Nach drei Jahren Sperre: Wie es Russlands Fußball geht

Wenn das Länderspiel-Jahr 2025 in Europa startet – mit den Viertelfinal- und den Relegationsspielen in der Nations League und den ersten Partien der WM-Qualifikation für 2026 – ist Russland weiterhin nicht dabei. Drei Jahre nach der am 28. Februar 2022 ausgesprochenen Suspendierung nach dem Einfall in der Ukraine ist nicht abzusehen, wann russische Teams wieder international mitmachen dürfen.

National wird aber weiterhin gespielt und auch das Nationalteam ist so gut aktiv, wie es halt geht – sprich, wie man Gegner findet, die gegen die Russen spielen wollen. Katar gehörte zu diesem wenig illustren Kreis dazu, Weißrussland sowieso, auch Syrien vor dem Assad-Sturz – und Serbien, der österreichische Gegner in den kommenden Tagen.

Die Stärke des Nationalteams hat unter der Isolation fraglos gelitten – aber auch die Rolle der Liga ist interessant. Denn der Anteil an Russen ist in den letzten Jahren nicht etwa gestiegen – sondern, zumindest bei den Top-Teams, geradezu eingebrochen.

Zehn Russen bei den Top-3 der Liga – insgesamt!

Die Namen der Vereine, die um die Spitzenplätze in der Liga rittern, hat sich in den letzten Jahren nicht verändert: Zenit St. Petersburg steht bei sechs Meistertiteln in Folge, dahinter lauern der Krasnodar, Spartak Moskau und Dinamo Moskau sowie die in der letzten Zeit etwas ins Hintertreffen geratenen Vereine ZSKA und Lokomotiv, ebenfalls aus der Hauptstadt.

Zunächst muss erwähnt werden, dass die russische Liga spätestens nach den UEFA-Cup-Siegen von ZSKA Moskau 2005 und von Zenit St. Petersburg 2008 an Zugkraft gewann – gut verdienen konnte man in der russischen Liga schon vorher, nun war auch eine gewisse sportliche Konkurrenzfähigkeit gegeben. Hulk und Roberto Carlos kamen, Samuel Eto’o und Kevin Kuranyi auch; Trainer wie Luciano Spalletti und Guus Hiddink und André Villas-Boas standen in den Coaching Zonen.

Weniger Ausländer in Russland? Nein, mehr!

Nach Sperre und internationaler Isolation durften auch in Russland beschäftigte Spieler laut UEFA-Urteil ablösefrei aus dem Land rauswechseln. Intuitiv würde man vermuten, dass nun weniger Ausländer in der russischen Liga spielen als vorher. In der Realität ist bei den Top-Teams aber das Gegenteil der Fall.

Anteil der Spielminuten bei den Top-4 der jeweiligen Saisonen in Russland

Nimmt man nur die jeweiligen Top-4 der jeweiligen Saisonen her, ist der Anteil von 58 Prozent (in der Saison vor der Heim-WM 2018) über 51 Prozent (in der letzten vollen Saison vor der Invasion) auf 39 Prozent (in der laufenden Spielzeit) gefallen.

Was sich auch geändert hat, ist die Herkunft der Legionäre. Spieler aus anderen UEFA-Ländern machten bis Kriegsbeginn den deutlich größten Teil aus, heute entfallen bei den aktuellen Top-4 Zenit, Spartak, Krasnodar und Dinamo mehr als die Hälfte der Spielzeit auf Nicht-UEFA-Ausländern – vor allem Südamerikaner.

Die Stammformation von Abo-Meister Zenit im Herbst 2024 – Claudinho ist mittlerweile nach Katar zu Al-Sadd gewechselt

Warum diese Flut an auswärtigen Spielern? Einer der simpleren Gründe ist: Weil die Klubs das jetzt dürfen. Bis Corona mussten zumindest fünf Russen auf dem Feld stehen; so sah es das Reglement vor. Für die Saison 2020/21 wurde das Regulativ adaptiert, nun durfte man nicht mehr als acht Legionäre im Kader haben. Nach der internationalen Sperre wurde das Limit auf 14 Legionäre im 25er-Kader raufgesetzt, bis zu acht dürfen gleichzeitig auf dem Platz stehen.

Gerade die Spitzenklubs nützen diese Möglichkeit auch weidlich aus.

Tatsache: In den Stammformationen der Top-3 der aktuellen Tabelle befinden sich zehn Russen. Und zwar insgesamt.

Und der Rest der Liga?

Man versetze sich in die Lage eines mittelguten brasilianischen Fußballers Mitte zwanzig. Russland ist kulturell, klimatisch und sprachlich schon das ziemlich genaue Gegenteil von Brasilien. Hat man ein Angebot von einem Spitzenteam, für sicher nicht so wenig Geld trotzdem dorthin zu gehen, überlegt man sich das schon.

Aber sich Machatschkala oder Voronesh UND den Abstiegskampf antun? Puh.

Ein spannendes Phänomen ist nämlich, dass der Rest der Liga tatsächlich mehr Russen einsetzt als noch vor der Invasion bzw. vor der Heim-WM. Hier ist der Anteil von 55 Prozent im Jahr 2018 (was fast exakt der selbe Wert war wie bei den Top-Teams) über 60 Prozent im Jahr vor Kriegsbeginn bis auf 63 Prozent in der laufenden Spielzeit gestiegen.

Ein möglicher Grund könnte sein, dass der Rubel gegenüber dem Euro zwischen Herbst 2022 und dem Beginn der letzten Transferperiode im Winter 2024/25 sagenhafte 52 Prozent seines Wertes verloren hat. Vereine mit großem finanziellen Backing wie Zenit (Gazprom), Spartak (Lukoil) oder Krasnodar (Warenhaus-Milliardär Sergej Galitski) können trotzdem in Südamerika wildern gehen.

Herkunft der Legionäre nach Anteil der Spielminuten

Für die Kleinen aus dem Hinterland bleiben vor allem Kicker aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien und zweitklassige Fußballer aus dem restlichen Europa (wie auch die aus Österreich stammenden Aleksandar Jukic, Dardan Shabanhaxhaj, Dominik Oroz und Hidajet Hankic).

Alleine ein Drittel der Rest-UEFA-Minuten bestreiten Serben, ein weiteres Drittel Spieler aus den anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawien.

Die internationale Konkurrenzfähigkeit

Wo stehen die russischen Vereine nun im europäischen Vergleich? Ohne tatsächliche Spiele lässt sich das schwer sagen, ist es eher im Bereich von Bauchgefühl angesiedelt. In Wahrheit kann auch die Mathematik nur eine Annäherung liefern.

Opta sieht die russische Liga aktuell ziemlich gleichauf mit der österreichischen – Meister Zenit im Bereich von Sturm Graz, den FK Rostov (wo viele Russen zum Einsatz kommen und der auch einige Teamspieler stellt) im Bereich des LASK, Schlusslicht Orenburg etwa so stark wie Schlusslicht Altach.

Das Opta-Power-Ranking Mitte März 2025

Sieht man sich an, wo Zenit zwischen dem UEFA-Cup-Sieg 2008 und dem Ausschluss war (in der Champions League 6x Aus in der Gruppenphase und 3x Achtelfinale, in der Europa League 1x Viertel- und einmal Achtelfinale), weist Zenit eher die Bilanz des türkischen Top-Trios auf als von dem, was österreichischen Spitzenklubs realistisch zuzutrauen ist.

Das Gefühl sagt, dass zumindest die guten Teams in Russland stärker sein müssten als die heimischen. Belastbare Daten gibt es aber eher nicht.

Die Lage des Nationalteams

Vor ziemlich exakt drei Jahren weigerte sich Polen, zum WM-Playoff nach Moskau zu reisen, kurz darauf wurde allen russischen Teams die Teilnahme an offiziellen internationalen Bewerben untersagt. Ob sich das Nationalteam für die WM in Katar qualifiziert hätte – neben Polen hätte man dann auch Schweden besiegen müssen – ist unklar.

Klar scheint jedoch, dass die Isolation der Sbornaja deutlich mehr zusetzt als der Liga. Viele Legionäre hatte Russland nie und mehr als eine Handvoll ernsthafte Teamkandidaten sind es auch jetzt nicht. Monaco-Legionär Alexander Golovin, PSG-Ersatzgoalie Safonov, Stürmer Tchalov und Sechser Osdoyev bei PAOK Saloniki. Die Miranchuk-Zwillinge spielen in der Schweiz bzw. den USA, der als Riesentalent gehypte Sakharyan spielt nach seinem Millionen-Transfer zu Real Sociedad dort (auch verletzungsbedingt) überhaupt keine Rolle.

Die Liga-Klubs können sich mit Teamspielern aus Kolumbien und Uruguay, mit soliden Brasilianern und kernigen Serben behelfen. Das geht beim Nationalteam nicht.

Russland in den ersten zwei Jahren nach der Sperre

Teamchef Valeri Karpin, einst eleganter Spielgestalter bei Spartak Moskau und Celta de Vigo, lässt daher alles Teamluft schnuppern, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. In den neun Spielen zwischen Sommer 2022 und Herbst 2023 setzte er insgesamt 53 Spieler ein. Die Gegner waren nicht gerade namhaft und die Ergebnisse schwach: Remis gegen Tadschiksitan, Usbekistan und Kenia, knappe Siege gegen Kirgisien und den Irak.

Gegen die wenigen halbwegs seriösen Gegner waren die Resultate in dieser Phase okay, aber kein Statement – 1:1 gegen Katar, 1:1 gegen den Iran, ein 1:0 gegen Kamerun.

Das 4:0 gegen Serbien vor genau einem Jahr sieht beeindruckender aus, als es war. Das bisher letzte Spiel war ein klarer Sieg gegen Syrien vor vier Monaten.

Nur zwei zur UEFA gehörende Verbände erklärten sich seit Kriegsbeginn bereit, gegen Russland zu spielen und es sind genau die beiden, von denen man das erwartet. Gegen die Auswahl des politischen Schoßhundes Weißrussland (Platz 43 in Europa) gab es ein klares 4:0. Und es gab eine Partie gegen das Team aus Serbien, wo das befreundete Vučić-Regime am Werk ist.

Österreich-Gegner ging 0:4 unter – aber…

Serbien, in den kommenden Tagen der Gegner des ÖFB-Teams im Playoff um die Teilnahme an der A-Liga der Nations League, ist im Dinamo-Stadion von Moskau mit 0:4 unter die Räder gekommen. Das sieht super aus für Russland und furchtbar für die Serben, aber es lohnt sich ein genauer Blick.

Denn zum einen war Serbien längst nicht in Bestebesetzung angetreten – nur fünf der elf Start-Elf-Spieler waren bei der EM auch regelmäßig auf dem Feld, außerdem war Serbien nach dem Ausschluss von Gajić (Foul als letzter Mann gegen Khlushevitch) 70 Minuten in Unterzahl unterwegs. Hinzu kommt: Serbien ist bei der EM sang- und klanglos in der Vorrunde ausgeschieden und war zuvor in einem Test gegen Österreich rasch 0:2 hinten.

Im Herbst ermauerte sich Serbien ein 0:0 gegen Spanien, besiegte die Schweiz daheim 2:0 und rettete in Zürich kurz vor Schluss ein 1:1, wurde damit Dritter und vermied damit den direkten Abstieg aus Liga A, wodurch es eben zur Relegation gegen Österreich kommt.

Wie stark ist nun aber Russland? Sowohl FIFA-Ranking als auch Elo-Rating legen nahe, dass Russland wohl in der B-Gruppe der Nations League daheim wäre, aber auch hier gilt: Ohne ernsthafte Spiele gegen ernsthafte Gegner ist es kaum möglich, ernsthafte Rückschlüsse zu ziehen. Und die anstehenden Spiele gegen die Karibik-Insel Grenada und den afrikanischen Mittelständler Sambia wird darüber vermutlich auch keine echte Auskunft geben.

Wann es diese Spiele wieder gibt? Nun, das entscheiden nicht Teamchef Karpin oder Zenit-Trainer Semak.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.