Eine Stunde lang konnten die ÖFB-Frauen in ihrem zweiten EM-Viertelfinale absolut mit Deutschland mithalten und sie stellten den Favoriten vor einige Aufgaben, trafen zudem dreimal das Aluminium. Neben individuellen Fehlern bei den Gegentoren war es aber auch die längere Bank, die das Match ab der 60. Minute zunehmend in Richtung Deutschland kippen ließ.
Nach drei Spielen auf dem Feld machte Viktoria Schnaderbecks Knie nicht mehr mit, statt ihr begann Marina Georgieva in der Innenverteidigung. Es war die einzige Änderung in der Start-Elf; Kathi Naschenweng war nach überstandener Corona-Infektion zurück, saß zunächst auf der Bank. Bei Deutschland vertraute Martina Voss-Tecklenburg der Wunsch-Formation; Oberdorf und Rauch waren nach Gelbsperre zurück, Popp blieb nach drei Toren in drei Spielen statt der corona-genesenen Schüller im Team.
Die Anfangsminuten gehörten Deutschland, aber nach einer Behandlungspause nach drei, vier Minuten (Foul von Zadrazil an Hegering) sammelte sich das ÖFB-Team und fand zum beabsichtigten Spiel. Es gab kein Verstecken vor dem großen Nachbarn – im Gegenteil.
Nach außen pressen
Die Anlauf-Strategie von Österreich war zweigeteilt und etwas anders gelagert als noch im entscheidenden Gruppenspiel gegen Norwegen. Im Angriffsdrittel wurde gegen Deutschland nicht sofort gedoppelt, sondern mit jeweils einer Spielerin in der Eröffnung angelaufen. Hatte das DFB-Team den Ball doch ins Mittelfeld gebracht, wurde die Ballführende dort jedoch gedoppelt und, soweit es möglich war, von innen nach außen angepresst.
Indem man das deutsche Spiel auf die Außen isolierte, hielt man Magull (die als nomineller Achter so weit nach vorne schob, dass die Formation eher ein 4-4-1-1 wurde) und Däbritz aus dem Aufbau heraußen und ließ auch nie einen Rhythmus ins deutsche Spiel kommen. Dafür resultierte aus einem der Ballgewinne im Zentrum (durch Zadrazil in ihrem 100. Länderspiel) eine Chance für Hickelsberger, Georgieva traf in der Folge nach einer Ecke den Pfosten.
Deutsche Strategie
Druck auszuüben ist aber auch das Spiel des DFB-Teams. Die ungewöhnlich hohe Positionierung von Magull hatte dabei zwei Effekte: Zum einen stand sie damit sehr nahe an Sarah Puntigam, was die österreichische Rekordspielerin im Aufbau aus dem Spiel nahm und das ÖFB-Angriffsspiel deutlich limitierte. Zum anderen konnte sie gemeinsam mit Mittelstürmerin Popp schneller auf die österreichische Kette und auch auf Zinsberger pressen.
Ein solcher Druckmoment sorgte in der 25. Minute für einen unkontrollierten und zu kurzen Abschlag von Zinsberger, der umgehend zum Bumerang wurde; Bühl ließ noch Wenninger aussteigen und Magull verwertete zum 1:0.
Zum Aufbau gezwungen
Mit der Führung im Rücken konnte es sich Deutschland leisten, sich kontrolliert fallen zu lassen und sich dem Angelaufenwerden etwas zu entziehen. Damit zwang man Österreich vermehrt zu eigenem Aufbau, während die Deutschen in der eigenen Hälfte den Druck erwarteten und die ÖFB-Frauen ab der Mittellinie unter Druck setzten. Die eigene Abwehr war durch eine herausragende Leistung von Sechser Lena Oberdorf gut abgeschirmt.
Es war aber beileibe nicht so, dass Deutschland nun nur hinten stand und mauerte. Sehr wohl wurde nicht nur schnell umgeschaltet, sondern weiterhin versucht, das Mittelfeld schnell zu überbrücken und sich nicht in die österreichischen Pressingfallen zu begeben. Damit blieb das DFB-Team immer gefährlich, es boten sich aber auch Gelegenheiten für Österreich: Wenn es gelang, nach Ballgewinnen schnell vertikal in den Raum hinter der aufgerückten deutschen Kette zu kommen, war die Chance für Torgefahr da.
Österreich lockt und sorgt für Gefahr
Wie schon gegen Norwegen begann Österreich nach dem Seitenwechsel, sich nach einer extrem intensiven ersten Hälfte etwas weiter hinten zu positionieren, mutmaßlich, um Deutschland wieder etwas mehr zu locken und jene Räume im Rückraum zu schaffen, die nach Ballgewinnen schnell bespielt werden sollten. Weiterhin wurde dabei Deutschland in Richtung Außenbahn gelenkt, wo man mit 3-gegen-2-Überzahl (AV, AM, Achter) die DFB-Spielerinnen isolierte und Ballgewinne zu erzwingen versuchte.
Bei Deutschland riss in dieser Phase vermehrt ein Loch im 4-2-4 zwischen der Abwehrkette und dem Offensiv-Quartett, in dem Sarah Zadrazil fast im Minutentakt wieder Raum für Gegenstöße bekam. Die beste Chance resultiere aus einer solchen Situation in der 52. Minute, wenig später wurde auch DFB-Keeperin Frohms zu einem kurzen Abschlag gezwungen und Dunst traf die Latte, zwei Minuten später drosch Puntigam die Kugel nach einem Eckball an die Latte – der zweite und der dritte Aluminiumtreffer von Österreich in diesem Spiel.
Entscheidende deutsche Wechsel
Das Spiel drohte aus deutscher Sicht nun auf gefährliche Weise zu kippen. Nach einer Stunde nahm Voss einen Doppelwechsel vor, der sich als entscheidend herausstellen sollte: Die zumehmend wirkungslose Magull und die müdegelaufene Däbritz gingen raus, mit Dallmann und Lattwein wurden die Achter-Positionen frisch besetzt. Diese Maßnahme zeigte schnell Wirkung.
Lattwein hatte die Aufgabe, für mehr physische Präsenz zu sorgen, als es Däbritz vermochte; Dallmann positionierte sich tiefer als Magull zuvor, war mehr eingebunden und ihre schnellen, vertikalen Läufe beschäftigten die österreichische Defensive. Erst in dieser Phase, ab der 65. Minute, holte sich Deutschland erstmals die volle Kontrolle über das Spiel und sollte sie auch nicht mehr hergeben.
Was bei Österreich gegen Nordirland ein wichtiger Faktor war – die tiefere Bank nämlich – traf jetzt auf Deutschland zu. Fuhrmann hätte sicher in dieser Phase gerne Maria Plattner als frische Zweikämpferin im Zentrum gebracht, die ist aber mit Schlüsselbeinbruch out. Eder ist eine Spielerin, um Kontrolle bei Führung zu bringen. Marie Höbinger, die in der 80. Minute statt Puntigam kam, sorgt eher für Ideen und Pässe, nicht für robuste Zweikämpfe.
Die Abstoß-Variante
Klara Bühls verzogener Schuss hätte schon beinahe in der 82. Minute für die Entscheidung gesorgt, dazu streiften Weitschüsse von Dallmann und Bühl die Querlatte. Die endgültige Entscheidung in der 90. Minute fiel aus der Situation, die wir HIER schon ausführlich diskutiert haben. Es war nicht das erste Mal, dass Popp im Rücken von Zinsberger auf sie zugelaufen ist und im ZDF-Interview sagte sie auch, dass sie vom deutschen Torwart-Trainer darauf hingewiesen wurde, dass Zinsberger bei diesem Anlaufwinkel anfällig ist.
Österreich hielt bis zum Schluss an dieser Variante fest, die im Idealfall das Knäuel im Zentrum auflöst, in diesem Spiel aber in einigen Situationen eher gefährlich als gewinnbringend war. Am Ende machte das 2:0 nur den Deckel drauf und war in keinster Weise entscheidend für den deutschen Sieg, aber es bleibt natürlich als plakativer Schlusspunkt einer im ganzen sehr erfreulichen EM für Österreich in bitterer Erinnerung.
Fazit: Verdiente Viertelfinale-Teilnahme bestätigt
Eine Stunde lang war Österreich ein Gegner auf Augenhöhe. Die ÖFB-Frauen setzten Deutschland unter Druck und waren nicht nur Passagier in einem vom Favoriten diktierten Spielrhythmus, sondern bestimmte im Gegenteil selbst absolut mit. Das DFB-Team tat sich gegen das nach außen lenkende Pressing schwer, kontrolliert ins Angriffsdrittel zu kommen und es brauchte eine starke Lena Oberdorf auf der Sechs, um Österreich davon abzuhalten, in Abschlusspositionen im Strafraum zu kommen – ihre unauffällige, aber ultra-aufmerksame und stark antizipierende Vorstellung war ein entscheidender Faktor. So kam Österreich zu drei Alu-Treffern (ein Weitschuss, zweimal nach Eckball) und zu einer Handvoll Halbchancen, aber nicht zu mehr.
Erst die größere Qualitätsdichte von der Bank ließ das Spiel in der letzten halben Stunde zugunsten von Deutschland kippen. Hier fehlten Fuhrmann schlicht die Optionen: Eine robuste Zweikämpferin im Zentrum, die es mit Lattwein und Oberdorf aufnehmen kann, gab es nicht; die Brechstange schien Fuhrmann gegen die routinierte deutsche Abwehr offenbar keine echte Option zu sein.
Für Deutschland erwies sich das Viertelfinale gegen die „kleine Schwester“ aus Österreich als hartes Stück intensiver Arbeit und die ÖFB-Frauen haben einmal mehr gezeigt, dass der Viertelfinal-Einzug vollauf verdient war und man nicht zufällig zum zweiten Mal in Folge in die K.o.-Runde der Top-8 eingezogen war. Deutschland zeigte aber auch, woran es Österreich fehlt: An der Kadertiefe, um in einem solchen EM-Viertelfinale gegen einen wirklich guten Gegner nach einer Stunde nachsetzen zu können.