Österreich unterliegt Serbien: Der Underdog-Fußball beißt zurück

„Wenn man ehrlich ist, sind wir wahrscheinlich in der B-Gruppe besser aufgehoben…“ Das sagte nach dem Match in Belgrad kein Österreicher, der sich die Playoff-Niederlage gegen Serbien schönreden wollte. Sondern Dragan Stojković, Teamchef der Serben: „Aber es ist gut, dass wir in der A-Gruppe verbleiben können!“

Dass Österreich nun nach dem 1:1 in Wien und dem 0:2 in Belgrad – dem sechsten sieglosen Auftritt in der serbischen Hauptstadt in Folge – in der B-Gruppe der Nations League verleibt, ist ärgerlich, aber verschmerzbar: Natürlich wäre es gut für’s Ego, ganz oben antreten zu dürfen. Viel mehr aber sagt das verdaddelte Playoff nach dem verdaddelten Direktaufstieg aber etwas über den Gesamt-Zustand das ÖFB-Teams aus, ehe es im Juni in die WM-Qualifikation geht.

„Österreich war in beiden Spielen die bessere Mannschaft“, sagte Lazar Samardžić, Torschütze in Wien, nach dem Spiel in Belgrad. „Wir haben schlechter gespielt als wir können, Österreich ist ein starkes Team“, meinte Dušan Vlahović, dessen Treffer zum 2:0 im Rückspiel den serbischen Gesamtsieg endgültig fixierte. Doch auch, wenn die Serben ihren Erfolg mit ungewohnte Demut registrierten und Ralf Rangnick das Resultat der zwei Begegnungen als „absurd“ bezeichnete – eine gewisse Logik steckt schon dahinter.

Und diese rechtfertigt noch nicht, mit Blick auf die leichtestmögliche WM-Quali-Gruppe mit Rumänien und Bosnien-Herzegowina den Panik-Knopf zu drücken. Aber eine gewisse Rekalibrierung der Erwartungen können die Spiele seit der EM schon zur Folge haben – nicht, was die Ergebnisse angeht. Aber doch den Weg dorthin betreffend.

Das 1:1 in Wien

Wie ist Serbien verwundbar? Nun, das gäbe es einiges. Bei der EM etwa präsentierte sich die Truppe von Dragan Stojković als Meister im aneinander vorbeispielen: Draufgehen oder verteidigen? Rausspielen oder langer Hafer? Oftmals unklar. Dann das System: Serbien hat keine echten Außenverteidiger – nur umfunktionierte Flügel-Stürmer (Živković, Kostić, Birmančević, Mimović) oder umfunktionierte Innenverteidiger (Stefan Mitrović, Spajić) oder international bestenfalls mittlere AV-Preisklasse (Nedeljković, Terzić, Gajić).

Spielt Serbien Viererkette, ist die Außen-Besetzung nicht gut genug für A-Niveau und die Schnittstellen sind offen (wie beim serbischen Test vor der EM), spielt Serbien Dreier/Fünfer-Kette, ergibt sich oft Platz hinter den Wing-Backs. Tatsächlich dauerte es in Wien keine 30 Sekunden, ehe der rechte Flügelverteidiger Mimović den hinter ihm in den Raum startenden Baumgartner erstmals übersah und sich nur per Foul zu helfen wusste.

Die Serben agierten im gewohnten 3-4-1-2 und machten dabei die Reihen sehr eng, vor allem wenn die Abwehr hoch aufrückte – sehr häufig vor allem in der Anfangsphase.

So überließ man Österreich zwar den Ball, das aber möglichst weit hinten und ohne Möglichkeit, in die Mitte hinein zu spielen – dorthin, wo Rangnick-Teams am liebsten hin wollen. Die Stürmer Jović und Vlahović sowie Zehner Samardžić stellten zu dritt den Sechserraum zu, wodurch Österreich auf die Außenbahnen gedrängt wurde.

Diese Maßnahme war aber nur semi-clever, weil Österreich auf den Außenbahnen praktisch immer eine 2-gegen-1-Überzahl hatte. Hinzu kam, dass die Serben kaum in die Zweikämpfe gingen und in den Laufduellen Nachteile. Es hatte schon seinen Grund, warum sie möglichst jedes Tempo aus dem Spiel heraus halten wollten.

Kein Ertrag weil kaum Strafraum-Präsenz

Die Serben waren also sehr passiv und ließen sich damit dennoch immer wieder hinten hinein drängen. Rund um den Strafraum – vor allem links und rechts davon – agierte Österreich in diesen Phasen sehr gedankenschnell und mit kurzen, gezielten Laufwegen von nicht-ballführenden Österreichern wurde oft sehr gut Platz für den ÖFB-Spieler am Ball ausgeräumt. Nur bespielt wurde dieser nicht konsequent genug und auch die Strafraumbesetzung war zu mager.

So reichte es im Angriffsdrittel zwar, wenn Romano Schmid nur mit dem Hintern wackelte, dass der überforderte Birmančević den Weg für ihn frei machte, zumal dieser auch noch den konsequent offensiv laufenden und oft einrückenden Patrick Wimmer im Blick haben musste. Doch wenn es darum ging, den Ball in die Box zu bringen, stand dort zuweilen nur ein Österreicher gegen drei serbische Innenverteidiger plus zwei absichernde Sechser.

Einmal wurde Baumgartner von Schmid geschickt, einmal konnte man Arnautovic freispielen, aber so etwas wie Tempo im Spiel vor das Tor war bei Österreich zu selten zu sehen. Kein Zufall, dass das 1:0 in der 37. Minute weder mit spielerischen Elementen noch mit Strafraumbesetzung zu tun hatte: Langer Ball von Alaba auf Arnautovic, dessen Ablage versenkte Gregoritsch aus 18 Metern Entfernung.

Stecker gezogen

Nach der Pause knüpfte Österreich zunächst nahtlos an, Arnautovic – der lange eine großartige Partie ablieferte, einen großen Aktionsradius hatte und viele kluge, unerwartete Kurzpässe spielte – zog etwa einmal ab. Aber auch das grundsätzliche Problem blieb bestehen: Zumeist wurde nicht der Abschluss gesucht, sondern durch die vielbeinige serbische Abwehr ein besser postierter Mitspieler gesucht. Eine Suche, die oft hektisch verlief und selten mit Finden verbunden war.

Bis sehenswerte Weitschuss-Treffer von Samardžić die ansonsten erstaunlich ruhigen serbischen Fans kurzfristig aufweckte und gleichzeitig den Schwung in Österreichs Spiel zum Einschlafen brachte.

Baumgartner, der sich im Zweikampf zuvor wohl eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen hatte, musste zudem raus und Rangnick konnte eben nicht den verletzten Sabitzer oder den gelbgesperrten Laimer bringen. Es kam zunächst Muhammed Cham, in der Folge auch erstmals Raul Florucz sowie ein Xaver Schlager, der wegen anhaltender Knieprobleme noch keine einzige Minute im Jahr 2025 absolvieren hatte können.

Die Serben jedenfalls bunkerten sich nun hinten ein und Österreich erging es ähnlich wie im EM-Achtelfinale gegen die Türkei: Viel Ballbesitz gegen einen tief stehenden Kontrahenten, aber wenig Idee, wie es ohne die Chance, jemanden anzulaufen und ihm so den Ball abzunehmen, Torgelegenheiten geben soll. Die guten, kurzen Laufwege aus der ersten Halbzeit? Weg. Die unzureichende Besetzung des Strafraums dafür – immer noch da.

In der 89. Minute fand Arnautovic nach Flanke von Cham noch die Gelegenheit auf den Siegtreffer vor, aber es war die einzige seriöse Chance. Die letzte halbe Stunde des Spiels war ziemlich lähmend.

Das 0:2 in Belgrad

Für das Match in der serbischen Hauptstadt adaptierte Dragan Stojković seine Formation ein wenig. Statt dem 3-4-1-2, das die Außenbahnen relativ offen gelassen hatte, kam nun ein 5-2-2-1 zum Einsatz. In diesem hatten Samardžić und Lukić die Aufgabe, im Zentrum Überzahl herzustellen und Österreich damit wieder nicht durch die Mitte aufbauen zu lassen. Gleichzeitig aber verschoben sie nach außen, wenn das ÖFB-Team den Ball dort hin spielte, und sie stellten somit auch dort die gefahrlosen Aufbau-Routen für Österreich zu.

Damit sah das Match sehr ähnlich aus wie die letzte halbe Stunde von Wien, nur eben von Anfang an. Österreich sammelte Ballbesitz, allerdings nur dort, wo es Serbien nicht weh tat. Bei Ballverlusten war das ÖFB-Team schnell griffig im Gegenpressing, aber es fehlte gleichzeitig die Bereitschaft, aus den Strukturen heraus Laufwege anzubieten, welche die Serben aus der Formation reißen konnten. Das traute man sich vorne am serbischen Strafraum in Wien zu – aus der letzten Linie heraus in Belgrad aber nicht.

Hier fehlte wohl auch die Präsenz und das Spielgefühl von David Alaba, der nach seiner langen Verletzungspause noch nicht ganz die Sicherheit für zweimal 90 Minuten direkt hintereinander hatte. Österreich agierte sehr statisch und strahlte sehr wenig Torgefahr aus. Schmid kam einmal aus guter Position zum Schuss, viel mehr war nicht: Instinktiv drängte der österreichische durch das Zentrum, wo dieser Aufbau so gut wie immer von den Serben verschluckt wurde.

Slapstick-Gegentor und Ausschluss

Rangnick stellte in der Pause ziemlich um: Laimer, der auf der Zehn mitten im Gewühl verpuffte, war nun Rechtsverteidiger und Wimmer ging statt Mwene nach links, dafür kam Arnautovic statt Flügelspieler Cham für die Spitze und Grüll dafür neu auf den Flügel. Was sich am Spiel änderte? Nicht sehr viel, bis zu 56. Minute. Da passte Schlager einen Abstoß kurz nach vorne auf Seiwald, dieser bekam aber von Maksimović Druck – panisch bolzte Seiwald die Kugel zurück Richtung Tor, Schlager konnte den Ball überrascht nur noch irgendwie an den Pfosten lenken, gegen den abstaubenden Maksimović war er machtlos.

Die Serben hatten derweil ihrerseits umgestellt: Der flinke Stürmer Luka Jović war für Sechser Gudelj gekommen, im 5-3-2 wollte man nun vermehrt Nadelstiche setzen, während gleichzeitig stets eine Dreierkette vor der Abwehr das Zentrum abdichtete. Vlahović traf kurz nach dem 1:0 auch noch den Pfosten, Österreich verlor in dieser Phase spürbar die Ruhe und die Ordnung. Und dann holze auch noch Trauner den in den Strafraum ziehenden Mitrović um – kurz vor der Strafraumgrenze, damit gab’s den Ausschluss.

Mehr Risiko in Unterzahl

In der Folge kam Alaba nun doch rein, er füllte die von Trauner hinterlassene Lücke, Österreich musste nun aus einem 4-2-2-1 heraus erhöhtes Risiko gehen. Vlahović traf einmal knapp aus Abseits schon zum vermeintlichen 2:0, zweimal rettete auch Schlager in höchster Not.

Ab ca. 75. Minute

Andererseits war dieser Endspurt aber auch jene Phase im Match, in der Österreich noch am strukturiertesten in Richtung Strafraum kam. Weil es eben nichts mehr brachte, mit der defensiven Absicherung als Handbremse auf halber Höhe zu stehen, wurde nun mehr Leute nach vorne committed und es gab auch in Ansätzen wieder jedes Spiel um den Strafraum, mit dem man die Serben in der ersten Halbzeit in Wien so genervt hatte.

Es blieb aber auch dabei, dass Österreich daraus nicht in seriöse Abschlusspositionen kam. So fiel am Ende aus einem Konter das 2:0 für Serbien statt der rettende Ausgleich für Österreich.

Was haben wir gelernt?

Natürlich stellt sich Ralf Rangnick schützend vor sein Team. Wir kennen ihn aus drei Jahren Teamchef nun aber doch auch schon gut genug, um zu erahnen: Je energischer er das tut, desto mehr brodelt es in ihm. Schon auch natürlich, weil damit der Aufstieg in die A-Gruppe der Nations League nach dem mega-unnötigen späten Ausgleich gegen Slowenien im November quasi zum zweiten Mal verspielt worden ist.

Zum anderen aber auch, weil die Learnings aus den beiden Serbien spielen eh genau jene sind, die es schon aus dem EM-Achtelfinale gegen die Türkei zu ziehen gab und aus den Slowenien-Spielen im Herbst: Gegen ein gutklassiges, geschickt verteidigendes Team (wie die Türkei) fehlen die Ideen, wenn man selbst gestalten muss. Und zweitens: Wenn man schon das Spiel im Griff hat und sich auch irgendwie eine Führung erarbeitet hat, wär’s halt schon gut, diese gegen einen im Grunde geschlagenen Gegner auch drüber zu bringen.

Und hier ist eben die individuelle Qualität der Spieler auch ein Thema. Natürlich hat Österreich einen Alaba, der seit 15 Jahren – sofern fit – bei Bayern München und Real Madrid immer bombenfeste Stammkraft war. Ja, es gibt einen Marcel Sabitzer, dessen Zahlen bei Borussia Dortmund besser sind als die Wahrnehmung. Freilich, Konrad Laimer spielt bei den Bayern, wo immer er gebraucht wird.

Aber zur Wahrheit gehört halt auch: Seiwald ist in Leipzig bestenfalls Mitläufer. Grillitsch ist bei Hoffenheim ausgebootet worden und sammelt jetzt beim Liga-Letzten in Spanien Minuten. Gregoritsch ist kein Stammspieler in Freiburg. Bremen – wo Schmid, Grüll und eigentlich auch Friedl spielen: Bundesliga-Mittelmaß. Die „Goldene Generation“, von der verschiedentlich die Rede ist, ist keine: Es sind gutklassige Spieler, deren Stärke es vor allem ist, wie eine Vereinsmannschaft zu spielen – mit einer klaren Spielidee, im Idealfall perfekt aufeinander abgestimmt.

Wenn das flutscht, kann man jeden starken Gegner damit nerven. Es ist im Grunde seines Herzens aber Underdog-Fußball, der an seine Grenzen stößt, wenn man nicht der Underdog ist.

Und doch: In Wien gewann Österreich das Expected-Goals-Duell gegen Serbien mit 1,8 zu 0,4 laut Footmob, man kam nicht zu Chancen am Fließband, aber zu genug, um 2:0 oder 3:1 zu gewinnen. Dann findet dieses wirklich limitierte serbische Team keinen Weg mehr zurück, zumal das halbleere Marakana in Belgrad nun wahrlich kein klischeehaft-serbischer Hexenkessel war. Österreich fand dort die Balance aus Risiko und Sicherheitsdenken nicht, die Zeit verging, ohne spürbare Dellen im serbischen Selbstverständnis zu hinterlassen, selbst wie ein Außenseiter zu agieren.

Der Blick auf die WM-Quali

Was das Ranking der Gegner betrifft, hat Österreich die leichteste aller Quali-Gruppen für die WM in Nordamerika nächstes Jahr gezogen. Doch das letzte halbe Jahr, die letzten acht Spiele waren kein Mutmacher.

Rumänien und Bosnien werden Notiz davon genommen haben und vor allem die Bosnier haben an diesem Wochenende schon gezeigt, was Österreich von ihnen zu erwarten hat: Vor 50.000 Zusehern in Bukarest stellte sich das Team mit dem Innviertler Malić und dem Pinzgauer Dedić defensiv auf, ließ die Rumänen machen. Rumänien hatte 66 Prozent Ballbesitz, 491:211 Pässe und 15:5 Torschüsse bei 1,8 zu 0,9 Expected Goals.

Bosnien gewann 1:0.

Österreich hat sich von Serbien zu leicht das Zentrum nehmen lassen, hat vor allem in Belgrad zu sehr das Risiko gescheut. Es fehlen weiterhin die Lösungen und vor allem die Laufwege und das Tempo gegen diese destruktiven Teams. Und die zwei, drei Möglichkeiten, die Österreich durch das Dickicht an Beinen zufallen, werden zu wenig konsequent genützt. In Wahrheit schon gegen dezimierte und längst besiegte Kasachen, definitiv gegen Slowenien, jetzt auch gegen Serbien. Und die Bosnier freuen sich schon.

Nichts an den jüngsten Spielen ändert etwas daran, dass es ohne Wenn und Aber der Anspruch sein muss, sich als Österreich in dieser Gruppe durchzusetzen und erstmals seit 1998 zu einer WM zu fahren. Sehr wohl aber ändern sie etwas an dem Gefühl, mit dem man am 7. Juni mit dem Heimspiel gegen die durch die Pleite gegen Bosnien schon kräftig unter Zugzwang stehenden Rumänen in die WM-Quali startet.

Aus einer Position der absoluten Stärke heraus wird man in dieses Spiel eher nicht gehen können. Weil Österreich zwar gerne wie ein Außenseiter spielt, in der WM-Quali nominell aber der klare Favorit ist. Trotz allem.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.