2:6 in Deutschland – weil ohne Druck im Mittelfeld jede Abwehr schlecht aussieht

Es wäre zu billig, die Schuld für die vielen Gegentore beim 2:6 des ÖFB-Teams in Deutschland nur in der österreichischen Hintermannschaft zu suchen. Ja, sie haben nicht gut ausgesehen – aber das eigentliche Problem war das komplett fehlende Pressing im Mittelfeld. Das hat es den Deutschen leicht gemacht.

Deutschland - Österreich 6:2

Das Spiel der letzten Chance, die erhoffte Fortsetzung des ordentlichen Auftritts beim 1:2 in Wien – das war die Ausgangslage beim österreichischen Team. In einem Spiel, dass im Land von Rot-weiß-rot bis zum Erbrechen gehypt wurde. Dem die deutsche Öffentlichkeit aber bestenfalls schaumgebremst bis gleichgültig entgegen geblickt wurde. Gespielt haben die beiden Mannschaften dann eher umgekehrt zum jeweiligen Build-up. Was man aber sicher nicht nur auf das frühe 1:0 für den Gastgeber durch einen Weitschuss von Özil zurückführen kann und darf.

Harnik und Arnautovic vorne

Von all den möglichen Varianten wurde beim österreichischen Team ein Mittelding aus 4-4-1-1 und 4-4-2 gewählt. Als wirklich hängende Spitze kann man Harnik in diesem Spiel nicht bezeichenen. So richtig als echte Spitze Aranautovic auch nicht. Eher haben beide auf annähernd einer Höhe (zumeist war Arnautovic ein, zwei Schritte weiter vorne) beide so ein wenig eine hängende Spitze gegeben – allerdings jeweils auf den Halbpositionen. Die Position im zentralen offensiven Mittelfeld war somit nicht so richtig besetzt.

Das hatte den Vorteil, dass sich beide immer wieder auch realtiv weit nach hinten fallen lassen konnten, um dort eher anspielbar zu sein (was nicht so recht funktionierte), allerdings andererseits den Nachteil, dass Druck auf die Spieleröffnung der Deutschen nicht einmal im Ansatz möglich war. Hummels und Badstuber konnten sich die Bälle genüsslich hin- und herschieben und sich überlegen, was sie denn jetzt damit machen sollten, ohne dass es irgend einen Druck eines Österreichers gab.

Dag und Lahm

Interessant war die Rolle von Ekrem Dag auf der rechten Mittelfeldseite gegen Philipp Lahm. Der Besiktas-Legionär stand extrem hoch und wirkte wie eine Wand auf Lahm – er kam an der Seitenlinie nicht durch und konnte somit auch Lukas Podolski nicht wirklich ins Spiel einsetzen: Mit Steilpässen kaum und mit kurzen Anspielen schon gar nicht.

Lahm merkte jedoch schnell, dass Dag zwar hoch stand und gegen ihn gut defensiv die Flanke zumachte, aber offensiv nicht die geringste Bedrohung darstellte. So entschied sich Lahm alsbald, seine Flanke halt zu verlassen und in die Mitte zu ziehen. Dag entschloss sich in den meisten Fällen dazu, draußen zu bleiben und sich nicht von Lahm nach innen ziehen zu lassen.

Voller Druck auf Baumgartlinger, volles Pensum von Alaba

Ein großes Problem im österreichischen Spiel war, dass mit dem wenigen Ballbesitz wenig anfing. Gewonnene Bälle waren zumeist in Windeseile wieder verloren, weil die Deutschen ein durchaus sehenswerten Pressing anboten, vor allem auf Julian Baumgartlinger. Alaba wurde eher noch in Ruhe gelassen – der Bursche von den Bayern ist das Tempo und das Pressing aus der Bundesliga gewohnt und verfügt bekanntermaßen über ein waches Auge und extreme Spielintelligenz. Wenig überraschend kamen auch die meisten intelligenten Aktionen von ihm – obwohl er hinten absichern sollte, nach vorne einleiten, und auch noch für den dezent überforderten Royer auf der linken Seiten aushelten musste. Ein bissl viel für einen alleine.

Letztere hat zwar der Neo-Mainzer Baumgartlinger auch, aber er ist nach der kurzen Zeit in der Bundesliga das hohe Tempo nicht gewohnt und vor allem nicht das Pressing, schließlich gibt es das in der österreichischen Bundesliga de facto überhaupt nicht; schon gar nicht auf dem Niveau, wie es Kroos, Schweinsteiger und Co. anboten. So ließen die Deutschen Alaba etwas mehr Zeit am Ball und etwas mehr Raum zum Wirken, nahmen ihm aber die Anspielstationen; während sofort mindestens einer, zumeist aber eher zwei Mann auf Baumgartlinger stürzten, sobald der nur daran dachte, einen Ball anzunehmen.

Probleme im Spielaufbau

So fand geregelter Spielaufbau beim ÖFB-Team kaum statt. An Laufbereitschaft und -arbeit fehlte es nicht, aber wie selbst Franz Beckenbauer vor einigen Monaten geäußert hat, werden wahnsinnig viele leere Meter gemacht. Was dadurch natürlich noch verstärkt wurde, dass viele Anspiele nicht knapp am Empfänger vorbeigingen (was man ja mit wenig Zeit am Ball und dem Pressing der Deutschen erklären könnten), sondern immer wieder völlig ins Nirwana segelten.

In diesen Situationen entstand immer mehr der Eindruck, dass der eine nicht weiß, wo der andere hinläuft, sprich, die Laufwege überhaupt nicht passten bzw. aufeinander abgestimmt waren. Schnelle Konter ließ das deutsche Team kaum zu und so war die österreichische Mannschaft gefordert, neben Tempogegenstößen auch ineinander greifende Pässe und Laufwege aus geringerem Tempo anzubieten. Und so etwas gab es nur im überschaubaren Maß.

Wenig Platz zum Kombinieren

Was die Österreicher vom Prinzip her allerdings recht gut machten: Die Verteidigung rückte auf, wodurch angesichts des tief stehenden Duos Arnautovic/Harnik vorne der bespielbare Raum für die Deutschen sehr, sehr eng wurde. Das DFB-Team hatte somit zwar theoretisch eine systembedingte Überzahl im Zentrum, kam aber nicht wirklich dazu, diese auch auszuspielen. Immer wieder blieb nur der lange Ball, was angesichts der kopfballstarken Innenverteidigung mit Pogatetz und Schiemer kein allzu erfolgreiches Rezept war.

Was die Österreicher gar nicht gut machten, war das fehlende Pressing auf die deutschen Kreativspieler – bei einer hoch stehenden Verteidigungslinie ein absolutes Muss, weil sonst ein einziger halbwegs angekommender Pass durch die Schnittstellen ausreicht, um den vielen Platz hinter einer solchen hoch stehenden Abwehrreihe gnadenlos auszunützen. Druck auf Özil und Kroos und vor allem Schweinsteiger wurde seitens der Österreicher aber nicht annähernd in ausreichendem Umfang gezeigt.

Deutschland wurde folgerichtig immer dann gefährlich, wenn es durch das Tempo und die Ballsicherheit der in Ruhe gelassenen Mittelfeldspieler und des hervorragenden Spielverständnisses von Klose gelang, sich schnell und flach durchzukombinieren. So fiel das 2:0 und kurz darauf auch das 3:0, was das Spiel im Grunde schon entschied – dem Tor von Arnautovic kurz vor Schluss, als das DFB-Team etwas schleißig verteidigte und der Bremen-Legionär per Kopf in die lange Ecke traf, zum Trotz.

Deutschland verwaltet Führung

Dass die Österreicher gleich zu Beginn nach einem eigenen Eckball in den Konter laufen und das 1:4 kassieren, hat natürlich nicht geholfen, aber wirklich zurückgebracht hat das ÖFB-Team auch der fast postwendende eigene zweite Treffer nach einem technisch äußerst feinen Zusammenspiel von Arnautovic (der mit Badstuber und Hummels beide Innenverteidiger auf sich zog) und Harnik (der damit freie Bahn hatte) auch nicht.

Das Problem blieb weiterhin bestehen: Es wurde kaum Druck auf das deutsche Mittelfeld aufgebaut, das somit nie die Angst haben musste, von einem aggressiven Gegner angegangen zu werden oder sich unter dauerhaften massivem Zeitdruck um eine Anspielstation umsehen zu müssen. Auch, weil Alaba nach dem Seitenwechsel noch tiefer stand als zuvor.

Hinzu kam, dass Höwedes (der Royer in der ersten Hälfte zwar komplett abmontierte, aber nach vorne eher harmlos blieb) durch Jerome Boateng ersetzt wurde, der es im Verbund mit Thomas Müller schaffte, Christian Fuchs vollends aus dem Spiel zu nehmen.

Bis zum Schluss kein Druck

Auffällig wurde nach einer Stunde, dass sich jeweils einer aus dem Duo Arnautovic/Harnik weiter ins Mittelfeld zurück fallen ließ. Doch auch hier wurde hauptsächlich der leere Raum abgedeckt, als mal wirklich den ballführenden Deutschen anzugehen. Ob es angesichts des Spielstandes von 2:4 gegen einen deutlich besseren Gegner wirklich etwas gebracht hätte, steht auf einem anderen Blatt Papier. Aber es hätte zumindest an die Spieler im DFB-Trikot das Signal ausgesendet, dass man sich noch nicht ganz aufgegeben hat.

Die Einwechslung von Hoffer für den überforderten Royer (Arnautovic ging dafür auf die Flanke) war sicher nicht verkehrt, brachte aber letztlich nichts – weil keine wirklichen Chancen herausgespielt werden konnten und in der absoluten Schlussphase die Deutschen noch zweimal die Leichtigkeit des unbedrängten Seins aus dem Mittelfeld heraus ausnützten und noch zu zwei späten Toren zum 6:2-Endstand kamen.

Fazit: Wer keinen Druck ausübt, überfordert seine Abwehr

Österreich spielte von Beginn an, wie man sich einen kompletten Underdog bei einem Bewerbsspiel in Deutschland vorstellt: Tief stehen, nur die Räume eng machen, aber null Druck auf den Gegner ausüben. Kurz: Versuchen, das Ausmaß der sportlichen Katastrophe in Grenzen zu halten. Und weil, wenn schon drucklos, dennoch nicht einmal robust auch mal der Körper reingestellt wurde, merkte Deutschland schnell: Hier gibt’s Zeit, hier gibt’s keine Fouls – es muss sich nur noch durch den engen Raum durchgespielt werden.

Dass es für Österreich in dieser EM-Qualifikation und für Teamchef Constantini wohl überhaupt das Spiel der wirklich allerletzten Chance war, merkte man weder der Mannschaft noch dem Trainer an. Es wurde nicht einmal versucht, das deutsche Team zu ärgern, zu nerven, zu piesacken – und wenn man Weltklassespieler wie Schweinsteiger, Kroos und Özil so komplett in Ruhe lässt, kommen natürlich Tempoangriffe auf die Abwehr zu. Dass diese dem dann nicht standhalten kann, ist folgerichtig.

Darum ist es auch zu billig, die Schuld nur bei der Abwehr zu suchen. Sechs Gegentore sind die logische Folge eines mutlosen Auftritts, bei dem von Beginn an nicht an die eigene Chance geglaubt wurde. Man kann in Deutschland verlieren. Man kann in Deutschland auch hoch verlieren.

Aber man darf nicht schon von vornherein dem übermächtigen Gegner den Eindruck vermitteln, bereits kapituliert zu haben.

(phe)

PS: An unsere vielen Leser aus Deutschland: Bitte nicht böse sein, dass es hier praktisch nur um das ÖFB-Team geht. Liegt aber weniger daran, dass das ein österreichischer Blog ist, sondern eher daran, dass dieses Spiel einfach deutlich mehr über die Mannschaft aus Österreich aussagt als über jene aus Deutschland. Das werdet auch ihr einsehen, wie ich hoffe ;-)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.