Andries Jonker soll die Bayern noch auf Platz drei, und somit in die Champions League führen. Im ersten Spiel nach der Entlassung von Louis van Gaal spielten die Bayern völlig anders: Sie gaben Leverkusen bereitwillig den Ball, und Bayer wusste nichts damit anzufangen – und machte zudem individuelle Fehler.
Im Grunde ging’s in diesem Spiel fast ausschließlich um die Trainer. Auf der einen Seite Leverkusen-Trainer Jupp Heynckes, der im Sommer zu den Bayern geht. Für ihn war die Lage besonders pikant: Gewinnt er dieses Spiel, hat er zwar noch kleine Chancen auf den Titel mit Leverkusen, kickt die Bayern (und damit sich selbst) aber möglicherweise für die kommende Saison aus der Champions League. Auf der anderen Seite saß erstmals Andries Jonker als Chef auf der Bayern-Bank: Der langjährige Assistens von Louis van Gaal beerbt diesen für die letzten fünf Saisonspiele und übernimmt dann die 2. Mannschaft, die aus der 3. Liga absteigt.
Systematisch veränderte Jonker gegenüber seinem Ex-Boss nichts, er blieb beim 4-2-3-1. Aber die Art und Weise, wie dieses interpretiert wurde, unterschied sich schon merklich vom Ballbesitz-Spiel Van Gaals, natürlich auch befeuert von der frühen Führung – Rolfes bekam in der 7. Minute eine von Schweinsteiger verlängerte Ecke so unglücklich auf den Kopf, dass der Ball in sein eigenes Tor ging. So war Leverkusen schon früh gefordert, selbst mehr für das Spiel zu machen.
Was sich in der erstaunlichen Tatsache manifestierte, dass die Bayern vor der Pause weniger als 50% Ballbesitz hatten – das gab’s in 95 Pflichtspielen unter Van Gaal nur ein einziges Mal. Dafür setzten die Bayern ihre Gegner durchaus unter Druck. Das zwar zwar kein wildes Pressing á la Dortmund, aber es gelang auf diese Weise gut, Leverkusen in Schach zu halten.
Die Formationen
Jonker musste auf die gesperrten Robben und Badstuber verzichten. Das hatte zur Folge, dass Müller auf Robbens rechte Seite ging und dafür der von Van Gaal scheibchenweise abgesägte Klose hinter Sturmspitze Gomez auflaufen durfte (und das, seiner Natur entsprechend, eher hoch stehend tat). Hinten bildete Luiz Gustavo mit Van Buyten die Innenverteidigung, Pranjic (und nach dessen Muskelverletzung Contento) war Linksverteidiger. Butt kehrte für Kraft ins Tor zurück. Auffällig war, dass die drei im offensiven Mittelfeld viel rochierten – so tauchte Klose schon mal auf der rechten Seite auf, so rückte Ribéry auf der anderen Seite immer wieder ein. Auffällig war auch, dass sich vor allem Tymoschuk viel in die Offensive einschaltete – weil er es sich leisten konnte.
Denn Heynckes agierte von der Formation genauso in einem Mittelding aus 4-2-3-1 und 4-4-1-1. Unterschied auf der Position hinter der Spitze: Während bei den Bayern mit Klose ein Spieler dort stand, der von der Stürmerposition kommt, stellte Heynckes mit Ballack jemanden dorthin, der eher aus dem Mittelfeld kommt. Ballack, der zuweilen tatsächlich als hängende Spitze agierte, sollte wohl Druck auf Tymoschuk ausüben, damit dieser nicht zur Spieleröffnung kommt. Er stand dabei aber oft so hoch, dass er für Anspiele kaum in Frage kam und so keine echte Bindung zum Spiel fand – und Tymoschuk somit gefahrlos nach vorne gehen konnte.
Besonderer Schwachpunkt war aber die linke Seite von Leverkusen. Renato Augusto, der eher im Halbfeld agierte statt auf der Seite, gelang überhaupt nichts und Castro hinter ihm spielte um nichts besser. So hatten Müller und vor allem Lahm ihren Spaß mit Castro, während sie sich um Renato Augusto kaum kümmern müssen.
Bayer drängt die Bayern auf die Seiten ab
Nach der frühen Führung fühlten sich die Bayern komfortabel genug, Leverkusen bereitwillig den Ball zu überlassen – zum einen, weil sie selbst gut verteidigten und keinerlei Gefahr für das Tor von Jörg Butt entstand, zum anderen, weil sich so Räume ergaben, in die die Bayern nach Ballbesitz stoßen konnten. Und Leverkusen verlor die Bälle oft besorgniserregend schnell wieder.
Heynckes lässt nach Außen verteidigen, macht also die Mitte dicht und versucht, gegnerische Angriffe auf die Flügel abzudrängen. Das gibt im Idealfall dem jungen Innenverteidiger-Duo Schwaab/Reinartz Sicherheit, und nimmt zum anderen durch die gute Defensivarbeit von Rolfes und Vidal den gegnerischen Zehner (diesmal eben Klose) merklich aus dem Spiel. Das klappte auch diesmal gut, Castros Desaster-Tag zum Trotz. So taten sich die Bayern, obwohl sie alles im Griff hatten, schwer, vor Adlers Tor zu kommen
Leverkusen implodiert
Ehe ein krasser individueller Fehler den Bayern das 2:0 ermöglichte: Reinartz brachte den Ball nicht weg, Vidal wollte daraufhin, von Müller bedrängt, die Ecke verhindern – mit der Ferse. Sein blinder Rückpass landete genau auf den Füßen von Müller, der nur noch querlegen brauchte und Gomez traf. Das lähmte Leverkusen komplett, die bis dahin zwar harmlose, aber wenigstens nach hinten sichere Bayer-Elf implodierte völlig.
Was für die Bayern natürlich eine Einladung erster Güte war. Es bedaufte nicht einmal mehr jeglicher Form von Pressing, um die Bälle von den Leverkusenern ständig in die Füße gespielt zu bekommen. Vor allem Castro und Renato Augusto standen nun komplett neben sich, auch Balitsch auf der anderen Seite – zuvor recht sicher gegen Ribéry – ließ nach, Rolfes und Vidal konnten das Spiel somit auch nicht wie gewünscht lenken, und Ballack tauchte unter.
Wenn Bayer mit dem 0:2 in die Pause gekommen wäre, womöglich hätte Heynckes dort noch etwas ausrichten können. Aber nachdem Gomez mit einem Doppelschlag vor der Pause die enormen Räume, die Leverkusen nun anbot zu zwei Toren und somit dem 4:0-Pausenstand nützte, war natürlich alles gelaufen.
Belanglose zweite Hälfte
Angesichts der klaren Führung wurde die zweite Halbzeit naturgemäß zu einem ziemlichen Non-Contest. Heynckes erlöste den inferioren Castro, dafür ging Vidal nach links hinten und Lars Bender neu ins defensive Mittelfeld. Renato Augusto sah sich der Bayer-Coach noch zehn Minuten an, eher der ebenso inferiore Brasilianer auch raus durfte – Kießling kam für ihn rein und ging in die Spitze, Derdiyok auf die linke Seite.
Leverkusen erzielte nach einer Stunde das Ehrentor durch Derdiyok (nach einer Unstimmigkeit zwischen Van Buyten und Schweinsteiger); Ribéry sorgte eine Viertelstunde vor Schluss nach einer zu kurzen Kopfballabwehr von Schwaab für den 5:1-Endstand. Ansonsten ließen es die Bayern äußerst ruhig angehen und warteten nur noch, dass die Zeit vergeht. Sie überließen Leverkusen den Ball, die beste Rückrundenmannschaft (ja, das ist tatsächlich Bayer) konnte aber weiterhin wenig davon nützen.
Herauszuheben gilt es bei den Bayern, trotz Gomez‘ Hattrick, zwei andere Spieler, für die der Van-Gaal-Rauswurf ganz offensichtlich die größte Befreiung war. Zum einen Thomas Müller, der mit seiner ganzen aufgestauten Spielfreude vor der Pause Castro zerstörte, danach auch noch Vidal vollends entnervte und am Ende mit Michal Kadlec den dritten Linksverteidiger gegen sich hatte. Und Luiz Gustavo: Er spielte den Innenverteidiger defensiv bombensicher (zugegeben, er war auch kaum gefordert) und startete vor allem nach der Pause immer wieder Vorstöße, die ein wenig an Lúcio erinnerten. Allerdings machte der eher schmächtige Luiz Gustavo das nicht mit der ganzen Wucht der Ein-Mann-Büffelherde Lúcio, sondern mit viel Übersicht und sensationellen Pässen in der Spieleröffnung und -gestaltung.
Fazit: Was tun mit dem Ballbesitz, Bayer?
Ganz offensichtlich hatte Leverkusen nicht damit gerechnet, von den Bayern – zumal in der Allianz Arena – dermaßen viel Ballbesitz zu bekommen und somit auch Verantwortung in der Spielgestaltung zu haben. Bayer wusste wenig bis gar nichts damit anzufangen, außerdem spielten einige Leistungsträger richtig schlecht: Vor allem die linke Seite mit Castro und Renato Augusto war eine Katastrophe. Bevor Heynckes wirklich etwas ändern hätte können, fingen sich die Gäste noch zusätzliche Tore ein und in der zweiten Hälfte hatte Leverkusen so nur noch die Möglichkeit, das Außmaß der sportlichen Katastrophe in grenzen zu halten.
Auch, wenn das 5:1 spektakulär aussieht – im Grunde war es eine langweile und eher unspektakuläre Partie. Andries Jonker ließ seine Bayern nach dem frühen Tor zurückziehen, wollte Leverkusen kommen lassen, sodass das Spiel lange dahinplätscherte. Dann nützten die Bayern drei Fehler eiskalt aus, und die komplette zweite Halbzeit war im Grunde sinnlos.
In der Tat muss es aber so gewesen sein, dass viele Spieler bei den Bayern wie von einer Last befreit waren und sich im Hergeben des Ballbesitzes mit schnellen Gegenstößen wohler fühlen als im Ballbesitz-Spiel von Van Gaal. So war das Spiel sicherlich auch so ein wenig geprägt vom Louis-ist-weg-Effekt.
(phe)