Riddersholms Crossover-System: Wer was probiert, hat zumindest eine Chance

Am Ende hatte der Favorit mit 4:2 gewonnen. Was aber nicht darüber hinweg täuschen kann, dass das taktische Konzept des Crossover-Systems von Glen Riddersholm seinem Team dazu verholfen hat, beim FC Kopenhagen bis eine Viertelstunde vor Schluss 2:0 zu führen. Was vordergründig eine Analyse eines Spiels des FC Midtjylland ist, darf aber als Beispiel für alle Underdogs gelten: Wer sich was überlegt und etwas probiert, hat zumindest die Chance auf eine Überraschung.

FC Kopenhagen – FC Midtjylland 4:2

Nein, ein klingender Name ist der FC Midtjylland nicht. Aber was der Dritte der letzten Saison der dänischen Superliga im Saison-Opener beim FC Kopenhagen zeigte, war vor allem taktisch hochinteressant. Dass man trotz nicht unverdienter 2:0-Führung in der letzten Viertelstunde noch komplett einging und 2:4 verlor, verleiht der Leistung des Außenseiters schon eine gewisse Tragik.

Mixtur aus 4-1-4-1 und Tannenbaum

Der Trainer des Klubs aus Herning, der mit schöner Regelmäßigkeit international vertreten ist, heißt Glen Riddersholm. Der langjährige Jugend-Trainer verpasste seiner Mannschaft (in der niemand spielt, den man außerhalb der Grenzen Dänemarks kennt) ein System, das eine Mischung aus 4-1-4-1 und Tannenbaum ist.

Durch das Einrücken der Mittelfeld-Außen (schwarz) verengte Midtjylland das 4-4-2 des FC Kopenhagen. Die Außenverteidiger (rot) hatten damit viel Freiraum.

Die beiden Außenspieler im Mittelfeld, die Nigerianer Sylvester Iboun und Rilwan Hassan (im Bild unten schwarz markiert), spielten offensiv eine eher untergeordnete Rolle. Im Ballbesitz rückten die beiden ein und überließen den Außenverteidigern (Kibebe und Joelsgaard, im Bild rot markiert) die Flanken.

Das funktionierte prächtig: Durch die fünf Mann im Zentrum wurde das Mittelfeld der Hauptstädter eng – ein logischer Nachteil des 4-4-2, mit dem der neue Trainer Ariel Jacobs sein Team auflaufen ließ. Wie im Bild gut zu sehen, schuf sich Midtjylland Raum auf den Flügeln. Die Gäste gingen nach nur neun Minuten durch einen Schuss von der Strafraumgrenze in Führung und konnten sich umso mehr auf ihr Konzept des frühen Störens verlegen.

Albæk und Olsen agierten im Verbund und störten das flache 4-4-2 der Weißen nahezu perfekt

Den Tannenbaum-Touch brachten mit Mads Albæk und Danny Olsen die beiden zentralen Spieler hinter Sturmspitze Tim Janssen ins System. Denn während, wie erwähnt, die jeweiligen Außen tendenziell einrückten, machten die beiden nach vorne Betrieb. Und zwar immer im Verbund: Sie rückten fast immer gemeinsam nach rechts, gemeinsam nach links, gemeinsam nach vorne. Dort fanden sie im extrem mobilen Janssen einen willigen Partner für Kombinationen.

Dass Midtjylland nach dem schnellen 1:0 nicht nachsetzen konnten, lag in erster Linie an der gegen über dem FC Kopenhagen deutlich geringeren individuellen Qualität. Allerdings war das taktische Konzept mit der Führung im Rücken ideal: Denn bis auf ein paar wenige Ausnahmen konnte man den Favoriten kontrollieren.

Ariel Jacobs und sein 4-4-2

Schon beim RSC Anderlecht war das flache 4-4-2 Ariel Jacobs‘ bevorzugtes System, davon geht er auch bei seinem neuen Arbeitgeber nicht ab. Der dänische Abo-Meister FC Kopenhagen erlitt in der letzten Saison einen Kollaps epischen Ausmaßes, verpulverte in den letzten fünf Runden einen Sechs-Punkte-Vorsprung und wurde hinter den No-Names des FC Nordsjælland nur Vize-Meister.

Das ausrechenbare System von Jacobs wurde wegen der intelligenten Rolle von Albæk und Olsen durchaus zum Problem. Weil durch den permanenten Druck des Midtjylland-Duos die Zentrale des FC Kopenhagen mit Claudemir und Kristensen völlig aus dem Spiel war – und der Brasilianer zudem dazu neigte, das Spiel zu verschleppen und das Tempo heraus zu nehmen – wurde das Aufbauspiel auf die Außenbahnen gedrängt. Genau darauf hatte sich Midtjylland aber eingestellt und ließ den klar favorisierten Gegner an der ausgestreckten Hand verhungern.

Jacobs reagierte für die zweite Hälfte genau gar nicht auf die allzu offensichtlichen Probleme und quasi als Strafe gab’s nach einer Stunde das 0:2. Wenn schon nach vorne nichts geht, dann darf die Defensive nicht patzen. Tat sie aber.

Erst Dezimierung leitet Wende ein

Nun nahm Jacobs einen Doppelwechsel vor – Jørgensen (der sich bei Lautern und Leverkusen nicht durchsetzen konnte) und Cornelius kamen für Mos Abdellaoue (den kleinen Brunder von Hannover-Stürmer Mohamed) und Bolaños. Das passierte aber alles innerhalb des Systems, weil Nicolai Jørgensen, an sich ja Stürmer, auf die linke Seite ging. Er interpretierte diese Rolle zwar deutlich offensiver als Vingaard (der nun auf rechts spielte), übte dadurch auch mehr Druck auf den auch schon gelb-belasteten Kibebe aus. Der Favorit wurde besser, aber die eigentliche Wende wurde erst durch den Ausschluss von Claudemir eingeleitet.

Nach Claudemirs Ausschluss in der 71. Minute

Der Brasilianer hatte erst einen Ellbogen-Schlag, dann einen Kopfstoß angedeutet. Für den jungen Referee Kehlet (seit der gerade begonnenen Saison auch international unterwegs) genug für die rote Karte.

Das hatte aber keinen nachteiligen Effekt auf den FC Kopenhagen. Im Gegenteil: Ohne den Brasilianer wurde das Spiel des Favoriten deutlich direkte, deutlich zielstrebiger und im Gefühl, vom Referee benachteiligt worden zu sein, stellte sich auch sichtbar eine „Jetzt-erst-Recht“-Attitüde ein. Nach einem feinen Doppeplass mit Vingaard netzte Santin in der 75. Minute, vier Minuten nach Claudemirs Ausschluss zum 1:2 ein.

Midtjylland stehend K.o.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Midtjylland den Klub aus der Hauptstadt, flapsig formuliert, an den Eiern. Nun aber entglitt Riddersholm und seinem Team das Spiel. Aus zwei Gründen.

Erstens: Ohne Claudemir spielte der FCK in einem 4-3-2, mit nur einem Mann im Zentrum. Es wurde nun also gar nicht mehr versucht, über die Mitte nach vorne zu kommen – und auf den Außenbahnen hatten Vingaard und EM-Fahrer Jacobsen bzw. Oviedo und Jørgensen klare Vorteile.

Vor allem, weil zweitens Midtjylland ob der kräfteraubenden Spielanlage, die man 70 Minuten lang hervorragend praktizierte, schlicht und einfach mit den Kräften völlig am Ende war. Es wurde nicht mehr verlorenen Bällen nachgegangen, es wurde nicht mehr konsequent in die Zweikämpfe gegangen, so hatte der FCK immer mehr den nötigen Platz, um sich zu entfalten.

Der Ausgleich zum 2:2 (78.) war ein Resultat fehlender Hilfe im Abwehrverbund, als kein Mitspieler einen von Igboun an sich gut abgegrätschten Ball klärte. Dass Midtjylland auch den Punkt nicht halten würde können, schien da schon klar, umso mehr, als zehn Minuten vor Schluss Innenverteidiger Sviachenko mit Gelb-Rot vom Platz musste. Beim 3:2 in Minute 85 staubte Oviedo ab, nachdem die Midtjylland-Abwehr nur bewundernd zugesehen hatte, wie sich Santin und Cornelius durch den Strafraum doppelpassten, und das 4:2 in der Nachspielzeit machte den Deckel drauf.

Fazit: Wer sich überlegt, hat zumindest die Chance zu gewinnen

Natürlich: Am Ende steht Midtjylland mit einem 2:4 und ohne Punkte da. Was aber nichts daran ändert, dass Glen Riddersholm das taktische Duell gegen Ariel Jacobs haushoch gewonnen hat. Sein Team, individuell klar schwächer besetzt als jedes des FC Kopenhagen, war mit dem Crossover-System aus 4-1-4-1 und Tannenbaum perfekt auf die Spielanlage des Favoriten eingestellt, neutralisierte diesen lange und hätte sich zumindest einen Punkt verdient.

Dass daraus nichts wurde, liegt wohl auch zu einem Teil daran, dass Igboun nach einer Stunde nur den Pfosten traf, anstatt das 3:0 zu schießen. Doch in erster Linie spielten dem Underdog die Kräfte einen Streich: Just zu der Zeit, als der FC Kopenhagen nach dem Ausschluss richtig Gas gab, kickte Midtjylland diesbezüglich völlig ein.

Womit sich letztlich zwar der Favorit durchgesetzt hat. Aber die ausgeklügelte taktische Marschrichtung von Glen Riddersholm seinem Team zumindest eine ernsthafte Chance gegeben hat, die Überraschung zu schaffen.

(phe)

PS: Kleine persönliche Anmerkung aus österreichischer Sicht noch: Ich habe mir auf diesem Trip auch zwei Spiele der schwedischen Liga angesehen (Helsingborg-Syrianska und Malmö-GAIS), nach den Eindrücken dieser Partien ist die Allsvenskan vom Niveau her durchaus unter die heimische Bundesliga zu stellen.

Das hier analysierte Spiel lässt aber den Schluss zu, dass unsere Liga mit jener aus Dänemark sicherlich nicht mithalten kann. Vom Tempo her schon mal auf gar keinen Fall, auch die individuelle Klasse wusste durchaus zu gefallen. Und mit interessanten taktischen Varianten wurden wir zuletzt in Österreich bekanntlich ja nicht gerade verwöhnt.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.