Starke Saison endet mit Reinfall in Reykjavík

„Fakt ist: Wir haben heute das einfach echt verkackt! Wir haben’s zuhause auch verkackt. Es ist einfach… net gut.“ Wenige Minuten nach dem Abpfiff in Reykjavík nahm sich Barbara Dunst wie gewohnt kein Blatt vor den Mund, als sie ÖFB-Pressesprecher Jonas Dormann dieses Statement ins Aufnahmegerät diktierte. Vorangegangen war ein Spiel im nordatlantischen Sturmwind, das aus österreichischer Sicht noch wesentlich ernüchternder verlaufen war, als das Resultat von 1:2 aussagt.

Der missratene Doppel-Spieltag mit nur einem statt der erhofften mindestens vier Punkte gegen den direkten Gegner um ein Fix-Ticket für die EM war das Ende einer für die meisten Spielerinnen an sich recht guten Saison.

Der Reinfall von Reykjavík

Island – Österreich 2:1 (1:1)

„In der zweiten Halbzeit, gegen den Wind, war’s fast unmöglich, einen Angriff zu starten“, stöhnte Barbara Dunst nach dem Spiel. Und ja, nicht nur einmal ist ein halbhoch gechippter Ball in der Luft stehengeblieben, ist abgebogen, oder beides. Aber: „Island hat’s vor dem Seitenwechsel ja auch geschafft.“

Kapitänin Sarah Puntigam hatte die Seitenwahl gewonnen und sich dafür entschieden, in der ersten Halbzeit mit Rückenwind zu spielen. Vertikalpässe der Österreicherinnen nahmen oft den Wind voll auf und beschleunigten unkontrollierbar. Man wollte – als Lehre aus dem Hinspiel, wo man sich vor allem in der zweiten Hälfte das isländische Spiel aufdrücken hatte lassen – geduldiger und konstruktiver in eigenen Ballbesitzphasen sein.

Das erschwerten die Isländerinnen, indem sie konsequent um den Ball verdichteten und Österreich gar nicht erst die Gelegenheit gaben, geduldig aufzubauen. Gleichzeitig wollten die ÖFB-Frauen in den Zweikämpfen härter dagegenhalten als in Ried. Das gelang zwar, die Folge war aber eine zerfahrene Partie ohne Spielfluss, viele abgepfiffene Zweikämpfe, kaum konstruktiver Fußball. Das ist ein Spiel, das Island besser kann als Österreich.

Die Sache mit dem Wind

Österreich tat sich schwer, die Spielweise dem Wind anzupassen oder diesen gar ins eigene Spiel einzubauen. „Wir haben uns noch nicht wirklich damit beschäftigt“, gab Sarah Zadrazil am Tag vor dem Spiel zu Protokoll, „wir versuchen, trotz der Verhältnisse unser Spiel durchzuziehen.“ Die Isländerinnen hielten den Ball in der ersten Hälfte, als sie Gegenwind hatten, flach. So auch beim Konter zu sehen, der in der 17. Minute zum 1:0 führte (Hanshaw hatte die isländische Flügelspielerin Eiriksdottir in ihrem Rücken übersehen, Dunst war zu spät nach hinten gerückt).

Weil Campbell eine Höbinger-Flanke kurz vor der Pause zum 1:1 versenkte, ging es mit einem ordentlichen Spielstand in die Kabinen, mit dem Gegenwind hatte Österreich aber keine Chance mehr. Vilhljálmsdóttir zirkelte gleich zwei Eckbälle direkt an den langen Pfosten, mehrfach brannte es lichterloh im österreichischen Strafraum. Ehe Hildur Antonsdóttir – gerade sie, mit 1.65 Meter die kleinste Isländerin – per Kopf die x-te Ecke zum 2:1 für Island versenkte, komplett alleingelassen von einer seltsam passiven ÖFB-Abwehr, hatte Island schon mehrfach heftig angeklopft.

Wie es Island gemacht hat? Man hat den Rückenwind genützt, aber nicht indem man den Ball Tempo aufnehmen ließ. Vielmehr nützte man wiederum mit scharfem Anlaufen den Umstand, dass Österreich sich gegen den Wind nicht mit langen Bällen befreien konnte – weil die einfach nicht besonders weit flogen – und es auch schwer und ermüdend fand, gegen den Wind anzulaufen.

Einige wirkten überspielt

Jamsin Pal hat gehalten, was zu halten war und hat als Vertreterin von Manuela Zinsberger – die zu ihrer hochschwangeren Frau abgereist ist, da die Geburt des Kindes wohl unmittelbar bevorsteht – verhindert, dass Island schon früher für die Entscheidung sorgte. Grundsätzlich bemüht waren die anderen auch, aber bei einigen fehlte sichtbar die Frische im Kopf.

Die zwei, drei Schritte zum Verteidigen bei Standards blieben aus, man konnte sich nicht ans Wetter anpassen. Das Spiel entglitt und mehr als der Wille, sich reinzuhauen, war nicht mehr im Tank. Das Vermeiden von blindem Aktionismus, was das Team bei den Spielen im Nations-League-Herbst ausgezeichnet hat, war in Reykjavík nicht zu sehen.

Den Warnschuss nicht richtig eingeordnet?

Wie beim verpatzten WM-Playoff in Schottland – und auch damals im Hampden Park pfiff starker Wind durch die Betonschüssel – war es auch diesmal ein Team, das auf In-die-Fresse-Fußball setzt, mit dem Österreich nicht klar kam. Man ist nicht Rüpel genug, dieses Spiel in gleicher Qualität umzusetzen und man ist dann doch nicht ganz spielstark genug, um sich so aus diesem Spiel zu befreien. In Schottland ist man im mentalen Treibsand versunken, im Nations-League-Herbst passierte das trotz diverser schwacher ersten Hälften nicht mehr.

Womöglich hat man sich zu viel auf diese Stärke verlassen und den Warnschuss, den das Match in Ried dargestellt hat, nicht richtig eingeordnet. Man sagte zwar, man könne mit Druck umgehen und wird in Island damit schon den Sieg nachholen. Aber mit allzu viel Leben schienen diese Sätze tatsächlich nicht gefüllt gewesen zu sein.

Da der Direktvergleich nun verloren ist, hätte Österreich nur noch dann eine Chance auf den zweiten Gruppenplatz und das direkte EM-Ticket, wenn man selbst am 16. Juli zum Abschluss in Hannover gegen Deutschland Zählbares mitnimmt und Island gleichzeitig in Polen patzt. Wahrscheinlicher ist, dass die ÖFB-Frauen als Gruppendritte im Herbst in die beiden Playoff-Runden müssen. Das ist nicht zwingend ein Beinbruch, aber doch ein psychologischer Stress, den man sich gerne erspart hätte.

Die abgelaufene Saison

„Wir kommen alle aus einer langen Saison“, sagte Barbara Dunst nach dem Match in Reykjavík. Sie war eine jener Akteure, die überspielt wirkten, Sarah Zadrazil ebenso. Marie Höbinger war wie Eileen Campbell in der Woche vor dem Länderspiel-Doppel krank – lediglich Duracell-Hase Lilli Purtscheller lief und lief und lief.

Dabei war die abgelaufene Saison für viele sehr erfreulich. Sarah Zadrazil kennt das Gefühl schon, nun hat auch Katharina Naschenweng ihren ersten Titel eingefahren – und fällt nach einer Kreuzband-OP wieder monatelang aus. Bayern München blieb in der deutschen Liga ohne Niederlage, das Cup-Finale ging aber mit einem verdienten 2:0 an Wolfsburg.

Das Österreicher-Trio bei Eintracht Frankfurt – Barbara Dunst auf der Acht, Verena Hanshaw (wechselt zur Roma) links und Gini Kirchberger (wechselt zur Wiener Austria) zumeist auf der Bank – hatte eine Saison mit Höhen und Tiefen und der Abstand zu Platz 4 sieht größer aus, als die Saison war: Am 20. Spieltag ging man mit nur einem Punkt Vorsprung auf Hoffenheim ins vorentscheidende Spiel um den Europacup-Platz.

Dass Hoffenheim (keine Österreicherin spielte viel – Billa geht nach Köln, D’Angelo zurück nach Österreich, nur Julia Hickelsberger bleibt) danach die Saison geistig beendete hat, ermöglichte es sogar Essen, noch vorbei zu ziehen. Als erweiterter Abstiegskandidat gestartet, wirbelte das fraglos spielerisch aufregendste Team der Liga viele Kontrahenten durch, Lilli Purtscheller war ein entscheidender Bestandteil des recht jungen Kaders.

Der 1. FC Köln holte mit Jasmin Pal im Tor 1,4 Punkte pro Spiel und ihn ihrer verletzungsbedingten Abwesenheit nur 0,5 Punkte pro Spiel; Celina Degen spielte im Herbst in der Innenverteidigung und im Frühjahr auf der Sechs, der Effzeh zitterte sich zum Klassenerhalt. Und in Freiburg hat man die schlechteste Saison seit dem Aufstieg 2011 hinter sich, weder klappt ein Aufbau noch bekommt man die Stärken der schnellen Offensive eingesetzt. Die schwangere Trainerin Theresa Merk geht jetzt mal in Karenz.

Ein neuer Vizemeister in Österreich

Die Österreicher-Fraktion beim SC Freiburg wird immer größer, nach Annabel Schasching, Lisa Kolb und im Winter Eileen Campbell zieht es nun auch Nicole Ojukwu von Vizemeister Vienna in den Breisgau. Vizemeister Vienna? Ja, Vizemeister Vienna.

Serienmeister SKN St. Pölten wackelte zwar im Frühjahr ein wenig, streute drei Remis ein und musste im Cup zweimal in die Verlängerung, gewann aber einmal mehr das Double. Dahinter konnte Altach, bis zum letzten Spiel im Herbst mit der Chance auf Platz eins, ohne Campbell (zu Freiburg), Natter (Kreuzbandriss) und Elgass (Auslandssemester) nicht mehr mithalten.

Die Vienna bietet einen ziemlich junge Truppe auf, angeführt von Liga-MVP Claudia Wasser. Das clevere Pressing, das gute Umschalten, das viele Talent und das gute Coaching von Mark Dobrounig waren die Basis, der glückliche 2:0-Sieg in Altach Ende April machte letztlich den Unterschied aus. Natürlich machten es sich die Döblinger auch zu Nutze, dass Sturm personell ausgeblutet und dass die Austria in ihrer nun doch zielgerichteten Aufbauarbeit noch nicht ganz so weit ist – aber Platz zwei ist ein schöner Lohn für seriöse Arbeit bei der Vienna.

In England sagen sie Herby

In England konnte Chelsea am Ende doch noch Manchester City abfangen, auch weil City am vorletzten Spieltag völlig überraschend gegen Liverpool verloren hat. Bei Liverpool hat sich Marie Höbinger festgespielt, einen Namen als Assistkönigin erarbeitet und wurde sogar zur Reds-Spielerin des Jahres gekürt. Auch dank Höbi, die sie in England Herby nennen, kann sich Liverpool über einen vierten Platz freuen, den der Mannschaft vor der Saison niemand zugetraut hat. Arsenal ist mit Manuela Zinsberger zwischen den Pfosten (und ohne die Langzeit-Verletzte Laura Wienroither) solider Dritter geworden und hat den Ligacup gewonnen, ganz genügt das den hohen Ansprüchen aber nicht.

Die Liga in Italien wächst, was die Anziehungskraft für Spielerinnen aus ganz Europa angeht, das Leistungsgefälle ist aber immer noch enorm. Die Roma hat den Titel souverän verteidigt, Laura Feiersinger ist dabei über den Status der Ergänzungsspielerin aber nicht hinaus gekommen. Sie geht nach Köln, während Marina Georgieva bei der Fiorentina nicht nur Stammkraft, sondern Leistungsträgerin ist. Die Basis für Platz drei war der starke Herbst, in der Meisterrunde gelang kein einziger Sieg mehr. Isabella Kresche war die Nummer zwei im Tor von Sassuolo hinter Frankreichs Solène Durand.

In Spanien ist Champions-League-Sieger Barcelona zu einem weiteren Titel gestürmt, Real Madrid hat sich als solider Zweiter etabliert. Es sind noch zwei Runden zu spielen und es gibt auch einen Österreich-Export in der „Liga F“ – nämlich Annelie Leitner, die sich im ÖFB-Kader meistens im Bereich Abrufliste befindet, bei Aufsteiger Eibar. Wie so ein Team aus dem unteren Mittelfeld der spanischen Liga aussieht? Nun: Viele Spanierinnen, einige aus Lateinamerika und die gelegentliche Legionärin aus Afrika (Amani, Matlou) oder Rest-Europa (Leitner, Van Deursen).

In Frankreich hat man sich einen neuen Modus erfunden – nach den 22 Runden (die, wie erwartet Lyon vor PSG und Paris FC beendete) ermittelten die Top-4 in Semifinale und Finale den Meister und es endete wie fast immer – Lyon vor PSG. Sarah Klotz kam bei St.-Étienne im Herbst kaum zum Einsatz und wechselte im Winter nach Norwegen zu Tromsø.

Und in der Schweiz hat man schon länger Erfahrung mit Playoffs. 2022 und 2023 hatte sich der FC Zürich – beide Male mit Marie Höbinger, einmal sogar als entscheidende Elferschützin – im Endspiel gegen Servette Genf durchgesetzt, heuer drehten die Romands gegen das Team von Viktoria Pinther den Spieß um. Sie gewannen mit einer einzigen Schweizerin im Team (Sandrine Mauron) vor rund 2.000 Zusehern mit 3:1.

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Für Pinther, die nach zwei Jahren in Zürich nun zum französischen Erstliga-Mittelständler Dijon wechseln wird, gab es in Island übrigens ein Déjà-vu – wie beim Meisterschafts-Finale in Thun hieß auch in Island die Schiedsrichterin Désirée Grundbacher.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.