DAS Überraschungs-Team dieser Bundesliga-Saison? Eindeutig Borussia Mönchengladbach! Aber was macht jenes Team, das mit dem selben Kader letztes Jahr zweifellos abgestiegen wäre, wenn Lucien Favre nicht das Traineramt übernommen hätte, so enorm stark? Das Pokal-Halbfinale gegen die Bayern lieferte, obwohl die Borussia im Elferschießen scheiterte, viele Antworten auf diese Frage.
Als Lucien Favre vor etwas mehr als einem Jahr das Trainer-Amt bei Borussia Mönchengladbach übernahm, war der Verein am Boden. Interne Querelen und ein Putsch-Versuch waren die Folge einer enttäuschenden Saison, das Team war zwölf Spiele vor Schluss hoffnungslos abgeschlagen Letzter, sieben Punkte vom rettenden Ufer entfernt. Doch Favre schaffte den unglaublichen Turnaround, hielt dank eines Erfolgs in der Relegation die Klasse – und mischt nun die Bundesliga auf.
Das Erstaunlichste dabei: In jene Mannschaft, die derzeit auf Platz drei in der Bundesliga liegt, spielt in der Regel ohne einen einzigen Neuzugang. Es ist der selbe Kader, mit dem Favres Vorgänger Michael Frontzeck mit Pauken und Trompeten auf Abstiegs-Kurs war – lediglich Marco Reus ging in die Spitze und Patrick Herrmann (der nach einem Schlüsselbeinbruch im Pokal-Halbfinale gegen die Bayern erstmals wieder im Kader war) etablierte sich mit einer bärenstarken Saison im rechten Mittelfeld.
Gladbach macht die Räume eng
Was die Borussia zu einem dermaßen unangenehmen Gegner macht, ist vor allem die Art und Weise, wie sie die Räume verengt. Der Abstand zwischen Abwehrkette und den beiden Stürmern ist im Idealfall kaum 25 Meter. Das verlangt von der Abwehr eine extrem hohe und von den Angreifern eine extrem tiefe Positionierung von von allen Spielern höchste taktische Disziplin.
Dadurch, dass die Abwehrkette so hoch steht und der Abstand zur Mittelfeld-Kette so gering ist, bleibt für einen Gegner mit drei offensiven Mittelfeldspielern, einem Achter und einem Stoßstürmer praktisch kein Platz, sich zu entfalten. Die Bayern waren gezwungen, den Ball selbst tief zu halten und fanden durch das engmaschige Defensiv-Netz der Gladbacher nur sehr selten eine Anspielstation, und wenn doch, konnte diese mangels Platz und mangels Zeit am Ball nur sehr wenig damit anfangen.
Ribéry und Robben sind kein Faktor
Gegen eine Mannschaft wie die Bayern, die in ihren letzten drei Pflichtspielen 20 Tore erzielt haben (7:1 gegen Hoffenheim, 7:0 gegen Basel und 6:0 bei Hertha BSC) muss man aber auch die zuletzt gut aufgelegten Flügelspieler aus der Partie nehmen. Und auch das machte Gladbach hervorragend: Franck Ribéry wurde vom überragenden Toni Jantschke komplett abgemeldet, der Franzose brachte nicht einen Ball sinnvoll in die Mitte und es gelang ihm ihn 120 nur ein einziges Mal, in den Rücken der Abwehrkette zu kommen. Dass die Maßflanke auf Robben nicht im Tor landete, war nicht Ribérys Fehler.
Arjen Robben auf der anderen Seite wurde konsequent gedoppelt, zuweilen sogar von drei Borussen angegangen. Das ließ zwar immer wieder Platz für den Robben hinterlaufenden Philipp Lahm, was aber nichts machte – denn entweder waren seine Hereingaben ein gefundenes Fressen für die extrem starken Dante und Stranzl, oder ein Borusse nahm ihm ganz flink die Zeit am Ball.
Extreme Disziplin beim Verschieben
Das Einüben des kollektiven Verschiebens ist zwar, wie man hört, auch bei Lucien Favre eine mühselige und eintönige Dauer-Arbeit, aber es gibt in der deutschen Bundesliga wohl kein Team, dass dabei im Spiel eine so exakte Disziplin an den Tag legt. In jeder Situation weiß immer jeder ganz exakt, wie sich alle anderen verhalten und wie bzw. wohin genau er selbst zu laufen hat, ohne dass in der schnellen Rück- oder Seitwärtsbewegung Löcher entstehen, in die der Gegner hinein stoßen könnte.
Die Bayern ließen in der Vorwärtsbewegung oft das nötige Tempo vermissen, um auf diesem Weg zu versuchen, die Reihen der Borussia auseinander zu reißen. Natürlich kamen sie auch immer wieder zu Chancen – vor allem zu Beginn der zweiten Hälfte – aber in den Rücken der Abwehr kamen sie in 120 Minuten nur zwei- oder dreimal. Und wenn die Münchner doch zum Abschluss kamen, war Marc-André ter Stegen im Borussia-Tor zur Stelle.
Die Rolle von Reus und Hanke
Interessant ist bei Mönchengladbach auch die Rolle der beiden Stürmer. Denn von allen Angreifern, die Favre regelmäßig einsetzt, ist in Wahrheit nur Mike Hanke ein echter, gelernte Vollblut-Angreifer. Shooting-Star Marco Reus und Igor de Camargo hingegen sind Spieler, die sich (wie der Belgier) eher in der Etappe wohler fühlten oder (wie Bald-Dortmunder Reus) ursprünglich vom Flügel kommen. Das macht aber nicht nur nichts, nein, das System von Favre verlangt sogar nach solchen Spielern.
Eben weil durch das eng machen der bespielbaren Fläche die (nominellen) Stürmer so tief stehen, dass sie zeitweise als zusätzliche Mittelfeld-Spieler hinter dem Ball spielen, braucht es genau solche Spielertypen, die aus der Tiefe mit Tempo nach vorne gehen können. Vor allem Reus wurde immer wieder steil geschickt (oder es zumindest versucht), um mit seinem Tempo auf die Abwehr zulaufen zu können – nicht zuletzt Sebastian Prödl kann davon ein Lied singen, seit er im November bei Bremens 0:5 gleich dreimal von Reus überlaufen wurde.
Das Sturm-Duo hat aber noch eine andere, ganz wichtige Aufgabe: Auf die gegnerische Spieleröffnung pressen. Im Falle der Bayern ist es bekanntermaßen Holger Badstuber, der für den ersten Pass von hinten heraus zuständig ist, und Mike Hanke presste Badstuber immer wieder dermaßen an, dass ihm oft nur überhastete und damit ungenaue Pässe gelangen. Heißt: Obwohl – oder gerade weil – die Stürmer der Borussia eine so tiefe Ausgangsposition haben, ist ihr Spiel in höchstem Maße vertikal.
Bayern stellt auf 4-4-2 um
Die Bayern reagierten nach einer Stunde darauf, indem Thomas Müller aus seiner Position im zentralen offensiven Mittelfeld – Müller, Robben und Ribéry rochierten zwar sehr viel, kehrten dann aber recht schnell auch wieder auf ihre Grundpositionen zurück – sich etwas weiter nach vorne orientierte. Er war oft zwischen Nordtveit und Neustädter eingezwickt, weiter vorne erhoffte er sich wohl etwas mehr Platz zwischen den Linien.
Vor allem aber schien die geänderte Positionierung Müllers eine Absicht zu haben: Einen Innenverteidiger heraus zu ziehen. Denn wenn sich das Spiel in die Richtung des Borussia-Tores bewegte und dort auch Gomez in diese Richtung lief, blieb Müller erst einmal stehen und ließ die sich nach hinten verschiebenden Ketten der Borussia ein wenig an sich vorbei ziehen. Die Hoffnung war offenbar, dass einer der zwei Innenverteidiger – am Ehesten der statt des verletzten Stranzl gekommene Brouwers – an Müller bleibt und so hinten Platz für Gomez schafft. Die Borussia ließ sich von diesem Köder aber nicht locken. So ging Müller (wie auch der in der Verlängerung für ihn eingewechselte Petersen) eher wieder zurück in die alte Position.
Verlängerung offenbart eine gewisse Fragilität
Die hochinteressante und extrem intensive Partie verließ in der fast logischen Verlängerung so ein wenig die qualitative Spannkraft – je länger das Spiel dauerte und je fataler ein möglicher Fehler wurde, desto vorsichtiger legten es die beiden Mannschaften auch an. Im Zweifel wurde immer eher der Rückpass gewählt, die Sicherheits-Variante gespielt. Dennoch bekamen die Bayern immer mehr Übergewicht, und das ist nicht nur mit der Müdigkeit zu erklären.
Nein: Roman Neustädter schleppte sich im zentralen Mittelfeld sichtlich angeschlagen nur noch über das Feld, nachdem Favre das Austauschkontingent bereits ausgeschöpft hatte. Neustädter konnte seine ihm zugedachten Aufgaben nicht mehr erfüllen und so konnte die ganze Mannschaft nicht mehr wie zuvor verschieben und hing vor allem in den letzten zehn Minuten gegen ein Bayern-Team, das ihre Chance witterte, noch ziemlich in den Seilen. Es reichte für das Elferschießen, dort verschoss aber Dante und der Versuch von Nordtveit wurde gehalten – womit das Pokal-Finale ohne Mönchengladbach stattfindet.
Fazit: Die Borussia zeigte eindrucksvoll ihre Stärken
Auch, wenn es letztlich nicht für den Final-Einzug gereicht hat: Borussia Mönchengladbach hat in diesem hochinteressanten und extrem intensiven Spiel, ohne Zweifel einem 0:0 der allerbesten Sorte, ganz deutlich gezeigt, was die Mannschaft so stark macht, dass ihr zumindest der Platz in der Champions-League-Quali kaum noch zu nehmen ist. Extreme Kompaktheit, höchste taktische Disziplin, dem Gegner keinen Platz lassen und nach vorne das eigene Spiel sehr vertikal anlegen.
Die Bayern, die ja in einer unfassbaren Form waren, taten sich dann auch extrem schwer. Das Team aus München kam zu einigen guten Chancen, keine Frage, aber die mussten alle hart erarbeitet werden: Ribéry kam kaum vor, Robben wurde nach Kräften zugedeckt, Müller und Kroos im Mittelfeld eingezwickt und Gomez von den Innenverteidigern abmontiert.
Keine Frage: Dieses Team, das sich vor zehn Monaten noch gerade mal so vor dem Sturz in die 2. Liga gerettet hat, steht vollkommen zu Recht auf dem dritten Platz in der Bundesliga.
(phe)