„We are passing the ball, we are passing the ball. We are Stoke City, we are passing the ball“, auch die Fans der Potters schienen beim Auftaktspiel von Stoke bei Liverpool etwas überrascht von der phasenweisen Darbietung ihres Teams. Stoke City war seit Jahren DAS Premier League-Team für unansehnlichen Fußball: Eine knüppelharte, destruktive Defensive, lange Bälle, wenig Glanz. Das Spiel in Liverpool wich davon nicht grundsätzlich ab, doch stellenweise waren neue Töne zu sehen.
Stoke-on-Trent ist ein aus mehreren Orten zusammengeschmolzenes Städtchen im Zentrum Englands. Ziemlich genau zwischen Birmingham, Liverpool und Manchester gelegen leben im Großraum Stoke rund 450.000 Menschen. Seit 1863 gibt es hier einen Fußballklub, den damit zweitältesten der Welt, der heute noch existiert – ein Gründungsmitglied des englischen Erstligafußballs.
Nachdem das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts nicht besonders erfolgreich war und von einem Hooliganproblem begleitet wurde, bekam man sich sportlich wie verhaltenstechnisch im neuen Jahrtausend in den Griff. Der Stoke City F.C. spielt im 1998 eröffneten Britannia Stadium, wo etwas über 28.000 einen bemerkenswerten Wirbel machen können. Unter seinem Rasen liegt die Asche des größten Kickers, den Stoke je hervorgebracht hat: Sir Stanley Matthews. 2008 wurde der Wunderdribbler in seiner Ruhe definitiv gestört, als enthusiasmierte Potters-Fans das Feld nach dem Abpfiff stürmten, der ihren Wiederaufstieg in die Premier League fixierte.
Sportlich hauptverantwortlich war dafür Tony Pulis. Der Trainer hat den Verein 2002 vor dem Zweitligaabstieg gerettet, wurde 2005 entlassen, übernahm 2006 wieder und stieg mit der Mannschaft später in die Premier League auf. Dort bewahrte er den Underdog immer wieder vor dem Abstieg – zeitweise auch am Ende komfortabel, aber doch nie wirklich sorgenfrei während der Saison. 2011 wurde sein Team sogar dank günstiger Auslosung ins FA Cup-Finale gespült. Man durfte trotz Niederlage gegen Manchester City im Folgejahr Europa League spielen und überstand dort die Gruppenphase. Erst gegen Valencia (0:2) erreichte man seine Endstation. Doch prinzipiell ging es in Stoke immer wieder vor allem um den puren sportlichen Überlebenskampf mit antiquierten britischen Tugenden – aber auch kreativen Methoden. Stoke ist ein Team, das den Einwurf als brandgefährliche Standardsituation für sich entdeckt hat. Doch weiter als bis dahin konnte Pulis den Verein nicht bringen. Im Sommer trennte man sich im Guten.
Der neue Trainer, Hughes, war vergangene Saison bei den Queens Park Rangers nach schlechtem Saisonstart entlassen worden – nachdem er den Verein davor gerade noch vor dem Abstieg gerettet hatte. Das von satten, teuren Stars durchsetzte QPR stieg hinterher auch ohne ihn glanzlos und kaum verbessert ab. Vor diesem Engagement war Hughes ein Jahr bei Fulham und hatte den Verein zu Platz 8 geführt. Es war die erste Station nach einem Jahr bei Manchester City für ihn. Er hatte City übernommen, als es finanziell schwer unter Druck war. Dann kamen die neuen Eigentümer. Platz 10 in der Meisterschaft war nicht mehr gut genug. Nach nur einer Niederlage aber einer Reihe von Unentschieden in der Saison 2009/10 wurde Hughes im Dezember auf Platz 6 liegend entlassen. Roberto Mancini folgte nach und wurde Fünfter. Von diesen Erfahrungen – vor allem bei QPR – will der Waliser sich nun in Stoke rehabilitieren
Huhges soll dort den nächsten Schritt machen, Stoke einen neuen Anstrich verpassen. „Dynamisch und progressiv“ soll der Spielstil werden, sagte der 49-jährige vor Saisonbeginn. Das wäre eine Revolution in den „Potteries“. Aber schon nach drei Runden ist klar, dass man es eher mit Reformen als Umstürzen versuchen wird. Das Erfolgsrezept werde nicht über Bord geworfen, aber neue „neue Aspekte hinzugefügt“, so der Trainer. Der bei Blackpool erfolgreiche, bei Liverpool eher unglückliche Mittelfeld-Taktgeber Charly Adam sagt: „Wir wollen die Leute unterhalten und den Ball durch das Feld spielen“. Adam ist neben Steven N’Zonzi einer der feinsinnigeren Spieler der Truppe.
Falls sich jemand wundert, was Trainerwechsel so bewirken können: Die Veränderung lässt sich in der Statistik deutlich beobachten. Die Anzahl der kurzen Pässe hat sich teilweise nahezu verdoppelt. Nach einem eigentlich recht guten Saisonstart mit Siegen gegen Crystal Palace und bei West Ham und der erwartbaren Niederlage in Liverpool meint Hughes aber, dass die aktuelle Mannschaft die Veränderung nicht allein stemmen kann: „Wir brauchen ein paar neue Gesichter“.
Und damit kommen wir zu Marko Arnautovic. Der Österreicher ist ein Dribbler, mit dem Stanley Matthes wohl ebenso seine Freude gehabt hätte, wie es der vermaledeite Medienboulevard aus anderen Gründen hat. Der 24-jährige Hochpotentialkicker unterschrieb nach turbulenten Jahren bei Werder Bremen am Sonntag bei Stoke City. Frühere Angebote aus der Premier League hat Arnautovic angeblich als zu unattraktiv abgelehnt, was kaum vereinbar mit dem Engagement in den Potteries scheint. 2,35 Millionen Euro hat der Verein, der einem Wettanbieter gehört, an die Weser überwiesen. Eine vergleichsweise bescheidene Summe.
Arnautovic ist übrigens nicht der einizge Österreicher in Stoke. Seit zwei Jahren spielt Torhüter Daniel Bachmann (19) im Nachwuchs. Mittlerweile in der U21 des Vereins angekommen, bezog er mit seiner Mannschaft in der Jugend-Premier-League vergangene Saison reglmäßig Prügel – vier bis fünf Gegentreffer waren keine Seltenheit. Da scheint das Engagement in der U19 des ÖFB vorteilhafter, wo er in acht Teamspielen vergangene Saison nur vier Tore bekam. Am hervorragenden Einserschlussman von Stoke, Asmir Begovic, wird Bachman gewiss nicht allzu schnell vorbei kommen. Lernen könnte er vom bosnischen Teamtorhüter aber sicher eine Menge.
Zurück zur Gegenwart von Marko Arnautovic. Hughes tendiert in dieser Saison zu einem 4-5-1/-4-2-3-1, das sich langsam aus dem klassischeren 4-4-2/4-4-1-1 der letzten Jahre löst. Gesetzt in der Spitze ist der nicht-aktuelle englische Teamstürmer Peter Crouch. Arnautovic wird also voraussichtlich am Flügel eingesetzt, wo der ÖFB-Teamspieler auch unter Marcel Koller gefragt ist. Jonathan Walters (rechts) und Matthew Etherington (links) müssen also um ihre Position zittern, auch Ex-Liverpooler Jermain Pennant kann sich dort tummeln.
Was kann Arnautovic den Engländern eigentlich bringen? Wie wir wissen, probiert er auch mal die schwierigen Dinge. Der ehemalige Spieler von Twente Enschede und Kaderspieler von Triple-Sieger Inter Mailand kann Spieler binden (wie er es gegen Mats Hummels im jüngsten Spiel bei Dortmund zeigte) und überspielen. In den letzten Jahren hat sich sein defensives Arbeitspensum merkbar verbessert, etwas das er in der körperlich noch intensiveren Premier League mit Sicherheit nicht schleifen lassen darf.
Eine Baustelle des 24-jährigen ist die Chancenauswertung und dementsprechend sein Torkonto: 14 Tore in 72 Bremen-Einsätzen sind unterdurchschnittlich und fallen im Vergleich zu den 12 in 44 Spielen bei Twente auch ab. Das ist auch ein Hinweis darauf, dass da noch mehr geht, wenn Arnautovic mehr vors Tor gespielt wird. Mit Peter Crouch hat er in Stoke einen Mann in der Spitze als Anspielstation, der ähnlich wie Marc Janko hohe Bälle brandgeährlich schnell weiterleiten und das ermöglichen kann. Die grundsätzlich direkte Spielanlage von Stoke könnte ihm zugute kommen. Wenige Teams stellen sich gegen die Potters hinten rein, das gibt Platz für schnelle Vorstöße in den Raum hinter ihrer Abwehr. Auch das kann Arnautovic gut. Es ist zudem eine Eigenschaft, nach der Hughes bei Neuankömmlingen offen gesucht hat. Vor allem aber könnte die Assistrate des Österreichers steigen. Crouch verpfeffert im Gegensatz zu so manchem Bremer Stürmer auch nicht allzu viele gute Vorlagen.
Die Prognose: Der Wechsel zu Stoke (Arnautovic unterschreibt für vier Jahre) wird sich als guter Schritt erweisen. Nicht nur, dass die englischen Medien unter „Skandal“ etwas völlig anderes verstehen, als die kontinentalen, auch der Spielstil und die Anlagen seines neuen Vereins kommen Arnautovic sicher entgegen.
Die erste mögliche Bewährungsprobe ist keine kleine Aufgabe: Nach der Länderspielpause gastiert Manchester City im Britannia. (tsc)