Bitterkalt war es in Linz. Und statt dem erhofften Kantersieg gegen das nominell schwächste Team der Gruppe wurde es auch sportlich eine Zitterpartie. Immerhin: Österreich warf auch nach verschossenem Elfer und Rückstand nie die Nerven weg, Rangnick stellte wieder um (diesmal in der Halbzeit), am vorhandenen Willen änderte sich nie etwas, an den vielen ungenauen Pässen leider auch nicht. Immerhin wurde der Punktverlust verhindert und kurz vor Schluss noch der 2:1-Sieg gerettet.
Starke Anfangsphase
Es ging dort weiter, wo die ÖFB-Herren (bei denen Nach den Fix-Ausfällen Arnautovic, Schlager, Lienhart und Kalajdzic nun auch Sabitzer, Wöber und Trauner passen mussten) in der zweiten Halbzeit gegen Aserbaidschan waren: Aus einem 4-1-4-1 extrem hoch pressen, immer viele Leute schnell um den Ball bekommen. So setzten sie sich schon in den ersten Minuten im Angriffsdrittel fest, so bestrafte Wimmer beinahe einen Ausflug von Keeper Hein an der Mittellinie.
Der Pressingtrigger war, wie schon gegen Andorra, der Pass auf den äußere Spieler der Dreierkette des Gegners (dafür stand auch v.a. Baumgartner sehr hoch). Die Folge waren viele hohe Ballgewinne, auch einige Torabschlüsse, keiner davon ging rein. Die Esten hielten in einem 5-3-2 dagegen, verdichteten vor dem Zentrum und versuchten, vorne auf die österreichische Eröffnung heraus zu rücken.
Immer ein Pass zu viel
Das hatten Daniliuc und Danso aber gut im Griff, das Problem war – bei allem Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte – die Zielstrebigkeit vor das Tor. Man spielte in Hanballmanier auf der Suche nach einer Lücke um den Strafraum herum, Zug zum Tor entwickelte man durch schnelle, kurze Pässe. Anders als etwa in der ersten Hälfte gegen Andorra – wo man kaum Torgefahr entwickeln konnte – aber nicht parallel zum Strafraum, sondern auf das Tor zu.
Es sah mitunter etwas improvisiert und eher aus der Not geboren heraus aus, wie in der Szene, als man den Ball so lange zum Nebenmann weiter schob, bis ein Este den Österreicher umhaute und der Referee auf den Elfmeterpunkt zeigte. Diese Chance ließ sich Gregoritsch mit einem satten Schuss an die Latte entgehen, oft genug war es so, dass irgendwann einfach einer dieser Pässe nicht mehr ankam.
Ratlosigkeit wuchs
Schon unmittelbar nach dem Elfmeter (in der 16. Minute) ließ das österreichische Spiel an Punch und Intensität ein wenig nach. In der 25. Minute übersah die Abwehr dann auch bei einem estnischen Freistoß von der rechten Seite den links freistehenden Pikk, dessen Kopfball vor das Tor nicht geklärt werden konnte und Sappninen zum 1:0 für Estland versenken konnte.
Man blieb zunächst der grundsätzlichen Spielweise treu, wiewohl man dem ÖFB-Team anmerkte, dass es wusste, dass er nicht funktioniert. Man ließ die Uhr bis zur Halbzeit runter ticken und erhoffte sich von Rangnick Inputs für die zweite Hälfte
Umstellung auf Raute
Die kamen in Form von Alaba (für Daniliuc) und Adamu (für Ljubicic). Damit einher ging eine Umstellung auf 4-3-1-2 mit Adamu neben Gregoritsch vorne und Baumgartner auf der Zehn.
Das alles hatte mehrere Effekte. Erstens sorgte Alaba von hinten für mehr Kontrolle, Struktur und er ließ auch seine Präsenz in der Kommunikation mit den Mitspielern (logischerweise) viel mehr erkennen als Debütant Daniliuc.
Zweitens waren mit der Umstellung auf Raute die Kanäle nach vorne klar besetzt – quasi fünf Österreicher gegen die estnische Fünferkette (Mwene, Wimmer/Kainz, Baumgartner, Laimer, Posch) plus die beiden Stürmer im Strafraum; mit den IV und Seiwald als Absicherung. Der Strafraum war durch Adamu und Gregoritsch nun doppelt besetzt und es kamen vor allem durch Wimmer (bzw. dann durch Kainz) und Laimer nach Vorstößen durch die Halbfelder die Chips aus eben jenem Halbfeld in den Strafraum, wo von hinten auch nachgepresst werden konnte.
Eine zweite Variante blieb weiterhin der vertikale Klatschpass, diesen Schmäh hatte die Abwehr der Esten aber längst durchschaut, viele österreichische Fehlpässe im Aufbau machten ihnen aber auch die Arbeit relativ leicht, der Ball wurde immer eine Station weitergereicht, in der Hoffnung, dass sich was ergeben möge. Letztlich waren auch viele Abschlüsse nicht genau bzw. nicht hart genug, der aus der Arsenal-Jugend kommende Torhüter Karl Hein (der das Linzer Publikum mit seinem Zeitspiel wahnsinnig machte) hatte oft wenig Probleme.
Nie in allzu große Hektik verfallen
Als Hein einmal einen Schuss von Posch nur abklatschen lassen konnte, war Kainz zur Stelle und besorgte den Ausgleich.
In der 82. Minute setzte Rangnick noch einen letzten offensiven Impuls, brachte Onisiwo für den aktiven, aber in seinen Pässen zumeist allzu ungenauen Posch; Laimer übernahm nominell die Rechtsverteidiger-Agenden, Onisiwo spielte neben Adamu ganz vorne, Gregoritsch zentral dahinter. Der frische Mainzer konnte seine Kraftvorteile (Estlands Teamchef ließ die Fünferkette de facto durchspielen) aus, sorgte für Unruhe und tatsächlich drückte Gregoritsch am Ende noch den Siegtreffer über die Linie.
Fazit: Eine vertrauensbildende Maßnahme
Man kann jetzt jeden Wechsel von Rangnick bewerten und es war deutlich erkennbar, dass das Team in der Pause Impulse brauchte, Rangnick selbst sprach nach dem Spiel auch davon, dass mit der Umstellung auf Raute (der Teamchef selbst sprach von einem 4-1-3-2) jene Räume bespielt werden sollte, die man als Schwachstelle bei Estland ausgemacht hat (also mutmaßlich die Halbfelder).
So hat der Teamchef, man kann es so formulieren, dem Team die Möglichkeit gegeben, das Spiel noch zu drehen. Die grundsätzliche Strategie, man hat es vor allem in der sehr starken ersten Viertelstunde gesehen, war passend und als die Esten das Tor erzielten, hätte Österreich schon 3:0 in Front liegen können / müssen.
Vor allem aber war, ganz losgelöst von taktischen Überlegungen, etwa anderes mindestens ebenso entscheidend: Dass die Mannschaft auf dem Platz immer die Ruhe bewahrt hat, auch nach dem x-ten Fehlpass nicht negativ wurde, immer weiter gespielt hat mit dem festen Glauben, dass der Druck fast zwangsläufig irgendwann zum Tor führt. Der kollektive Jubel vor der Fan-Kurve – die zwar immer wieder ein wenig ins Murmeln kam, aber ebenfalls nie einen auf das ÖFB-Team gerichteten Unmut äußerste – ist ein klares Zeichen davon, wie sehr diese Mannschaft auf der menschlichen Ebene an einem Strang zieht, ein gemeinsames Ziel hat und an sich (und damit die von Rangnick propagierte Spielweise) glaubt.
In diesem Kontext war dieses Spiel eine vertrauensbildende Maßnahme, wiewohl ein 2:1-Zittersieg in einem Heimspiel gegen Estland für sich gesehen natürlich nichts ist, womit mit in Europa hausieren geht.