Österreich 1, Kamerun 1: Des Bundesadlers Brut in Frankreich 1998, Teil 1

Es war der 25. März 1998. Die Party zur geschafften WM-Qualifikation, jener ausgelassene Oktober-Abend im Happel-Stadion nach dem 4:0 über Weißrussland, war noch eine schöne Erinnerung, die echte WM-Euphorie war beim ersten Testspiel des neuen Jahres aber schon verflogen. Das Happel-Oval war nicht einmal halbvoll, als man Ungarn zu Gast hatte. Um die Form und das Personal für die WM zu testen und um die gemeinsame EM-Bewerbung für 2004 zu promoten.

Und dann kam Béla Illés. Der ungarische Zehner war für Kühbauer und Mählich im defensiven Mittelfeld-Zentrum kaum zu halten, die Ungarn gewannen mit 3:2, Illés erzielte zwei Treffer. „Man soll nicht gleich wieder alles in Frage stellen“, sinnierte Teamchef Herbert Prohaska danach, „aber wenn sich das nicht ändert, muss ich mir überlegen, ob wir es verkraften können, bei der WM mit so einer offensiven Aufstellung anzutreten!“ Gegen Ungarn hatten Polster und Vastic vorne begonnen, mit Herzog als Zehner dahinter. Reinmayr kam in der zweiten Halbzeit statt Kühbauer als zusätzlicher Spielmacher hinein.

Was wir jetzt nicht verlieren, müssen wir später nicht aufholen

Es folgten ein grauer Auftritt beim 0:3 gegen die USA (wobei zwei Tore erst in der Nachspielzeit fielen) und ein erarbeitetes, glanzloses 2:1 gegen Tunesien vor nur noch 12.000 Leuten im Happel-Stadion. Die Vorfreude war der Skepsis gewichen.

Im ersten WM-Spiel gegen Kamerun machte Prohaska seine Ankündigung wahr: Vor Libero Wolfgang Feiersinger und den Manndeckern Peter Schöttel und Toni Pfeffer bzw. zwischen den Flügelspielern Harald Cerny und Arnold Wetl spielte ein Dreier-Mittelfeld mit Beißer Roman Mählich, Arbeiter Didi Kühbauer und Box-to-Box-Läufer Heimo Pfeifenberger. Andi Herzog war zweite Spitze neben Toni Polster.

Klingt nach einem kreativen Loch. War ein kreatives Loch.

Österreich – Kamerun 1:1 (0:0)

Zumal Andi Herzog alles andere als fit war. Im Vorjahr hatte ihn eine gebrochene Zehe lange behindert, die Verletzung brach kurz vor der WM wieder auf; außerdem ist Polster mit Köln abgestiegen. Erstmal nicht riskieren, im ersten Spiel schon alle Chancen einzubüßen, war die Devise, und so sah das dann auch aus.

Österreich vorsichtig, Kamerun schlampig

Österreich vermied jeden Risiko-Pass. Mählich stand Mboma auf den Füßen, Pfeifenberger links rückte zunächst relativ weit auf, die Pässe waren aber mehr quer und zurück. Lange Bälle wurden eher in Richtung der Eckfahnen geschlagen. Das erlaubte Polster und Herzog einigen Platz, um die Anspiele unter Kontrolle zu bringen, nahm aber jedes Tempo aus den Aktionen und es wurde zu wenig nachgerückt. Häufig war auch ein 40-Meter-Pass nach vorne zu sehen, der von keinem Mitspieler sinnvoll zu erreichen war.

Bei Kamerun sah es nicht viel kreativer aus. Angibeaud (der nach der WM zu Sturm Graz wechseln sollte) und Simo verwickelten jeden Österreicher, der den Ball nicht sofort unter Kontrolle hatte, in Zweikämpfe. Das war also relativ häufig der Fall. Nach vorne war aber auch nicht viel los, weil die Stürmer gut abgedeckt waren. Eine besondere Brisanz hatte das Duell zwischen den Rapidlern Peter Schöttel und Sammy Ipoua: Letzterer erwies sich in Hütteldorf als heißblütiger Flop, was ihm von ersterem auch öffentlich ausgerichtet worden war. Schöttel blieb Punktsieger, nach einer wirkungslosen Stunde wurde Ipoua ausgewechselt.

Nach 30 Minuten kam der Frust

Dafür war Cerny weit weg davon, Punktsieger gegen den wuchtigen Womé zu sein – Cerny war defensiv gebunden und konnte offensiv kaum Akzente setzen. Damit blieb Wetl links der einzig plausible, kontrollierte Weg nach vorne. Aber in Wahrheit passierte in der ersten halben Stunde sehr wenig. Nach 18 Minuten kam Omam-Biyik nach einer Freistoß-Flanke zum Kopfball, Konsel fing die Kugel. Im Gegenzug fiel Herzog nach einem langen Pass von Pfeifenberger im Luftkampf mit zwei Kamerunern die Kugel eher zufällig vor die Füße, er flankte auf Polster, aber Song lenkte dessen Schuss entscheidend ab. Sonst war da praktisch nichts.

Nach einer halben Stunde kroch zunehmend die Frustration in die Körpersprache der Österreicher. Polster schrie nach dem x-ten 40-Meter-Pass, den er gegen die enge Deckung nicht verarbeitet bekam, seine Unzufriedenheit raus. Cerny pflaumte nach einem Zweikampf mit Womé den Assistenten an. Bei einer Behandlungspause kurz vor der Halbzeitpause sah man Polster und Wetl im Zwiegespräch – Polster gestikulierte unzufrieden, Wetl ließ schon die Schultern hängen, nach dem Motto: „Ja eh, Toni, aber was soll ich denn tun?“

Viele Zweikämpfe, wenig Torszenen

Kamerun wollte Österreich mit robuster Spielweise stoppen, Österreich zeigte jenen Arbeitsethos, den Prohaska im Vorfeld vermisst hatte. Aber der Referee, Epifanio González aus Paraguay, schien seine Zweikampfbeurteilung zu würfeln.

So sah Pfeffer eine harte gelbe Karte, weil er Mbomas Fuß im Kampf um den Ball mit dem eigenen Fuß von hinten anschob. Zwei Minuten später, ein Attentat von Njanka an Cerny mit Anlauf und gestrecktem Bein – man hätte über einen Ausschluss reden können, Njanka wurde nicht einmal verwarnt. In der nächsten Aktion kämpften Feiersinger und Ipoua um den Ball – traf der Rapid-Stürmer den Dortmund-Libero überhaupt? Jedenfalls knallte der Referee Ipoua ohne zu zögern den gelben Karton unter die Nase.

Torchancen waren eher Zufallsprodukte. Polster hatte einmal am Fünfer stehend nicht genug Druck hinter einen Kopfball gebracht, Angibeaud riss eine Flanke ab – Konsel ging auf sicher, lenkte den Ball zur Ecke über das Tor. In der 35. Minute drosch Womé einen Freistoß aus 25 Metern direkt auf Konsel, der das Brutalo-Geschoss parieren konnte.

Herzog ist durch, Kamerun frischt auf

Schon zu Beginn der zweiten Halbzeit war Andi Herzog ziemlich augenscheinlich erledigt. Er ging in keine Zweikämpfe mehr, lief ungenauen Bällen nicht mehr nach, seine Zuspiele ließen zunehmend die Genauigkeit vermissen und das Match – das sein Gesicht der ersten Halbzeit beibehielt – zog immer mehr an Herzog vorbei. Nach rund einer Stunde zogen dann immer mehr Teamkollegen nach, das österreichische Spiel wurde schwerfälliger, langsamer, unpräziser.

Nach einer Stunde brachte Claude Le Roy, der französische Teamchef des Kamerun, Salomon Olembé statt Simo und Joseph-Désiré Job statt Ipoua. Olembé, erst 17 Jahre alt, holte sich die Bälle ganz tief ab, Kamerun verstärkte damit die spielerische Kontrolle über das Mittelfeld-Zentrum. Nur: Obwohl es Österreich hin und wieder zuließ, dass ein Kameruner durch das Mittelfeld dribbelte, reduzierte man Kamerun auf Weitschüsse, weil alle Anspielstationen für diesen Kameruner weiterhin manndeckenderweise verunmöglicht wurden.

Aus dem Spiel geht nicht viel

Gleichzeitig riss Österreich zwar im Sechserraum immer wieder erstaunliche Räume auf, in die auch Kameruner reinliefen, die aber nicht angespielt wurden. Und offensiv? Naja. In der 71. Minute ein Freistoß von Polster an der Strafraumgrenze, durch die Mauer, aber Songo’o war auf dem Posten. Herzogs Kommentar in Großaufnahme: „Scheiße!“

73. Minute, Wetl dribbelte sich an der Strafraumkante an N’Do vorbei und kam im Zweikampf danach zu Fall, González entschied auf Weiterspielen statt Elfmeter, was sehr wahrscheinlich korrekt war. Kommentar von Wetl: „Scheiße!“ Dann landete ein Ball bei Pfeifenberger an der Mittellinie. Dieser dribbelte zehn, fünfzehn Meter nach vorne, sah, dass weder Herzog noch Polster irgendwie sinnvoll anspielbar waren, haute aus 35 Metern drauf.

Songo’o musste sich strecken, aber tatsächlich war dieser Verlegenheits-Weitschuss eine der besseren Tormöglichkeiten. Die ziemlich sichtbar erledigte Startformation wurde von Prohaska weiterhin unverändert auf dem Rasen belassen. Le Roy hatte schon zweimal gewechselt, Kamerun wirkte frischer.

Ein Weltklasse-Solo vom Manndecker

Dann, in der 77. Minute, deckte Olembé mal für Polsters Manndecker Njanka ab, dieser dribbelte sich nach vorne, mit Tempo an Kühbauer vorbei. Feiersinger erkannte die Gefahr, rückte heraus, grätschte mit Risiko – aber Njanka legte in vollem Lauf den Ball an der Grätsche vorbei. Damit war die Situation so richtig heiß: Bereits in den Strafraum eingedrungen, setzte Njanka mit einem Haken noch Schöttel auf dessen Hosenboden und schlenzte dann den Ball über Konsel hinweg ins lange Eck. Das 1:0 für Kamerun. „Warum hat den niemand angegriffen!?“, war ORF-Kommentator Peter Elstner verzweifelt.

Die österreichische Reaktion war ein Dreifach-Wechsel in der 82. Minute: Peter Stöger (statt Pfeifenberger für das Zentrum), Ivica Vastic (für die Herzog-Rolle) und Mario Haas (der nun statt Cerny den rechten Flügelspieler gab) kamen rein. Nun wurde doch mehr nach vorne geworfen, auch Feiersinger hielt es nun nicht mehr viel hinten, was Kamerun Platz zum Kontern gab. Haas rettete einmal vor Womé, die folgende Ecke wäre fast vom eingewechselten Hertha-BSC-Legionär Tchami zum 2:0 verwertet worden.

Endlich österreichischer Mut, endlich österreichischer Druck

Aber das ÖFB-Team, mit dem Mut der Verzweiflung, setzte sich nun endlich in der gegnerischen Hälfte fest. N’Do hinderte Wetl daran, eine Flanke platziert zu verwerten (87.) und sogar Schöttel rückte nun auf. Sein Zuspiel auf Vastic leitete dieser auf Polster weiter, dessen Schuss wurde geblockt, Stögers Nachschuss wurde links am Tor vorbei abgefälscht (89.). Mit zwei Spielmachern zwischen den Linien – Vastic und Stöger – war nun endlich das Personal da, um Kameruns Defensive ins Wanken zu bringen.

Es waren auch Stöger und Vastic, die sich nach vorne kombinierten, als die 90-minütige reguläre in die dreiminütige Nachspielzeit überging. Vastic wurde gefoult, Freistoß-Pass auf Stöger, dessen Flanke klärte Kalla per Kopf vor Polster zur Ecke, 90 Minuten und 15 Sekunden. Feiersinger legte sich den Ball zurecht, zog ihn vom Tor weg in Richtung Elfmeterpunkt, 90 Minuten und 32 Sekunden. Pfeffer ging zum Ball, zog damit zwei Kameruner von Polster weg, verlängerte per Kopf zum komplett blank stehenden Toni. Dieser ließ sich nicht lange bitten, prackte drauf, via Unterkante der Latte ging der Ball ins Tor und zappelte im Netz. 90 Minuten und 35 Sekunden.

Der Ausgleich.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.