Ballverliebt Classics: Finale Pep gegen Sir Alex, die Erste

FC Barcelona und Manchester United in einem Finale der Champions League… gab’s das nicht schon mal? In der Tat: Nur zwei Jahre vor dem Endspiel von Wembley standen sich Sir Alex und Pep Guardiola schon einmal im größten Spiel von Europas Fußball gegenüber. Damals gewann Barcelona. Weil sich United nach dem frühen Rückstand zu weit auseinander ziehen ließ.

Unterschiedlicher hätte die Besetzung auf den Trainerbänken an diesem Mittwoch, es war der 27. Mai 2009, im Olympiastadion von Rom kaum sein können: Auf der einen Seite Sir Alex Ferguson, vierfacher Europacup-Gewinner, davon zwei CL-Titel mit Manchester United, seit 23 Jahren der starke Mann in Old Trafford. Auf der anderen Seite: Pep Guardiola, gefühlt bis gerade eben selbst noch aktiv, in seiner allerersten Saison als Cheftrainer. Als Meister ihrer nationalen Ligen waren zu diesem Zeitpunkt beide schon fest. Barcelona war zudem bereits Cupsieger. Zum Triple in seinem ersten Jahr als Coach fehlte Guardiola nur noch dieses Spiel.

FC Barcelona - Manchester United 2:0

Was die beiden Trainer in diesem Spiel aber verband, waren ungerechtfertigte Ausschlüsse in ihren Semifinal-Rückspielen: Beim 3:1 von Manchester bei Arsenal wurde Darren Fletcher fälschlicherweise nach einem vermeintlichen Elferfoul an Van Persie vom Platz gestellt – für ihn kam Ryan Giggs in die Mannschaft. Und bei Barcelona fehlte Linksverteidiger Abidal, obwohl er beim 1:1 an Alenka eigentlich keine Notbremse begangen hatte, ja, seinen Landsmann nicht einmal berührt hatte. Aber wir wissen ja alle noch: Referee Øvrebø hatte da generell nicht seinen besten Tag.

Was aber nicht das einzige Defensiv-Problem von Guardiola war – denn dazu fielen ihm auch noch der verletzte Rafa Márquez und der gelbgesperrte Dani Alves aus. So musste Puyol nach rechts, Silvinho kam auf die linke Seite, Piqué musste spielen und Yaya Touré von der Sechs in die Innenverteidigung zurück. Dafür kam im Defensivzentrum der unroutinierte Sergio Busquets zum Einsatz – das Semifinal-Rückspiel bei Chelsea drei Wochen zuvor war sein erstes Spiel von Belang…

Schnelles Pressing und Zwei gegen Busquets

United presste nach Anpfiff des Spiels sofort, was das Zeug hielt und drückte Barcelona von Anpfiff weg hinten hinein. Der besondere Clou von Sir Alex in dieser Anfangsphase: Mit dem tief stehenden falschen Neuner Cristiano Ronaldo und dem sehr hoch stehenden Ryan Giggs gab er Busquets einiges zu denken – und vor allem zu laufen. Dennoch: Wo immer der Jungspund sich auch hinorientierte, der jeweils andere war frei und problemfrei anspielbar. Das, kombiniert mit dem logischerweise überhaupt nicht eingespielten Innenverteidiger-Duo Touré/Piqué, verhalf United zu einigen tollen Chancen.

Das Mittelfeld der Red Devils war sehr vertikal gestaffelt – Anderson verließ kaum merkbar den Mittelkreis und Carrick stand ohnehin tief zentral, nahm defensiv Messi auf und versuchte sich mit seinen ihm typischen kurzen Pässen an der Spieleröffnung. Die Breite im Spiel von Manchester kam dennoch nicht zu kurz, weil sich Park Ji-Sung gerne tief fallen ließ, um O’Shea ins Spiel zu bringen und auf der anderen Seite Evra viel nach vorne ging, um Rooney das Einrücken zu ermöglichen. So musste Touré immer wieder weit nach außen rücken, was wiederum Platz im Zentrum offenbarte.

Barcelona rannte neun Minuten lang der Musik fast hoffnungslos hinterher, brachte kaum Bälle in die gegnerische Hälfte und schaffte es nicht, die Spieleröffnung von United unter Druck zu setzen. Bis Xavi sich ein Herz nahm, eskortiert von Anderson und Carrick mit dem Ball nach vorne marschierte und an der Strafraumgrenze Rechtsaußen Eto’o bediente. Der Kameruner ließ noch Vidic aussteigen, zog ab – und weil auch Van der Sar nicht gut aussah, stand es völlig entgegen des Spielverlaufs 1:0 für Barcelona.

9’05“

Genau neun Minuten und fünf Sekunden war Manchester am Drücker, ehe United in eine komplette Schockstarre fiel. Die erste Aktion nach dem Tor sollte zum Symbolbild werden: Giggs und Ronaldo beim Anstoß, der Ball zurück zu Carrick, der sofort raus auf O’Shea. Der, weil Henry auf ihn zukommt, zu Ferdinand – der sich sofort Messi gegenüber sieht. Darum der kurze Pass auf Vidic, doch schon stürmt schon Eto’o daher, in seiner Panik will Vidic zum Torhüter passen. Doch das missglückt völlig, in der Mitte zwischen Tor und Eckfahne kullert der Ball ins Aus. Eckball für Barcelona…

Die Katalanen merkten die plötzliche Verunsicherung natürlich und fuhren sofort das volle Pressing-Programm, um United gar nicht erst wieder zurück ins Spiel kommen zu lassen. Vor allem im Mittelfeld und in der Offensive bretterten Henry, Eto’o und Co. auf den jeweils Ballführunden zu, dass einem Angst und Bange werden musste. Kein Wunder, dass bei Manchester nun kaum noch ein Ball sinnvoll verarbeitet und an den nächsten weitergespielt werden konnte, von einem geregelten Spielaufbau ganz zu schweigen. Barcelona konnte nun ohne allzu große Gegenwehr jenes ballbesitzorientierte Spiel aufziehen, für das die Blaugrana der Generation Guardiola bekannt ist.

Sturmspitze Giggs, Schwachpunkt Carrick

Barcelona - Man Utd (nach dem 1:0)
Nach dem 1:0

Manchester reagierte auf den nun massiven Druck, indem man auf ein 4-4-2 umstellte: Anderson ging zurück und flankierte Carrick, der zunehmend Schwächen zeigte, dazu orientierten sich Rooney und Park Ji-Sung vermehrt in die Defensive, um Eto’o und Henry vom Nachschub besser abschneiden zu können.

Vorne blieben nur Cristiano Ronaldo – und Ryan Giggs. Der Waliser gab nun einen praktisch astreinen zweiten Stürmer neben dem Portugiesen und hing dabei merklich in der Luft, während sich Rooney auf dem Flügel defensiv abmühte und nach vorne kaum etwas zu Stande brachte. Angesichts der neuen Raumaufteilung bei United, die auf Busquets deutlich weniger Druck ausübte – um nicht zu sagen, gar keinen mehr – fühlte sich dieser auch gleich sichtlich wohler.

Xavi und Iniesta hatten auf der anderen Seite dafür Michael Carrick als Schwachpunkt ausgemacht, weswegen die viele ihrer Angriffe über den Raum spielten, den Carrick eigentlich abdecken sollte. So fehlte es Barcelona zwar ein wenig an der Breite, aber dafür wurde Carrick systematisch kaputt gespielt – denn wenn Anderson und Park Ji-Sung helfen kamen, ließen sie wiederum Messi bzw. Silvinho freie Bahn.

Die Unsicherheit von Carrick strahlte, je länger die erste Halbzeit lief, auch seine Mitspieler aus. Vidic etwa, der sich schon beim 0:1 eher hüftsteif ausmanövrieren gelassen hatte, war in der Spieleröffnung völlig unbrauchbar, Anderson war ob der permanenten Unterzahl im Zentrum auch keiner, an dem sich das Spiel hoch ziehen konnte, Rooney und Park waren einfach zu viel defensiv beschäftigt. Und auch Edwin van der Sar ließ sich in zwei weiteren Situationen seine flatternden Nerven durchaus anmerken.

Der Gedanke hinter der Maßnahme, Giggs vorne zu belassen und Rooney auf der Flanke Defensivarbeit aufzubürden, war zweifelsohne, dass Rooney mit seiner Körperlichkeit gegen Puyol bessere Aussichten hatte als der nicht mehr ganz junge Giggs. Dass diese Überlegung nicht aufging, war aber bald klar, und einige Minuten vor der Halbzeitpause tauchten Rooney und Giggs dann doch ihre Plätze.

Zweite Hälfte

Schwierige Balance

Sir Alex nahm für die zweite Hälfte Anderson vom Feld und brachte Carlos Tévez in dessen letzten Pflichtspiel vor seinem Wechsel zu Man City. Der Argentinier gesellte sich zu Ronaldo in die Spitze, Rooney und Park Ji-Sung tauschten ihre Flanken. Im Grunde spielte United nun mit einem 4-2-4, lediglich Carrick und Giggs blieben im Mittelfeld übrig.

Manchester tat sich mit der offensiveren Ausrichtung aber sehr schwer, die richtige Balance zu finden – einerseits durften sie der Barcelona-Offensive nicht zu viel Raum geben, andererseits brauchte es aber nun vorne zählbaren Erfolg. So war das Spiel von United aber recht leicht ausrechenbar – lange Bälle auf die vier da vorne – andererseits aber waren Carrick und Giggs, die zu zweit gegen vier Mann im Zentrum anspielen mussten, völlig chancenlos, sich auch nur ansatzweise so zu stellen, dass Xavi und Co. nicht immer wieder Platz zu schnellen Gegenstößen fanden.

Standen sie zu tief, war ein Riesen-Loch zwischen ihnen und der Offensive, wo Xavi und Busquets sich ausbreiten konnten. Rückten sie auf, ohne dass die Abwehrkette mitmachte, hatte Messi seinen Spaß zwischen den Reihen. Und wenn die Abwehrkette aufrückte und hoch stand, stießen Henry und Eto’o über die Flanken in den Raum dahinter. Kurz: Wie auch immer es United machte, es war verkehrt – auch, weil die vier Offensivkräfte kaum zur Geltung kamen. Park konnte sich gegen Puyol überhaupt nicht in Szene setzen, Rooney gelang gar nichts, Tévez und Ronaldo machten viele leere Meter.

So hatte United zwar relativ viel Ballbesitz – mitunter kam man da knapp an die 50%-Marke heran – die klar torgefährlichere Mannschaft blieb aber Barcelona. Nicht nur wegen des Pfostentreffers von Xavi aus einem Freistoß kurz nach Wiederanpfiff hatte man nie ernsthaft den Eindruck, die Red Devils könnten zum Ausgleich kommen.

Berbatov kommt, Messi trifft

Schlussphase

Nach 65 Minuten nahm Sir Alex dann Park Ji-Sung raus – Cristiano Ronaldo sollte nun für mehr Druck gegen Puyol auf der Flanke sorgen, der für den Koreaner eingewechselte Dimitar Berbatov positionierte sich leicht hinter Tévez. D0ch bevor diese Maßnahme irgend eine Wirkung zeigen konnte, schlug Barcelona doch noch einmal zu.

Xavi wurde von Giggs völlig allein gelassen, seine Flanke erreicht Messi – der sich im Rücken von Ferdinand gelöst hatte – und der Argentinier versenkte den Ball per Kopf über den chancenlosen Van der Sar hinweg im Tor. Im Grunde war damit die Entscheidung gefallen, und Guardiola nahm auch gleich Henry vom Platz: Seydou Keita sorgte für mehr körperliche Präsenz im Mittelfeld und Iniesta ging auf die Linksaußen-Position.

Das Problem, das United weiterhin nicht gelöst bekam, war jenes in der Mittelfeld-Zentrale. Giggs konnte hier genauso wenig die Kreise von Xavi und Iniesta stören, wie das Anderson vor ihm gelungen war, darum probierte Ferguson es in der Schlussphase mit einem dritten Spieler – Paul Scholes.

Attentat

Der hatte auf der Bank offenbar mehr Frust aufgestaut als seine Kollegen auf dem Platz, denn kaum auf dem Feld, versuchte Scholes (der sich sehr tief stellte, Carrick rückte etwas auf) mit aller Gewalt, den Beinen von Busquets so viele Brüche zuzufügen, wie mit einem Tritt nur möglich waren. Die einzige echte Fehlentscheidung von Referee Busacca in diesem Spiel – anstatt Scholes, dem zweifellos eine Sperre von mindestens fünf Spielen gedroht hätte, hochkant rauszuschmeißen, ließ er den Rotschopf mit Gelb leben.

Zudem wechselten Ronaldo und Rooney zehn Minuten vor Schluss noch die Seiten. Wohl aus Selbstschutz für den Portugiesen, der sich mit Puyol ein Privatduell lieferte, regelmäßig ausgefahrene Ellbogen Ronaldos inklusive. Nachdem auch er verwarnt wurde, stellte ihn Ferguson so weit wie möglich weg von Puyol, um nicht eine drohende zweite gelbte Karte zu riskieren.

Das Spiel war mit dem 2:0 aber entschieden. In den letzten 20 Minuten kam United zwar noch zu einigen Eckbällen und einer richtig guten Chance von Ronaldo, doch auch Barcelona schien jederzeit in der Lage zu sein, wenn es sein muss noch ein drittes Tor nachzulegen. Letztlich fielen aber keine Tore mehr, und es flog auch keiner mehr runter.

Fazit: United ließ die Reihen zu weit auseinander ziehen

Der absolute Schlüsselfaktor in diesem Spiel war, dass United sich sehr früh – nämlich schon nach 10 Minuten – gezwungen sah, das Mittelfeldzentrum aufzumachen um vorne mehr Anspielstationen zu haben. Hatte das dicht vertikal gestaffelte Zentrum mit Giggs und einem tief stehenden Ronaldo zu Beginn den Raum um Busquets komplett im Griff gehabt, überließ Manchester den Katalanen nach dem 0:1 das Mittelfeld. Eine Maßnahme, die Barça extrem in die Hände spielte, mit heftigem Pressing verstärkt wurde und die Ferguson nie mehr beheben konnte.

Denn Barcelona war nun nicht mehr gezwungen selbst hoch zu stehen und hinter der Verteidigungslinie Raum offen zu lassen, sondern konnte sich etwas zurückfallen lassen. Dadurch ließen sich die Offensivkräfte von United nach vorne locken, ohne dass jedoch die Defensive – angesichts der Gefahr des Trios Messi, Henry, Eto’o – mit aufrückte. Barcelona streckte so United extrem in die Länge und in jenem Platz im Zentrum, wo nur zwei Manchester-Spieler waren, konnte Xavi schalten und walten. Ferguson versuchte im Laufe des Spiels drei Nebenmänner für Carrick – Anderson, Giggs und dann Scholes – aber sie alle konnten das grundlegende Problem nicht beheben. Zudem brachte Ferguson mit Tévez und Berbatov nur zusätzliche Stürmer, was den Effekt nur verstärkte. Als Scholes kam, war schon alles zu spät.

Barcelona hatte mit zwei Faktoren Glück: Zum einen, dass United nicht in den ersten Minuten schon ein bis zwei Tore schoss, die ebenso möglich wie verdient gewesen wären – und dass in der 10. Minute Eto’o jenes 1:0 erzielte, das den Katalanen so sehr in die Hände spielen sollte.

Die Nachwirkungen…

…können zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich beschrieben werden. Zum einen ist das Spiel eben erst zwei Jahre her, zum anderen sind sieben (Barcelona) bzw. zehn (Man Utd) Spieler der Startformationen immer noch beim Klub. Auffällig ist aber, dass bei Barça nicht nur der Spielstil und das System bis heute haargenau gleich sind, sondern auch die exakte Aufgabenverteilung und Spezialaufgaben der einzelnen Positionen.

Pep Guardiola hat versucht, mit dem Stürmertausch von Eto’o zu Ibrahimovic neue Impulse zu setzen – der zwar funktionierenden, aber noch nicht dauerhaft erprobten Rolle von Messi aus dem Zentrum statt über die Flanke traute er wohl nicht so ganz. Das Resultat waren aber eher atmosphärische Störungen, weil Ibra von seinem eher egozentrischen Naturell her schwierig in das Mannschaftsgefüge passte. Sportlich hatte das letztlich kaum Auswirkungen – Barcelona wurde mit 99 Punkten Meister und schied im CL-Semifinale nur knapp gegen Inter aus – aber der Schwede ergriff nach nur einem Jahr wieder die Flucht.

So ist seit verglichen mit dem Finale von Rom den Stil der Mannschaft heute kaum einen Millimeter anders als damals. Ja, ganz so extrem mit dem Ballbesitz war es in diesem Spiel nicht. Das hängt aber sicherlich auch mit dem Gegner und dem Spielverlauf zusammen.

(phe)

Das Personal

FC Barcelona: Victor Valdes (27); Carles Puyol (31), Yaya Touré (26), Gerard Piqué (22), Silvinho (35); Xavi (29), Sergio Busquets (20), Andres Iniesta (25); Samuel Eto’o (28), Lionel Messi (21), Thierry Henry (31). Seydou Keita (29), Pedro Rodríguez (21). Trainer: Josep Guardiola (38, seit einem Jahr)

Manchester United FC: Edwin van der Sar (38); John O’Shea (28), Rio Ferdinand (30), Nemanja Vidic (27), Patrice Evra (28); Michael Carrick (27), Anderson (21), Ryan Giggs (35); Park Ji-Sung (28), Cristiano Ronaldo (24), Wayne Rooney (23). Carlos Tévez (25), Dimitar Berbatov (28), Paul Scholes (34). Trainer: Sir Alex Ferguson (67, seit 23 Jahren)

Highlights des Spiels

Aus der Reihe “Ballverliebt Classics”:
05.07.1982 | Italien – Brasilien 3:2 (Duell der Philosophien, Plan vs. Phantasie)
24.05.1995 | Ajax Amsterdam – AC Milan 1:0 (Das letzte große Ajax)
06.09.1997 | Österreich – Schweden 1:0 (Höhepunkt der ÖFB-Generation Frankreich)
16.05.2001 | Liverpool – Alavés 5:4 n.V. (Europacup-Final-Allzeit-Klassiker)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.