„Falscher“ Europameister

Sie haben sich mit allen Gegnern bei dieser U19-EM gespielt, waren die klar beste Mannschaft des Turniers – und doch hat das spanische Team das Finale aus der Hand gegeben. Die Gastgeber aus Frankreich sind dennoch ein würdiger Europameister – weil sie zeigten, wie die Rojita zu bezwingen ist.

Spanien ging als Favorit in das mit 21.000 Zuschauern ausverkaufte Finale im schmucken Stadion von Caen, und sie agierten auch genau wie in den Spielen zuvor: Kombinationssicher, zügig, mit Zug nach vorne. Die Franzosen fanden vor der Pause nicht das Rezept, wie den Spaniern beizukommen wäre und hatten dementsprechend auch Glück, nicht höher als nur 0:1 im Rückstand zu liegen. Zumal die Spanier mit dem Schachzug, Thiago Alcántara etwas zurück zu ziehen und vor der Pause als zweiten Sechser neben Oriol Romeu einzusetzen, gegen die an sich starke Offensiv-Reihe der „Petit Bleus“ absolut richtig lagen.

Mit dem schnellen Ausgleich nach der Pause zeigten die Gastgeber allerdings, dass sie ihr Spiel auch anspassen können. Mit Tafer kam für Griezmann ein äußerst flexibler neuer Mann für die Offensive, zudem sah die im Turnierverlauf überhaupt nicht geforderte spanische Verteidigung – vor allem Pulido und Bartra im Zentrum – gegen schnelle, tiefe Pässe äußerst unsortiert aus. Die Franzosen erkannten das und versuchten es nun immer mehr auf diese Art und Weise.

Und sie profitierten auch davon, dass Thiago Alcántara nun wieder weiter nach vorne ging, um mehr Druck zu erzeugen, und Romeu nun deutlich weniger Unterstützung vorfand. So konnten sich die französischen Offensivspieler zwischen Mittelfeld- und Abwehrreihe deutlich besser ausbreiten und entfalten. Außerdem presste die Defensive nun extrem konsequent und doppelte jeden spanischen Ballführenden sofort. Dadurch kamen die Iberer überhaupt nicht mehr zur Geltung – und dass die Franzosen kurz vor Schluss eine weitere Unsicherheit in der spanischen Innenverteidigung zum Siegtor nützte, war somit folgerichtig.

Frankreich – Spanien 2:1 (0:1)
Caen, SR Studer (Sui). Tore: 0:1 Rodri (18.), 1:1 Sunu (49.), 2:1 Lacazette (85.). Frankreich: Diallo; Nego, Faure, Mavinga, Kolodziejdzak; Coquelin, Fofana; Sunu (69. Lacazette), Kakuta, Griezmann (46. Tafer); Bakambu. Spanien: Álex Sánchez; Montoya, Pulido (87. Calvente), Bartra, Planas; Romeu, Thiago Alcántara; Keko (64. Muniaín), Canales, Pacheco; Rodri (73. Rochina). Gelb: Faure, Coquelin, Fofana; Pulido, Muniaín, Pacheco, Rodri.

Turnierfazit: Mit den Franzosen hat die richtige Mannschaft das Finale gewonnen, weil sie als erstes Team nicht nur das Rezept gegen die Spanier fanden, sondern auch die Klasse hatten, dieses auszuspielen. Allerdings hat über den Turnierverlauf gesehen das falsche Team den Titel geholt, denn in den Spielen vor dem Finale agierten die Spanier wesentlich stärker. Das verlorene Finale kann in Spanien aber durchaus als Lektion angesehen werden – die Spieler haben nun gesehen, dass es nur mit Zauberei und Gegner verarschen gegen stärkere Konkurrenz nicht funktioniert. Was sie für die U20-WM in Kolumbien im kommenden August nur noch gefährlicher macht.

Die meisten anderen Mannschaften zeigten durchaus Ansätze, und das generelle Spielniveau bei diesem Turnier war sehr ansprechend: Hohes Tempo, technisch starke Spieler, zumeist hohe Spielintelligenz und gute taktische Ausbildung – fast alle Spiele waren richtig gut anzusehen. Es reichte aber kein anderes Team annähernd an die kollektive Klasse der beiden Finalisten heran: Die Engländer agierten als willige Mannschaft, ein wirklich kommender Superstar war aber nicht auszumachen. Ähnlich bei den Kroaten, wiewohl hier einige Spieler durchaus das Potenzial haben, den Durchbruch zu schaffen. Das wird bei den Portugiesen wohl eher nicht der Fall sein, zu blutleer waren die Auftritte. Österreich kam über die individuelle Klasse, den Holländern fehlte ein Vollstrecker vor dem Tor. Das einzige Team, das wirklich deutlich abfiel, war jenes aus Italien.

Und damit das einzige, das mit einem 4-4-2 antrat. Das dominierende System war das 4-1-4-1 (Spanien, Kroatien, England und Portugal), wobei die Spanier, wie auch die Holländer, je nach Situation zwischen diesem und dem 4-2-3-1 wechselten, welches die Franzosen spielten. Somit agierten alle vier Semifinalisten mit einer Solo-Spitze vorne, einer Viererkette hinten und mit einer offensiven Mittelfeldreihe aus drei/vier Mann, mit konsequentem Spiel über die Außen (vor allem bei den Spaniern evident).

Lediglich Österreich (4-3-3, also eine Modifikation des 4-1-4-1) und die enttäuschenden Italiener wichen von diesem Rezept ab. Wie bei der WM sichtbar, gibt es keinen international funktionierenden Zwei-Mann-Sturm mehr, das Spiel über die Außen (mit stürmenden Mittelfeld-Außen bzw. gleich gelernten Stürmern dort plus dem obligatorischen AV) ist essenziell und ein guter Sechser ist unverzichtbar. Wie Oriol Romeu bei den Spaniern, Gueïda Fofana und Francis Coquelin bei den Franzosen oder Arijan Ademi bei Kroatien, und eben nicht wie Thomas Cruise bei den Engländern (der ob seiner Schwächen oft auf die linke Seite verbannt wurde), Danilo bei Portugal oder der überforderte Roberto Soriano im Team der Italiener.

Ohne Frage waren die beiden deutlich besten Mannschaften des Turniers im Finale. Darum dürfen sich bei der WM in Kolumbien nach derzeitigem Stand auch nur diese beiden als ernsthafte Titelkandidaten in Kolumbien fühlen. Was nicht heißt, dass es nicht auch für andere Europäer weit kommen könnten. So wie die erstaunlichen Ungarn letztes Jahr in Ägypten.

Oder Österreich, damals in Kanada.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.