Spitzenspiele in der Serie A – 90 Minuten gegenseitiger Würgegriff im Zentrum? Nicht beim diesem Duell des Ersten Milan gegen den Zweiten Juventus. Das wurde nämlich konsequent auf die Außenbahnen getragen! Erst von Milan, weshalb auch ohne den gesperrten Ibrahimovic die logische Führung fiel. Dann von Juventus, wodurch sich die Turiner das 1:1 verdiente.
Das mit der Dreier-Abwehrkette ist so eine Sache. In Italien feiert sie derzeit ein grandioses Comeback, hauptsächlich, weil es viele Teams in der Serie A grundsätzlich am Flügelspiel vermissen lassen. Darum sind viele Trainer dazu übergegangen, aus den Außenverteidigern Wing-Backs zu machen um diese Schwachstelle beim Gegner zu nützen. Napoli erreichte so letztes Jahr den dritten Platz, seither machen viele genau das nach.
So auch Juve-Trainer Antonio Conte. Er hatte letzten Sommer das Trainer-Amt des überforderten Gigi Delneri übernommen und konnte sich, weil der Europacup-Platz verpasst wurde, auf die Liga konzentrieren. Im Laufe der Saison stellte auch er auf eine Dreierkette um – die Turnier haben die wenigsten Gegentore kassiert, noch kein einziges Spiel verloren und liegen in der Tabelle nur deshalb hinter Milan, weil man weniger Spiel ausgetragen hat.
Am falschen Fuß erwischt
Die Idee hinter dem Einsetzen einer Dreierkette gegen Milan war grundsätzlich nachvollziehbar: Die Rossoneri sind bekannt dafür, „Flügelspiel“ nur vom Hörensagen zu kennen – oft hat man bei Milan den Eindruck, es stünde unter Strafe, näher als 15 Meter zur Seitenlinie zu kommen. Genau diesen Platz wollte Conte mit den Wings-Backs Lichtsteiner und Estigarribia ausnützen. Womit er nicht gerechnet hat: Milan setzte ungewohnterweise auf konsequentes Flügelspiel.
Robinho wechselte zwar immer wieder die Seite, zumeist aber machte er sich als klassischer Linksaußen im Rücken von Stephan Lichtsteiner breit, unterstützt von Urby Emanuelson (der für den angeschlagenen Boateng spielte). Weil von hinten auch Antonini viel nach vorne machte, wurde Lichtsteiner von drei Leuten überrannt und war damit, weil ihm auch niemand half, komplett überfordert. So kam nach vorne vom Schweizer nichts und defensiv wackelte der Verbund gehörig.
Milan bohrt Problem-Zonen konsequent an
Juventus versuchte, das von Lichtsteiner gelassene Offensiv-Loch dadurch zu stopfen, indem sich Arturo Vidal aus dem Zentrum auf die rechte Seite orientierte, was aber nur ein neues Problemfeld aufriss – weil Sulley Muntari (der statt des angeschlagenen Seedorf ran durfte) eine sehr aktive Rolle einnahm, wenn es darum ging, sich im Rücken von Vidal in die Offensive einzuschalten.
Hinzu kam, dass Pirlo vom guten Emanuelson wenig Zeit gelassen wurde, sich Passempfänger zu suchen und diese auch anzuspielen. So hatte Juventus zwar etwas mehr Ballbesitz, konnte damit aber wenig machen – Lichtsteiner war eingeschüchtert, Estigarribia litt auf der anderen Seite unter der bescheidenen Leistung von Marchisio, die Spitzen Borriello und Quagliarella bewegten sich schlecht. Milan dafür stieß nach Ballgewinn konsequent in die defensiven Problemzone von Juve.
Was belohnt wurde: Nocerino erzielte nach einer Viertelstunde das 1:0 (wenn auch freundlich unterstützt von Bonnucci, der erst einen Fehlpass in der Spieleröffnung schlug und dann den Schuss auch noch unhaltbar abfälschte), und wenig später markierte Muntari eigentlich das 2:0 – wie es dem Referee-Team gelingen konnte, nicht zu sehen, dass der Ball deutlich hinter der Linie war, ist schon mehr als erstaunlich. Milan war deutlich die bessere Mannschaft.
System-Rochade bei Juventus
Conte erkannte das Problem auf der rechten Abwehrseite und stellte für die zweite Halbzeit auf eine Viererkette um. Er brachte Pepe für Estigarribia, der neue Mann drückte Antonini nach hinten, sodass Lichtsteiner hinten bleiben konnte. Damit musste er nicht mehr für das alleinige Flügelspiel sorgen und konnte zudem den für den äußerst anonymen Pato ins Spiel gebrachte Stephan el Shaarawy (ja, ein Italiener, auch wenn’s nicht so klingt) aufpassen.
Juventus sah nun deutlich komfortabler aus. Die Rolle von Estigarribia auf der linken Seite nahm Chiellini ein, der permanent nach vorne marschierte und dabei ungehindert bis beinahe zur Grundlinie gehen konnte. Vor ihm spielte erst Quagliarella, dann Vucinic ein Mittelding aus Stürmer und Linksaußen.
Mit Pirlo, der immer noch von Emanuelson (und dann von Ambrosini) neutralisiert wurde, war Chiellini der Dreh- und Angelpunkt in der Juve-Offensive. Milan machte immer weniger nach vorne – Bonucci hatte ein Auge auf Robinho, Lichtsteiner hatte El Shaarawy gut unter Kontrolle, so fiel es den Gastgebern auch deutlich schwerer, sich vorne so auszubreiten wie in der ersten Hälfte.
Juventus wurde letztlich für die Umstellungen und das Bemühen, das Spiel unter die eigene Kontrolle zu bringen belohnt – und die Maßnahme, Matri ganz nach vorne zu stellen und Vucinic, wie es dem Montenegriner lieber ist, eher über die Flügel kommen zu lassen, wurde mit dem verdienten Ausgleich kurz vor Schluss belohnt. Der Ausschluss von Vidal, der in der 90. Minute Mark van Bommel von hinten umschnitt, wird für die Turiner erst nächste Woche gegen Chievo für Überlegungen sorgen müssen. Hier hatte er keine Auswirkungen mehr.
Fazit: Juve stellt richtig um und wird belohnt
Es war ein durchaus unterhaltsames Spitzenspiel in der Serie A – keine Selbstverständlichkeit, oft genug erstickten diese vor allem in der letzten Saison im Würgegriff des beidseitigen 4-3-1-2 und der Entstehenden Enge im Zentrum. Dieses Spiel aber wurde, gänzlich Italien-untypisch, auf den Außenbahnen entschieden. Erst hatte Milan die klaren Vorteile, weil man Juventus mit dem eigenen Breitmachen des Spiels komplett am falschen Fuß erwischte.
Conte reagierte aber völlig richtig, entlastete Lichtsteiner, stellte auf die Viererkette um und sorge mit den beiden Neuen im Angriff – Vucinic und Matri – boten deutlich bessere Bewegung und mehr Gefahr an als das die Totalausfälle Borriello und Quagliarella vor der Pause. So endete das Spiel letztlich mit einem korrekten Remis.
(phe)