Bitteres 1:2 gegen Deutschland – aber Österreich zeigt eine tolle Leistung

Was für einen Unterschied ein Jahr macht! Vor 12 Monaten spielte Österreich gegen Deutschland noch drucklos und wie das Kaninchen vor der Schlange – nun traute sich das ÖFB-Team richtig was zu und gab Deutschland eine richtig harte Nuss zu knacken. Zwar gewann der Favorit letztlich mit 2:1. Verdient hatte sich Österreich mit dieser Leistung die Niederlage aber nicht.

Österreich – Deutschland 1:2 (0:1)

Realistisch betrachtet wird keiner der Gruppengegner viele Punkte machen – so gesehen war auch für Österreich (oder gerade für Österreich) dieses Spiel für die Psyche wohl wichtiger als für die Tabelle. Und so gesehen darf das ÖFB-Team erhobenen Hauptes aus diesem Spiel kommen und die kommenden, sicherlich mühsamen Spiele gegen Kasachstan angehen. Denn die Leistung der Mannschaft von Marcel Koller war über weite Strecken ausgezeichnet.

Baumgartlinger und Kavlak…

Das auffälligste Feld von Interesse in diesem Spiel war auf beiden Seiten der Umgang mit dem Raum hinter den zentralen Mittelfeld-Spielern. Beide Mannschaften ließen hier nämlich ein veritables Loch, allerdings mit einem sehr unterschiedlichen Hintergrund und auch recht unterschiedlichen Auswirkungen.

Österreich spielte mit dem unter Koller schon gewohnten 4-4-1-1 mit Junuzovic als hängender Spitze, die in vorderster Front gegen den deutschen Spielaufbau pressen sollte. Und Pressing war auch das Zauberwort bei Kavlak und Baumgartlinger. Diese beiden standen auch gegen den Ball sehr hoch und setzten ihre deutschen Counterparts so gut es ging unter Druck, sorgten aber vor allem dafür, dass die Passwege in ihren Rücken so gut es ging zugestellt waren.

Dazu rückten auch Ivanschitz und Arnautovic von den Flügeln ein. Auf diese Art und Weise hatten Özil und Klose vorne zwar reichlich Platz zwischen den Reihen, es war aber kaum möglich, diese beiden auf gewünschtem Wege anzuspielen. Versuchten es die Deutschen hoch, rückte Pogatetz aus der Abwehrkette heraus und pflückte die Kopfbälle weg. Versuchten sie es flach, blieb man oft an der gut gestaffelten Mittelfeld-Kette hängen, was ob des brutal schnellen Umschaltens der Österreicher auch keine gute Idee war. Und kam doch mal ein Ball durch, rückten Baumgartlinger und Kavlak so flink zurück, dass plötzlich überhaupt kein Platz mehr da war.

… vs. Khedira und Kroos

Sowohl Sami Khedira als auch Toni Kroos verstehen sich eher als Spielgestalter. Wenn zwei solche Spielertypen nebeneinander spielen, empfiehlt sich ein gutes Verständnis zwischen den beiden. Das gibt es bei Khedira und Kroos allerdings nicht, was sich vor allem bei Ballverlust zeigte. Nachdem oft beide im Vorwärtsgang waren, fehlte die zentrale Absicherung, was Österreich konsequent auszunützen versuchte.

Vor allem Ivanschitz preschte immer wieder zwischen die Reihen und war dort eine gern genommene Anspiel-Option unmittelbar nach Ballgewinn. Eben weil sich die Mittelfeld-Kette der Österreicher so eng zusammen zog, waren die Passwege im Umschalten von Defensive auf Offensive nie besonders lang. Das stellte das deutsche Mittelfeld vor ein Dilemma: Einerseits muss die angreifende Mannschaft natürlich danach trachten, das Spielfeld und damit den vom Gegner zu verteidigenden Raum so groß wie möglich zu machen.

Weil aber Österreich eine ständige Gefahr im schnellen Umschalten ist, geht das nicht ganz ohne Sicherheits-Mechanismus – sonst hätte die Österreicher ja nach Ballgewinn freie Bahn. Daher rückten auch das deutsche Mittelfeld zusammen. Das hatte wiederum den Effekt, dass auf jener Seite, auf der sich der Ball gerade nicht befand, unüblich große Räume entstanden (Thomas Tuchel bezeichnete das jüngst in einem Interview als „ballentfernten Halbraum“).

Genau diese wurden von Österreich nach Balleroberung gesucht: Es gab im ÖFB-Team praktisch keine langen, hohen Bälle nach VORNE – aber immer wieder hohe Flankenwechsel in den freien Raum, in dem ein österreichischer Spieler wartete. So war das deutsche Team zu schnellem Verschieben gezwungen, was früher oder später immer mal Löcher reißen lässt. In diesem Raum hinter Khedira und Kroos entfachte Österreich große Gefahr und mangels Unterstützung aus dem Mittelfeld kam die deutsche Defensive immer wieder kräftig ins Schwimmen.

Der Gamble

Die hohe Positionierung des österreichischen Mittelfeld und den sich ergebenden Raum zwischen diesem un der relativ tief stehenden Innenverteidigung war ein ziemlich riskantes Spiel bei den Österreichern. Einerseits warf diese Spielweise dem deutschen Spielaufbau auf konstanter Ebene Stöckchen zwischen die Beine und ermöglichte ein massives, schnelles Aufrücken von vielen Spielern nach Balleroberung. Das Heim-Team kam dadurch zu einer ganzen Reihe von guten Torchancen, und hätte nach einer halben Stunde eigentlich schon führen müssen.

Andererseits barg das aber natürlich immer das Risiko, dass sich die Deutschen doch einmal durchkombinieren können. Dann ist der Weg zu weit für die Abwehr und es wird brandgefährlich. Letztlich kostete genau das kurz vor der Halbzeit den Gegentreffer. Durch den davor kaum in Erscheinung getretenen Marco Reus ging der heftig strauchenlde Favorit mit 1:0 in Führung.

Österreichisches Pressing lässt merklich nach

Unter Marcel Koller hat sich Österreich zu einer veritablen Pressing-Maschine entwickelt – das zeigte sich auch in diesem Spiel. Der Platz und die Zeit für den ballführenden Deutschen wurde ziemlich konsequent kurz gehalten, auch dadurch bewegte sich die deutsche Fehlpass-Quote auf einem ungewohnt hohen Niveau. Es passiert Mannschaften von der Klasse Deutschlands auch nur höchst selten, dass sie sich von einem auf dem Papier nicht zumindest halbwegs gleichwertigen Gegner solchen Pressing gegenüber sieht. Vor allem Philipp Lahm hatten sich die Österreicher als Opfer ausgesucht.

Die Verwirrung und die leichte Planlosigkeit darüber, wie man dem österreichischen Pressing denn nun entgehen kann, war immer wieder erkennbar. Durch das 1:0 kurz vor der Pause wurde dem ÖFB-Team aber merklich ein Schlag in die Magengrube versetzt, zumal das kräfteraubende Spiel nun ein wenig seinen Tribut forderte und man nach dem Seitenwechsel auf ein allzu heftiges Pressing verzichtete.

Deutschland kam deutlich besser aus der Halbzeit heraus und versuchte nicht ohne Erfolg, das dichte österreichische Mittelfeld über die Seiten zu umgehen. Das 2:0 entstand zwar aus einer Abseits-Position, war aber wegen der etwas verloren gegangenen Ordnung und Konsequenz im Mittelfeld bis zu einem gewissen Grad folgerichtig.

Arnautovic und Schmelzer

Ein Duell, dass vor allem nach dem 0:2 immer mehr in den Fokus rückte, war indes jenes von Marko Arnautovic gegen Marcel Schmelzer. Während Ivanschitz auf der anderen Seite eher einrückte und Fuchs für die Breite im Spiel nach vorne sorgte, blieb Arnautovic auf seiner rechten Außenbahn viel eher nahe der Seitenlinie. Dort konnte er sich mit Fortdauer der Partie immer besser gegen den Linksverteidiger von Borussia Dortmund durchsetzen. Sein gewonnener Zweikampf mit Schmelzer war der Schlüssel zum 1:2-Anschlusstreffer nach rund einer Stunde.

In der Folge hatte Schmelzer seinem Gegenspieler immer weniger entgegen zu setzen, was zu einem immer verzweifelter werdenden Gesichtsausdruck bei Bundestrainer Löw führte, wann immer dieser nach „Maaarceeeel!“ schrie. Das Glück von Schmelzer: Die Flanken, die Arnautovic von der linken Seite in den Strafraum schlug, hatten eine erstaunliche Streuung und blieben praktisch alle völlig unbrauchbar. Hier wäre viel mehr möglich gewesen.

Schlussphase

Sowas wie Brechstange

Mit der Führung im Rücken konnten sich die Deutschen im Mittelfeld natürlich auch ein wenig zurück ziehen. Das nahm Österreich logischerweise den Platz, in dem sie sich in der ersten Hälfte noch so genüsslich hatten ausbreiten können. Andere Strategien waren nun gefordert.

Also ging es nun eher daran, über die Flanken nach vorne zu kommen und in der Mitte Abnehmer zu finden. Das klappte mit Guido Burgstaller, der nach einer Stunde den extrem fleißigen, aber auch eher glücklosen Martin Harnik ersetzt hatte, nicht wie gewünscht. Auch, weil sich der Rapidler – der einzige in der österreichischen Liga spielende Teilnehmer im ganzen Spiel – ähnlich wie Harnik eher als mitspielender Mittelstürmer sieht, viel auch Richtung Außenbahnen ging. In der Schlussphase gab es mir Marc Janko dann einen echten Anspielpunkt im Strafraum.

Der auch Gegenspieler bindet – was in Minute 88 fast zum Erfolg geführt hätte, weil sich Badstuber bei einer Flanke von links zu weit weg stand und Schmelzer sich nicht um Janko UND Arnautovic kümmern konnte – und Letzterer den Ball aber nicht im Tor unterbringen konnte. Es wäre das Tor zu einem sicherlich verdienten Remis gewesen.

Fazit: Trotz der Niederlage geht Aufwärtstrend beim ÖFB-Team weiter

Vor einem Jahr war das österreichische Mittelfeld noch eine komplett Pressing-freie Zone. Jetzt wird sogar auf Deutschland ein Druck ausgeübt, wie es das die DFB-Elf von einem Topf-4-Team wohl noch nie erlebt hat. Dieses Spiel bestätigte eindrucksvoll den Aufwärtstrend, den Österreich unter Marcel Koller gemacht hat. Endlich traut sich auch ein rot-weiß-rotes Team gegen einen übermächtig scheinenden Gegner zu, selbst die Initiative zu ergreifen. Und stellt sich, überspitzt formuliert, nicht mehr nur auf das Feld und hofft, dass sich die sportliche Katastrophe in Grenzen halten möge.

Bei Deutschland zeigte sich einmal mehr, dass man einen Bastian Schweinsteiger in guter Form einfach nicht ersetzen kann. Toni Kroos wirkte auf dieser Position verloren: Nach vorne blieb er wirkungslos, nach hinten fehlte ihm die dafür notwendige geistige Schärfe. Das eröffnete Österreich viele gute Tormöglichkeiten. Es war generell keine gute Leistung des EM-Semifinalisten. Was aber natürlich nichts daran ändert, dass das immer noch die klar stärkte Mannschaft in dieser Gruppe ist, die sich in den verbleibenden neun Spielen recht sicher für die WM qualifizieren wird.

Für Österreich kommen nun die beiden mit Abstand wichtigsten Spiele des Jahres zu – das Kasachstan-Doppel im Oktober. Hier wird man nicht auf Räume zwischen den Reihen lauern können. Hier wird das ÖFB-Team gefordert sein, gegen einen kompakten und unangenehmen Gegner ein Bollwerk zu knacken. Und der Test gegen die destruktiven und erschreckend biederen Rumänen im Juni hat gezeigt: Hier hat dieses Team wohl noch die größten Schwächen.

Also, Vorsicht: Schweinespiele voraus.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.