Erstmals nach dem Ende des verrückten Winter-Transferfensters trat Liverpool am Mittwoch an der Anfield Road gegen Stoke an. Trainer Kenny Dalglish legte dabei möglicherweise sein System auf den Tisch, an dem er von der Tribüne aus lange getüftelt hat. Ein durchaus außergewöhnlicher Versuch, der an diesem Abend absolut erfolgreich gelang.
Wenn man die Formation in wenigen Worten beschreiben soll, würde ich es so Versuchen. Ein 3-4-2-1 mit einem asymmetrischen Viereck im zentralen Mittelfeld. Die Konzentration liegt auf einem Kurzpassspiel mit vielen Dreiecken und dem Versuch viel Kontrolle über den Ball zu bekommen.
Dalglish holte also einige ungewöhnliche Konzepte hervor. In der Dreierabwehr agierte Kyrgiakos als Libero zwischen Skrtel und Agger. Immer wieder konnte einer dieser drei auch mit nach vorne stoßen und sich mit vertikalen Läufen ins Offensivspiel einbringen. Skrtels Mitarbeit im Offensivpressing brachte ihm in der 11. Minute sogar eine gute Schussmöglichkeit ein. Wie ungewohnt das für den Slowaken ist, zeigte er bei der nervösen Ausführung auch.
Im allgemeinen blieb mit diesem Rückgriff auf eine 3er-Abwehr (die immer häufiger in verschiedenen Varianten beobachtbar ist, seit sich ihr Revival bei der WM durch Chile oder beim Angriffsverhalten Spaniens ein wenig andeutete) den beiden bisherigen Außenverteidigern – Johnson und Kelly – so manche Defensivaufgabe erspart. Vor allem für Johnson ist das eine Erleichterung, da er als hervorragender Flügelspieler für die Offensive gilt, in der Defensivarbeit aber so manche Schwäche zeigt. Er und Kelly konnten sich also oft an den Flügeln nach vorne begeben. Etwa auf der Höhe des 16ers versuchten sie Bälle zur Mitte zu bringen. Ganz runter zur Grundlinie begaben sie sich selten. Zudem schien es ihre Aufgabe zu sein, selbst in den Strafraum zu ziehen, wenn der Ball über die ihnen gegenüberliegende Flanke nach vorne gespielt wurde.
Diese tief sitzenden Flügelspieler waren aber nur neue Optionen und kein alleiniger Schwerpunkt des Liverpooler-Angriffsspiels. Der lag in der Arbeit aus dem Zentrum, wo sich mit Lucas, Aurelio, Gerrard und Meireles gleich vier Leute einfanden. Lucas spielte dabei den am tiefsten sitzenden Mittelfeldmann. Er gelangte sehr oft an den Ball und verteilte ihn sicher in die Breite. Bei 74 Pässen passierten ihm nur 8 Fehler. Ähnliche war die Aufgabe von Aurelio etwas weiter rechts, der allerdings einen Tick höher aufrückte und so auch öfter einen vertikalen Kurzpass probierte.
Unmittelbar davor spielten Meireles und Gerrard. Der zuletzt so starke Meireles fungierte etwas stärker in der Rolle als hängende Spitze in der Nähe von Kuyt und versuchte dort ins Kurzpassspiel einzugreifen. Diese Rolle könnte in zukünftigen Einsätzen dieses Systems eher Suarez zuteil werden, während Meireles etwas weiter hinten Aurelio ersetzen könnte. Es gelang dem Portugiesen an diesem Abend jedenfalls nicht so gut wie zuletzt, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Auch wenn es zu einem Tor reichte, war er (40 Pässe, 11 Fehler) deutlich weniger integriert als Gerrard.
Dieser genoss viele Freiheiten und blühte in dieser Rolle einmal mehr als Dirigent des Reds-Spiels auf. 77 Pässe, davon lediglich 16 Fehlpässe verzeichnete die Guardian Statistik für ihn – und das über den ganzen Platz verteilt. Er ist nach wie vor das Bindeglied dieser Mannschaft. Im Unterschied zu früher kann diese Aufgabe aber auch Meireles übernehmen, wenn der Kapitän ausfallen sollte.
Sowohl Meireles aber vor allem Gerrard holten die Bälle durchaus ab und zu aus der Tiefe, was Lucas und Aurelio veranlasste, vor zu gehen. Wer auch immer im Liverpooler Spielaufbau den Ball hatte, konnte so aus bis zu sechs Anspielstationen nach vorne auswählen. Das verlieh dem Spiel der Mannschaft eine enorm dynamische und positive Aura. Das personelle Übergewicht im Mittelfeld und die freie Zuteilung von Kyrgiakos machte es für den Gegner auch enorm schwierig, einen Weg durch die Mitte zu finden. Viel zu schnell waren die Roten an ihren Gegenspielern dran.
Bleibt noch ein kurzes Wort zur Rolle von Kuyt, die in zukünftiger Vewendung wahrscheinlich maßgeschneidert auf das Spiel von Carroll passen würde. Der immer verlässliche Holländer kämpfte vorne um jeden Ball, war immer anspielbar, ließ auf die nachkommenden Spieler abtropfen. Ein Tor blieb im verwehrt, wäre aber durchaus verdient gewesen.
Im Prinzip gelang es zumindest Stoke mit seinem 4-2-3-1 trotz ehrlichem Bemühen und starker Laufarbeit über die gesamte Spielzeit nicht, eine Schwäche im System auszumachen. Schlussmann Bergovic verhinderte für die Gäste Schlimmeres. Insbesondere John Carew war als Solospitze komplett aus dem Spiel und konnte nur dann in Erscheinung treten, wenn er weit weg von dieser Position um Bälle raufte.
Ist das die rote Zukunft?
Wenn am Sonntag Chelsea durch die Integration von Torres mit einer 4-4-2 -Variante antreten sollte und Liverpool bei dieser Variante bleibt, darf man gespannt über deren Rezepte sein. Kenny Dalglish gibt den Gegnern zumindest einmal eine neue Nuss zu knacken.
Eine Frage bleibt natürlich offen: Wird Dalglish dieses System tatsächlich weiterhin nützen, oder war es ein speziell auf Stoke zugeschneidertes Konzept? Dafür spricht seine Jagd nach Blackpools Charly Adam im Jänner. Die ergibt in einer solchen Formation durchaus mehr Sinn, weil man dazu eine hohe Dichte an zentralen Mittelfeldspielern braucht. In den bisherigen Systemen erschien mir Adam ein Luxus-Bankerldrücker zu sein. Die Art und Weise wie Liverpool auftrat legt durchaus nahe, das Experiment fortzusetzen. (tsc)