Der Rausschmeißer

„Du kommst hier nicht rein“ – so wie Kaya Yanars Figur Hakan stellt man sich gemeinhin Rausschmeißer vor. Doch dass es auch anders geht, zeigt der ÖFB. Der beschäftigt einen schmächtigen kleinen Mann, um jedes Talent nach dem ersten Fehler wie ein Moorhuhn zu behandeln.

„Ich musste mich sehr zusammenreißen, ihn nicht zurück zu rufen!“ – Das sagte der Teamchef der Mannschaft, nachdem ihm ein Spieler per SMS ausgerichtet hatte, schon gerne zur Europameisterschaft der Unter-19-Jährigen kommen zu wollen, aber wenn, dann auch in verantwortungsvoller Position. Das ist sehr schade, denn es bedeutet eines: Der Teamchef hätte instinktiv das Richtige gemacht, musste sich aber zusammen reißen, um nur ja das Falsche zu machen.

Wir reden hier schließlich nicht von einem gestandnen Profi, 28 Jahre alt, der schon viel von der Profiwelt gesehen hat. Sondern von einem 19-jährigen Burschen, einem hoffnungsvollen Talent, der bei einem angesehenen Verein ausgebildet wird. Und jeder, der schon einmal mit 19-Jährigen zu tun hatte, weiß: Die Burschen sind eben noch nicht erwachsen, machen Blödheiten, Handeln mitunter vor dem Denken. Vor allem Fußballer, die darauf angewiesen sind, auf dem Platz zu handeln, ohne groß nachdenken zu müssen – weil man dann zu langsam wäre.

Der Trainer einer Junioren-Mannschaft, vor allem einer Auswahlmannschaft, muss in erster Linie ein Pädagoge sein. Einer mit Fußballverstand, aber ein Pädagoge. Der wissen muss, mit welchen Typen er es zu tun hat. Lässt ein 28-Jähriger, gestandener Profi den Teamchef wissen, er komme nur zur Mannschaft, wenn es in einer hilfreichen Position ist, würde die breite Öffentlichkeit (zumindest jene, die vernünftig denken kann), sagen: „Ja, schade, aber er setzt halt Prioritäten und sein Verein ist ihm auch wichtig.“ Dann kann man als Teamchef sagen, „Naja, wenn das so ist, werden wir auch in Zukunft auf ihn verzichten“, kann man das nachvollziehen.

Einen 19-jährigen Burschen aber, der schon bei einem guten Verein ist und schauen möchte, dort weiter zu kommen, hat eine EM-Endrunde nicht mehr zwingend nötig. Er ist ja schon bei einem Großklub. Jetzt ist es zwar immer noch zweifelhaft, dem Teamchef via SMS auszurichten, „ich komme nur, wenn ich auch spiele – sonst hab ich mehr davon, in Turin zu bleiben.“ Der Trainer würde auch sagen, „dann putz di“. Aber der Pädagoge, der ein Junioren-Teamchef zu sein hat, müsste zurückrufen. Und sagen: „Junger Mann, so geht’s nicht. Solche Ansprüche kannst später im Profileben auch net ungestraft stellen, also gewöhn dir’s gar nicht an!“ Man lässt ihn bei seinem Verein, wünscht ihm viel Glück und hofft, dass er in ein paar Jahren so weit ist, dass er für die Nationalmannschaft in Frage kommt. Man lässt sich dann noch etwas für die Medien einfallen, so etwas wie „passt nicht ins taktische Konzept“, oder „ich möchte die Mannschaft einsetzen, die in der Quali gespielt hat“, und gut ist.

Was man NICHT macht: Den Spieler nicht zurückrufen (ja, sich gar nicht auch nur irgendwie zu melden), auf derartige soziale Inkompetenz auch noch öffentlich stolz zu sein, und dem Burschen dann über die Medien ausrichten, dass er eine Charaktersau wäre, die sinngemäß sich am besten eine andere Staatsbürgerschaft suchen könne, wenn’s in einen Nationalmannschaft gehen soll. Da stellt sich schon die Frage, wessen Verhalten verwerflicher ist.

Andere Sache. Was macht eine Mannschaft, macht ein Teamchef, fünf Tage vor dem ersten Spiel einer EM-Endrunde? Normalerweise befindet es sich seit geraumer Zeit auf Trainingslager, ist womöglich schon vor Ort, bereitet sich auf die Gegner vor und verpasst sich den letzten, taktischen Feinschliff. Aber nicht so in Österreich. Da steht der Teamchef noch lässig im TV-Studio und gibt seinen Senf zu vier Spielen ab, die er gleichzeitig sieht (also gar keines davon wirklich), weil es gar keine Vorbereitung auf die Europameisterschaft gibt, vier Tage vor dem ersten Spiel die Mannschaft erstmals zusammen hat und vor der Auftaktpartie kaum mehr als drei gemeinsame Trainings abhalten kann.

Das ist der Gipfel die Unprofessionalität, und hier wäre es am ÖFB gewesen, dem einen Riegel vorzuschieben. Gastgeber Frankreich etwa hat mehrere Trainingslager hinter sich, um aus den vielen Einzelkönnern eine echte Mannschaft zu machen, um Spielzüge einzuüben, um sich auf die Gegner vorzubereiten, um taktische Vorarbeit zu leisten. Das heimische Team hätte zumindest zwei Wochen intensiv miteinander arbeiten müssen, sich gezielt vorbereiten. Und nicht ein paar Tage vorher halt hinfliegen und drei Spiele machen.

Die Folge: Dass die Mannschaft die taktisch mit Abstand schwächste der Gruppe ist, wie es der erste Spieltag gezeigt hat, liegt somit natürlich auf der Hand. Es war alleine der individuellen Klasse einiger Spieler zu verdanken, dass ein Unentschieden durchaus möglich gewesen wäre. Es gab einen echten Schwachpunkt in der Mannschaft, diesen hat der Teamchef erkannt und nach einer Stunde des Auftaktspiels korrigiert. Das war korrekt, das war richtig, und das Team hat nach der Umstellung funktioniert. Gut sogar.

Normalerweise würde man jetzt sagen: Ja, die letzte halbe Stunde war gut, das hat auch personell gepasst, es gibt weder Verletzte noch Gesperrte, also liegt es nahe, die Mannschaft dieser letzten halben Stunde wieder so auflaufen zu lassen. Aber nein, der Teamchef verändert sein Team auf fünf (!) Positionen, lässt dem Vernehmen nach einen Außenverteidiger innen spielen (Rath), dafür einen Allrounder, der im ersten Spiel innen eine gute Figur gemacht hat, außen (Dilaver). Dass gegen Frankreich zwei Außenbahnspieler statt zweier Außenstürmer spielen, ist indes nachvollziehbar.

Erklärung? Georg Teigl konnt in der ganzen Saison bei den Jungbullen nie wirklich Fuß fassen. Er spielte auf der Position, die im ersten Spiel Marco Djuricin eingenommen hatte, und dort auch gar nicht so schlecht ausgesehen hatte. Marco Meilinger nahm die Position von Christoph Knasmüllner ein, der sogar eine wirklich starke Auftaktpartie gegen England absolviert hat, ein Tor herausragend vorbereitet hat. Es liegt Nahe, dass es einer dieser beiden ist, der vom Teamchef nach dem 0:5 gegen den (wie wir wissen nicht nur top besetzten, sondern im Gegensatz zu unserem Team auch top vorbereiteten) Gastgeber als nächste Sau öffentlich durch die Normandie getrieben wird.

Wie die Sache mit dem Spieler, der so heißt wie ein zurückgetretener Skifahrer aus Liechtenstein, muss man auch diese Sache anders lösen. Natürlich ist es nicht in Ordnung, wenn einer, der nicht aufgestellt wird – gutes erstes Spiel hin oder her – mault, die Mannschaft runterzieht. Das muss aber ebenso intern geregelt werden. Hier ist eine Mannschaftssitzung vonnöten, in der ruhig auch die Fetzen fliegen können, um die Sache entweder aus der Welt zu räumen, oder aber sich de facto von dem Spieler zu trennen. Sollte es Knasmüllner sein, hätte gar nichts an die Öffentlichkeit gemusst, weil er ohnehin nach dem Frankreich-Spiel zu seinem Verein zurückmuss. Sollte es Djuricin sein (oder Tiffner, der dritte eingewechselte Stürmer gegen Frankreich), gibt man eine Verletzung vor, sagt öffentlich „schade, dass er nicht mehr zur Verfügung steht“, und jeder hat sein Gesicht gewahrt. Die Delegation, weil man einen Quertreiber los ist. Der Spieler, weil er weiß, das so etwas nicht geduldet wird, und somit nicht mehr mitmachen darf.

Pädagoge. Auch hier gilt: Es ist ein Unterschied, ob es ein Trainer mit gestandnen Profis oder mit einem Haufen 18-Jähriger zu tun hat. Als Jugend-Trainer muss man Pädagoge sein. Und mit solchen Krisensituationen angemessen umgehen. In der Tabelle und für die Ausgangsposition vor dem letzten Spiel war es völlig irrelevant, ob das Spiel mit 0:1, mit 0:5 oder mit 0:23 verloren geht – volle Konzentration muss nun dem letzten Spiel gelten und der Frage, wie es ohne die Bayern-Spieler (Alaba und Knasmüllner müssen zurück) einen Sieg gegen Holland gibt, und sich nicht in interne Scharmützel zu vertiefen, die dann öffentlich ausgewalzt werden.

Und was hinzu kommt: Der Teamchef beweist ziemliche Kurzsichtigkeit, indem er überhaupt öffentlich macht, dass ein Spieler quergetrieben hat. Spielen gegen Holland Tiffner und Djuricin, war’s Knasmüllner. Spielt Djuricin nicht, war’s der Herthaner. Spätestens am Samstag weiß jeder, wer gemeint war und somit hat der Teamchef nach dem Neu-Salzburger Stefan Hierländer, Bremen-Junior Kevin Krisch, dem Juventus-Legionär Marcel Büchel mit dem Spieler, dessen Namen wir spätestens am Samstag kennen, den nächsten 18-Jährigen auf der öffentlichen Abschussliste. Vom hergeschenkten Turgay Bahadir gar nicht erst zu sprechen.

Dabei kann es sich ein kleines Fußball-Land wie Österreich eigentlich nicht erlauben, jeden talentierten 19-Jährigen, der mal einen Blödsinn macht, auf alle Zeit auszuschließen. Im Gegenteil, ein kleines Fußball-Land wie Österreich braucht in diesem Bereich pädagogische Trainer, welche die Spieler nach einem Fehler zu einem Vier-Augen-Gespräch bitten, und ihm nicht über die Medien ausrichten, was sie nicht für Charaktäre wären.

Also, werte Herren beim ÖFB, es ist an Ihnen.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.