Vieles deutet darauf hin, dass Ralf Rangnick dem ÖFB eher zufällig in den Schoß gefallen ist. Dass es jenseits der Phantasie von Sportdirektor Peter Schöttel war, Rangnick auch nur zu fragen, hat er ja selbst zugegeben. Egal – jetzt ist der 63-jährige Deutsche da. Und was heißt das jetzt?
Glückliche Fügung für Milletich
Peter Stöger als Teamchef, Fränky Schiemer als sein Assistent – es wäre die bequeme Lösung gewesen. Bis sich Rangnick wohl fast mehr oder weniger selbst aufgedrängt hat. Für Gerhard Milletich eine glückliche Fügung: Der ÖFB-Präsident wirkte nach einem halben Jahr im Amt immer noch recht ziellos in seiner Führung und mehr damit beschäftigt, nicht zwischen die Stühle der internen Querelen im Präsidium zu geraten. Bislang mit nicht allzu herzeigbarem Erfolg.
Für ihn ist es ein äußerst vorzeigbares Ergebnis, dass die erste große Personalentscheidung seiner Amtszeit Ralf Rangnick heißt. Er kann auf die generell positiv überraschten und überwiegend wohlwollenden Reaktionen in der Öffentlichkeit verweisen. Seine Position ist mit dem Rangnick-Coup fraglos gestärkt worden – vorerst. So wie Schöttels Position erheblich geschwächt wurde, und das vermutlich dauerhaft.
Die Kritik kommt aus erwartbaren Ecken: Peter Pacult, der mit Rangnick nicht kompatibel war und 2012 von ihm als Leipzig-Trainer entlassen wurde. Es war eine der ersten Amtshandlungen Rangnicks als Red-Bull-Gesamtverantwortlicher. Peter Linden, der den Teamchef-Posten immer als Belohnung für inner-österreichisches Lebenswerk und Freundschaftsdienst angesehen hat, nicht als echten Job. Hans Krankl, für den ähnliches gilt, versehen mit pathetisch-triefendem Es-muss-ein-Österreicher-sein-Patriotismus.
Menschliche und fachliche Nähe
Ivica Osim, zwei Tage nach der Rangnick-Verkündung verstorben und 1999 nach dem Prohaska-Aus selbst großer Wunschkandidat des damaligen ÖFB-Präsidenten Beppo Mauhart, hat gegenüber Jonathan Wilson mal gesagt: „Man will als Trainer nicht unbedingt Krisen verursachen. Und doch braucht man Probleme, um Lösungen zu kreieren.“ Die bedingungslose Unterordnung und die Harmoniebedürftigkeit der japanischen Spieler waren es, wegen der Osim (anders als umgekehrt) nie so richtig warm wurde mit dem Fernen Osten.
Ein großes Harmoniebedürfnis wird Rangnick nicht nachgesagt, aber auch nicht die Gefahr einer völligen Implosion menschlichen Zusammenlebens. Dieses wurde in der Foda-Zeit aus zu vielen verschiedenen Ecken unabhängig voneinander kolportiert, um frei erfunden zu sein. Wie es um die Bedingungslosigkeit aussieht, von der er Unterordnung verlangt, wird man im für ihn neuen Nationalteam-Kontext abwarten müssen. Wenn er Input von den Spielern aber als fundiert und berechtigt ansieht, wird sich Rangnick aber wohl nicht völlig abschotten.
Rangnick braucht freie Hand
In Stuttgart ist Rangnick einst an den großen Egos in der Mannschaft gescheitert, Stichwort Balakov, der großen politischen Einfluss im Klub hatte. Rangnick wollte sich nicht verbiegen, das blieb so. Auf Schalke war er nicht bereit, von seiner professoralen Linie nach dem Gusto von Rudi Assauer, der sein Prolo-Image genüsslich kultivierte, abzuweichen. Lieber ging er, trotz sportlichen Erfolgs, und schaffte es dabei sogar, die Gunst der Fans auf seine Seite zu ziehen, gegen Assauer.
Den größten Erfolg hatte er immer, wenn er freie Hand hatte: Inhaltlich, von der Kadergestaltung, mit Rückendeckung der Vereinsführung. In Ulm, in Hannover, mit Hoffenheim, mit Red Bull. Rangnick beansprucht die klare Rolle als Führungsperson, auch und vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung, kompromisslos.
Machtstrukturen zu Rangnicks Vorteil
Beim ÖFB hat es Rangnick mit einer übereinstimmend als tendenziell schwierig beschriebenen Mannschaft zu tun. Die meisten Platzhirsche könnte er aber im Zweifel mit Hinweis auf deren fortgeschrittenes Alter eliminieren, ohne damit Aufstände zu provozieren. Er hat in Gerhard Milletich einen Präsidenten, der offen erwartet, dass es „unbequem wird“ und dass Rangnick natürlich auch über den Tellerrand des A-Nationalteams hinaus wirken wird.
Er hat in Peter Schöttel einen Sportdirektor neben sich, der bei der Bestellung Rangnicks offenkindig in keinster Weise die treibende Kraft war und ihn deutlich sichtbar auch eigentlich nicht so richtig haben will. Er konnte sich aber auch nicht gesichtswahrend der Rangnick-Verpflichtung widersetzen. Seine Autorität im A-Bereich ist öffentlichkeitswirksam kastriert und dass Milletich sich im Konfliktfall auf die Seite Rangnicks stellen würde und nicht auf jene von Schöttel, ist augenfällig.
Schluss mit dem Friendzone-Fußball
Franco Foda war, im übertragenen Sinne, der Jorah Mormont unter den Fußballtrainern: Er ließ Friendzone-Fußball spielen, eh lieb, aber halt allzu schüchtern-harmlos und mit null Penetration in den Strafraum. Ein passives Ballbesitz-Gespiele, mit dem man unterlegene Teams in Schach hält, aber mit dem man auch ohne Lösungen im Mittel- und vor allem im Angriffsdrittel die Zeit vergehen lässt und auf individuelle Geniestreiche hofft, wird es unter Rangnick nicht geben.
Sehr wohl aber die dazugehörigen Strukturen hinter der Pressingwelle, die unter Foda einer der ganz fundamentalen Schwachpunkte waren. Bei Manchester klappt das besorgniserregend schlecht, dort kann er aber auch nichts am Kader ändern, den er schon mehrfach als massiv sanierungsbedürftig bezeichnet hat.
Rangnick weiß nicht nur, dass es mehr Plan braucht als die langen Öffnungspässe von Martin Hinteregger und ihm ist auch zuzutrauen, diese Pläne zu vermitteln. Ja, Rangnick war immer beseelt vom radikalen Umschalt-Fußball und gerade in Spielen gegen starke Teams wird man das auch sehen. Aber es geht eben nicht nur gegen Frankreich und Dänemark, sondern in der EM-Qualifikation dann auch wieder gegen die Bulgariens und Litauens der Fußballwelt.
Ein anderes Gesicht
Foda und Rangnick ist gemein, dass sie Deutsche mit etwas spröder Ausstrahlung sind, Foda zuweilen mit einem etwas empfindlichen Tonfall, Rangnick neigt ein wenig zur Besserwisserei. Ansonsten verbindet die beiden praktisch nichts, am Allerwenigsten ihre Vorstellung vom Fußball und die Idee davon, mit welchem Personal das umzusetzen sei.
Die Tage von Marko Arnautovic im Team sind wohl noch nicht schlagartig vorbei, aber mehr als eine Joker-Rolle wird es für ihn eher nicht mehr geben. Torhüter Daniel Bachmann ist gut auf der Linie, wird mangels fußballerischer Fähigkeiten aber keine Chance unter Rangnick haben. Aleksandar Dragovic war in Leverkusen bei Roger Schmidt immer eher ein Wackelkandidat, der schnellste ist er auch nicht mehr – mit einer hohen Verteidigungslinie ist das schwer vereinbar. Alessandro Schöpf wird es schwer haben, für Trimmel ist die Team-Karriere wohl vorbei, für Julian Baumgartlinger wäre sie das so oder so. Mit Martin Hinteregger wird sich Rangnick nach der schroffen Absage des Verteidigers an Leipzig vor einigen Jahren wohl nochmal zusammen setzen müssen.
Andererseits kann man sicher sein, dass einige Spieler ins Blickfeld rücken werden, die unter Foda (wenn überhaupt) nur am Rande interessant waren. Junior Adamu natürlich, Hannes Wolf vermutlich auch, Yusuf Demir kommt einem da in den Sinn. Philipp Lienhart kennt ein Spiel mit hoher Intensität aus Freiburg und spielt eine starke, konstante Saison. Patrick Wimmer wird womöglich ein Kandidat, unter Umständen sogar Sascha Horvath, einer der wenigen Lichtblicke in einer fürchterlichen LASK-Saison. Patrick Pentz erscheint als Team-Torhüter beinahe logisch.
Ein Spiel neu denken
Österreichs Gegner, vor allem die auf Augenhöhe oder darunter, werden nicht schlagartig aufhören, dem ÖFB-Team den Ball zu überlassen. Das Aufbauspiel war unter Foda ein ständiger Quell von Ärgernis und Frustration, für die Fans sowieso, dem Vernehmen nach auch für die Spieler. Ein Drehen an der einen Stellschraube hier und der anderen Stellschraube da wird nicht reichen. Das Spiel wird völlig neu gedacht werden müssen als unter Foda.
Hat Österreich wirklich Flügelspieler von internationalem Format? Wenn nein, und die Antwort ist vermutlich „nein“: Wie schafft man sich Platz? Und wie nützt man diesen Platz, mit welchen Spielertypen, um in den Strafraum zu kommen? Wer kann die Intensität und das Tempo gehen, das Rangnick vorschwebt, und wie schafft es Rangnick, in begrenzter Zeit seine Ideen zu vermitteln?
Nicht mehr oder weniger Druck
Ist die Gefahr gegeben, dass es – wie am Ende der Koller/Ruttensteiner-Zeit – zu einem Backlash der reaktiven Kräfte im ÖFB kommt? Ja, natürlich. Milletich ist nicht plötzlich ein gemachter Mann im Präsidium, nur weil er jenen Mann als Teamchef gewinnen konnte, der den österreichischen Fußball im letzten Jahrzehnt geprägt hat wie niemand auch nur annähernd sonst.
So gesehen ist ein ÖFB-Teamchef Rangnick eigentlich ein völlig logischer Schritt. Hier kann er die Redbullisierung des österreichischen Fußballs letztgültig vollenden: Als Rangnick 2012 nach Österreich kam, war Pressing auch für den damaligen Rapid-Trainer Schöttel ein komplettes Fremdwort und Erfolg hatte mehr mit Zufall als mit Plan zu tun, von Hannes Kartnig über Frank Stronach bis hin zu den ersten sieben Mateschitz-Jahren. Lange sorgte Salzburg danach für zwei Drittel der internationalen Punkte, aber die Liga hat mitgezogen. In den letzten drei Jahren, trotz der Champions-League-Bonuspunkte für Salzburg, fiel dieser Wert auf 25 bis 35 Prozent. Vor allem dank des LASK, dessen Spielstil sich in dieser Zeit stark an jenen in Salzburg anlehnte. Österreich, 2011 in der Fünfjahreswertung auf Platz 19, ist nun in diesem Ranking Achter.
Rangnicks Ziel ist es nicht, mit Österreich zur EM zu fahren, das setzt er voraus und das muss auch so sein. Der ÖFB ist ein Vehikel, um sein Ego mit einer starken EM in seinem Heimatland Deutschland zu streicheln. Der Druck ist realpolitisch zunächst nicht größer oder kleiner als ihn Peter Stöger verspürt hätte: Der Abstieg aus der Nations-League-Gruppe mit Frankreich, Dänemark und Kroatien ist eingeplant, daraus macht der ÖFB gar keinen Hehl. Die Qualifikation für die EM 2024 ist das logische Ziel, das wäre für jeden anderen Teamchef auch so gewesen. Im Erfolgsfall wäre mit jedem anderen Teamchef auch die Vertragsverlängerung angestrebt worden, und bei einem Verpassen der EM wäre wohl jeder andere Teamchef mehr (Foda) oder weniger (Koller) elegant vom Hof gejagt worden.
ÖFB-interne Verwerfungen: Ein Sonderthema
Eine erfolgreiche Amtszeit unter Rangnick, in der auch das unter Foda konsequent leergespielte Happel-Stadion wieder besser gefüllt wird, muss zwangsläufig die Milletich-kritischen Mitglieder im ÖFB-Präsidium unter der Decke halten, zumindest solange der Deutsche mit guten Resultaten als Teamchef wirkt. Geht das Rangnick-Engagement daneben, wird die trotz des Deals mit Manchester United sicher nicht ganz billige Verpflichtung gegenüber einer nicht nur erheblich billigeren, sondern auch erheblich bequemeren Stöger-Verpflichtung zum Bumerang für Milletich. Ganz so wie die Koller-Verlängerung 2015, die aus Angst vor Abwerbeversuchen und im Lichte der glanzvollen EM-Qualifikation allzu teuer ausgefallen ist, für Ruttensteiner und mit ihm auch für Windtner zum Bumerang geworden ist.
Das ist alles nicht neu und die ÖFB-internen Verwerfungen könnten Bücher füllen. Ob beißend formuliert wie bei Gerald Gossmann, ausgewogen wie bei Georg Sander oder, zugegeben, mit zuweilen offener Geringschätzung wie bei uns, ist Geschmackssache. Das ÖFB-Präsidium wird von einigen Mitgliedern selbstherrlich als Jahrmarkt der Eitelkeiten betrieben, das ist bekannt, an diesem Grundprinzip wird auch Ralf Rangnick nichts ändern.
Sehr wohl aber kann es sein, dass er bei allzu bescheuerten Anwürfen – und wie gesagt, einige Präsidiumsmitglieder sind dazu vortrefflich in der Lage – von selbst aufsteht und geht, wie im Herbst 2005 bei Schalke. Und zwar nicht, ohne den betreffenden Herren nochmal schön auszurichten, das er sie für feste Trotteln hält.
Und dann zumindest damit die Mehrheit des Fan-Volks hinter sich weiß.