Mit einem 3:0-Auswärtssieg in Kroatien beginnt die Amtszeit von ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick. Das Ergebnis gegen nicht gerade aufopferungsvoll kämpfende Kroaten ist erfreulich, aber auch die Art und Weise spricht für einen weitgehenden inhaltlichen Bruch mit der Spielidee, wie sie unter Franco Foda verfolgt worden war. Und zwar in vielerlei Hinsicht.
Die erste halbe Stunde
Rangnick entschied sich für ein 3-5-2, in dem die Wing-Backs gegen den Ball sehr weit hinten standen und mit Ball sehr weit aufrückten. So weit, dass selbst die drei zentralen Verteidiger sehr weit nach vorne schoben: Danso lief Brekalo einige Male tief im österreichischen Angriffsdrittel an, Trauner schob entsprechend weit mit nach vorne.
Die Aufstellung in einem 5-3-2, wenn die Kroaten den Ball hatten, funktionierte aber nicht. Neben den beiden Achtern Laimer und Schlager hatte Kroatien viel Platz, um sich mit Außverteidiger, eigenem Achter und Außenstürmer auszubreiten. Das konsequente Anlaufen im Zentrum verpuffte damit. Immerhin: Die planvolle Absicherung der Pressing-Welle war gegeben, ein erster signifikanter Unterschied zum Spiel unter Foda.
Die Umstellung auf 4-4-2
Das Mittelfeldtrio mit Sabitzer (zentral) sowie Laimer (rechts) und Schlager (links) driftete nach etwa 20 bis 25 Minuten als Ganzes nach rechts, der linke Wing-Back Weimann spielte höher und Lainer rechts tiefer. Dies war die nach dem Spiel als Schlüssel immer wieder angesprochene Systemänderung auf ein „4-2-2-2“, wie es Spieler und Teamchef danach angaben – dieses klare Wording ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass diese Variante genau so im Vorfeld als Option trainiert und auch genau so bezeichnet wurde.
In dieser Formation jedenfalls hatte Österreich die Außenbahnen wesentlich besser im Griff und auch die beiden Achter Pašalić und Kovačić waren viel weniger ins Spiel eingebunden, weil ihnen der Raum genommen wurde: Das Anlaufen geschah nicht mit wildem Furor, sondern gezielt und durch die geringen Abstände mit guter Absicherung.
Räume bei ratlosen Kroaten
Die Gastgeber konnten zunächst überhaupt nichts mit der veränderten Statik des Spiels anfangen und agierten so, wie man es unter Foda eher von Österreich gewohnt war: Mit mehr Ballbesitz, aber kaum Ideen und erschütternd viel freiem Raum zwischen Mittelfeld und Abwehr. In diesen hinein gab es zahlreiche Chip-Bälle auf den sehr mobilen Onisiwo (der danach oft das Dribbling suchte, um Mitspielern die Zeit zum Aufrücken zu geben) und Arnautovic. Dieser war von Bologna-Coach Mihajlović im Winter öffentlich dazu angehalten worden, mehr selbst den Abschluss zu suchen und weniger für Mitspieler aufzulegen; bei seinem Abschluss von der Strafraumgrenze zum 1:0 kurz vor der Pause war das die genau richtige Entscheidung.
Selbst kamen die Kroaten kaum noch nach vorne. Im Gegenteil spielten sie sehr viel hinten herum, weil ihnen die Anspielstationen im Zentrum genommen wurden und weil ihnen überall sonst sofort ein Österreicher auf den Zehen stand. Hatte ÖFB-Keeper Heinz Lindner zuvor noch diverse Male retten müssen, zwei-, dreimal auch in höchster Not, war die kroatische Offensive nun sehr gebremst.
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— Philipp Ertl (@turtle_vienna) June 3, 2022
Das hätte Arrigo Sacchi gefallen
Für die zweite Hälfte adaptierte Rangnick das Personal am Feld: Weimann ging nach vorne, Sabitzer übernahm die Position im linken Mittelfeld, Seiwald kam für das Zentrum und Gregoritsch statt Arnautovic für die Spitze. Die beiden österreichischen Viererketten standen nun recht eng zusammen und auch die beiden Stürmer nicht weit davor. Was von Teamchef und Team als 4-2-2-2 angegeben wurde, war in der Praxis eher ein 4-4-2, wie es Arrigo Sacchi gefallen hätte: Mit kaum 25 Metern zwischen dem hintersten und dem vordersten Feldspieler und gezieltem Anlaufen der kroatischen Gegner, sobald diese in die Nähe kamen. Dank der geringen Abstände auch mit einer exzellenten Absicherung hinter den anlaufenden Spielern. Mit diesen Grundsätzen revolutionierte Sacchi Ende der 1980er nicht nur den italienischen Fußball.
Und vor allem: Mit aktiver Spielweise und weitem Aufrücken, selbst als man zwar führte, aber noch vor dem Doppelpack, der das Match entschied. Das war ein weiterer großer Unterschied zum Foda-Ball: Anstatt sich zurückzulehnen, wurde aktiv nach vorne verteidigt. Der Block stand in der Regel auf Höhe der Mittellinie statt vor dem eigenen Sechzehner. Es wurde nicht Druck angesaugt, um die Führung zu verteidigen und eventuell einen Konter (über 70 Meter) zu fahren; sondern 30 Meter weiter vorne versucht, den Gegner zu stören und im Idealfall bei Ballgewinnen schon bei der Mittellinie mit dem schnellen Gegenstoß zu beginnen.
Exemplarisch dafür das 0:2
1. Hätte Wöber (der ausgezeichnet spielte) unter Foda gar nicht gespielt
2. Wenn er da vorne ohne Standardsituation aufgetaucht wäre, von Foda angemault worden wäre
3. So ein Tor in den vier Jahren unter Foda gegen einen Top-Gegner nicht erzielt wurde.— Regger (@AmsHeier) June 5, 2022
Mit dem Sabitzer-Weitschuss zum 3:0 nach knapp einer Stunde war das Match entschieden, die Herangehensweise bei Österreich wurde aber kaum verändert. Auch nach den weiteren Wechseln (Baumgartner für Gregoritsch vorne, Friedl für Wöber links hinten) ließ sich Österreich nie reindrücken – die auch psychisch besiegten Kroaten forcierten das allerdings auch nach der Einwechslung von Modrić nie mit Nachdruck.
Die letzten halbe Stunde war in ihrer ganzen aktiven, erwachsenen Seriosität beinahe langweilig. Anders als bei vielen Champions-League-Spielen von Real Madrid in dieser Saison hatte man auch zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass ein kroatischer Anschlusstreffer an der Sicherheit den österreichischen Sieges irgendetwas ändern würde.
Fazit: Optimismus ist angebracht
Man muss wahnsinnig aufpassen, nicht aus einer gefühlten Euphorie heraus jetzt alles hochzujubeln, nur weil es nicht mehr Franco Foda ist, der an der Seitenlinie steht. Das ÖFB-Team hatte wesentlich mehr Lust auf dieses Spiel, die Kroaten hatten nichts zu beweisen, traten nicht in absoluter Bestbesetzung an und der Spielverlauf spielte Österreich massiv in die Karten.
Und doch gibt es zahlreiche Aspekte, die dafür sprechen, dass nun deutlich mehr aus dem Potenzial des Kaders herausgeholt wird. Neben der spürbaren Freude der Spieler selbst (wie es Wöber kaum verklausuliert formulierte) fiel auf, dass die Abwehr viel weiter nach vorne schob, wenn die Offensivspieler pressten – selbst auswärts bei einer knappen Führung stand die Kette teilweise fünf bis zehn Meter in der gegnerischen Hälfte, anstatt wie unter Foda sklavisch bei der Mittellinie halt zu machen.
„Ich glaube so stellt sich jeder Österreicher das Nationalteam vor“ ist eine Blutgrätsche von Wöber gegen Foda. #croaut
— Gerald Emprechtinger (@gemprech) June 3, 2022
Die Formation wirkte kompakter, das Anlaufen sah eine passende Abstimmung. Und vor allem: Anstatt ewig zu warten oder gleich gar nicht zu reagieren, räumte Rangnick den ursprünglichen Plan schon nach 20 Minuten zur Seite, stellte das System um und löste damit die größten Problemstellen auf; Detail-Adaptierungen folgten in der Halbzeit. Und schließlich kam niemand auf die Idee, sich nach der Führung zurückzuziehen. Den Spielern selbst bereitete das unter Foda ohnehin teilweise offen sichtbares Unbehagen; nun werden sie in ihrem Instinkt des Vorwärtsdenkens unterstützt.
Keinesfalls darf man nun in eine übertriebene Euphorie verfallen und die Formulierungen einer „Goldenen Generation“ im ÖFB sind weiterhin übertrieben. Wahr ist aber, dass Ralf Rangnick – wie auch schon Franco Foda – einen soliden und gutklassigen Spielerpool zur Verfügung hat, der auf einigen Position stark besetzt ist (zentrales Mittelfeld, Innenverteidigung – was für ein tolles Spiel zeigte Kevin Danso!), auf anderen nicht (Zehner, offensive Außenspieler). Der Auftritt von Osijek legt die Annahme nahe, dass Rangnick um dieses Ungleichgewicht weiß und sein Team drumrum spielen lässt, ohne ihm die Stärke zu nehmen und vor allem, ohne dem Team eine Spieldenke aufzudrücken, die ihrem Instinkt widerspricht.
Das alleine ist schon ein Zeichen, das eine positive Entwicklung vermuten lässt; ganz unabhängig vom Ergebnis.