Erst zurückgenommen defensiv, dann aggressiv und druckvoll – und zwar ohne das Personal zu verändern: Beim schönen 2:1-Erfolg von Österreich gegen Deutschland zeigte das ÖFB-Team eine auffällige Vielseitigkeit und belohnte sich auch dafür. Es ist noch nicht ganz so unberechenbar wie bei Thalhammers ÖFB-Frauen – aber wenn es weiter in diese Richtung geht, kann das nur erfreulich sein.
Die Systeme und das Personal
Österreich spielte wie gegen Russland ein 3-4-3, allerdings zunächst defensiver angelegt. Deutschland hatte in der ersten Hälfte viel vom Ball, in diesen Phasen rückten Alaba (links) und Lainer (rechts) nach hinten sowie die Flügelstürmer Zulj (links) und Schöpf (rechts) ins Mittelfeld, wodurch sich ein 5-4-1 ergab. Also alles nicht ungewöhnlich.
Bei Deutschland spielten nur fünf Stammkräfte von Beginn an (Neuer, Kimmich, Hector, Khedira und Özil), wobei Neuer erstmals seit Oktober ein wirkliches Match absolvierte. Die anderen Spieler in Löws 4-2-3-1 spielten um einen Platz im Kader: Süle und Rüdiger sind Innenverteidiger Nr. 3 und 4; Gündogan, Rudy und Goretzka die Sechser/Achter Nr. 3, 4 und 5, Brandt und Sané sind die jeweils Nr. 2 auf ihren Flügeln und Nils Petersen ist Sturmspitze Nr. 3.
Was bei Österreich auffiel
Nur situatives Anlaufen vor der Pause… Mal rückte Grillitsch aus dem Mittelfeld heraus, um die deutsche Spieleröffnung anzulaufen. Mal Baumgartlinger. Zumiest aber ließ Österreich vor der Pause das DFB-Team zumindest bis zur Mittellinie gewähren. Es gelang in der eigenen Hälfte aber auch so gut, Überzahl in Ballnähe zu erzeugen und die deutschen Angriffe zu bremsen.
…und heftiges Offensivpressing nach der Pause. Nach dem Seitenwechsel aber ging es los. Die ganze Mannschaft rückte um 20 Meter auf und der ballführende Deutsche hatte sofort zwei bis drei Österreicher auf sich zulaufen bzw. auf den Füßen stehen. Das zeigte vor allem bei Rüdiger massiv Wirkung, aber auch seine Kollegen konnten mit dem großen Druck nicht umgehen. Österreich glich nach einer horrend schlecht verteidigten Ecke aus, hatte weitere Chancen und nützte eine davon zum 2:1 (wobei vor allem Hector schlecht ausgesehen hat). Rund 20 Minuten lang kam Deutschland kaum aus der eigenen Hälfte heraus.
Wieder ließ sich Arnautovic zurückfallen. Die Spielanlage war eine andere als gegen Russland, aber gewisse Features sind wiederkehrend. So wie die Tendenz von Marko Arnautovic, sich von der Sturmspitze nach hinten zurückfallen zu lassen, um von hinten besser anspielbar zu sein. Nicht nur einmal hatte er am Mittelkreis stehend die aufgerückten Kollegen vor sich. Auch die Diagonalpässe der äußeren Dreierketten-Spieler auf die ballfernen Außenspieler wurden zunächst wieder versucht, aber (vermutlich wegen Wirkungslosigkeit) bald weitgehend eingestellt.
Peter Zulj. ZDF-Kommentator Oliver Schmidt war so angetan von der Leistung des bald 25-jährigen Welsers, dass er noch einmal verdeutlichen musste, dass dieser „erst letztes Jahr mit Ried abgestiegen ist“ und er sich „nicht wundern würde, wenn Zulj bald in der deutschen Bundesliga auftauchen würde“. Auch auf der linken Offensivseite aufgeboten, zeigte Zulj eine ambitionierte Leistung und er ließ sich in seinem erst zweiten Länderspiel von Beginn an nie vom namhaften Gegner einschüchtern. Er ging gut in die Zweikämpfe, war viel unterwegs und auch im Pressing in der zweiten Hälfte voll eingebunden.
Was bei Deutschland auffiel
Die Positionierung von Gündogan. Nominell waren Khedira und Gündogan im zentralen defensiven Mittelfeld aufgestellt. Es war aber oft so, dass Khedira einen recht klaren Sechser gab, Gündogan jedoch weit auf die linke Seite schob und zuweilen eher einen zusätzlichen Linksverteidiger gab, wenn Hector aufgerückt war.
Fehlendes Tempo. Halb durch die erste Hälfte setzte Leroy Sané mal zu einem echten Sprint über das halbe Feld an. Da merkte man erst, wie relativ langsam das DFB-Team ansonsten agierte. So schafften den die Deutschen trotz der fluiden Interpretation des Systems nur selten, sich in Strafraumnähe zu kombinieren. Gut funktionierte hingegen zumindest in der Anfangsphase das Gegenpressing, so wurde auch der Not-Pass und der zu kurze Abschlag provoziert, die zum 1:0 führten.
Tendenz zur Schlampigkeit. Es fiel vor allem bei den Innenverteidigern Süle und Rüdiger auf, dass sie immer wieder Flüchtigkeitsfehler begingen, und zwar schon in der ersten Halbzeit. Immer mal wieder war ein Pass zu kurz, nicht genau genug oder mit allzu leichtfertigem Risiko gespielt. Als Österreich in der zweiten Hälfte hoch presste, verstärkte sich der Effekt noch. Die eingewechselten Rudy und Goretzka im defensiven Mittelfeld waren dabei auch keine Hilfe.
Die zweite Halbzeit
Ohne einen personellen Wechsel vorzunehmen, stellte Foda für die zweite Hälfte das Spiel radikal um. Statt dem eher vorsichtigen Defensiv-Ansatz wurde noch gepresst, was das Zeug hielt. War es für Deutschland bis dahin ein relativ gemütliches Spiel, in dem man ohne Vollgas zu geben Matchpraxis sammeln konnte, wurde es mit Anpfiff der zweiten Hälfte ein unerwarteter Härtetest.
Erst, als Österreich so ab der 65. Minute bzw. spätestens mit dem 2:1 in der 69. Minute den Fuß ein wenig vom Gas nahm, konnte sich Deutschland wieder befreien. Mit der Hereinnahme von Reus und Werner kamen frische Tempo-Spieler, die zusätzlich für Entlastung sorgten. Mehr als Halb-Chancen zum Ausgleich ergaben sich aber nicht mehr.
Fazit: Richtung immer mehr erkennbar
Foda wechselte erst relativ spät – erstmals in der 76. Minute, gleichzeitig mit Löws fünftem und sechstem Wechsel. Es blieb auch die 3-4-3-Grundordnung stets bestehen, es wurde nur positionsgleich getauscht. Dies verdeutlicht auch, dass das ÖFB-Team auch mit unverändertem Personal flexibel ist und völlig unterschiedliche Spielanlagen ausführbar sind.
Es ist noch nicht ganz so extrem wie bei den ÖFB-Frauen unter Dominik Thalhammer, wo praktisch jedes System und jede denkbare Spielanlage zwischen Betonbunker-Abwehr und Vollfuror-Pressing gespielt werden kann. Aber das Team bewegt sich unter Foda zur zunehmend unberechenbaren Mannschaft.
Bei der Bewertung des Resultats darf man nicht vergessen, dass Deutschland mit einer frisierten B-Elf gespielt hat und sich mitten im Trainingsaufbau befindet. Das Spiel hatte für Österreich eine wesentlich größere Bedeutung als für den noch amtierenden Weltmeister. Die Vorstellung des ÖFB-Teams war aber sehr vorzeigbar.
Die zuletzt in der „Krone“ angestellten Vergleiche mit dem Wunderteam sind zwar Blödsinn, aber sieben Siege in Serie sind auch kein völliger Zufall. Immer mehr ist die Richtung erkennbar, in die Foda das Team steuern will. Auch der personelle Grundstock, mit dem es im Herbst in die Nations League und im März in die EM-Quali geht, zeichnet sich ab. Selbiges gilt für die Rollen von Alaba (nämlich links, wie bei den Bayern) und Arnautovic (ganz vorne, wie bei West Ham), was angesichts der Problemzonen (LV seit dem Fuchs-Rücktritt, Stürmer in der Post-Janko-Zeit) ein wichtiges Signal zur Stabilität ist.
Und Deutschland? Für die WM heißt diese Niederlage für den Titelverteidiger nicht viel. Die wackelige Innenverteidigung ist nicht erste Wahl. Die vor allem nach der Pause erstaunlich unsichtbare Mittelfeld-Zentrale auch nicht. Der bemühte aber eher wirkungslose Petersen vorne wird vermutlich nicht einmal mitfahren. Außerdem muss das DFB-Team erst in einigen Wochen Top-Form haben. Natürlich wurmt Jogi Löw die Niederlage, aber sie wird im deutschen Lager niemanden aus der Bahn werfen.