3-4-1-2 ohne Flügel gegen 3-4-3 ohne Zentrum

Ballverliebt Global: Im drittletzten Spiel der Saison musste Argentiniens Tabellenführer Estudiates de La Plata, angeführt von Juan Sebastián Verón, gegen den noch amtierenden Meister Argentinos Juniors ran. Taktisch durchaus interessant – weil man beide Systeme in Europa praktisch nicht zu sehen bekommt.

Estudiantes de La Plata - Argentinos Juniors 3:1

Die Uhren des Fußballs ticken in Argentinien ein wenig anders als in Europa. Zum einen, was die Struktur der Meisterschaft angeht: Wie in den meisten Ländern Lateinamerikas gibt es pro Jahr zwei Meisterschaften, eine im Herbst („Apertura“) und eine im Frühjahr („Clausura“) – das Spiel zwischen Tabellenführer Estudiantes de La Plata (vor ziemlich genau einem Jahr dem FC Barcelona im Weltpokal-Finale nur knapp unterlegen) und dem Meister des Frühjahrs 2010, Argentinos Juniors, ist am drittletzten Spieltag der Apertura nur noch für die Gastgeber von Bedeutung. Es gilt einen Zwei-Punkte-Polster auf Vélez Sársfield zu verteidigen, während Argentinos eine enttäschende Apertura im Mittelfeld „nur noch“ anständig zu Ende gebracht werden will. Den Platz in der nächstjährigen Copa Libertadores, dem südamerikanischen Gegenstück zur Champions League, hat man als Clausura-Meister ohnehin schon fix in der Tasche.

Aber auch, was Spielsysteme angeht, ist Südamerika ein wenig anders. Beide in diesem Spiel verwendeten Aufstellungen, sowohl das 3-4-1-2 von Estudiantes als auch das 3-4-3 von Argentinos, sieht man hierzulande äußerst selten. Dabei agieren aber beide Dreier-Abwehrketten nicht als reines Zerstörer-Trio, sondern verrichten viel Laufarbeit: Zum einen nach vorne, um in der Spieleröffnung aktiv zu werden, zum anderen aber auch auf die Flanken, um den davor platzierten Flügelspielern (zumindest theoretisch) den Rücken freizuhalten.

Ein 3-4-1-2 ohne Flügelspiel…

Zumindest theoritisch. Es war bei Estudiantes nämlich so, als ob die Flanke verbotene Zone wären – es drängte sich, je näher es Richtung der des Gegners ging, immer mehr alles in die Mitte. Und zwar gar nicht unbedingt, weil es die Abwehr von Argentinos so bedingt hätte – deren Dreierkette ließ gegen den Ball die Außen recht frei Die Estudiantes-Flügelspieler Rojo und Mercado zeigten zwar durchaus Offensivdrang, lebten den aber nach innen ziehend aus. Richtung Grundlinie ging praktisch gar nichts.

Das Herzstück bei Estudiantes ist weniger Verón, der einen klassischen Zehner südamerikanischer Prägung gab, sondern die beiden Sechser (oder „Doble Cinco“, also Doppelfünf, wie die beiden ob der Dreierketten hinter ihnen bezeichnet wurden) Rodrigo Braña und Leandro Benítez. An diesen beiden war die Eröffnung und auch Lenkung des Spiels, in der Regel war, wenn es konstruktiv nach vorne gehen sollte, Verón der Anspielpartner der Wahl. Der langjährige Europa-Legionär (Lazio, Man Utd) bewegte sich viel horizontal und versuchte, immer anspielbar zu sein. Im Gegenzug ließen sich die beiden Sturmspitzen Gastón Fernández („La Gata“, die Katze) und Maxi Núñez immer wieder fallen. Braña und Benítez hatte so immer einen Spieler vor sich offen und Argentinos Juniors war so ziemlich heftig in die eigene Hälfte zurück gedrängt.

…gegen ein 3-4-3 ohne Zentrum

Das Spiel des entthronten Meistern Argentinos war im Grunde das genaue Gegenteil von jenem von Estudiantes. Im 3-4-3 von Trainer Pedro Troglio (der als Spieler 1990 im WM-Finale gegen Deutschland spielte) gab es durchaus Flügelspiel – aber dafür kein kreatives Zentrum. Zumindest keines, das seinen Namen in diesem Spiel verdient hätte – Juan Mercier ließ sich als defensiverer der beiden zentralen Mittelfeldspieler eher zurückfallen und hatte mehr defensive Aufgaben (in erster Linie Verón), während sich Kapitän Néstor Ortigoza mehr nach vorne einzuschalten versuchte. Es waren aber wiederum Braña und Benítez, die ihn da ziemlich kaltstellten. Womit nach vorne bei Argentinos – wenn etwas ging – nur über die Außen etwas möglich war.

Hier tat sich vor allem Ciro Rius hervor. Der 22-jährige Außenstürmer war der mit Abstand gefährlichste Spieler seiner Mannschaft. Er begann auf der rechten Seite, kam dort gegen Francísco Fernández aber kaum zur Geltung und bekam von Gonzálo Prosperi kaum Unterstützung. So wechselte er mit (dem über weite Strecken komplett unsichtbaren) Franco Niell zunehmend die Seiten, und auf Rechts fand er deutlich besser ins Spiel. Eine kurze Phase der Befreiung Mitte der ersten Halbzeit entstand aus der Tatsache, dass Escudero und Rius auf der rechten Seite ein deutlich besseres Verständnis hatten. Aber dennoch muss klar festgehalten werden: Dass Rius seine Mannschaft aus einem Konter über Niell (dessen einziger wirklich guter Aktion) in der 31. Minute mit 1:0 in Front brachte, war (trotz einer von Blandi zuvor kläglich vergebenen Chance) entgegen des Spielverlaufs und eigentlich nicht verdient.

Dass Argentinos mit konsequenterem Flügelspiel zu knacken gewesen wäre, zeigte sich nur wenige Minute später, als es Estudiantes für einmal gelang (und das mit einem simplen Flankenwechsel), hinter die gegnerische Dreierkette zu kommen. In die Flanke musste Gata Fernández nur seinen Kopf reinhalten, und schon stand’s 1:1 – jenes Ergebnis, mit dem es auch in die Kabinen ging.

Standards müssen es richten

Nach der Pause änderte sich am Zugang der beiden Teams nichts wesentliches, aber Ortigoza und Mercier schafften es nun deutlich besser, das Zusammenspiel zwischen Braña und Benítez zu kappen. Die Folge: Estudiantes hatte nun zwar immer noch ein deutliches Plus an Ballbesitz, durch die Mitte ging offensiv aber nun noch weniger als vorher, und das Flügelspiel wurde weiterhin, nun ja, nicht forciert. Andererseits drehte nun auf der anderen Seite der quirlige Rius immer mehr auf – weil aber Blandi und vor allem Niell nicht zur Geltung kamen, verpufften seine Vorstöße fast immer.

Dass der Tabellenführer dennoch einen Schritt zum Titel machen konnte, liegt nicht so sehr an der Spielintelligenz der Mannschaft – diesbezüglich war die Leistung eher mau – sondern an Geistesgegenwart und Durchsetzungsvermögen bei Standardsituationen. Der Führungstreffer zum 2:1 für Estudiantes durch Maxi Núñez war nur möglich, weil die komplette Argentinos-Defensive bei einem Freistoß von Benítez fürchterlich geschlafen hatte (58.).

Estudiantes-Coach Alejandro Sabella nahm daraufhin Marcos Rojo aus der Partie und brachte statt ihm Raúl Iberbia – ein direkter Wechsel im linken Mittelfeld, aber der neue Mann orientierte sich etwas defensiver, um Rius besser Herr zu werden. Nach dem 2:1 fing das Spiel an, vor sich hin zu plätschern: Estudiantes war mit der Führung im Rücken froh, das Spiel beruhigen zu können; bei den Argentinos fehlte es an Spielern, die nach vorne wirklich einen Impact haben könnten. Und so war das 3:1 für die Gastgeber (die aufgrund der Renovierung der eigenen Heimstätte in jene von Quilmes ausweichen müssen) durch Mercado – ein wuchtiger Kopfball nach einem Freistoß, also wieder durch einen Standard – natürlich die endgültige Entscheidung (80.).

Nach der Sabella beschloss, beide Stürmer aus dem Spiel zu nehmen – statt Núnez kam mit Matías Sánchez ein dritter defensiver Mittelfeldspieler, mit Roro López statt Gata Fernández ein Stürmer. Was sich Estudiantes aber erlauben konnte. Auch, weil bei Argentinos am Ende einer enttäuschenden Saison es in diesem Spiel neben der Klasse auch der Anreiz fehlte, sich wirklich vehement entgegen zu stemmen.

Fazit: Estudiantes besser, aber harmlos

Natürlich geht der 3:1-Sieg des Tabellenführers letztlich absolut in Ordnung. Aber so richtig überzeugend und mit erkennbar viel Hirn war der Erfolg nicht herausgespielt: Statt die offensichtlichen Schwächen von Argentinios im Verteidigen gegen Flügelspiel auszunützen, ging es fast immer durch die Mitte, wo es kaum ein Durchkommen gab. Die furchtbare Pennerei von Argentinos beim 1:2 brachte das Ergebnis letztlich auf Schiene.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.