Daran können sich nur Fußball-Fans halbwegs bewusst erinnern, die schon annähernd 30 Jahre alt sind: Österreich hat wieder ein Nationalteam, auf das man sich einigermaßen verlassen kann. Bei dem man nicht vor jedem Spiel Angst haben muss, dass es einen Totalausfall gibt. Das gab’s seit 1997, dem unaufhaltsamen Run zur WM in Frankreich, nicht mehr. Die Entwicklung der letzten Jahre erinnert dabei frappant an jene von Belgien. Ein Vergleich.
Der mittlere Vergangenheit
Belgien war in den späten 1990er-Jahren in etwa, was die Schweizer heute sind: Verpasste Turniere waren eher die Ausnahme als die Regel, aber eine wirkliche Rolle spielte man dabei eigentlich nie.
Die letzte WM-Endrunde ohne Belgien war 1978, und 2000 hatte man die EM im eigenen Land. Bei der allerdings schon nach der Vorrunde Schluss war. Zwei Jahre später gab’s das letzte Ausrufezeichen mit dem Achtelfinal-Einzug bei der WM. Dort hatte man den späteren Weltmeister Brasilien recht eindeutig an der Kandarre, war das über weite Strecken klar bessere Team, verlor aber 0:2. Für lange Zeit war es das letzte Spiel Belgiens bei einer Endrunde.
In der Quali für die EM 2004 lag man einen Punkt hinter Gruppensieger Bulgarien nur auf Rang drei, die WM 2006 war nach einem Punkt aus den ersten drei Spielen schon früh abzuschreiben – am Ende gab’s abgeschlagen Rang vier. Die Vorausscheidung zur EM 2008 beendete Belgien gar nur auf Gruppenplatz fünf. Hinter Finnland.
Österreich hat zuletzt 1998 aus eigener Kraft eine Endrunde erreicht, nachdem man für die EM 1996 nur knapp gescheitert war. In Frankreich gab’s nach Remis gegen Kamerun und Chile ein 1:2 gegen Italien und damit das Vorrunden-Aus.
Knapp ein Jahr danach passierte das 0:9 in Spanien und damit der gefühlt große Bruch, der nach Platz drei (Quali EM 2000) und Platz zwei inklusive Play-Off-Niederlage gegen die Türkei (Quali WM 2002) auch sportlich eintrat. Die EM 2004 verpasste man meilenweit, die WM 2006 kaum weniger deutlich. Bei der Heim-EM 2008 gab es ein Remis gegen Polen und knappe Niederlagen gegen Kroatien und Deutschland.
Dem ganz ordentlichen Aufrtitt 2008 zum Trotz war man von einer europäischen Mittelklasse-Mannschaft (1998) auf den Status eines internationalen Nobodys abgesutscht. Bei der Quali-Auslosung für die WM 2010 wurde das ÖFB-Team nur noch aus dem fünften Topf gezogen.
Der Tiefpunkt (BEL 2009, AUT 2011)
Trotz des Desasters mit Rang fünf in der EM-Quali für 2008 durfte Belgiens Teamchef René Vandereycken weiter machen und der Weg in Richtung WM in Südafrika ging – zumindest was die Resultate betrifft – auch ganz gut los. Nach dem mühsamen 3:2 daheim gegen Estland, einem 1:1 in der Türkei und einem sicheren 2:0 gegen Armenien standen nach drei Spielen sieben Punkte zu Buche.
Das 1:2 gegen Europameister Spanien war noch kein Beinbruch, aber als es nach der Winterpause daheim ein 2:4 gegen Bosnien gab und vier Tage später in Zenica ein 1:2, hatte Vandereycken seinen Kredit endgültig verspielt.
Die Saat für eine bessere Zukunft war gelegt – beim 2:4 in Gent hatte das Team ein Durchschnitts-Alter von 25,7 Jahren, beim 1:2 in Bosnien (wo Kompany, Witsel und Mirallas statt Daems, Defour und De Camargo spielten) sogar nur 24,6 Jahre. Aber viel von der Fußballwelt hatten die Jungen noch nicht gesehen. Dembélé (21, Alkmaar) und Vermaelen (23, Ajax) spielten in der Eredivisie, Defour (20, Lüttich) und Witsel (20, Lüttich) in der heimischen Liga. Fellaini (21) hatte ein halbes Jahr Everton hinter sich, Kompany (22) war gerade zu Man City gewechselt.
Alles Talent half erstmal nichts. Nach den drei Niederlagen, die Vandereycken den Job kosteten, kamen unter Nachfolger Franky Vercauteren zwei weitere (0:5 in Spanien, 1:2 in Armenien) hinzu. Nach fünf Pflichtspiel-Pleiten in Folge gab’s zwar ein 2:0 über die Türkei, aber nach der abschließenden 0:2-Blamage in Estland standen aus zehn Spielen nur ebenso viele Punkte zu Buche.
Im Elo-Ranking war man auf Platz 72 abgerutscht. Der absolute Tiefpunkt.
Nach der Heim-EM 2008 übernahm Karel Brückner das ÖFB-Team. Ein Missverständnis, das schon nach sieben Spielen wieder beendet wurde. Es kam Didi Constantini – eine verheerende Fehlbesetzung. Das Loch an Talenten, unter dem seine Vorgänger gelitten hatten, war mittlerweile geschlossen.
Die Halbfinalisten der U-20-WM 2007 (Junuzovic, Harnik, Prödl, Kavlak, dazu Hoffer) drängten ins Nationalteam, immer mehr vor allem junge Spieler wechselten aus der heimischen Liga ins höherwertige Ausland. Aber die Resultate wurden dennoch schlechter und schlechter. In keinem einzigen Spiel war die Mannschaft taktisch auch nur annähernd auf der Höhe. Und auch vom Selbstverständnis warf man als Fußballzwerg nur bei tief stehender Sonne einen langen Schatten.
So konnte sich Constantini nicht mal vor einem Heimspiel gegen Litauen dazu durchringen, sein Team als Favorit zu bezeichnen. In der Quali für die WM 2010 gab’s einen schmeichelhaften dritten Platz, Lichtjahre hinter Frankreich und Serbien. Das Rennen um die EM-Teilnahme 2012 ging – zumindest resultatsmäßig – ganz gut los (sieben Punkte in drei Spielen). Doch dann setzte es serienweise Niederlagen. 0:2 gegen Belgien, 0:2 in der Türkei, 1:2 gegen Deutschland, 2:6 in Deutschland.
Im Elo-Ranking war Rang 75 im Sommer 2011 der Tiefpunkt – nach einem ganz besonders planlosen Auftritt in einem Testspiel gegen die Slowakei. Zwei Jahre nach der belgischen Talsohle.
Wackelig, aber im Aufwind (BEL 2011, AUT 2013)
Auf Vercauteren folgte in Belgien Dick Advocaat, der seinen Vierjahres-Vertrag aber nach nur einem Spiel (einem Test-0:1 gegen Kroatien) wieder auflöste, um russischer Teamchef zu werden. Also übernahm George Leekens die „Roden Duivels“. Die großen Talente, die ein, zwei Jahre davor noch zu grün hinter den Ohren waren, entwickelten sich langsam.
Zum Start in die Quali für die EM 2012 lief es aber noch nicht rund. Einem vernünftigen 0:1 gegen Deutschland folgte ein 2:3 in der Türkei, und nach dem Pflitchtsieg in Kasachstan gab’s ein ziemlich wildes 4:4 daheim gegen Österreich. Der Zug in Richtung Platz zwei war aber noch nicht abgefahren und die internationale Erfahrung wuchs. Thomas Vermaelen war mittlerweile zu Arsenal gewechselt, Fellaini war bei Everton absoluter Leistungsträger, Kompany hatte sich bei Man City etabliert, auch Dembélé spielte nun für Fulham in der Premier League.
Was immer mehr zu sehen war. Im ersten Pflichtspiel nach der Winterpause wurde Österreich in Wien 2:0 besiegt, danach Aserbaidschan geschlagen und der Türkei ein 1:1 abgerungen. Es reichte am Ende nicht ganz für den Playoff-Platz, zwei Punkte fehlten am Ende auf die Türken. Punkte, die schon im Herbst 2010 verloren wurden. Ende 2011 aber war Belgien ein echter Geheimtipp für eine erfolgreiche nächste Qualifikations-Kampagne. Ohne George Leekens. Er wurde 2012 durch Marc Wilmots ersetzt.
Bis auf den Torhüter, den Rechtsverteidiger und einen Innenverteidiger war jenes ÖFB-Team, das im März 2011 sang- und klanglos gegen Belgien verlor, personell absolut identisch mit dem aktuellen. Arnautovic war bei Bremen unter Vertrag, Janko bei Twente, Fuchs in Mainz. Dragovic, Baumgartlinger und Junuzovic waren noch bei der Austria.
Das Team hatte damals ein Durchschnitts-Alter von 25,2 Jahren und mit Macho, Dag und Pogatetz sind gegenüber heute drei Ü-30-Spieler weggefallen. Nach dem Ende der Amtszeit von Constantini übernahm der Schweizer Marcel Koller. Er hatte die Mammut-Aufgabe vor sich, einem talentierten Team voller aufstrebender Spieler auch jenes inhaltliche Rüstzeug mit auf den Weg zu geben, das seine Vorgänger nicht vermitteln konnten. Ein Versäumnis, das Garics und Pogatetz öffentlich ansprachen und dafür wie Aussätzige behandelt wurden, statt dass auf ihre inhaltliche Kritik eingegangen worden wäre.
Koller musste praktisch bei Null anfangen und so dauerte es eine gewisse Zeit, bis sich eine gewisse Stabilität einstellte – genau wie bei den Belgiern fast genau zwei Jahre davor. Grandiosen Leistungen wie beim 1:2 gegen Deutschland im September 2012 standen noch Totalausfälle wie beim 0:3 gegen die Ivorer oder dem 0:0 in Kasachstan gegenüber. In Irland klappte das Team nach dem verletzungsbedingten Aus von Junuzovic zusammen und rettete mit Glück ein 2:2. Dennoch: Durch den 2:1-Heimsieg gegen Schweden, den programmierten Zweiten der Gruppe, hatte man selbst endlich wieder eine realistische Chance auf Platz zwei, auch nach dem zähen 1:0 gegen Irland.
Wie zwei Jahre zuvor bei den Belgiern reichte es nicht ganz – gegen den direkten Gegner ums Playoff hatte es zu wenige Punkte gegeben. Das 1:2 in Stockholm war ein Punkt zu wenig.
Durchbruch (BEL 2012-14 – AUT ab 2014?)
Durch die Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien radierte Belgien mit einer schon beängstigenden Kosntanz. 2:0 in Wales, ein 1:1 gegen Kroatien, 3:0 auswärts in Serbien, 2:0 gegen Schottland, 2:0 in und 1:0 gegen Mazedonien, 2:1 gegen Serbien, 2:0 in Schottland. Die Teilnahme an der WM-Endrunde war schon vor dem Gang nach Zagreb mehr oder weniger fix, nach dem 2:1-Sieg in Kroatien war es auch rechnerisch geschafft.
Marc Wilmots hatte ein Team aus Fußballern im besten Alter, verteilt auf europäische Top-Klubs. Fellaini wechselte 2013 um über 30 Millionen Euro von Everton zu Man Utd, Witsel um 40 Millionen von Benfica zu St. Petersburg, Eden Hazard um die gleiche Summe von Lille zu Chelsea, Dembélé im Jahr davor um knapp 20 Millionen von Fulham zu Tottenham. Dazu entwickelte sich ein regelrechtes G’riss um Milchgesicht Kevin de Bruyne und noch viel mehr um Weltklasse-Goalie Thibaut Courtois.
Bei der Endrunde in Brasilien gewann Belgien alle drei Vorrunden-Spiele, ohne auch nur einmal das volle Potenzial auszuschöpfen, rang im Achtelfinale die USA nieder und scheiterte erst im Viertelfinale an Argentinien. Der größte Erfolg seit dem Halbfinal-Einzug im Jahr 1986.
Ähnlich unwiederstehlich wie die Belgier im Herbst 2012 startete Österreich nun im Herbst 2014 in die Qualifikation für die EM 2016 in Frankreich. Und das, nachdem es in Testspielen gute Resultate trotz nicht so guter Vorstellungen gegeben hatte.
Einem 1:1 zum Quali-Start gegen Schweden folgte ein zäher 2:1-Sieg in Moldawien, ehe es in den Heimspielen gegen Montenegro und gegen Gruppen-Favorit Russland jeweils 1:0-Siege durch Tore des wiedererstarkten Rubin Okotie gab. Schon nach vier Spielen hat man auf den ersten Verfolger vier Zähler Vorsprung.
Weil Koller dem Team mittlerweile mehrere Strategien beigebracht hat, die diese auch beherrschen. Weil in der Abwehr Dragovic in einer Form spielt, die seine Zeit bei europäischen Mittelgewichten wie Basel und Dynamo Kiew bald beenden lassen dürften. Weil es auch gelingt, einen noch vor Kurzem absolut unverzichtbaren Spieler wie Bayern-Star David Alaba zumindest für einzelne Spiele zu ersetzen. Weil das Team nun mit einem Schnitt von 25,9 Jahren im besten Alter ist. Und es seit Jahren eingespielt ist.
Zwei Jahre, um ein Trümmerfeld zu beseitigen
Auf dem Weg zur EM in Frankreich kann sich Österreich nun fast nur noch selbst schlagen, weil sich die direkten Gegner bisher nur gegenseitig die Punkte wegnahmen. Österreich hält auch im Herbst 2014 den Zwei-Jahres-Rückstand, den man auf die Belgier hat, recht genau ein. Die Unterschiede sind klein. Belgien exportiert seine Spieler halt eher nach England und Österreich eher nach Deutschland.
Der Rückstand auf Belgien sind letztlich genau die unsäglichen Jahre unter Didi Constantini und seinem Co-Trainer Manfred Zsak. Das heißt nicht, dass unter einem fähigeren Trainerteam die fünf Punkte geholt worden wären, die nach 2010/11 auf die Türken gefehlt haben (bzw. die drei auf Belgien), keineswegs. Das Team hatte damals noch nicht die internationale Erfahrung, die es heute hat.
Aber: Marcel Koller brauchte zwei Jahre, um aus dem ihm hinterlassenen inhaltlichen Trümmerhaufen zu einem stabil funktionierenden Team nach taktischen Maßstäben des 21. Jahrhunderts zu formen. Das wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich schneller gegangen, hätte der Schweizer ein Fundament gehabt, auf dem er aufbauen hätte können.
Erstmals seit langer, langer Zeit muss sich Österreich im Herbst 2014 nicht mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft trösten und erstmals seit langer, langer Zeit muss man nicht im Jetzt die Talente für ein Später heranführen, sondern hat eine Nationalmannschaft, bei der man nicht an die Zukunft denken muss, sondern die Stärke im Jetzt ausnützen kann. Hatte das 98er-Team seinen Zenit bei der WM mit 29,8 Jahren im Schnitt schon überschritten, ist das aktuelle um vier Jahre jünger – 25,9 Jahre.
Wenn das 2016 in Frankreich ebenso ins Viertelfinale führt wie bei den Belgiern 2014 in Brasilien, wäre das ein absoluter Traum. Aber schon alleine, wenn es gelingt, sich überhaupt auf sportlichem Wege die Teilnahme an einem Turnier zu sichern – zum ersten Mal nach 18 Jahren und erst zum zweiten Mal in 26 Jahren – wäre das ganz, ganz, ganz viel wert.