Ein lauschiger Abend außerhalb von München. Zwei Tüftler nützen die Gelegenheit, sich zum regen Gedankenaustausch in Sachen Aktion und Antwort zu treffen. Thomas Tuchel, blond, schütter werdender Haaransatz, im schwarz-gelben Trainingsanzug nimmt Platz. Zu ihm gesellt sich der Gastgeber, Pep Guardiola im feinen Zwirn, einstmals schwarzhaarig, nun ein noch schüttererer Haaransatz als sein Gegenüber.
„So“, sagt Pep, der Bayern-Trainer zum Dortmund-Coach, „zeig mal, was du dir ausgedacht hast!“
Tuchel: „Ich doppel deine Flügelstürmer und leg deinen Sechser an die Kette!“
Dortmund startete das Spiel mit einem 4-3-3, in dem Kagawa als zentraler Spieler in der Offensivreihe agierte, aber nicht als Mittelstürmer. Der Japaner legte im Gegenteil Xabi Alonso, der bei den Bayern auf der Sechs spielte, an die Kette. Links und rechts von ihm versuchten Aubameyang und Mkhitaryan, in die Kanäle zu kommen und die Bayern-Abwehr von der Seite anzugehen. Das klappte gleich schon mal ganz gut, Alaba konnte Mkhitaryan in Minute 3 erst im letzten Moment stoppen – und hatte Glück, dass Referee Fritz einen seiner ganz wenigen Fehler beging: Wenn er die Aktion als Foul ahndet, muss er Alaba vom Platz stellen. Der Österreicher kam mit Gelb davon.
Außerdem stellte Tuchel ein Dreier-Mittelfeld auf, in dem Julian Weigl als zentraler Mann agierte, in dem aber die Halbraumspieler deutlich größere Verantwortung trugen. Gündogan verschob nämlich in der Regel nach außen, um Rechtsverteidiger Sokratis Papastathopoulos gegen den brutal schnellen Douglas Costa zu helfen, Castro links unterstützte Piszczek gegen Götze.
Die Bayern wussten nicht so recht, wie sie mit dieser speziell auf sie abgestimmten Spielanlage der Dortmunder umgehen sollten und sahen sich die Sache mal 20 Minuten an. Die Borussia hatte das Spiel im Griff.
Pep: „Weißt du, was du nicht einkalkuliert hast, Thomas? Lange Bälle und Konter!“
Guardiola ließ sein Team in einem etwas schrägen 3-1-4-2 spielen. Dabei agierte Alaba als linker Mann in der Dreierkette tiefer als Martínez rechts. Boateng orientierte sich aus der zentrale oftmals eher in Richtung Alaba, um ihn gegen den geradlinigen Aubameyang zu unterstützen, während Martínez seinen Gegenspieler Mkhitaryan – eher ein Passgeber – etwas unmittelbarer anging. Zudem hatte Martínez auch Lahm (als rechten Achter) zu Hilfe, der eher defensivere Aufgaben übernahm.
Thiago Alcantara, der linke Achter, positionierte sich höher und spielte deutlich vertikaler als Lahm und war quasi der Verbindungsspieler zwischen Alonso, Douglas Costa und Lewandowski. Rechts ließ sich Müller (als Stürmer) immer wieder etwas fallen und Götze (rechts draußen, nominell) machte, was er am besten kann: Als Balancespieler Räume und Laufwege besetzen, die seine Mitspieler offenlassen, um die Gegner zu beschäftigen.
Dank der präzisen Umsetzung des BVB-Plans kamen die Bayern dabei aber nicht so recht auf einen grünen Zweig. So musste ein 70-Meter-Pass von Boateng in Richtung Müller herhalten, mit dem die Dortmund-Defensive sichtlich nicht gerechnet hatte. Torhüter Bürki verschätzte sich beim Herauslaufen, Müller netzte zum 1:0.
Dortmund antwortete darauf, indem der ganze Mannschaftsverbund etwas nach vorne rückte, um die Bayern noch früher unter Druck zu setzen. Und prompt lief man in einen Konter – Mkhitaryan berührte Alcantara im Strafraum, Elfmeter, Müller zum 2:0.
Tuchel: „Mist. Na gut: Dann teste ich deine Dreierkette jetzt mal mit echten Außenstürmern!“
Der Dortmund-Trainer beorderte daraufhin Castro auf die rechte Außenbahn und installierte so ein 4-2-3-1. Deutlich erkennbar wollte er so die Außenräume neben der Bayern-Dreierkette nützen bzw. diese zum Rausverschieben zwingen, wodurch auf der jeweils anderen Seite Räume für Aubameyang (nun im Zentrum) und die Außenstürmer entstehen sollten.
Es dauerte keine zwei Minuten, da schlief Martínez bei einem Stanglpass von links (eben durch Castro) und Aubameyang drückte den Ball zum 1:2 über die Linie.
Pep: „Soso. Fein, dann halt Viererkette.“
Guardiola reagierte prompt und ließ Javi Martínez in die Innenverteidigung neben Boateng spielen und Lahm, der ja zuvor schon bei defensiven Aufgaben mitgeholfen hatte, positionierte sich nun als rechter Verteidiger. Somit entstand bei den Bayern hinten eine recht klare Viererkette und aus dem System wurde ein 4-4-1-1, mit Lewandowski ganz vorne und Müller etwas hinter ihm. Gündogan und Weigl hatten nun zwar einen Spieler weniger bei sich, um vernünftig auf die Bayern-Außenstürmer schieben zu können, durch die höhere Positionierung der Dortmund-Außenstürmer fehlte es ihnen aber ohnehin so ein wenig an der Unterstützung.
Guardiolas Reaktion bedeutete, dass die Umstellung von Tuchel neutralisiert wurde und die Bayern den Gegner nun kontrollierend vom eigenen Tor weghielten. Mit dem 2:1 ging es in die Pause, mit unverändertem Personal ging es in den zweiten Durchgang, und da war es erneut ein 70-Meter-Pass von Boateng, der nach wenigen Sekunden Lewandowski auf die Reise schickte, dieser ließ Bender und Hummels stehen und Bürki vertat sich erneut beim herauslaufen.
20 Sekunden in der zweiten Hälfte gespielt, die Bayern führten 3:1.
Tuchel: „Hrmpf. Meinetwegen, dann bringe ich mehr Tempo auf die Außenbahnen!“
In direkter Folge mussten Castro und Mkhitaryan – beides eher Passgeber als Spieler, die geradlinig den Strafraum attackieren – von den Außenbahnen weichen und für sie kamen Reus und Januzaj. Mit ihnen sollte mehr Tempo und mehr Geradlinigkeit auf die offensiven Außenbahnen der Borussia kommen. Erhoffter Nebeneffekt: Dadurch, dass die Bayern-AV Lahm und Alaba mehr in der Defensive zu tun haben sollten, würden auch die Bayern-Außenstürmer Costa und Götze mehr isoliert.
Pep: „Netter Versuch. Ich flute dann mal das Zentrum mit Ballverteilern und stelle meine Außenstürmer extra hoch!“
Guardiola schien zu sagen, muy bien, du willst unsere defensiven Außenräume haben, dann kriegst du sie. Als Reaktion packte Pep einen alten Schachzug wieder aus: Seine Außenverteidiger Alaba und Lahm, beide auch im zentralen Mittelfeld durchaus in ihrer Wohlfühlzone, gingen nicht mehr die Seitenlinien entlang, sondern rückten ein. Somit waren mit Alonso, Lahm und Alaba drei versierte Ballverteiler im defensiven Mittelfeldzentrum, mit Martínez – also einem ebensolchen Spieler – und Long-Ball-Boateng dahinter. Und, ach ja, mit Thiago Alcantara davor.
War es davor so, das Kagawa auf Alonso aufpasste und stattdessen halt Martínez und Boateng die öffnenden Pässe spielten, wussten die Dortmunder nun endgültig nicht mehr, wen sie anpressen sollten – ein kurzer Querpass, und der Ball war beim nächsten potenziellen Spielmacher. Reus und Januzaj konnten die Räume, die sich auf den Seiten boten, zwar durchaus für ihre Dribblings nützen, viel rum kam dabei aber nicht.
Auch, weil nun die Bayern-Außenstürmer Douglas Costa und Götze extra hoch standen und so ihrerseits Januzaj und Reus von der Unterstützung abkoppelten. Müller spielte nun im rechten Halbfeld und sorgte dafür, dass Weigl auch nicht nach Lust und Laune nach vorne preschen konnte. Nach rund einer Stunde ging es dann wieder schnell: Dortmund war aufgerückt, Lahm bediente den rechts im Rücken von Reus startenden Götze (wohl leicht im Abseits), dessen Flanke fand punktgenau Lewandowski, das 4:1.
Tuchel, setzt sich hin, nimmt resignierend einen Schluck: „Ich hab nix mehr.“
War das 3:1 gleich nach Wiederanpfiff der Genickschlag, so wirkte das 4:1 in der 58. Minute natürlich als endgültige Entscheidung. Der ständige Gefahrenherd Lewandowski, der oft durch für Guardiola-Teams ungewohnte lange Bälle vertikal geschickt wurde und die Tempo-Defizite, die Hummels und Bender dem Polen gegenüber haben, verleitete auch Dortmund-Goalie Roman Bürki dazu, immer wieder gewagt aus seinem Tor zu kommen – dabei flog er beim 0:1 und beim 1:3 kräftig daneben, ein weiterer missglückter Ausflug hätte beinahe ein weiteres Gegentor durch Götze zur Folge gehabt.
Dortmund wusste, dass das Spiel verloren war und die Partie beruhigte sich zusehends. Was aber nichts daran änderte, dass Götze noch von einem Zuspiel per Ferse von Douglas Costa und einem Loch in der Dortmund-Abwehr profitierte und sogar zum 5:1 erhöhte.
Pep: „In Ordnung. Es war mir eine Freude!“
Um Tuchel gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen zu lassen, brachte Guardiola mit Enforcer Arturo Vidal unmittelbar nach dem 5:1 einen frischen Mann für das Mittelfeld, der im Zweifel auch schon mal kräftiger hinlangen kann. In der Folge (und nach zwei Wechseln) reihten sich die Bayern in einem 4-1-4-1 auf und ließen die Zeit von der Uhr laufen.
Guardiola und Tuchel stehen auf, geben sich die Hand und gehen ihres Weges. „Im März“, gibt Tuchel seinem spanischen Kontrahenten beim Verlassen des Stadions noch mit, „im März sehen wir uns wieder.“ Guardiola grinst. „Gerne“, sagt er, „ich freu‘ mich drauf!“ Wohl wissend, dass die Meisterschaft da vermutlich schon so gut wie entschieden sein könnte.
5:1 gegen den amtierenden Vizemeister. 5:1 gegen den schärfsten Kontrahenten in dieser Saison. Sieben Spiele, sieben Siege, 28:4 Tore. Wer soll diese Bayern stoppen?