WM-SERIE: „LEIDER NEIN“, Teil 1 | Insgesamt 198 Mannschaften haben es aktiv versucht, einen der 31 freien Plätze für die Endrunde zu ergattern. Offiziell. Denn in vielen Ländern hat keiner damit gerechnet, ein WM-Ticket ergattern zu können…
Neukaledonien gegen Tahiti. Das war das allererste Spiel der WM-Qualifikation, am 25. August 2007 – genau 1.051 Tage, bevor in Johannesburg der Weltmeister gekürt wird. Im Rahmen der Ozeanien-Spiele auf West-Samoa starteten damals zehn Teams, die allesamt wussten, dass sie nicht die geringste Chance auf eine Teilnahme an der Endrunde in Südafrika haben. Nur einer legte vor: Osea Vakatalesau! Der Stürmer aus Fischi, der in der neuseeländischen Liga sein Geld verdient, schoss sich in der Torschützen-Wertung mit seinem Sechserpack beim 16:0 gegen Tuvalu am Eröffnungstag an die Spitze. Und dort sollte er bis zum Schluss bleiben, mit am Ende zwölf Toren, genauso vielen wie Moumouni Dagano aus Burkina Faso. Das war aber auch schon das einzig Nachhaltige an diesem Turnier, das man getrotst als „Ameisenrunde“ bezeichnen kann, ohne den Beteiligten zu nahe zu Treten.
Beteiligten wie David Brand, dem bedauernswerten britischen Teamchef von US-Samoa. Ihm war wohl schon vor dem 1:12 zum Auftakt gegen die Salomonen und der 0:15-Vernichtung gegen Fußball-Weltmacht Vanuatu ein paar Tage später schon bewusst, dass nach den vier Vorrunden-Gruppenspielen Schluss sein wird und die Seinen nicht zu den Teams zählen würden, die des in die Ozeanien-Finalgruppe schaffen, um dort Kanonenfutter für Neuseeland zu sein. Immerhin, ein 0:31 wie im April 2001 gegen Australien gab’s diesmal nicht. Und beim 0:4 gegen Tonga wäre es sogar fast gelungen, mit einem torlosen Remis in die Halbzeitpause zu gehen. Nach vier Niederlagen und einem Torverhältnis von 1:38 war das Abenteuer beendet.
Vier Spiele, davon konnten andere Mannschaften im Laufe der Qualifikation nur träumen, was vor allem am unterschiedlichen Modus der einzelnen Kontinental-Verbände liegt. Und auch an einigen Teams selbst. So verzichtete etwa das Karibik-Team von den US-Jungferninseln, das in seiner ganzen Geschichte erst 12 Tore erzielt hatte, auf das Heimspiel gegen Grenada. Das eine Spiel, dass den Aufsteiger in die nächste Runde ermitteln sollte, gewann Grenada mit 10:0 – so blieb es das einzige Quali-Spiel der US-Jungferninseln. Und die Mannschaft von der benachbarten Inselgruppe Anguilla wusste auch schon nach dem Hinspiel gegen El Salvador, das 0:12 ausging, dass man sich für das Rückspiel keine allzu großen Hoffnungen mehr machen dürfte.
Während ein Antreten dieser kleinen, aber zuzmindest politisch stabilen Länder trotz ihres traditionell frühen Ausscheidens keiner in Frage stellen würde, tritt bei anderen Verbänden das pure Antreten, trotz klarer sportlicher Unterlegenheit, durchaus in den Vordergrund – wie bei Afghanistan. Wie schon vor vier Jahren war zwar auch diesmal sehr schnell Schluss, aber dass es trotz des Krieges am Hindukusch möglich ist, eine Mannschaft zu stellen (die diesmal Syrien unterlegen war), ist schon erstaunlich. Natürlich, das „Heimspiel“ musste in Tadschikistan ausgetragen werden und die Mannschaft setzt sich neben Spielern aus der eigenen Liga (ja, die gibt’s wirklich) vor allem aus Exil-Afghanen aus deutschen Amateurligen zusammen, aber hier zählt in der Tat nur das Dabeisein.
Vor allem wenn man bedenkt, auf welche Art und Weise die Mannschaft vom palästinensischen Verband aus dem Bewerb ausscheiden musste. Zum Hinspiel gegen Singapur, dass in Doha stattfand, durfte die Mannschaft noch, aber für das Rückspiel drei Wochen später im Stadtstaat am Südzipfel von Malaysia gab es keine Ausreisegenehmigung mehr. Natürlich, nach dem 0:4 in der ersten Begegnung wäre der Aufstieg ohnehin nicht mehr gelungen, aber so will man natürlich auch nicht ausscheiden. Auch nicht als Fußballzwerg.
Alles andere als ein Zwerg ist eigentlich Indien. Zumindest, wenn man nicht über Fußball spricht, denn das Team aus dem Land mit dem Milliardenvolk ist exakt gleich weit gekommen wie jenes aus Palästina und das aus Afghanistan. Gegen den Libanon war schon in der allerersten Vorqualifikation Schluss, obwohl der Libanon nur 0,35% der Einwohner von Indien hat. Dass der Indien-Bezwinger dann in der Zwischenrunde auf verlorenem Posten stand und gegen Singapur, Usbekistan und Saudi-Arabien alle sechs Gruppenspiele verloren hat, sei an dieser Stelle aber auch erwähnt.
Auch in Afrika gibt es Krisenherde, die zumindest für ein Spiel eine Mannschaft zusammenkratzten, so wie Somalia. Ein Leben in diesem Land ist garantiert kein Spaß, und so ist dort der Fußball natürlich (und richtigerweise) keine zentrale Sorge. Die auf ein Duell reduzierte Vorquali-Begegnung mit dem kleinen Nachbarland Djibouti ging mit 0:1 verloren. Ein Duell, mit dem die FIFA aber wohl auch aus organisatorischen Gründen keine Freunde gehabt haben dürfte: Das Ergebnis sickerte erst am Tag danach durch, bis der Spielberichts-Bogen mit Aufstellungen und Torschützen online war, dauerte es mehrere Tage. Die Begegnung zwischen Somalia und Djibouti wurde so übrigens nicht ausgelost: Die einen hätten gegen Swaziland spielen sollen, die anderen gegen die Seychellen. Diese beide rückten aber kampflos in die Zwischenrunde auf, weil das geplante Duell zwischen der Zentralafrikanischen Republik und der Inselgruppe Sao Tomé wegen beider Rückzug nicht stattfand…
Djibouti bekam, ebenso wie die automatisch aufgerückten Seychellen, in der Zwischenrunde in sechs Spielen ebenso viele Ohrfeigen verpasst, wie etwa beim 1:8 in Malawi. Swaziland konnte immerhin einen 2:1-Achtungserfolg gegen Togo verbuchen und erreichte ein 0:0 gegen Afrikacup-Teilnehmer Sambia. Und damit einen Punkt mehr als Äquatorialguinea, das als Ausrichter der Afrika-Meisterschaft in zwei Jahren noch viel Arbeit vor sich hat…
Aber muss man wirklich um die ganze Welt reisen, um Fußballzwerge bei der Arbeit zu betrachten? Nein, muss man natürlich nicht. Auch in Europa gibt es einige Experten dieser Natur. Wie etwa die Mannschaft aus Malta, die auch nach dem Ende des zehnten und letzten Spiels kein einziges Mal ins gegnerische Tor getroffen hat. Immerhin, gegen Albanien kamen die Malteser (die in der Quali für die Euro 2008 immerhin die Ungarn geschlagen haben) zu einem 0:0. Oder wie wäre es mit San Marino? Die haben zwar im Gegensatz zu Malta ein Tor erzielt, durch den ewigen Andy Selva gegen die Slowakei, aber dafür (wie auch Andorra) alle Spiele verloren – und das 0:10 gegen Polen war das einzige zweistellige Ergebnis in der kompletten Europa-Qualifikation.
Insgesamt sind es wohl weit über die Hälfte der teilnehmenden Verbände, die schon vor dem Anpfiff des ersten Spiels ganz genau wissen, dass sie sich die Mühe gar nicht machen werden müssen, ein Mannschaftsquartier in Südafrika zu suchen. Was aber nicht heißt, dass es nicht auch positive Ausreißer gibt. Wie Montenegro: Bei ihrem allerersten Antreten an einer Qualifikation für ein großes Turnier verlor der Debütant nur drei der zehn Spiele, zwei davon gegen Italien; gegen die Iren gab es zwei Punkteteilungen. Und auch die Luxemburger haben besser abgeschnitten als erwartet. Keiner hätte gedacht, dass der Prügelknabe dank eines sensationellen Sieges in der Schweiz die Gruppe nicht als Letzter abschließen, sondern die Moldawier hinter sich lassen würde!
Vielen der 205 Verbänden, die genannt hatten, und der 199 Teams (inklusive Gastgeber Südafrika, der ja ebenso Spiele absolvierte, weil diese Quali auch für den Afrikacup zählte), die letztlich zumindest ein Spiel absolviert haben, ging es einzig um das Dabeisein. Um das Teilnehmen. Um kleine Erfolge. Aber was wären die großen Erfolge schon ohne die kleinen?