Wenn zwei Teams, die nicht mit dem Abstiegskampf gerechnet hatten, in eben diesem aufeinandertreffen – dann sieht das so aus wie bei Stuttgart-Wolfsburg: Ein unansehnliches Spiel voller nervöser Unzulänglichkeiten. Das die Wölfe beim Comeback von Meistercoach Magath eigentlich gewinnen hätten müssen.
Die Ära „Magath II“ bei Wolfsburg begann mit vielen jener Gesichter, die zum Ende der Ära „Magath I“ 2009 den Meistertitel feiern konnten – so rotierte der Ex-Schalke-Trainer nach seinem Blitztransfer in die VW-Stadt mit Mandzukic und Mbokani jene beiden Stürmer aus der Mannschaft, die meilenweit unter den Erwartungen blieben und ließ statt des verletzten Torhüter Benaglio nicht, wie seine Vorgänger Veh, McClaren und Littbarski, Marwin Hitz spielen. Sondern den alten André Lenz, der schon beim Titel Magaths Nr. 2 gewesen war.
Magath kopiert sich selbst
Außerdem stellte Magath auch das System um. Versuchten es McClaren und Littbarski, vor allem nach dem Abgang von Edin Dzeko zu Man City, mit einem 4-2-3-1 (womit der Engländer schon vor der Winterpause oft spielen hatte lassen), machte es der neue alte Trainer auch hier anders: Er ließ sein Team in einem Tannenbaum antreten, sehr ähnlich dem, mit dem er mit Schalke im Pokal-Halbfinale die Bayern düpiert hatte.
Und zwar nicht nur von der Formation, sondern auch von der Aufgabenverteilung. So spielte Grafite ganz vorne, Diego versetzt dahinter, und zwar zumeist eher rechts versetzt – so wie Jurado vor drei Wochen. Am interessantesten agierte aber Cícero: Der Brasilianer ließ sich, wie schon Farfán gegen die Bayern, gegen den Ball oft in die Viererkette zurückfallen. Gutes Verständnis mit Makoto Hasebe war hierbei Voraussetzung, das funktionierte aber ganz gut. Wohl auch, weil Hasebe seinen Landsmann Okazaki, mit dem er ja den Asiencup gewonnen hatte, sehr gut kennt. Hasebe hatte die Aufgabe, zum einen Cícero nach vorne zu lancieren, und auch Schäfer defensiv unter die Arme zu greifen.
Obwohl Okazaki und Gebhart sehr oft die Seiten wechselten und die Wolfsburger so zu verwirren versuchten, machte aber vor allem Okazaki keinen Stich. Die Raumaufteilung in der Zentrale funktionierte bei Wolfsburg deutlich besser: Mit Josué tief, Riether und Hasebe flexibel auf den Halbpositionen, mit einem gut nach hinten arbeitenden Cícero und dem unberechenbaren Diego war das Zentrum der Wölfe jenem von Stuttgart klar überlegen.
Stuttgart personell heftig angeschlagen
Der VfB pfiff aus dem letzten Loch. Zwar konnte Timo Gebhart den gesperrten Martin Hanik recht passabel ersetzen (er bemühte sich und arbeitete sehr viel), aber ohne den verletzen Tamás Hajnal als Spielgestalter fehlte den Stuttgartern der wohl entscheidende Puzzlestein im Aufschwung der letzten Wochen, in denen der VfB zuletzt drei Spiele in Serie gewinnen konnte – unter anderem vor zwei Wochen Schalke 04 unter Felix Magath.
Statt des Ungarn rückte Christian Gentner ins zentrale offensive Mittelfeld, konnte dort aber keinerlei Akzente setzen. Gentner – 2009 ebenfalls in Magaths Wolfsburger Meistermannschaft – ist ein guter defensiver Mittelfeldspieler, kann auch auf der linken Außenbahn spielen, ist aber kein Zehner. Das merkte man, das SPiel lief komplett an ihm vorbei. So rückten Gebhart und Okazaki in der Bewegung nach vorne früher ein als gewohnt.
Nach einer halben Stunde verletzte sich zu allem Stuttgarter Unglück auch noch Zdravko Kuzmanovic am Knie. Er musste raus und mit der Einwechslung von Élson wurde auch Gentner von seiner Qual als Zehner erlöst: Der Brasilianer überbahm diese Rolle, und Gentner jene von Kuzmanovic.
Wolfsburg geht aus dem Nichts in Führung
Was zum Spiel generell gesagt werden muss: Es war schrecklich. Keines der beiden Teams brachte mehr als drei Pässe hintereinander an den Mann, der Spielaufbau wirkte vor allem beim VfB ohne Hajnal planlos. Die Wolfsburger hatten im Spiel nach vorne mit der neuen Formation mehr zu kämpfen als mit dem Gegner, es gab viele kleine Missverständnisse und viele leichte Abspielfehler.
Wolfsburg machte zwar den etwas weniger nervösen Eindruck, als sich Grafite in Minute 39 gegen Niedermeier durchsetzte und das 1:0 markieren konnte, kam das dennoch etwas aus heiterem Himmel. Doch die Entstehung passte zum Spiel: Ein von Celotti abgelenkter Ball von Hasebe fand den bulligen Brasilianer in der Mitte, der mit gutem Einsatz den Verteidiger abschüttelte.
Stuttgart fehlen die Mittel zu reagieren
Bei den Gastgebern kam in der Pause Boulahrouz für den unsicherern Tasci, am Spiel änderte sich aber nur wenig. Vor allem an dem der Schwaben. Denn Wolfsburg hatte mit der Führung im Rücken einiges an Sicherheit gewonnen und Jan Polák, der in der Halbzeit für Hasebe gekommen war, konnte mit erhöhtem Laufpensum zusätzlich Verwirrung stiften. Auch die besseren Chancen hatten weiterhin die Wolfsburger, mit dem starken Koreaner Koo Ja-Cheol kam nach einer Stunde zudem ein frischer Mann statt Cícero, der ein horrendes Laufpensum absolviert hatte.
Halb durch die zweite Hälfte reagierte Stuttgart-Trainer Labbadia – wie Magath bei Wolfsburg schon der dritte Trainer des Teams in dieser Saison – und wechselte Sven Schipplock (für Celozzi) ein. Jenen Joker, der erst letzte Woche mit seinem späten Tor den 2:1-Sieg bei St. Pauli ermöglicht hatte. Das hieß: Zwei echte Spitzen! In der Grundordnung war es nun ein 4-4-2, aber tatsächlich so auf dem Platz stand das kaum. Denn in den letzten 20 Minuten praktizierte Stuttgart nur noch das Prinzip Brechstange.
Wolfsburg verschlampt die Entscheidung
Boulahrou rückte nun aus der Innenverteidigung weit auf, die Außenverteidiger ebenso, dafür rückten Okazaki und Gebhart ein. Das hieß: Vorne standen sich mitunter vier Spiele auf den Füßen und warteten auf Zuspiele, die sich hauptsächlich auf vor das Tor gedroschene hohe Bälle beschränkten. Mit dem Nebeneffekt, dass der VfB hinten offen war wie ein Scheuentor: Alleine in den letzten zehn Minuten fuhr Wolfsburg drei Konter in Überzahl. Grafite und Diego verschlampten diese riesigen Möglichkeiten, den Sack zuzumachen, aber auf die fahrlässigste Art und Weise. Wolfsburg spielte, als wäre man 3:0 in Front und es könne nichts mehr passieren.
So kam in der 94. Minute, was trotz der Harm- und Einfallslosigkeit von Stuttgart beinahe kommen musste: Ein Zuspiel von Gentner nahm der in den gegnerischen Strafraum aufgerückte VfB-Innenverteidiger Georg Niedermeier technisch brillant auf und er hämmerte den Ball an Lenz vorbei zum äußerst glücklichen Ausgleich! Was aber noch nicht der Schlusspunkt war. Den setzte im Gegenzug Grafite. Indem er eine weitere Riesenchance vergab, das Spiel doch noch zu gewinnen…
Fazit: Wolfsburg klar verbessert, Stuttgart im Glück
Auch, wenn am Ende nur ein 1:1 für Felix Magath heraus schaute: Die Wölfe zeigten sich gegenüber den teils haarsträubenden Leistungen der letzten Wochen und Monate deutlich verbessert. Auch, wenn vieles noch nicht rund lief und es noch einige Abstimmungsprobleme gab, zeigte die Mannschaft doch, dass sie besser ist als jener vorletzte Platz, auf dem sie weiterhin liegt. Zufrieden kann der neue Trainer dennoch nicht sein, denn wenn Disziplin-Fanatiker Magath etwas überhaupt nicht leiden kann, sind es Nachlässigkeiten. Wie jene schlecklich ausgespielten Konter in der Schlussphase, die den Sieg für die Wölfe sichern hätten müssen.
Stuttgart zeigte weiterhin keinen echten Abstiegskampf-Fußball mit vollstem Einsatz. Das wurde in den letzten Wochen mit einigen wichtigen Siegen belohnt, war gegen die wesentlich galliger auftretenden Wölfe aber nicht das richtige Rezept. Zumal mit Harnik und vor allem Hajnal zwei Schlüsselfiguren im Spiel nach vorne fehlten. So beschränkte sich, als es wirklich darauf ankam, das Spiel nach vorne auf lange Bälle und der späte Ausgleich war ebenso glücklich wie unverdient. Doch wenn man auch aus schlechten Spielen einen Punkt mitnimmt, ist man im Abstiegskampf auf einem guten Weg.
(phe)