Trójmiasto, die „Dreistadt“ an der Ostsee, ist das urbane Zentrum Nord-Polens. Danzig, Sopot und Gdynia gehen quasi fließend ineinander über – Danzig, charmant und pittoresk, zieht die auswärtigen Touristen an. Sopot, wo die ÖFB-Frauen untergebracht waren, ist ein wenig das Caorle Polens – das nette, kleine Seebad mit Sandstrand, Hotels und Flanierstraße. Und Gdynia im Norden ist irgendwie nichts. Die Stadt, einziger Meereszugang Polens vor dem 2. Weltkrieg, wurde erst vor knapp 100 Jahren vom Fischerdorf zur Marine-Basis ausgebaut. Gdynia ist eine konturlose Groß-Siedlung ohne Eigenschaften.
Hier wird gearbeitet, auch wenn’s nicht immer Spaß macht. Das galt auch für die ÖFB-Frauen beim EM-Qualifikations-Spiel eben gegen Polen.
Nici Billa hatte es schon vor ihrem 100. Einsatz im Nationalteam geahnt. „Wir müssen genauer sein im Angriffspressing: Wann und wie wir es auslösen, damit wir wirklich alle vom Gleichen reden und das Gleiche machen und damit wir nicht irgendwo eine kleine Lücke aufreißen, wo die dann durchspielen oder uns überchippen und wir dann in einen Konter laufen.“ Und die Tirolerin, die im Sommer nach neun Jahren Hoffenheim zu Köln wechselt, warnte auch: „Ewa Pajor lässt dich auch schon mal stehen, wenn sie den Ball hat und du nicht!“
Aber genau das ist den ÖFB-Frauen in den ersten zehn Minuten des Matches gleich zwei-, dreimal passiert: Polen brauchte nach österreichischen Ballverlusten bzw. im Rücken der ersten österreichischen Pressing-Welle nur ein, zwei Pässe von hinten heraus, um die (Noch)-Wolfsburg-Stürmerin alleine in Richtung Zinsberger zu schicken.
Erst nach zehn Minuten fand Österreich den Zugriff aufs Pressing, setzte sich damit um den polnischen Strafraum fest und erhöhte ganz konkret den Druck auf das Tor. Es dauerte kaum fünf Minuten, da stand Sarah Puntigam nach einem von Degen direkt weitergegebenen Anspiel von Purtscheller komplett blank im polnischen Strafraum. Das 1:0 für Österreich.
Respekt vor Pajor – Angst vor Pajor?
In der Folge ließ sich Österreich im Block wesentlich tiefer fallen, mutmaßlich, um Pajor nicht mehr den Raum zu geben, im Rücken der Abwehr davon zu laufen. Das Angriffspressing erlahmte, das Gegenpressing wurde zurückgeschraubt. Die Folge war, dass Österreich die Ballgewinne deutlich weiter hinten verzeichnete, im Angriff aber Höbinger, Campbell und Purtscheller die Alleinunterhalter gaben.
Campbell war viel unterwegs, auch auf den Flügeln. Das alles war einer gewissen Spielkontrolle – und Ballkontrolle – durchaus zuträglich, die Besetzung des Angriffsdrittels war aber dünn und die des polnischen Strafraums inexistent. Echte Chancen, ein 2:0 zu erzielen, ergaben sich so nicht. Andererseits gelang Polen um ein Haar noch vor der Pause den Ausgleich, ausnahmsweise war es Kamczyk, die alleine auf Zinsberger zulaufen durfte.
Prophezeiung wird wahr
Polen war spielerisch, wie erwartet, keine Offenbarung und tatsächlich strahlte man nur dann Gefahr aus, wenn es gelang, das Tempo von Pajor und Kamczyk eingesetzt zu bekommen. Oder wenn man, wie in der 55. Minute, einen Abschlag abfängt und Kamczyk den Ball aus 25 Metern via Unterkante zum 1:1 über die Linie drischt.
Österreich wachte wie von der Tarantel gestochen auf, presste wieder mit Macht vorne drauf (und sah dabei gleich auch Pajor wieder im Rücken beinahe entwischen), Barbara Dunst war nun viel mehr im Angriffsdrittel involviert und eine ihrer Hereingaben nudelte Lilli Purtscheller irgendwie in Richtung Torlinie. Ob der Ball wirklich drin war, lässt sich anhand der TV-Bilder nicht auflösen und Referee Stéphanie Frappart hatte auch keine Torlinien-Technik zur Verfügung, entschied aber sofort auf Tor.
„Wenn er nicht hinter der Linie gewesen sein sollte, war das Glück auf unserer Seite“, so ÖFB-Teamchefin Irene Fuhrmann. Vier Tage zuvor hatte sie nach dem fragwürdigen Elfer, mit dem Deutschland gewonnen hatte, noch gesagt: „Diesmal war es unser Pech, dass es keinen VAR gibt – aber beim nächsten Mal profitieren wir vielleicht davon.“ Diese Prophezeiung wurde schneller als erwartet wahr.
Ruppig und unsicher
Nach dem 2:1 glitt das schon zuvor sehr physische österreichische Spiel ins Ruppige ab: Degen verteilte wiederholt Schubser, Puntigam zerrte eine Gegenspielerin zu Boden, Dunst hackte von hinten eine sie überholende Polin um (wofür es keine gelbe Karte gab), Hanshaw lief eine Polin über den Haufen. In der letzten halben Stunde gab es viele Unterbrechungen, kaum Spielfluss und auch keine Ruhe bei den Österreicherinnen.
Man zog sich zurück und war um Kontrolle bemüht, agierte weniger vertikal, gab Bälle aber wahnsinnig schnell wieder her und konnte nie für Kontrolle sorgen. Ein polnisches Tor lag nicht wirklich in der Luft, aber das Zittern vor einem erneuten Gegentor wie aus dem Weitschuss zuvor war greifbar.
Bis in die Nachspielzeit, als Campbell es nützte, dass Verteidigerin Mesjasz bei einem Anspiel von Matysik unaufmerksam war und ins kurze Eck zum 3:1 verwertete.
Räudig siegen, auch eine Qualität
„Wir haben es uns schwerer gemacht als notwendig“, stöhnte Rekord-Teamspielerin Sarah Puntigam. „Beim Spiel mit dem Ball ist echt noch was zu Machen für uns“, bemängelte auch Lilli Purtscheller, gerade mal zehn Ländermatches alt. „Die Leistung gegen Deutschland war phasenweise überragend. Heute nicht“, redete auch Irene Fuhrmann nichts schön. Der Tenor war klar: Das Ergebnis passt, sonst war’s echt nicht besonders erquicklich.
Aus rot-weiß-roter Sicht zählt bei so einem Spiel am Ende das Ergebnis und das ist in Ordnung. Und es ist ja auch eine gewisse Form von Qualität, als Favorit auch mal räudig ein Spiel in seine Richtung zu biegen, auch wenn die Leistung nicht so gut ist. Das sieht auch Fuhrmann so, „auch wenn’s ein verkrampfter Auftritt war.“ Die U-19 hat das im EM-Quali-Match gegen Irland übrigens nicht geschafft: Das Team, in weiten Teilen identisch mit jenem, das im Spätsommer die U-20-WM spielen wird, hat in Unterzahl 0:1 verloren und verpasst die EM – ebenso wie die U-17 nach einem 2:3-Selbstfaller gegen Belgien.
Rein von den Resultaten her ist an diesem ersten der drei Doppel-Spieltage der EM-Qualifikation nichts passiert. Sowohl Österreich als auch Island haben programmgemäß gegen Deutschland verloren und gegen Polen gewonnen. Die beiden direkten Duelle am 31. Mai in Ried und am 4. Juni in Reykjavík werden, wie kaum anders zu erwarten war, richtungsweisend sein.
Ist Polen schon verloren?
Hat Polen A-Format? Nun, naja. Man hat grundsätzlich sehr wohl Waffen, zumindest den mittelguten A-Teams – wie eben Österreich und Island – wehzutun. Neben dem Kampfeswillen sind das vor allem die Geschwindigkeit von Pajor und der Umstand, dass man weiß: Spielerisch mithalten geht nicht, aber durch direkte Spielweise kann sich Polen dem gegnerischen Pressing ein wenig entziehen.
Andererseits wurde gegen Island genauso deutlich wie gegen Österreich: Bei allem Einsatz und trotz der an sich guten Defensiv-Leistung schafft es Polen halt nicht, wirklich 90 Minuten ohne einen Lapsus durchzuhalten. Das geht sich gegen Griechenland aus, auch gegen die Ukraine und (mit viel Mühe) gegen Serbien. Aber eben nicht gegen auf höchstem Niveau erprobte Teams wie Österreich und Island. „Wir zahlen den Preis dafür, dass wir dieses Niveau nicht gewohnt sind und jeder defensive Fehler auch wirklich ein Gegentor bedeuten kann“, sagte Polens Trainerin Nina Patalon auf der PK nach dem Spiel, „wir messen uns mit Gegnern, die viel reifer sind als wir.“
Sechsmal gegen bessere Teams lernen und hoffen, dass sich vielleicht irgendwo mal ein Pünktchen ausgeht – mehr ist nicht drin. Und wenn es gelingt, nicht schlechtester Gruppenletzter zu werden (was bei einem Blick auf das 0:7 von Belgien gegen Spanien oder angesichts der Gruppe von Irland schon möglich ist), kann sich sogar ein machbares Los im EM-Playoff ergeben.
Deutschland hat auch für den 3:1-Sieg in Aachen gegen Island arbeiten müssen, die echte Gefahr eines Punktverlustes war aber längst nicht so groß wie beim 3:2 in Linz. Frankreich hat 1:0 in Schweden gewonnen (spätes Tor von Wendie Renard), England ist vor über 60.000 Zusehern im Wembley zu einem 1:1 gegen Schweden gekommen. Italien hat dank der Niederlage in Finnland mit dem Hintern eingerissen, was man sich zuvor beim Sieg gegen Holland mit den Händen aufgebaut hat.
EM-Gastgeber Schweiz hat mit dem in Norwegen aufgewachsenen Offensiv-Talent Smilla Vallotto eine neue Waffe gefunden und die ersten beiden Pflichtspiele unter Pia Sundhage gewonnen (wenn auch gegen individuell krass unterlegene Kontrahenten). Und Ungarn hat eher überraschend in der Türkei verloren.
Die USA haben nach dem alles andere als überzeugenden Sieg beim Gold-Cup (1:0 im Finale gegen Brasilien) nun auch das Testspiel-Turner des SheBelieves-Cup gewonnen: Nach einem 2:1-Arbeitssieg gegen Japan wurde im Endspiel Kanada im Elfmeterschießen bezwungen, es war das letzte Spiel unter Interimstrainerin Twila Kilgore, ehe Noch-Chelsea-Coach Emma Hayes übernimmt. Die Amis schnitzen sich weiterhin die Resultate mühevoll aus dem Ergebnis-Baum, allerdings mit einem ziemlich stumpfen Messer.
Und die beiden afrikanischen Olympia-Tickets haben sich Nigeria (1:0 und 0:0 gegen Südafrika) und Sambia (0:1 und 2:0 n.V. gegen Marokko) gesichert. Damit steht das Teilnehmerfeld für das olympische Turnier nun endgültig.