österreich zu erwarten war: Gregoritsch und Baumgartner pressten auf die französischen Innenverteidiger, sobald diese keine offensichtliche Passoption hatten, lenkten die Pässe auf die Außen – da vor allem Upamecano angegangen wurde, vornehmlich auf die rechte Seite in Richtung Koundé.
Aus dieser ersten österreichischen Pressingwelle konnte sich Frankreich immer wieder gut befreien, es ist ein technisch beschlagenes und taktisch cleveres Team. In den meisten Fällen aber gelang es Österreich dennoch, die zweite Pressingwelle zuschlagen zu lassen – dann nämlich, wenn halb aus der Bedrängnis heraus der französische Pass ins Halbfeld oder ins Zentrum kam. Mit Fortdauer der ersten Hälfe ließ sich Rabiot – der Mittlere im erstaunlich vertikal gestaffelten französischen Mittelfeld – situativ vermehrt nach hinten fallen, um eine zusätzliche Option für den ersten Pass zu sein.
Wenn Frankreich allerdings auch im Mittelfeld durch die zweite Pressingwelle durchkam, wurde es naturgemäß gefährlich. Hernandez dribbelte sich in der 6. Minute über das halbe Feld (Folge: Foul in guter Freistoß-Position), drei Minuten später fand Mbappé Raum im Rücken der Kette (Folge: Pentz musste in höchster Not retten). Mbappé startete nominell in der Spitze, wechselte aber viel die Plätze mit dem nominell als Linksaußen postierten Marcus Thuram – der vom Naturell eher ein Mittelstürmer ist. Sobald Mbappé am Flügel auftauchte, wurden seine Tempovorteile gegenüber Stefan Posch deutlich.
Weniger Risiko im Aufbau als im Pressing
Frankreich lief Österreich nicht an, wenn das ÖFB-Team von hinten aufbauen wollte. In diesen Fällen schob Mwene links zumeist höher als Posch rechts, wodurch sich ein auf bei anderen Teams gar nicht üblicher Dreier-Aufbau aus der Viererkette ergab. Auffällig war aber, dass Österreich im eigenen Aufbau das Risiko mehr scheute als im Angriffspressing: Allzu hoch wurde das Tempo in diesen Situationen zumeist nicht geschraubt und im Zweifel kam eher der sichere Rückpass als der Vorwärtspass, der sich nicht klar abzeichnete.
Damit vermied Österreich auch, in Unterzahl in den französischen Sechserraum einzudringen – dort, wo N’Golo Kanté war. Damit bekam er nicht viel aufzuräumen und damit vermied Österreich auch, bei Ballverlusten in dieser Zone Opfer von schnellen Gegenstößen zu werden. Denn jede Situation, in der Mbappé Tempo aufnehmen und/oder seine Technik im Eins-gegen-Eins ausspielen kann, kann eine zu viel sein. Zu sehen etwa in der 38. Minute, in der er gegen Mwene – der sonst nicht viel mit Mbappé zu tun hatte – zu viel Raum bekam und seine Flanke von Wöber ins eigene Netz zur französischen 1:0-Führung gelenkt wurde.
Und das nur wenige Minuten, nachdem der von Sabitzer freigespielte Baumgartner den Ball nicht an Frankreichs Torhüter Maignan vorbei gebracht hatte. Es war die einzige wirkliche Torchance Österreichs vor der Pause, aber was für eine.
Rückstand ändert das Spiel völlig
Ein Rückstand ist gegen Frankreich dafür doppelt ärgerlich, weil der Weltmeister von 2018 damit auf genau jenes Spiel gehen konnte, das ihm am Meisten liegt: Sich zurückziehen, den Gegner kommen lassen und mit den schnellen Spielern in die freien Räume kontern – wie in der 55. Minute, als Mbappé eigentlich das 2:0 hätte erzielen müssen.
So lange es 0:0 gestanden war, schaffte es Österreich gut, das französische Dreier-Mittelfeld aus dem Spiel zu halten: Kanté wurde eben vermieden und Seiwald ließ Griezmann dermaßen keine Luft, dass dieser schon nach einer halben Stunde erste Zeichen des Frustes durchblitzen ließ. Lediglich Grillitsch fiel ein wenig ab, war defensiv und im Anlaufen sehr umsichtig und voll in den Strukturen integriert, traf aber im Ballbesitz zuweilen die falschen Entscheidungen.
Österreich muss sich Committee
Nach einer Stunde nahm Rangnick dann Grillitsch auch runter, für ihn kam Patrick Wimmer, dafür ging Laimer ins Zentrum. Dazu wurden auch Trauner (statt Wöber) und Arnautovic (statt Gregoritsch) eingewechselt. Dem ÖFB-Team wurde die Bürde des Aufbaus aufgedrängt, spätestens zu diesem Zeitpunkt committete sich Österreich auch zur Offensive.
Da Frankreich das Spiel gegen den Ball und das Ersticken gegnerischer Angriffe aber wirklich gut kann und der spielerische Angriffsaufbau nicht zu den eingebauten Stärken des ÖFB-Teams gehört, war zwar das Bemühen da und auch die Strafraumbesetzung passend, aber Österreich kam durch die gezielten, kurzen Anlaufwege der Franzosen in deren eigener Hälfte nie in wirkliche Abschlusspositionen: Österreich wurde in den entscheidenden Zonen einfach nie die Zeit gewährt, sich gefährlich in den Strafraum zu spielen. Hier konnte Kanté seine immer noch vorhandenen Stärken ideal ausspielen.
Gleichzeitig schien Frankreich durch die eigenen Gegenstöße dem 2:0 näher zu sein als Österreich dem Ausgleich. Nach Mbappés erstaunlichem Fehlschuss in der 55. Minute rutschte zehn Minuten später auch Griezmann an einer Hernandez-Hereingabe knapp vorbei.
Fazit: Ergebnis ist verdient und doch ärgerlich
Im Ganzen ist der Sieg für Frankreich schon in Ordnung. Das Team ließ sich vom österreichischen Pressing nie aus der Ruhe bringen, ließ bis auf Baumgartners Chance in der 36. Minute keinen einzigen echten Torabschluss zu und hatte vor allem nach dem Tor das Geschehen weitgehend im Griff.
Letztlich bestätigte das Spiel, was man über das österreichische Team wusste: Es agiert auch gegen auf dem Papier übermächtige Teams mutig im Pressing und denkt nach vorne, ist dabei gut organisiert. Österreich hat so gut gespielt, wie man das realistisch erwarten konnte und wie das wohl auch die Franzosen erwartet hatten: Gegen Österreich spielen zu müssen, ist auch für einen Turnierfavoriten kein Spaß und wenn man nach 100 Minuten harter Arbeit mit einem 1:0 aus dem Spiel geht, ist das wunderbar.
Das Match bestätigte aber gleichzeitig auch, dass es Österreich ausgesprochen schwer fällt, vor allem gegen ein gut organisiertes Team von höchster individueller Qualität, ein Spiel selbst so zu gestalten, dass man sich gute Chancen herausspielt. Auch das wussten die Franzosen natürlich und sie haben entsprechen agiert.
Österreich braucht sich für diesen Auftritt keineswegs zu schämen, ganz im Gegenteil. Grämen darf man sich im ÖFB-Lager aber sehr wohl. Niemand kann sagen, dass Frankreich nicht doch noch von selbst auch einen Weg zur Führung gefunden hätte – es gab drei, vier gute Chancen schon vor dem Tor. Man hat den Franzosen diese harte Arbeit halt abgenommen, damit war das Spiel nicht in der 38. Minute gelaufen, aber der für einen Punkt zu erklimmende Berg war damit halt schon sehr steil.
Dennoch: Mit einem Blick auf die beiden Gruppengegner und deren Duell, das die Niederlande in der Schlussphase noch mit 2:1 gewann, ist für das ÖFB-Team im Kampf um den Einzug ins Achtelfinale noch nichts verspielt. Zum einen haben sie selbst ihre Match gegen den – und auch das hat das Parallelspiel gezeigt – deutlich besten Kontrahenten in dieser Gruppe D schon hinter sich, zum anderen haben zwar auch die Niederlande und Polen Qualität. Aber längst nicht die Qualität von Frankreich.