Mo Salah zündet einfach so sein Denkmal an

Mo Salah hat kürzlich mit dem Gang vor das Mikrophon eine persönliche Krise bei Liverpool angezündet. Mittlerweile haben das alle mitgekriegt, die genauen Details muss man hier also nicht wiederholen. Er spielt jedenfalls auch heute Abend in Mailand gegen Inter deshalb nicht. (Hier lässt sich das Interview sonst auch nachlesen.)

Das Absurde an der Situation ist die Begründung. Salah sieht sich als Sündebock für Liverpools Probleme. Woher er diesen Eindruck hat, ist schwer zu verstehen. Absolut jeder hat zwar gesehen, dass er seit Wochen nicht in Bestform ist. Es gab zuletzt immerhin ganze Spiele in denen Salah seinen direkten Gegner gefühlt nie überspielen konnte.

Unübersehbare Krise

Trainer Arne Slot hat lange trotzdem an ihm festgehalten. Dafür gibt es ganz gute Überlegungen. Einerseits, weil er diese Reaktion vielleicht erahnt hat und sich ersparen wollte. Andererseits, weil ein Mo Salah in Form mit seinen Toren natürlich Probleme überdecken und Phasen durchtauchen helfen kann, wenn es in der Mannschaft gerade nicht läuft. Und natürlich, weil man einem Spieler mit Vertrauen und Gametime manchmal tatsächlich auch aus der Krise helfen kann.

Nun ja. All das hat nicht funktioniert. Der Mo Salah der vergangenen Monate ist nicht der Spieler, der in den vergangenen Saisonen alles überstrahlt hat. Er rackert und will. Das ist unübersehbar. Aber es geht einfach gerade nicht. Und so gesehen hat Slot vielleicht sogar zu lange darauf gehofft, dass diese Version von Salah plötzlich wieder auftaucht. Weil es weder ihm noch den Ergebnissen geholfen hat.

Der Streisand-Effekt

Aber alle in Liverpool lieben Salah. Alle hofften, dass er die Form wieder findet. Niemand gab ihm die Schuld an der LFC-Krise. Absurderweise hat er sich mit seinem unnötigen Interview voll selbst ins Zentrum der Schuldfrage gestellt. Denn jetzt wird diskutiert, wie viel Anteil Salah an der Krise hat. Ein schönes neues Lehrbeispiel für den Streisand-Effekt. (Wohlgemerkt verändert sich eben nur dieser öffentliche Fokus. Die Antwort bleibt dieselbe: Seine Form ist natürlich ein Element, aber bei weitem nicht das Wichtigste oder Alleinige.)

Salah hat diesen Sinn für Entitlement (das Dümmste, was er in diesem Interview sagte war die Andeutung, er müsse nicht jede Woche um seinen Platz kämpfen), dass er unantastbar sein müsse, eh schon ein paar mal gezeigt. In der letzten Saison von Jürgen Klopp – als dessen Abgang längst klar war – stritt er zum Beispiel bei einer Auswechselung mit dem Trainer und richtete den Medien danach aus, er rede jetzt nicht, denn sonst würde alles brennen. Aber bei 30-40 Toren pro Saison sieht man drüber weg, dass ein Spieler eine gewisse Divenhaftigkeit mitbringt.

Es gibt nicht wirklich einen sinnvollen Anlass

Das andere Absurde an der Situation ist, worum es überhaupt geht. Er ist immerhin 33. Und in einer Formkrise in diesem Alter musste er 1-2 Mal von der Bank starten, ehe er komplett eskaliert und seine Karriere bei einem Verein aufs Spiel setzt, dem er seine besten Jahre gewidmet hat, aber der auch ihm alles gegeben hat – vom Aufstieg zu einem Weltstar, über die Liebe einer globalen Fangemeinde bis zu einem Vertrag mit 400.000 Pfund Einkommen pro Woche.

Ein Spieler von Salahs Klasse muss verstehen, dass es gerade auch für ihn nicht so gut rennt. Da kann das größte Ego nicht drüber hinwegtäuschen. Auch wenn er langsam in ein Alter kommt, hat er seine herausragenden Fähigkeiten wohl kaum binnen weniger Monate vollkommen verloren. Salah kann immer noch ein absoluter Top-Spieler sein. Auch bei Liverpool hätte er in dieser Saison wieder eine zentrale Rolle spielen können.

Bild von Fars Media Corporation, CC BY 4.0

Was er vielleicht auch sieht und in Wahrheit schon seit seinem Vertragspoker im Vorjahr verstehen wird: die Vergangenheit bei Liverpool war Salah, die Gegenwart war es immer noch, die Zukunft heißt Wirtz, Ekitike – vielleicht Isak (alle drei mussten heuer schon zurecht verkraften, dass sie Spiele auch von der Bank beobachten mussten, weils gerade nicht lief). Als Küchenpsychologie könnte man da vielleicht eine vorauseilende Flucht vermuten: Lieber ein Ausstieg, als ein Abstieg.

Der Zeitpunkt ist absolut absurd

Interessant ist auch noch der Zeitpunkt. Und auch der stellt die Frage, ob Salah Berater hat, auf die er hört – und wenn ja, ob die ihm gute Dienste erweisen. In ein paar Tagen fährt Salah nämlich mit Ägypten zum Afrika Cup. Er wird mehrere Wochen weg sein. Danach hätte alles wieder gut sein können. Wäre Liverpool bei seiner Rückkehr immer noch in der Krise, wäre der Trainer weg – kein Grund für eine Konfrontation. Zudem wäre dann umso klarer, dass er nicht DAS eine große Problem war.

Kommt Salah zurück und ist wieder in Form, ist er entweder der Retter (weil es der LFC immer noch nicht ist) oder er steht vor einem Problem (weil der LFC ohne ihn aus der Krise gefunden hat). Aber einer, der in den vergangenen Jahren mehrere ernstzunehmende Ansprüche auf den Titel als Weltfußballer setzen konnte, muss einfach das Selbstvertrauen haben, zu sagen: “Auch wenn die Mannschaft sich ohne mich wieder aufgegangen hat, bin ich gut genug, um mich wieder reinzuspielen”.

In all diesen Fällen hätte kein Mensch mehr darüber geredet, dass er Anfang Dezember einmal 2-3 Spiele auf der Bank gesessen wäre. Strategisch wäre das der perfekte Zeitpunkt, um die Klappe zu halten.

Das gilt aber nur dann, wenn man bleiben will, wo man ist. Denn freilich ist das, was tatsächlich vorgefallen ist, durchaus auch mit dem Ratschlag von Managern zu vereinen. Nämlich dann, wenn Salah den Exit erzwingen will. Weil er hofft – oder weiß -, dass im Jänner wieder ein Angebot aus Saudi Arabien kommt.

Das Denkmal wackelt

Vielleicht ist das alles unnötige Spekulation. Vielleicht geht einfach nur der Frust mit Salah durch und er denkt gar nicht so weit. Vielleicht findet er nach dem Afrika Cup die Ruhe und die richtigen Worte, um sich mit Slot, Verein und Fans wieder zu versöhnen.

So wie er auftritt, scheint ihm derzeit aber jedenfalls die Wahrnehmung zu fehlen, dass er jetzt gerade eben nicht die strahlende Ausnahme im Team ist und sein Auftritt niemandem gefällt. Dass gerade so ein verdienter Spieler nicht versteht, was einen der Besten von einem der Größten unterscheiden kann, ist auch etwas schade. Dass bei allem Ehrgeiz und verbissenen Einsatz, der einem zum Besten gemacht hat, zur Größe ein bisschen Einsicht und selbstkritische Distanz dazu gehören, um sich in den schwierigen Zeiten eben nicht das eigene Denkmal anzupissen, sondern es zu festigen.

Um das zu verstehen, dazu hätte er sich nur ein paar Kilometer weiter umhören müssen, ob in Manchester heute noch irgendwer nach Cristiano Ronaldo krächzt. Aber als Ronaldo dort alles angezündet hat, hat er sein Denkmal zur Not auch in Madrid stehen gehabt. Auch Salahs ist natürlich ungeachtet von CAN und WM in Ägypten eine Spielerlegende. Aber ein Denkmal bei einem großen Verein, wird er außer beim FC Liverpool nicht kriegen. Seines wird in Anfield stehen – oder nirgends.