Wer sich etwas überlegt, kann verlieren – wer sich nichts überlegt, hat schon verloren. Dieses Motto ist in der österreichischen Bundesliga beim einen oder anderen schon angekommen, bei vielen aber immer noch nicht – zuletzt kündigte etwa Rapid-Trainer Peter Schöttel sinngemäß an, wieder jenen anspruchslosen Riegel-Fußball spielen zu wollen, der die Saison 2011/12 schon zur unerträglichsten aller Zeiten gemacht hat. Dabei möchte man den Verantwortlichen zurufen: Den Mutigen gehört die Welt. Man braucht nicht einmal Jahre, um das umzusetzen. Nur den Mut, es anzugehen. Und wer keinen Mut hat, verliert. Wie diese drei Beispiele aus der MLS zeigen.
Mutig durchziehen und belohnt werden: Portland Timbers
Den Mut zeigten, selbst aktiv zu sein. Zu pressen. Die Außenverteidiger bedingungslos nach vorne zu beordern. Und einen Mittelstürmer haben, der extrem viel arbeitet. Kurz: Eine Philosophie der Eigeninitiative etablieren. Geht nicht von heute auf morgen? Geht doch von heute auf morgen. Zumindest von der Idee, die man der Mannschaft einimpfen kann. Und auch auf Details achtet – wie etwa, dafür das Spielfeld knapp vier Meter breiter zu machen.
Genau diesen Weg gehen in der MLS die Portland Timbers. Gerade mal vier Stammspieler aus der letzten Saison waren in der ersten Start-Elf nach dem kompletten Re-Boot übrig: Nach zwei enttäuschenden Jahren, in denen der schottische Trainer John Spencer ebenso schottischen 4-4-2-Hau-Ruck-Fußball spielen ließ und mangels Erfolg und Weiterentwicklung letztlich entlassen wurde, wagen die Portland Timbers in ihrer dritten MLS-Saison einen totalen Neustart. Neo-Coach Caleb Porter soll der Architekt der modernen Offensiv-Philosophie sein.
Jeder weiß genau, was wann zu tun ist…
In seinem 4-2-3-1 sind praktisch alle Positionen nach einer eigenen Job Description haargenau besetzt. Die Außenverteidiger Harrington und Miller stehen sehr hoch und beackern die Seitenlinien quasi im Alleingang, während die Mittelfeld-Außen Alhassan und Nagbe dadurch einrücken können. Sechser Will Johnson ist ein Wadlbeißer, ein Terrier, der für die Ballgewinne zuständig ist (und dafür, den gegnerischen Zehner – diesmal Tim Cahill – zu nerven). Diego Chará, der Achter, kann dem Spiel einen Takt geben, vor allem aber auch selbst durch gute vertikale Laufwege Löcher reißen. Der etwas starksig wirkende Zehner Diego Valeri kann mit seiner Technik die Bereitschaft zeigen, auch mit wenig Platz den Ball zu fordern. Und Solospitze Ryan Johnson ist extrem aktiv und steht nicht nur wie sein Vorgänger Kris Boyd im Strafraum und wartet auf Flanken.
Das ist natürlich alles nicht Revolutionäres und nichts, was man nicht bei anderen Mannschaften auf dem Globus nicht auch sieht, keineswegs. Es ist aber erstaunlich, wenn man das Team mit der letzten Saison vergleicht, in der das genaue Gegenteil zu sehen war: Vorsichtige und bei Flanken unbeholfene Außenverteidiger. Keine Ideen und keine Kompaktheit im Zentrum. Kaum Bewegung vorne. Und vor allem: Extrem viele personelle Rochaden. Da spielte Nagbe mal vorne, mal hängend, mal auf dem Flügel. Da spielte Jewsbury, eigentlich Sechser, mal einen verkappten Spielmacher, dann wieder als Rechtsverteidiger. Da war kurzzeitig sogar Andi Dober als Neuzugang im Gespräch.
…zumindest nach vorne
Üblicherweise heißt es, man müsse zuerst sicher stehen, ehe man sich um die Offensive kümmert. Porter macht es genau anders herum: Während das Offensiv-Spiel schon im ersten Versuch richtig gut klappte, wird hinten noch heftig geschnitzt. Das sind zum Teil richtig derbe individuelle Schnitzer (wie Silvestre beim 0:1 und beim 1:2, bzw. Jean-Baptiste beim 1:3), aber auch die Abstimmung zwischen Mittelfeld und Abwehr stimmt noch nicht so ganz. Zuweilen wurden die Räume etwas gar groß, rückten die Innenverteidiger bzw. die defensiven Mittelfeldspieler nicht so nach Außen, dass es im Rücken der Außenverteidiger eine Absicherung gäbe (siehe das 1:2).
Das heißt: Die Timbers versprechen ein Team zu werden, das in den 34 Regular-Season-Spielen an die 70 Tore schießen wird, aber wohl auch ebenso viele kassiert. Caleb Porter kann sich diesen Ansatz allerdings auch aufgrund des Liga-Modus erlauben: Es gibt aus der derzeit 19 Teams umfassenden MLS keinen Abstieg. Gut für Portland, denn letztes Jahr war man die drittschlechteste Mannschaft – und gar nur eine einzige schoss noch weniger Tore.
Courage haben heißt auch: Mut zur Umstellung
Gegen die New York Red Bulls hatte Portland die erste Hälfte schon ganz gut im Griff, kassierte aber eben drei billige bis peinliche Gegentore. Die New Yorker agierten ebenso aus einem 4-2-3-1, in dem Thierry Henry von der linken Seite kam und recht hoch stand, der Argentinier Fabián Espindola mit seinen schnellen Antritten als Solo-Spitze für Unruhe sorgte, Tim Cahill als Zehner eher blass blieb und der alternde Freistoß-Künstler Juninho bis eben auf Freistöße kaum am Spiel teilnahm. Der Kompromiss, denn NYRB-Coach Petke dafür eingehen musste, war Dax McCarty – dieser gab Juninhos persönliches Hausmädchen, grätschte alles an, was sich ihm in den Weg stellte, ist aber nicht für eigene Impulse zuständig. So verdichtete sich der Mittelkreis in der Anfangsphase ganz extrem.
Zwar hatte Portland dort durch das Übergewicht an zum Spielen willigen Akteuren Vorteile, kam aber kaum wirklich durch. Das – und der Spielstand von 1:3 – zwang Porter dazu, in der Halbzeit Modifizierungen vorzunehmen. Valeri rückte weiter auf, agierte als hängende Spitze. Nagbe positionierte sich weiter Außen als davor und rückte erst relativ hoch ein; Alhassan dafür positionierte sich auf der anderen Seite noch weiter nach innen, überließ Ryan Miller endgültig die Außenbahn und gab neben Chará einen zweiten Gestalter aus der Spielfeld-Mitte. Dadurch hatten die Timbers nun auf den Flanken die Kontrolle, im Zentrum ebenso, und drückten den Gegner massiv hinten rein.
Bei den Red Bulls ging es recht schnell nur noch darum, den Sieg irgendwie zu retten. Petke stellte auf ein 4-4-1-1 um (mit Henry vorne, Cahill dahinter, dazu zwei eng stehende Viererketten), es half aber nichts. Portland kam zum hochverdienten 3:3 und hatte sogar noch Chancen, das Spiel zu gewinnen.
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Den Mut beim ersten Rückschlag verlieren: Philadelphia Union
Wie es gehen könnte, wenn einen nicht der Mut verließe, zeigte an diesem Auftakt-Spieltag das Team aus Philadelphia. Das war letztes Jahr kaum besser als die Timbers, und auch Union-Coach Hackworth (der zum Interims- zum Vollzeit-Chef befördert wurde) überlegte sich etwas.
Gegen Kansas City, Halbfinalist der letzten beiden Jahre, gab’s ein ziemlich schiefes 4-4-1-1. Linksverteidiger Gaddis blieb hinten und Gabriel Farfan im linken Mittelfeld stand ebenso sehr tief, um Graham Zusi – einen der Shooting Stars der letzten Jahre – im Griff zu behalten. Dafür übernahm Brian Carroll die Agenden als zentraler Gestalter und auch als linker Flügel. Keon Daniel, hängende Spitze mit auffälligen Dreadlocks, verschob viel vertikal und Sébastien le Toux lauerte auf schnelle Antritte.
Zudem presste dieses Trio, zum Teil gemeinsam mit dem kraftvollen Sechser Michael Lahoud, gegen das kompakte Dreier-Mittelfeld des Gegners. Mit Erfolg: Le Toux besorgte das frühe 1:0 und hätte kurz darauf das 2:0 nachlegen müssen, schob aber den Ball am leeren Tor vorbei. Der Außenseiter hatte alles im Griff, bis man hinten einmal kräftig schlief und kurz vor der Pause wie aus heiterem Himmel das 1:1 kassierte.
Damit war’s um den ganzen schönen, mutigen und proaktiven Plan bei Philadelphia geschehen. Nach dem Seitenwechsel agierte man wie das Kaninchen vor der Schlange. Man presste nicht mehr, ließ dem Gegner Zeit für den Spielaufbau und es half auch nicht, dass Zusi nun wesentlich zentraler agierte als in der ersten Hälfte und keiner seiner beiden Bewacher darauf reagierte. Kansas City kam letztlich zu einem völlig problemlosen 3:1-Sieg. Aus Sicht des Verlierers absolut vermeidbar, wenn man weiter so mutig wie bis zum Ausgleich agiert hätte.
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Gegen ein planloses Team keinerlei Mut haben: Chicago Fire
Wenn es einen idealen Zeitpunkt gibt, gegen den MLS-Meister von 2011 und 2012 zu spielen, dann jetzt. Die Los Angeles Galaxy haben gegenüber dem letzten Jahr (als man nach einer mäßigen Regular Season in den Play-Offs auftrumpfte) neben David Beckham auch Landon Donovan (der wegen seines Burn-Outs eine Auszeit nimmt) und Chippen Wilhelmsson (gut, der ist kein großer Verlust) verloren.
Trainer Bruce Arena aber blieb auch ohne die Schlüsselspieler Beckham und Donovan seinem flachen und eher statischen 4-4-2 treu. Mit den beiden konnte er das machen, weil Beckham aus dem Zentrum heraus eine traumhafte Präzision hatte und Donovan mit seinem Spielverständnis viele, richtige Laufwege nahm. Ohne die beiden allerdings passt das alles nicht so recht zusammen.
Aus dem Zentrum kommen keinerlei Impulse, aus der personellen Not heraus muss Innenverteidiger De la Garza als Rechtsverteiger ran, dafür RV Franklin im Mittelfeld. Mike Magee,ein verlässlicher aber nicht besonders torgefährlicher linker Flügelspieler, muss in den Sturm neben Robbie Keane. Die Außenbahnen waren bemüht, aber harmlos und an Spielaufbau gab’s sonst nur lange Bälle in die vage Richtung von Magee und Keane. Kurz: Die pure Einfallslosigkeit.
Alleine: Chicago – letztes Jahr sogar mit mehr Regular-Season-Punkten als die Galaxy – machte es noch schlechter. Das Team von Arne Friedrich, der wegen einer Verletzung nicht mitwirken konnte, hatte überhaupt keinen Plan, wie man das mehr als stotternde Team aus L.A. aushebeln könnte. Larentowicz und Lindpere im Mittelfeld-Zentrum versteckten sich nach Kräften, von den Außenverteidiger kam sehr wenig, von Duka und Nyarko noch weniger. Die einzigen, die echten Einsatz zeigten, war Chris Rolfe und Maicon Santos, die beiden Offensiven im 4-4-1-1. Das Problem dabei: Rolfe beging technische Fehler am laufenden Band, ihm flipperten die Bälle oft meterweit weg. Und Maicon Santos fehlte es einfach an der Unterstützung.
So gingen die Galaxy mit einer 1:0-Führung in die Halbzeit, nachdem drei Verteidiger Filigrantechnik-Wunderwuzzi Robbie Keane nur andächtig beobachteten, eine zweimal abgefälschte Flanke bei Magee landete und dessen nochmal abgefälschter Seitfallzieher im Tor. Mehr Fähigkeit zur eigenen Gestaltung zeigten die Gäste dann auch nach dem Seitenwechsel nicht: Haarsträubende Fehlpässe im Aufbauspiel, zu viele Räume zwischen den Reihen und in den Schnittstellen (wie beim 0:2), viel zu nachlässigen Verteidigen mit komplett körperlosem Spiel (wie beim 0:3). So konnte sogar Magee drei Tore machen und Keane per Fallrückzieher für den 4:0-Endstand sorgen.
Oder anders gesagt: So bekommt man sogar von einem Team, das so tut als wären Beckham und Donovan noch da und bei dem damit nicht so arg viel passt, die Bude angefüllt.
(phe)