„Wenn alle anderen an uns denken, sollen sie denken: ‚Maah, die Österreicherinnen… die jagen uns, die geben uns Stoff, die bringen uns aus der Komfortzone, gegen die müssen wir etwas leisten, dass wir da was holen.‘ Das soll in Zukunft passieren. Und Stars haben sie überall. Aber wenn die alleine sind und auf euch prallen, auf euch alle: Keine Chance! Da werdet ihr so viel Spaß haben. So viel!“
Mit diesen Worten hatte sich der neue ÖFB-Frauen-Teamchef Alexander Schriebl am Beginn des ersten Lehrgangs an die versammelte Mannschaft gewandt. Zwei Spiele später – ein 1:0-Sieg gegen Schottland und eine 1:4-Niederlage in Deutschland – ist schon einiges zu erkennen, was sich Handschrift des neuen Trainers interpretieren lässt.
Von den Vibes her, betreffend die Taktik und auch im Hinblick auf das Personal.
Die Vibes
Hörte man im Rahmen der ersten Zusammenkunft unter dem neuen Trainer hin, schwebte das Wort „Zweitausendsiebzehn“ durchaus ein wenig über den Eindrücken. „Ich finde, wir kommen wieder ein wenig zurück zu dem Ursprung, was uns über die Jahre ausgemacht hat: Diese gewisse Lockerheit, aber doch auch großer Ehrgeiz und der Wille zu gewinnen und performen zu wollen“, gab etwa Laura Feiersinger zu Protokoll.
Mit diesem Mix aus ansteckend-positiver Scheißminix-Attitüde neben dem Platz und dem perfekt gedrillten Hochenergie-Fußball auf dem Rasen wurden die ÖFB-Frauen damals, bei der EM 2017, nicht nur Semifinalist. Sondern im Zuge dessen von einem unbekannten Nobody in Rekordzeit zu Everybody’s Darlings – bei den Zusehern daheim ebenso wie bei den Beobachtern vor Ort in den Niederlanden.
Der Spaß am Gegner nerven ist zurück
Nachdem die Teams in Nürnberg aus dem Tunnel ins Stadion einmarschiert waren, war dieses gelöste, fette Grinsen in den österreichischen Gesichtern zu sehen – wie damals, vor dem Elfmeterschießen im Viertelfinale, als diese demonstrative, feixende gute Laune den Spanierinnen den Rest gegeben hat. Sure enough, zwei Minuten nach dem Anpfiff lag Österreich schon 1:0 in Front und jagte den Deutschen auch danach zumindest bis zur Pause das Weiße aus den Augen raus.
Obwohl Deutschland am Ende doch recht souverän 4:1 gewonnen hat, liefen im DFB-Lager alle, allen voran der neue deutsche Bundestrainer Christian Wück, nach dem Spiel mit einer Miene im Gesicht und einem Grummeln in der Stimme herum, als hätte man mit einer katastrophalen Leistung eine blamable Niederlage eingefahren. Wie wenn sie beim Zahnarzt gewesen und von einem besonders schmerzhaften Bohrer malträtiert worden wären.
Schnelle Vertrautheit
„Man baut recht schnell ein Gefühl auf“, so Feiersinger, die sehr rasch merkte: „Wir ticken recht ähnlich wie Alex. Man hat nicht das Gefühl, dass es der erste Lehrgang ist. Es fühlt sich schon sehr vertraut an.“ Das bestätigt, was Weggefährten über Schriebl gesagt haben: Die hohe soziale Kompetenz sorgt dafür, dass sich die Wellenlängen von Team und Trainer binnen kürzester Zeit überschneiden.
Dass die interne Stimmung so markant positiver ist als letztes Jahr, sollte man aber nicht alleine in Irene Fuhrmann festmachen. Im Treibsand der individuellen wie mannschaftlichen Formkrisen zog der schwere Rucksack voll mit Erwartungshaltung und entsprechendem Druck noch mehr nach unten. Da ist man nicht mehr (nach außen) glaubhaft zuversichtlich und schon gar nicht (nach innen) locker.
Das Personal
Es ist aber hilfreich, dass man auch in den ernüchternden Monaten von 2024 nie aufgehört hat, ein Team zu sein und dass alle das Nationalteam weiterhin stets als Herzensprojekt betrachtet haben. „Was mir immer gut getaugt hat: Es ist ein cooles Team und es herrschte immer ein sehr offener und ehrlicher Umgang“, bestätigte Isabel Hochstöger, bis vor Kurzem Teammanagerin.
Die EM kann nun komplett ausgeblendet werden, es ist ein frischer Start, praktisch bei null – zunächst nicht mit dem großen Druck-Rucksack, sondern mit leichterem Gepäck. Neue Gesichter prägen das Umfeld: Das betrifft das Trainerteam, Schriebl nahm Co-Trainerin Sara Schaible von Bergheim mit, bekam Gilbert Prilasnig als zweiten Assistenztrainer dazu. Spielanalyst Sven Palinkasch ist dafür nicht mehr beim ÖFB und eben auch Hochstöger nicht mehr direkt beim Team.
Die aus Oberösterreich stammende ehemalige Nationalspielerin (19 Einsätze zwischen 1999 und 2003) legte nach weit über einem Jahrzehnt ihren Posten als Teammanagerin zurück, um sich ihren Agenden als Leiterin der Abteilung für Mädchen- und Frauenfußball konzentrieren zu können. Die beiden Posten sind zeitlich und örtlich kaum noch zu vereinen gewesen („Es gab schon länger Überlegungen, dass ich nicht mehr als Head of Frauenfußball permanent unterwegs bin, sondern mich vermehrt um das Tagesgeschäft kümmern kann. Jetzt war ein guter Zeitpunkt, diesen Schritt zu setzen.“)
Vier Debütantinnen plus eine halbe
Auch auf dem Feld weht ein markanter frischer Wind. In den zwei Spielen gab es gleich vier Debütantinnen (Chiara D’Angelo, Carina Brunold, Maggy Rukavina und Melanie Brunnthaler) plus eine, die man noch nie in der Startelf bei einem Pflichtspiel gesehen hat, schon gar nicht in der Innenverteidigung: Claudia Wenger.
Sie durfte man schon als Teenager in der Talente-Schmiede von Union Kleinmünchen als kommende Abkippende Sechs betrachten, ihr Körper bremste ihre Karriere – sie hat anderthalb Jahre erst durch die Corona-Unterbrechung und dann durch Verletzung verloren. Die Eröffnungspässe von Marina Georgieva schwanken gerne mal zwischen Genie und Wahnsinn, das Skillset der exakten Spielgestaltung gehört bei Schriebl aber nicht zur unmittelbaren Job Description für Innenverteidigerinnen.
Tempo schon.
Wenger ist durchaus auch in der Lage, einen gepflegten ersten Pass zu spielen. Vor allem aber hat sie kein Problem damit, gegnerischen Steilpässen in den Rücken der Viererkette erfolgreich nachzulaufen und diese Situationen durch ihre geschickte Positionierung im Laufduell staubig zu entschärfen. Sie klärte eine Handvoll solcher Situationen ohne Drama und zumeist auch ohne Probleme. Ihr verletzungsbedingter Austausch in Nürnberg nach 55 Minuten tat nicht nur ihr weh.
Mut zu neuen Namen
Wenger ist bereits 23 Jahre alt und Melanie Brunnthaler, die überhaupt erstmals ein paar Minuten mitmachen durfte, sogar schon 24 Jahre. Ein internationaler Star wird die wie Marina Georgieva aus Bruck an der Leitha stammende Brunnthaler, die seit Jahren verlässlich für den SKN stürmt, vermutlich nicht mehr. Aber eine Karriere als eingewechselte, frische Kämpferin im offensiven Anlaufen (wie Viktoria Pinther) ist allemal noch drin.
Bei Carina Brunold (22) war es schon erstaunlich, dass sie überhaupt im Kader ist – sie ist erst im Winter von der SPG Lustenau/Dornbirn, eher im hinteren Teil der Bundesliga-Tabelle zu finden, zum SKN gewechselt. Dass sie tatsächlich spielen würde, glaubte sie selbst dann kaum, als sie von Athletik-Trainer Dominik Strebinger die entsprechende Order bekam: „Der Strebi hat gesagt, ,So, Carina, jetzt noch zwei Sprints!‘ und ich so, ,Carina? Ähm… ich…?'“
Debüts verteilen statt retten, was nicht mehr zu retten ist
Dazu kamen Chiara D’Angelo, Kapitänin der U-20-Achtelfinalisten von letztem Sommer, die gegen Schottland rechts hinten starten durfte und Maggy Rukavina, Sechser aus dieser Truppe, die in der Schlussphase in Nürnberg erstmals dabei war – wenn auch auf der Zehn statt Carina Brunold, die gegen Deutschland sogar statt Marie Höbinger anfangen durfte.
Rukavina kam zwar ebenso Out of Position zum Einsatz wie D’Angelo in den paar Minuten nach ihrer Einwechslung in Nürnberg (auf der Acht statt als Außenverteidigerin) und Brunnthaler (auf der Acht statt ganz vorne), das zeigt aber auch: Schriebl war es wichtig, sie überhaupt mal zu bringen. Das Spiel war zu dem Zeitpunkt längst tot und verloren, wann sollte man die frischen Namen bringen, wenn nicht da.
Und es zeigt auch: Es ist aktuell wichtiger, mittel- und langfristig zu denken, das kommende Personal an sich zu binden – emotional ebenso wie die Spielminuten betreffend – als verzweifelt ein Spiel im Hier und Jetzt retten zu wollen, das ohnehin nicht mehr zu retten war. Andererseits muss man kein Prophet sein, um zu erkennen, für wen es unter Schriebl eng wird und bald (oder schon jetzt) eher keine Rolle mehr spielen wird.
Die Taktik
Erste Auffälligkeit schon gegen Schottland war natürlich das System. Ein 4-3-1-2 gehörte nie zum engeren Repertoire des Teams und das letzte Mal, dass die ÖFB-Frauen in sowas ähnlichem wie einer Mittelfeld-Raute aufgelaufen sind, war im September 2014 bei einem 5:1 gegen Kasachstan. Und selbst da war es eben keine echte Raute, sondern eher eine markante Tiefenstaffelung von Zadrazil und Puntigam in der Mittelfeld-Zentrale.
Cornelia Sochor spielte bei dem Match damals ihre einzige halbe Stunde im Nationalteam. Die Conny ist längst nicht mehr aktiv und arbeitet als Projektmanagerin in der Glasfaser-Branche. Eine schnelle Verbindung zwischen Gehirn und Beinen braucht es auch im Schriebl-Fußball – das betrifft sowohl das Umschalten auf Gegenpressing bei Ballverlust als auch die Strukturen im hohen Angriffspressing, um Bälle möglichst weit vorne zu erobern.
„Es ist für uns ein komplett neues System, aber ich glaube, dass uns das gut tut, neu gefordert zu sein. Wir konnten uns immer schnell anpassen. Das hat man auch gemerkt: In der dritten, vierten Einheit war das schon in den Köpfen.“ Der Teamchef selbst bestätigt das, von seiner Handschrift sei „schon gar nicht so wenig bereits erkennbar gewesen“, wie er sagte, „weil die Mädels von Beginn an alles versucht haben, umzusetzen.“
Aufteilung auf dem Feld
Nicht nur das System wies eine klare Abweichung zum unter Fuhrmann präferierten 4-4-1-1 (bzw. davor 4-3-3) auf, sondern auch die Besetzung der Positionen. Ganz vorne spielten mit Lilli Purtscheller und Julia Hickelsberger zwei nicht besonders große, aber sehr schnelle Spielerinnen, die üblicherweise (also sowohl unter Fuhrmann im Team als auch bei Essen bzw. Hoffenheim im Verein) auf den Flügeln daheim sind. Ob das nur eine Reaktion auf die Abwesenheit von Eileen Campbell (rekonvaleszent nach Hüft-OP) ist oder eine Dauerlösung, muss man abwarten.
Neben Marie Höbinger auf der Zehn, die vor allem in pressender Mission unterwegs war, agierten Annabel Schasching (erstmals von Beginn an auf „ihrer“ Acht) und gegen Schottland, erstaunlich, die eigentlich defensivere Sarah Puntigam. Zadrazil gab bis zu ihrer Auswechslung die Sechs. Schaschings Dynamik war sowohl im Anlaufen als auch im Antritt mit dem Ball ein belebendes Element, das auch deswegen so auffiel, weil es dem Team im Vorjahr so gefehlt hatte. Die Vorstellung, dass auf der linken Acht Barbara Dunst spielen könnte, die diese Position im selben System bei Eintracht Frankfurt seit Jahren sehr gut besetzt, verstärkt den Wunsch nach rascher Heilung des gerissenen Kreuzbandes.
Aggressiv und vertikal
Auch in Sachen Spielstil war dieser Tage „2017“ da und dort zu hören. Damals, beim überraschenden Einzug ins EM-Semifinale, waren vor allem zwei Dinge wesentlich: Das extrem scharfe Angriffspressing zum einen (das die Schweiz komplett zerzauste und Island untergehen ließ) und das sehr vertikale Umschaltspiel zum anderen (vor dem sich die Spanierinnen im Viertelfinale so in die Hose machten, dass sie trotz 596:154 gespielten Pässen nie genug Spielerinnen nach vorne committeten).
Im Spiel mit dem Ball ortete man im ÖFB-Lager 2023 klare Fortschritte, davon war 2024 nicht mehr viel übrig. Die wahre Stärke der Truppe lag ohnehin seit den Aufbau-Jahren unter Dominik Thalhammer stets im aggressiven Spiel gegen den Ball: Wenn man Gegner anlaufen und nerven konnte, passten die Trigger, passten die Anlaufwinkel, passte die Absicherung und dank zumindest jeweils einer treffsicheren Stürmerin (Nina Burger bis 2017, danach Nici Billa bis 2022, seit 2023 Eileen Campbell) gab es meistens auch die nötigen Tore.
Das 1:0 in Ried gegen Schottland
Schriebl steht für diesen Stressfußball, beinahe schon in Reinkultur. Im Oktober 2022 wurde Österreich von Schottland im verlorenen WM-Playoff aus der Pressing-Komfortzone gerissen, im Februar 2025 ließ man sich nie nachhaltig aus dieser verdrängen.
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Schottland kam systembedingt mit einem Messer zur Schießerei, Interims-Trainer Michael McArdle hatte offenkundig keine Ahnung von Schriebls präferiertem Spielstil. Im flachen 4-4-1-1 hatten die Schottinnen eine dramatische Unterzahl im Zentrum, die auf dem Spielberichtsbogen als nominelle Acht verzeichnete Weir schob weit nach vorne. So weit, dass sie im Zentrum aus dem Spiel war, gleichzeitig aber vorne nichts zum Stören hatte, weil Österreich ohnehin kaum von hinten aufbauen wollte.
Die Österreicherinnen pressten im Zentrum alles an, was sich bewegte, übten Druck auf die schottische Abwehr aus, versuchten die Außenverteidigerinnen zu isolieren. Schon nach einer Viertelstunde wurde der Druck gegen den Ball mit dem 1:0 durch Lilli Purtscheller erzielt, sie hämmerte den Ball in die Maschen, nachdem die schottische Verteidigung den Ball nicht aus der Gefahrenzone gebracht hatte.
Die gegen Schottland sichtbaren Schwächen
In den vorangegangenen 19 Spielen waren die ÖFB-Frauen nur einmal ohne Gegentor geblieben und es gab einige Situationen, in denen Schottland sehr wohl treffen hätte können. Schon nach wenigen Minuten schob Wenger gleich mal in Antizipation eines langen schottischen Passes ziemlich weit durch, ohne dass die Absicherung da war – Zinsberger musste retten. Dann verhungerte mal ein Pass von Kirchberger genau in den Beinen einer Schottin, wieder wurde es brenzlig.
Das hieß aber auch: Nur bei österreichischen Fehlern kamen die Gäste aus dem Spielverlauf vor das Tor – sonst nur bei Standards. Wie es Schottland allerdings möglich war, den Ball bei der Doppelchance nach Eckball in der 30. Minute nicht im Tor unterzubringen, wäre ein Fall für promovierte Physiker.
Kein Spiel für Fans von hohen Passquoten
Davon abgesehen: Natürlich ist diese Strategie der absoluten Druckausübung mit einem gewissen Risiko verbunden. Alexander Semeliker verwendete damals das Wort „Chaos-Pressing“ in seinen Analysen des von Adi Hütter trainierten SV Grödig: Andere achteten mehr auf die Strukturen hinter der ersten Welle, in Grödig ging es vor allem um das offensive Potenzial dieser Spielweise. Daran erinnert auch das Spiel der ÖFB-Frauen: Schriebl-Fußball kann nicht über Passquoten definiert werden. Dass viele Vertikalbälle nach Ballgewinnen nicht ihr gewünschtes Ziel finden, ist einkalkuliert, solange aus der Handvoll, die ankommen, echte Torgefahr entsteht.
Einmal im Rückstand, fehlte Schottland einfach komplett das Werkzeug, um gegen dieses aggressive Spiel gegen den Ball ein vernünftiges eigenes Spiel aufziehen zu können, das schaffen sie gegen Teams aus der A-Gruppe selbst ohne Gegnerdruck kaum und die Basis zum Aufstieg waren ein 0:0 und ein 1:0 gegen Serbien, durch welche die Schottinnen ihre B-Liga-Gruppe knapp gewannen. Im entscheidenden EM-Playoff gab es ein 0:0 und ein 0:2 gegen Finnland.
Also: Nein, offensives Powerhouse ist Schottland beileibe nicht. In der zweiten Halbzeit ließ das Wilde im österreichischen Spiel ein wenig nach, es wirkte alles kontrollierter, man schraubte den Ballbesitz auf erstaunliche 60 Prozent hoch und ließ Schottland am ausgestreckten Arm verhungern. Einen Abschluss im Strafraum aus dem Spiel heraus brachten die Gäste nicht mehr zu Wege.
Das 1:4 in Nürnberg gegen Deutschland
Sarah Zadrazil, die Ende Jänner einen Muskelfaserriss erlitten hatte, konnte gegen Deutschland nicht mitmachen, dafür rückte Puntigam wieder auf die Sechs und Laura Feiersinger erstmals seit Herbst 2023 in eine Pflichtspiel-Startformation. Dazu begann Brunold auf der Zehn statt Höbinger.
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Wie kaum anders zu erwarten war, verdichtete Österreich sofort extrem aggressiv um den Ball, oft standen innerhalb kürzester Zeit drei bis vier Weiße um die ballführende Rote herum. Weil die deutsche IV mit Minge und der eher langsamen Knaak gegen Putscheller und Hickelsberger gebunden war und die Abstände im Zentrum nicht passten, wurde so vor allem Sjoeke Nüsken zu einer Ballverlust-Maschine – wenn auch das nicht nur ihre Schuld war, obwohl es Wück in seinen Aussagen nach dem Spiel ein wenig so dargestellt hat.
Nach zwei Minuten ließ sich Deutschland nach einem eigenen Einwurf düpieren und die Tiefen-Absicherung war mal gar nicht vorhanden, Schasching vollendete den Gegenstoß und man erntete einen nach oben gestreckten Daumen von Alex Schriebl. In dieser Tonart ging es weiter: Der deutsche Plan, über die rautenbedingt (vermeintlich) offenen Flügel zu spielen, wurde vom aggressiven österreichischen Verschieben zum Ball behindert, Hickelsberger hatte das 2:0 am Fuß, Deutschland wirkte 40 Minuten lang gehetzt und fahrig. Der 1:1-Ausgleich nach einem Freistoß an den langen Pfosten, der via Stanglpass bei Freigang landete und von ihrem Fuß im Tor, kam aus dem Nichts.
Die gegen Deutschland sichtbaren Schwächen
Das erste Gegentor hat sich Österreich also ziemlich banal eingefangen. Das 1:2 nach der Pause fiel genau in der Phase, in der Claudia Wenger verletzt behandelt wurde, von Brand – zugegeben extrem sehenswert – genau durch jenen Kanal vorbereitet, in der die für Wenger nach hinten gerückte Puntigam fehlte. Das 1:3 war ein Deluxe-Geschenk in Form eines zu kurzen Rückpasses von Laura Feiersinger.
Es würde aber zu kurz greifen, die überwiegend sehr vermeidbaren deutschen Tore herauszuheben, weil jene nach der Pause nur die Folge des Geschehens waren, nicht die Ursache.
Denn zum einen hatte Deutschland nach dem Seitenwechsel adaptiert: Däbritz kam für Nüsken und Dallmann für Freigang, vor allem aber rückte Feli Rauch von der linken Seite vermehrt in den Sechserraum ein. Damit hatten die zunehmend müden Österreicherinnen eine Deutsche mehr zum Anpressen. Selbst wenn es sich mathematisch ausgegangen wäre, ging es sich kräftemäßig nicht mehr aus: Das Pressing erlahmte, Deutschland hatte komplette Kontrolle über das Mittelfeld und zunehmend auch über die rechte Angriffsseite (gegen Hanshaw, die erst Schasching, dann D’Angelo, dann Brunnthaler vor sich hatte).
Wehe, das Konstrukt fällt auseinander
Das 1:4 geht aufgrund der Unterlegenheit nach der Pause schon in Ordnung. „Uns ist die Kraft ausgegangen, dann konnte Deutschland das Spiel leichter verlagern, und du musst immer wieder 40 Meter nachsprinten, nach hinten, und das vier-, fünf-, sechsmal. Da haben wir die Räume nicht mehr schließen können“, analysierte Manuela Zinsberger. „Mit diesen Spielverlagerungen haben sie ein Mittel gefunden, was ihnen vor der Pause – solange wir das Energielevel hochhalten konnten – nicht gefunden hatten“, bestätigte Annabel Schasching, „sie haben umgestellt, wir konnten uns keine Ruhepausen mehr verschaffen, haben oft schnell den Ball verloren, die Abstände wurden zu groß. So hatten sie viel Raum und Zeit zum Spielen, ohne dass wir Zugriff gefunden haben.“
Was in der Theorie logisch erscheint, erhielt in der zweiten Halbzeit von Nürnberg seinen praktischen Beweis: Wenn nicht alle immer voll dabei sind und alle immer die manchmal nötigen zwei, drei Extra-Schritte gehen können, wird aus einer „ersten Halbzeit, auf die wir stolz sein können“ (Verena Hanshaw) die Erkenntnis, dass es „ganz, ganz schwer wird, wenn wir an Struktur und Glauben verlieren“ (Alexander Schriebl).
Österreich sei „aktuell nur noch zweitklassig“, konstatierte Max-Jacob Ost vom Rasenfunk, der in Nürnberg vor Ort war, „das sind Spielerinnen, die keine große Rolle mehr in ihren Vereinen spielen oder an ihre alten Leistungen nicht anknüpfen können.“ Man kann ihm nicht widersprechen, aber der Blick geht eben nicht ins Jetzt, sondern in die Zukunft. D’Angelo, Brunold und Wenger sind (noch?) nicht Wenninger, Schnaderbeck und Burger. Die 2025er-Versionen von Feiersinger, Hanshaw und Puntigam sind nicht mehr die 2017er-Versionen von Feiersinger, Aschauer und Puntigam.
Es ist ein Team im Umbruch, aktuell ohne Quali-Druck, das für eine Zeit mit Quali-Druck aufgebaut wird.
Der Gesamteindruck
Der neue Teamchef hat es in kürzester Zeit geschafft, die Spielerinnen auf den neuen bzw. adaptierten, jedenfalls aber gemeinsamen weg einzuschwören. Schottland war der intensiven Spielweise der ÖFB-Frauen nicht gewachsen und die Deutschen konnte sich auch erst sammeln, als sie Personal, Passwege und Positionierungen umgestellt hatten und bei Österreich die Kraft im roten Bereich angekommen war.
Es wurde in dieser Woche sehr schnell sehr klar, dass die Resultate alleine einstweilen vielleicht nicht unwichtig sind, das sind sie in Hinblick auf die Ausgangsposition für die WM-Quali nämlich nicht, sehr wohl aber nicht allein prioritär. Da fängt halt gleich mal Chiara D’Angelo an, in der für den Klassenerhalt womöglich schon vorentscheidenden Partie gegen Schottland. Da spielt gleich mal Carina Brunold statt Marie Höbinger (die in Liverpool nach der Trennung von Matt Beard übrigens einen neuen Trainer bekommt) in Nürnberg, vor knapp 15.000 Zusehern. Vor mehr als 874 Leuten (letzten Mai beim Ländle-Derby in Altach) hatte Brunold davor nie gespielt und gegen ein Team dieser Qualität schon gar nicht. Dafür machte sie es richtig gut und richtig furchtlos.
Im Umgang mit den Spielerinnen hat Schriebl sehr offensichtlich einen Ton erwischt, der mitreißt und das Gefüge stärkt. Im Gespräch mit Medienvertretern – etwa bei den üblichen, via Zoom-Call durchgeführten Presseterminen oder auch in „Sport am Sonntag“ auf ORF – agierte der 46-Jährige sehr viel vorsichtiger, er wirkte eher zurückhaltend. Verständlich: Mit Ausnahme von Gerhard Öhlinger von den „Salzburger Nachrichten“ sind ihm die Leute alle neu. Dominik Thalhammer hatte zu Beginn im Grunde überhaupt nur mit Ballverliebt und gelegentlich mit der APA und Helmut Pichler zu tun, Irene Fuhrmann war als seine langjährige Co-Trainerin zumindest mit den Gesichtern vertraut.
Für Schriebl sind fast alle neu, da ist erstmal Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Solange das nur im Umgang mit den Reporterinnen und Reportern so ist und nicht auch mit dem Gegner, ist alles gut. Denn wie sagte Ron Dennis einst zu Journalisten? „We’re the ones who make history. You just write about it.“
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