SF2 – Outclassed

Südafrika 2010 – Semifinale 2 | In allen Belangen überlegen – und das Tor zum 1:0-Sieg der Spanier kam aus einem profanem Eckball. Der Europameister nähert sich der Bestform und muss nach diesem Auftritt im Finale als klarer Favorit auf den Titel gelten.

Spanien - Deutschland 1:0


Spanien – Deutschland 1:0 (0:0)

Hätte es mit Thomas Müller anders ausgesehen? Möglich, aber wohl nicht anders genug. Spanien war über praktisch die komplette Spieldauer so dermaßen viel stärker als das deutsche Team, dass das Resultat von 1:0 eigentlich kaum mehr als ein Hohn ist. Deutschland war von A bis Z völlig und komplett ohne den Funken einer Chance.

Was zum einen natürlich an schwachen Leistungen einiger Spieler lag, noch mehr allerdings wohl am Spiel der Furia Roja. Das war nicht besonders ausgeklügelt und beinhaltete nichts, was einen kühlen Analytiker wie Joachim Löw überraschen hätte können, war aber mit einer Präzision und einer Klasse gespielt, dass dagegen einfach kein Kraut gewachsen war. Die Spanier pressten ihre Außenverteidiger extrem nach vorne, zuweilien beteiligte sich soch Innenverteidiger Piqué jenseits der Mittellinie am Kurzpass-Spiel. Xavi war wie gewohnt Ballverteilier Nummer eins, und Pedro (der für Torres in die Startelf rückte) konnte hinter und neben Zentrumsstürmer Villa im Grunde machen, was er wollte.

Die Grundformation der Spanier war das gewohnte 4-2-3-1, in der Realität stellte es sich aber mehr als ein 3-3-4 dar – Busquets ließ sich im Ballbesitz zwischen die Innenverteidiger Puyol und Piqué fallen und spielte im Grunde einen Offensivlibero (ähnlich wie es etwa Christian Poulsen bei den Dänen gemacht hat – diese Entwicklung deutete sich zuletzt immer häufiger an). Die Außenverteidiger Capdevila und vor allem Ramos waren nichts anderes als Rechts- bzw. Linksaußen, die von Pedro unterstützt wurden und Villa lauerte auf Zuspiele.

Im Mittelfeld zog Xavi die Fäden, mit Iniesta als kongenaliem Partner und Xabi Alonso als Absicherung nach hinten. Mit dieser geballten Überzahl im Mittelfeld kamen die Deutschen überhaupt nicht zurecht: Schweinsteiger und Khedira waren dermaßen viel mit Defensivarbeit beschäftigt, dass sie nach vorne überhaupt keine Impulse setzen konnten, genauso wie Lahm auf der rechten und der heillos überforderte Boateng auf der linken Seite. Müller-Ersatz Trochowski spielte im rechten Mittelfeld eine anständige Partie, mangels Hilfe von Lahm und Schweinsteiger konnte er nach vorne allerdings wenig anbieten. Und ganz alleine hätte auch Müller nicht allzu viel ausgerichtet – und Klose war vorne sowieso ein armer Hund.

Die extrem offensive Rolle speziell von Ramos verursachte enorme Probleme bei LV Boateng und LM Podolski. Jerome Boateng wird, wenn er so spielt wie in diesem Semifinale, bei Manchester City wenig zu lachen haben. Sein Stellungsspiel war furchtbar, sein Zweikampfverhalten lächerlich, und nach vorne ging sowieso Null – für Boatengs Unzulänglichkeiten mussten oft Friedrich (gutes Auge) und Mertesacker (gutes Stellungsspiel) ausbügeln. Nach vorne brachten beide allerdings auch nichts. Hinzu kam, dass Boateng immer wieder als zusätzlicher Mann in die Zentrale ging, vor allem wenn Pedro dort auftauchte, sodass Podolski nicht selten einen einsamen Linksverteidiger gegen Ramos spielen musste. Ihm daraus einen Strick drehen zu wollen, ist eher unfair – Podolski sah vor allem wegen der Katastrophen-Leistung von Boateng so schlecht aus. Natürlich, er ist kein geborener Defensivspieler und abgesehen davon hatte er auch so nicht seinen besten Tag, aber der bärenstarke Ramos ließ Besseres auch schlicht nicht zu.

Auch der im Turnierverlauf oft starke Mesut Özil war überhaupt kein Faktor. Er bekam kaum Bälle von hinten, sodass er sie sich selbst von weiter hinten holen musste. Wann immer er dann aber doch einen Ball halbwegs sinnvoll am Fuß hatte, standen durch das blitzschnelle Umschalten der Spanier von Offensive auf Defensive immer schon acht Spanier hinter dem Ball. Und da gab es dann einfach kein Durchkommen mehr. Ansonsten war Özil bei Xabi Alonso (bei spanischem Ballbesitz) und Xavi (bei deutschem Ballbesitz) in sehr guten Händen und damit de facto aus dem Spiel.

Die Spanier schaltete also durch das beinharte Ausspielen der eigenen Stärken jene der Deutschen komplett aus und hatten so das Spiel bombensicher im Griff. Vor allem durch das konsequente Spiel über die Flanken – also Capdevila und Ramos – rissen die (vertikal verschiebenden) Spanier den horizontal verschiebenden und Gegner immer wieder ziemlich auf.

Das änderte sich auch nach der Pause nicht, nachdem Marcell Jansen für Boateng gekommen war. Auch Jansen stand viel im Strafraum herum, wodurch Podolski (durch das extreme horizontale Verschieben) Linksverteidiger spielen musste. Eine Position, der er nun mal nicht kann und die für mehr Gefahr hinten sorgte, als für Sicherheit – die haarige Szene im Strafraum, als Podolski gegen Ramos beinahe einen Elfmeter verursacht hätte, darf dafür als bestes Beispiel genannt werden.

Die Deutschen versuchten nach der Pause, höher zu stehen und das spanische Aufbauspiel früher zu stören, was zuweilen auch ganz gut gelang. Zudem war Jansen, wenn er nicht gerade in der Defensive ins Zentrum verschob, deutlich sicherer als Boateng. Es gelang allerdings nicht wie gewünscht, die Spanier wirklich aus dem Konzept zu bringen, sondass sich an der Partie selbst kaum etwas änderte. So brachte Löw nach etwa einer Stunde dann mit Kroos (für Trochwoski) einen frischen Mann, der mit Özil rochierte, um wenn möglich Capdevila etwas zu binden. Das resultierte in der besten Phase der deutschen, brachte aber keine Tore.

Anders als mitten in die kleine deutsche Drangphase hinein ein profaner Eckball. Da Iniesta, wie gewoht, als kurzer Anspielpartner drei Meter vor dem ausführenden Xavi stand, rechnete die deutsche Defensive wohl mit einer kurz abgespielten Ecke, bei der Xavi mittels Doppelpass Richtung Strafraumeck zog – stattdessen flankte er direkt in den Strafraum und Puyol nützte die Unsortiertheit in der deutschen Deckung zu einem sehenswerten Kopfball zum hochverdienten 1:0.

Womit die Spanier ihre einzige Schwäche in diesem Spiel – den mangelnden letzten, tödlichen Pass – auch ausgeglichen hätten und sich nun zurückzogen, um die Deutschen hinter der Mittellinie zu erwarten. Löw brachte daraufhin Gomez für Khedira und stellte auf ein 4-4-2 um, mit Klose und Gomez vorne, Özil ging endgültig nach rechts und Kroos in die Mitte. Die wenig durchdachten Angriffer der nun alles nach vorne werfenden Deutschen erzeugten allerdings wenig bis gar keine Gefahr, weil die Spanier zeigten, was hinter all dem Gerede um die Offensiv-Qualitäten der Mannschaft oft vergessen wird: Nämlich, dass sie vor allem die beste Defensive ihr Eigen nennen können.

Fazit: Einzig, dass aus der drückenden spielerischen Dominanz nicht mehr Torgefahr entstanden ist, muss man den Spaniern ankreiden – das lag aber auch an Friedrich und Mertesacker, die zumindest defensiv einen klasse Job gemacht haben. In allen anderen Belangen waren die Spanier um so viel besser als der Gegner, dass es an der Verdientheit des Finaleinzugs nicht der geringste Zweifel herrschaen kann. Dem jungen deutschen Team wurden deutlich die Grenzen aufgezeigt.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.