Tottenham spielt es cool über die Zeit

Der Debutant überrascht weiter die Teilzeitexperten: Tottenham lehrte in der Gruppenphase erst Titelverteidiger Inter das Fürchten, im Achtelfinal-Rückspiel hatte man einen 1:0-Auswärtssieg bei deren Stadtrivalen AC Milan zu verteidigen. Eine gute Ausgangsposition, obwohl die Spurs kaum ein Spiel zu Null über die Zeit bringen.

Tottenham - AC Milan, Startformation

Harry Redknapp kündete an, sich auf die offensiven Stärken zu besinnen. Der Aufsteiger des Jahres, Gareth Bale, stand ihm dafür aber nicht von Beginn zur Verfügung. Der Waliser musste nach einer Verletzung noch auf der Bank Platz nehmen, Steven Pienaar übernahm seinen Part links im Mittelfeld der 4-4-1-1/4-2-3-1-Formation von Tottenham. Er war bemüht und spielte auch gut mit Modric und Assou-Ekotto zusammen, konnte aber nicht den von Bale gewohnten permanenten Gefahrenherd imitieren.

Die Spielanlage war reaktiv angelegt, soll heißen: Frühes Pressing und Konter sollten zum Erfolg führen. Auffällig zurückhaltend waren die beiden Außenverteidiger, das sonstige Erfolgsrezept der verstärkten Flügel blieb somit in dieser Partie harmlos. Da dominierte wohl der Sicherheitsgedanke bei der Heimmannschaft. Redknapps Gegenüber Massimiliano Allegri schickte ein ersatzgeschwächtes 4-3-2-1 in die Allianz. Aus der defensiven Zentrale heraus sollten die Bälle verteilt werden, im eng aufgestellten Angriff vorne sollte dann schnell kombiniert werden.

In der ersten halben Stunde war das Spiel auf diese Weise recht ausgeglichen, auch wenn die Gastgeber etwas zielgerichteter begannen. Beide Mannschaften zeigten Willen nach vorne zu spielen. Tottenhams bessere Angriffsseite war die linke, während Lennon fast völlig abgemeldet war. Das lag daran, dass Modric als Verteiler sich nach links orientierte, Sandro hingegen war eher der Zubringer des technisch herausragenden Kroaten war. Das einzige Rezept um aber wirklich vors Tor zu gelangen waren hohe Bälle auf Crouch, der aber statt aufs Tor zu köpfeln eher eine Möglichkeit zur Vorlage suchte – sie fehlte.

Nach etwa 20-25 Minuten entdeckte Milan dann das Mittel zur Überlegenhei: Die Breite. Die Rossoneri brachte die eigenen Außenverteidiger häufiger mit nach vorne. Vor allem Abate sorgte so für die nötige Überzahl an der Seite – mit der Breite setzte Milan die wie gewöhnlich eng stehende Hotspur-Abwehr unter Druck. So entging man auch geschickt dem gefährlichen frühen Pressing der Spurs. In der Periode bis zur Pause konnte man Milans Bemühen, die nötigen zwei Tore zu erzielen am besten sehen. Zwingende Chancen blieben allerdings Mangelware. Die einzig echte Möglichkeit kam eher zufällig zustande, als der Ball glücklich durch die Mitte auf Pato gelangte, der nach Außen abtrieb und den freien Robinho in der Mitte anspielte. Der Brasilianer traf den Ball nicht voll und Gallas konnte auf der Linie klären (26.).

Zweite Hälfte

Der nichtexistente Lennon wachte mit dem Wiederanpfiff plötzlich auf. Er flankte (46.), konterte und wurde gefoult (48.), dribbelte (50.), flankte wieder (51., 57.) und leitete den Durchgang damit ganz klar in einer für Tottenham günstigen Dynamik ein. Nur in der 52. Minute tauchte Milan einmal vor dem Hotspur-Tor auf, doch Patos Schuss erreichte wegen eines Blocks nicht einmal den Strafraum. Immer wieder suchte Tottenham Crouch, fand ihn auch, doch der keinen Weg um ins Tor zu schießen. Besonders nach der Lennon Flanke in der 57. fehlte der Crouch-Ablage auf Van der Vaart nur ein Tick.

Zwar schlossen die Londoner auf diese Weise sehr wenige Chancen im Spiel wirklich ab – was bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck erwecken konnte, dass die Spurs nach vorne zu wenig taten – doch mehrmals wäre der Abschluss nur noch Formsache gewesen. Die fehlenden Zentimeter zum Tor waren dabei nicht am Abstand zur Stange zu messen (wie bei Patos Schuss in der 77.), sondern auf den Erfolg des letzten Passes.

Im Laufe der zweiten Hälfte veränderten sich auch die Formationen etwas. Tottenham reagierte auf das Milan-Übergewicht im Zentrum, brachte Jenas für Pienaar (70., kurz zuvor war Bale für Van der Vaart gekommen) und stellte auf ein 4-3-3 mit kompakter Mitte und breitem Angriff um. Kurz vor Schluss wurde Pavlyuchenko noch anstelle des enorm viel laufenden Crouch gebracht, um Milan mit frischen Kräften zu beschäftigen. Die zentrale Figur blieb allerdings über das ganze Spiel hindurch Luca Modric, der an fünf der sieben wichtigsten Passverbindungen von Tottenham beteiligt war und immer dann den Ballbesitz behaupten konnte, wenn die Gäste Tottenham einzuschnüren drohten.

Milan wechselte hingegen Boateng aus (76.) um mit dem 19-jährigen Merkel einen anscheinend etwas offensiver ausgerichteten Spieler zu bringen. Erst kurz vor Schluss wurde der schwer rotgefährdete Flamini (der nach seinem rücksichtslosen Foul in Mailand auch diesmal wieder zwei, drei „Tacklings“ zeigte, die man auch direkt mit Rot bestrafen dürfte aber nur einmal mit Gelb bedacht wurden) durch Sierra Leones Jungstar Rodney Strasser ersetzt.

Bei den Gästen wurde in den letzten Minuten dann alles nach vorne geworfen. Pato blieb wie schon den ganzen Abend Dreh und Angelpunkt im Spiel der Rot-Schwarzen, konnte aber aus seinem 30 Meter-Verzweiflungsschuss (88.) genausowenig machen, wie Robinho bei der größten Tormöglichkeit nach Kurzpasskombi mit dem glanzlosen Ibrahimovic (91.). Tottenham spielte die Partie konzentriert, diszipliniert und gut geordnet nach hause.

Fazit

In einem guten Fußballspiel ohne spektuakuläre Höhepunkte ließ sich Milan nur über etwa 15 Minuten vor der Pause anmerken, dass man der Klub mit dem größeren Namen ist. Die Leistung darf man nach der bisherigen CL-Saison für die Italiener sogar noch als einigermaßen versöhnlich einstufen, nach einer Heimniederlage im Europapokal war sie für den Aufstieg aber einfach zu wenig. Die Spurs steigen hingegen zwar nicht als überlegene Mannschaft, aber alles in allem trotzdem verdient auf. Sie zeigten, dass sie nicht nur einen begeisternden, schnellen Offensivfußball beherrschen, sonder das Tor im entscheidenden Moment auch sauber halten können. Das bringt sie unter die letzten 8 in Europa. Sofern Schlüsselspieler wie Modric oder der die Verteidigung stabilisierende Gallas fit bleiben und andere wie Bale und Van der Vaart ihr Potential ausschöpfen, gibt es auch weiterhin nichts, was man den Spurs nicht zutrauen könnte. Der Mannschaft fehlt in dieser Saison nur eines: Eine echte Schwachstelle. (tsc)