Wird das ein wildes Pressing-Fest oder probiert eines der Teams etwas aus? Am Montag treffen in Milton Keynes (Anstoß 20.45 Uhr) die ÖFB-Frauen auf England – erstmals seit fast sieben Jahren. Dieses Spiel wird vom ORF auf Sport plus übertragen, und auch bei der EM im Sommer wird der ORF flächendeckend dabei sein.
Insgesamt 25 der 31 Spiele werden übertragen, die ersten zwei Gruppenspiele von Österreich (gegen die Schweiz und Frankreich) sind sogar auf ORFeins geplant. Wohlgemerkt: Das Match gegen Frankreich ist zur Prime-Time an einem Samstag. So etwas war bislang schlicht unvorstellbar. „Ein Zeichen der Wertschätzung“, freut sich Kapitänin Viktoria Schnaderbeck, die nach einem halb Jahr Verletzungspause wieder dabei ist. Teamchef Dominik Thalhammer ist „stolz und dankbar“ darüber.
Testspiel gegen England
England ist klar über die Spielidee von Trainer Mark Sampson zu identifizieren. Unter dem 34-jährigen Waliser, der seit dreieinhalb Jahren im Amt ist, sind die Lionesses die flexibelste Mannschaft der Welt, was das Spielsystem angeht. 4-4-2, Raute, Dreierkette, mit Zehner oder ohne – alles haben die Lionesses im Repertoire.
Die Spielanlage ist aber klar definiert: Hohes Pressing in genau geplanten und vordefinierten Wegen, leiten des Gegners in die gewollten Teile des Spielfeldes. Nach Ballgewinn schnell umschalten und es ausnützen, dass man schon nahe am gegnerischen Tor ist. Meisterhaft gezeigt hat England diese Spielweise zuletzt in der ersten Halbzeit des Spiels gegen Frankreich beim SheBelieves-Cup.
„Das System ist immer extrem auf den Gegner angepasst“, bestätigt ÖFB-Teamchef Dominik Thalhammer, „es ist sehr schwer, das vorher abzuschätzen.“ England ist unter Sampson Dritter bei der WM 2015 geworden, war damit bestes europäisches Team. Auch für die EM im Sommer in Holland die Lionesses einer der absolut seriösen Titelkandidaten.
Sonja Spieler: „Wegbereiterin“
Die Bilanz von Österreich gegen England ist deutlich negativ: Vier Spiele, vier Niederlagen, 1:15 Tore. Das letzte Match gegen England war das letzte Heimspiel von Thalhammers Vorgänger Ernst Weber, im August 2010 in Krems im Rahmen der WM-Qualifikation. Es war dies auch das letzte Heimspiel im Nationalteam für eine der prägendsten Spielerinnen in der Geschichte der ÖFB-Frauen: Sonja Spieler.
Die Vorarlbergerin war von 1993 bis 2010 ein Teil des Nationalteams, niemand deckte jemals eine größere Zeitspanne ab. Die Teilnahme an einer Endrunde, wie sie das aktuelle Team in 100 Tagen startet, war ihr nicht vergönnt.
Ballverliebt: Sonja Spieler, in Ihrer ganzen, langen Team-Karriere hatten Sie nie nie Gelegenheit, wie das aktuelle Team bei einem großen Turnier zu spielen. Wehmütig?
Sonja Spieler: Wehmut ist nicht das richtige Wort. Als Aktive hatte ich hoch gesteckte Ziele, eine EM oder eine WM wäre ein absoluter Traum gewesen. Es hat nicht sollen sein. Aber: Ich sehe meine Kolleginnen von damals als Wegbegleiterinnen. Gerade zu den anderen Spielerinnen aus Vorarlberg gibt es auch heute noch regelmäßigen Kontakt, da sind echte Freundschaften entstanden.
Wie sehr verfolgen Sie das aktuelle Geschehen um das Frauen-Nationalteam?
Das bekomme ich natürlich mit und ich freue mich über die Entwicklung. Mit denen, die mit mir noch bei Bayern München gespielt haben – Schnaderbeck, Wenninger, Puntigam – bin ich auch immer noch in Kontakt. Es ist sehr gut, dass durch die Erfolge auch der Fokus der Öffentlichkeit mehr auf den Frauenfußball verlegt wird.
Wenn die Strukturen im ÖFB – Stichwort Nationales Zentrum für Frauenfußball in St. Pölten – schon in den Neunzigern und den Nuller-Jahren da gewesen wären – was wäre damals möglich gewesen?
Schwierig zu beurteilen. Klar hätte ich mir gewünscht, dass manches schneller gegangen wäre, aber es muss auch ein gesundes Wachstum sein. Es ist in jedem Fall schön zu sehen, dass sich heute durch das Zentrum die Chancen schon für junge Mädchen auf eine erfolgreiche Karriere erhöhen, auch durch gute Trainer und entsprechende Erfolge bei den U-Nationalteams. Entscheidend ist, das ist in anderen Ländern genauso, die Vereinsarbeit in den jüngeren Jahrgängen. Hier wird die Basis einer guten Ausbildung gelegt.
War in den Zeiten vor dem Nationalen Zentrum eine gewisse Halbherzigkeit seitens des ÖFB zu spüren?
Die, die im Team und im Betreuerstab dabei waren, waren immer mit sehr viel Herzblut und unglaublich viel Leidenschaft dabei. Ich denke da etwa an Masseurin Maggie Sperrer, die ja auch heute noch dabei ist, oder Teamchef Ernst Weber. Fußball ist immer ein Gesamtkonstrukt, da kommt es auf viele Sachen an.
Wenn das Team heute zusammen kommt, ist die Gruppe mehrere Tage vor dem Match komplett, sodass intensiv gemeinsam gearbeitet werden kann. Wie war das in ihrer Anfangszeit im ÖFB-Team?
Ich war damals Schülerin, andere waren berufstätig… Da ist man, wie in meinem Fall, spätabends mit dem Zug von Vorarlberg nach Wien gefahren, dann ging es gemeinsam nach Lindabrunn. Es gab ein Training, eine kurze Vorbereitung, und am danach folgenden Tag war oft schon das Match – und nach diesem ging’s recht schnell wieder nach Hause. Das war ein Wochenend-Engagement, wenn man so will.
Wie konnte da so etwas wie gemeinsames Spielverständnis oder echter Teamgeist entstehen?
Das hat es in dem Sinn eigentlich nicht gegeben. Da hat sich seither extrem viel verändert, professionalisiert. Das Zusammenfinden als Gruppe, der Mannschaftsgeist ist etwas ungemein wichtiges.
Das erste offizielle Länderspiel der ÖFB-Frauen war 1990, Sie waren ab 1993 dabei, wurden Rekord-Teamspielerin. Fühlen Sie sich als Pionierin im österreichischen Frauenfußball?
Puh, bei dem Wort „Pionier“, da fühle ich mich so alt wie meine Oma… „Wegbereiterin“ passt wohl besser. Pioniere waren andere vor mir.
In ihrer aktiven Zeit gab es selten mehr als vier Länderspiele pro Jahr, heute sind es doppelt so viele oder mehr. Sie könnten, bei heutiger Schlagzahl, locker 130 Länderspiele haben. Ärgert Sie das?
Aber nein! Es freut mich für die jetzige Generation, dass sie diese Möglichkeiten haben. Ich habe mich auch ehrlich für die Nina Burger gefreut, als sie meine Marke endlich überboten hat.
Jetzt spielt das Team gegen England – der Gegner in ihrer letzten WM-Quali als Aktive. Wie haben sie diese in Erinnerung?
Da war schon ein deutlicher Aufwärtstrend zu erkennen, weil auch vermehrt Legionärinnen dabei waren – das hat das Niveau gehoben. Wir wussten natürlich, dass es keine realistischen Chancen auf eine WM-Teilnahme gab. Es ging gegen England und Spanien, und nur der Gruppensieger qualifizierte sich für das Playoff. Besonders schön war damals die Leistung im ersten Match. Das war ein 0:1 in Spanien, es war das erste Länderspiel nach meinem Kreuzbandriss, und wir haben wirklich gut gespielt.
Das Heimspiel gegen England war das einzige, das wirklich enttäuschend verlaufen ist. Wir waren zur Halbzeit schon 0:3 im Rückstand, haben 0:4 verloren. Ich weiß noch, dass ich als rechter Sechser gespielt habe – und, dass die Laura Feiersinger vor mir gewirbelt hat.
Spielerinnen aus dem Ländle prägten gerade in den Neunzigern das Team – neben Ihnen noch Stürmerin Elke Scheubmayr, Torhüterin Elisabeth Bitsche, Mittelfeldspielerin Heidrun Grutsch. Nun gibt es seit 2011 keinen einzigen Einsatz einer Vorarlbergerin im ÖFB-Team mehr. Warum?
Das Nationale Zentrum steht in St. Pölten, das ist weit weg. Es ist für 14-jährige Mädchen aus dem Westen schon ein sehr, sehr großer Schritt. Hinzu kommt, dass es derzeit keinen Klub aus Vorarlberg in der Frauen-Bundesliga gibt. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich das bald ändert – neben dem alteingesessenen Platzhirschen Rankweil gibt es nun mit dem FFC Vorderland einen sehr engagierten, weiteren Klub. Sie pushen sich gegenseitig, beide haben eine sehr gute Chance, heuer in die Bundesliga aufzusteigen. Es wäre wichtig, den Mädchen hier im Bundesland eine sportliche Alternative in der höchsten Liga bieten zu können. Ich bin überzeugt, dass es nicht mehr lange dauert, ehe wieder eine Vorarlbergerin im Nationalteam spielt.
Frau Spieler, besten Dank für das Interview.
Gerne – und an dieser Stelle schöne Grüße an die Mädels aus Vorarlberg. Und unseren ÖFB-Frauen fest die Daumen drücken, bei der EM im Sommer!
Kuriosum in WM-Quali
Parallel zu diversen Testspielen, zu denen eben auch jenes von Österreich in England zählt, fängt andernorts schon die Qualifikation für die WM 2019 in Frankreich an. Unter anderem mit der Vorrunde in Asien. Diese interessiert in der Regel nicht einmal Hardcore-Nerds, weil da normal nur der absolute sportliche Bodensatz ausgesiebt wird. Das ist diesmal aber ein wenig anders – und zwar wegen Nordkorea.
Bei der WM 2011 ist der Zehnte der aktuellen Weltrangliste – also absolut ein Team aus der erweiterten Weltklasse – durch gleich fünf positive Dopingtests aufgefallen. Daher wurde Nordkorea für 2015 komplett ausgeschlossen und dementsprechend für 2019 in den hinterletzten Topf verfrachtet.
Folge: Man wurde in der Vorrunde – in der nur die Gruppensieger nicht ausscheiden – genau in die Gruppe zu Südkorea (17. der Weltrangliste, Achtelfinale bei der letzten WM) gelost. Am Freitag kam es bei dem in Nordkoreas Hauptstadt Pyöngyang ausgetragenen Mini-Turnier zum direkten Duell – es endete 1:1, darum kommt es nun darauf an, wer die anderen Teams ärger verprügelt. Fix ist: Für eines der beiden verfeindeten Nachbarländer ist die WM schon fast zweieinhalb Jahre vor der Endrunde vorbei.
Ameisenrunde in Europa
Auch in Europa läuft die Quali für die WM in Frankreich 2019 nun an. In der Vorrunde – 16 Nationen sind da dabei – werden fünf Teams für die Hauptrunde gesucht, die wie immer im September startet. In dieser Ameisenrunde sind neun Teams, die in der letzten EM-Quali in der Hauptrunde dabei waren (Türkei, Montenegro, Estland, Georgien, Albanien, Griechenland und Moldawien, dazu Österreichs letzte Gruppengegner Kasachstan und Israel). Kosovo gibt das Debüt.
Zumindest für vier dieser Nationen ist die WM-Quali also schon am 11. April wieder vorbei. Natürlich: Für den weiteren Verlauf der Qualifikation und die Hauptrunde wird der Ausgang dieser Vorrunde keinen wirklichen Einfluss haben. Es geht nur darum, wer die Punktelieferanten in der Hauptrunde sein werden.
Kleine Anmerkungen: Aserbaidschan, in allen anderen Bereichen sehr ambitioniert, richtete vor fünf Jahren die U-17-WM aus, um auch im Frauenfußball einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Bei den „Großen“ ist man aber weiterhin nicht dabei, gerade gab es überhaupt erst die ersten beiden Länderspiele seither (zwei Tests gegen die Arabischen Emirate). Zypern hat zwar eine Liga, aber weiterhin kein Nationalteam. Mazedonien verfügt zwar mit Nataša Andonova von Paris St. Germain über eine Stürmerin von internationaler Klasse, hat das Team aber zurückgezogen. Auch Bulgarien und Armenien haben ihre Versuche eingestellt, sich im Frauenfußball zu etablieren. Diverse Kleinstaaten (San Marino, Liechtenstein, Gibraltar) fehlen auch.
Die Kader
Kleines Kreisschließen am Rande: Sonja Spieler war beim 2:2 in der Türkei im August 2010, ihrem letzten Länderspiel, für fast sieben Jahre die letzte Über-30-Jährige im ÖFB-Kader. Torhüterin Jasmin Pfeiler, die nach vier Jahren erstmals wieder mit dabei ist, beendet diese Serie nun.
Österreich: Tor: Jasmin Pfeiler (32 Jahre, Altenmarkt, 19 Spiele/0 Tore), Manuela Zinsberger (21, Bayern/GER, 27/0). Abwehr: Marina Georgieva (19, Potsdam/GER, 1/0), Gini Kirchberger (23, Duisburg/GER, 42/1), Sophie Maierhofer (20, Kansas Jayhawks/USA, 17/1), Katharina Naschenweng (19, Sturm Graz, 5/0), Katharina Schiechtl (24, Bremen/GER, 21/5), Viktoria Schnaderbeck (26, Bayern/GER, 52/2), Carina Wenninger (26, Bayern/GER, 62/3), Laura Wienroither (18, Neulengbach, 0). Mittelfeld: Verena Aschauer (23, Sand/GER, 40/7), Barbara Dunst (19, Leverkusen/GER, 11/0), Jasmin Eder (24, St. Pölten, 34/1), Laura Feiersinger (24, Sand/GER, 45/8), Nadine Prohaska (26, St. Pölten, 68/7), Sarah Puntigam (24, Freiburg/GER, 66/9), Sarah Zadrazil (24, Potsdam/GER, 42/5). Angriff: Nicole Billa (21, Hoffenheim/GER, 27/11), Nina Burger (29, Sand/GER, 84/46), Stefanie Enzinger (27, Sturm Graz, 6/0), Laura Krumböck (17, St. Pölten, 0), Lisa Makas (24, Duisburg/GER, 45/17), Viktoria Pinther (18, St. Pölten, 4/0).
Englands Teamchef Mark Sampson hat bereits jetzt seinen Kader für die EM nominiert. Jener für den Test am Freitag gegen Italien (1:1) und jenen am Montag gegen Österreich weicht in Details davon ab, aber Sampson greift da wie dort vor allem auf Spielerinnen von Europacup-Halbfinalist Manchester City zurück.
England: Tor: Sophie Baggaley (20, Birmingham, 0 Länderspiele/0 Tore), Siobhan Chamberlain (33, Liverpool, 41/0), Carly Telford (29, Notts County, 7/0). Abwehr: Laura Bassett (33, Notts County, 59/2), Hannah Blundell (22, Chelsea, 0), Lucy Bronze (25, Man City, 41/4), Jessica Carter (19, Birmingham, 0), Alex Greenwood (23, Liverpool, 23/2), Steph Houghton (28, Man City, 84/9), Demi Stokes (25 Man City, 34/1), Casey Stoney (34, Liverpool, 129/6). Mittelfeld: Millie Bright (23, Chelsea, 1/0), Izzy Christiansen (25, Man City, 12/3), Jade Moore (26, Notts County, 35/1), Jordan Nobbs (24, Arsenal, 39/4), Jill Scott (30, Man City, 119/18), Fara Williams (33, Arsenal, 160/40). Angriff: Karen Carney (29, Chelsea, 126/31), Toni Duggan (25, Man City, 45/15), Mel Lawley (22, Man City, 0), Nikita Parris (23, Man City, 10/3), Jodie Taylor (30, Arsenal, 22/7), Ellen White (27, Birmingham, 61/20).