Das Dynamit ist aus. Her mit dem Beton!

WM-SERIE, Teil 26: DÄNEMARK | Vor mittlerweile 18 Jahren wurde „Danish Dynamite“ sensationell Europameister. Erfrischender Offensiv-Fußball ist immer noch das Credo der Dänen, aber statt Dynamit gibt’s derzeit eher nur Schweizerkracher – echte Topstürmer fehlen.

Nicklas Bendtner ist bei Arsenal nicht gerade das, was man einen Publikumsliebling nennt. Der 22-jährige Torjäger ist nämlich nicht direkt der effektivste seiner Zunft, und ein Teamplayer wie sein Konkurrent Robin van Persie ist er auch nicht. Während aber Arsène Wenger bei den Gunners durchaus Alternativen zu Bendtner hat, ist der dänische Teamchef Morten Olsen vor dessen zehnjährigen Amtsjubiläum auf ihn angewiesen. Obwohl auch bei den 15 Toren in der Qualifikation nur drei auf das Konto von Nicklas Bendtner gingen.

So ist der Offensiv-Fußball, der die Dänen in den Neunzigern mit dem EM-Titel und den sagenhaften Auftritten bei der WM 1998, als sie sich ins Viertelfinale bombten und dort Brasilien einen legendären Kampf boten, zwar bis heute das Idealbild in Olsens 4-3-3. Aber ganz deutlich ist er auch dem Pragmatismus gewichen, dass vor allem Angesichts des nicht allzu sprengkräftigen Angriffs die Abwehr stehen muss. Und wie diese Umstellung gelang! Während in den letzten fünf Qualispielen (nach höheren Erfolgen gegen die Underdogs Malta und Albanien) nur vier Treffer gelangen, wurde die Abwehr in der kompletten Vorrausscheidung nur fünf Mal bewzungen. Und zwei dieser Gegentreffer gab’s beim dramatischen 3:2-Erfolg in Portugal.

Dass die schwere Gruppe gar als Sieger noch vor Portugal und Schweden beendet wurde und die Qualifikation nach zwei verpassten Turnieren diesmal nie in Frage stand, darf so vor allem als Erfolg von Trainerfuchs Morten Olsen gelten – des ersten Dänen, der 100 Länderspiele sowohl als Spieler als auch als Teamchef absolviert hat. Er hat die Zeichen der Zeit erkannt und er hatte die Fähigkeit, aber auch das Standing in Dänemark, die Angriffslust zu Gunsten einer gestärkten Abwehr zu opfern. Einer Abwehr, die zwar nicht über die ganz großen Stars verfügt, aber ihren Job staubtrocken erledigt.




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So stellen die Dänen nicht mehr ein extrem spektakuläres Team wie mit den Laudrup-Brüdern bei den Erfolgen in den Neunzigern, sondern eher eine kontrollierte, zum Ansehen beinahe langweilige Mannschaft. Das Fehlen eines echten Stars (und ein solcher ist Bendtner als Arsenal-Reservist ja eigentlich nicht) darf aber nicht als Schwäche fehlinterpretiert werden. Im Gegenteil, die Dänen waren immer dann am Stärksten, wenn der Teamgeist stimmte, und sich in der Mannschaft keiner herausnahm, nur medienwirksame Alleingänge zu starten. Zumal jeder um seine Rolle innerhalb des Teams weiß, was auch nicht zwingend mit fußballerischen Qualitäten zusammen hängt. Dass Sechser Christian Poulsen von Juventus Turin auf dem Platz etwa ein vertiabler Dreckskerl ist, der die Gegner so lange auf das Heftigste provoziert, bis diese auszucken, weiß man nicht erst seit Francesco Tottis Spuckattacke auf den heuten 30-Jährigen bei der Euro2004.

Zudem stimmt auch die Mischung zwischen Routiniers und Jungspunden in der Mannschaft. Martin Jørgensen etwa war schon 1998 dabei und spielte über zehn Jahre für Udinese und die Fiorentina in der Serie A, ehe er vor einem halben Jahr in die Heimat zurück kehrte. Dennis Rommedahl und Jon Dahl Tomasson sind ebenso routinierte Kräfte. Auf der anderen Seite gibt es aber etwa den 21-jährigen Innenverteidiger Simon Kjær, der in Palermo seit zwei Jahren Stammkraft ist und auch seinen Platz im Team sicher hat, oder eben auch den 22-jährigen Stoßstürmer Nicklas Bendtner.

Was einmal mehr zeigt, wie gut auch die Nachwuchsarbeit in diesem kleinen Land funktioniert. Gute Leistungen bei den nationalen Vereinen sind oft das Sprungbrett etwa nach Holland, von wo aus es nicht selten in die echten Topligen geht. In der vermutlichen ersten Elf spielen jeweils drei in Italien und England, dazu gibt’s Legionäre aus Deutschland und eben Holland; und Italien-Heimkehrer Jørgensen. Nur Jakob Poulsen die heimische Liga noch nicht verlassen.

Der Einsertorwart dafür schon lange. Thomas Sørensen stand schon beim Achtelfinal-Einzug vor acht Jahren zwischen den Pfosten. Dennoch steht hinter dem langjährigen Premier-League-Torhüter ein Fragezeichen: Eine Ellbogen-Verletzung macht seinen Start unsicher. Sollte der 34-Jährige nicht rechtzeitig fit werden, springt Stephan Andersen ein. Er ist zwar auch ein ordentlicher Torhüter, an internationaler Erfahrung mangelt es ihm aber im Gegensatz zu Sørensen.

In der Abwehr kann Olsen am Ehesten ein wenig rotieren. In der Innenverteidigung sollten Simon Kjær und Per Krøldrup gesetzt sein, mit dem gelernten Innenverteidiger Daniel Agger auf der linken Seite. Es ist aber genauso möglich, dass der Liverpool-Legionär Agger ins Zentrum geht, und dafür Patrick Mtiliga auf der linken Seite spielt. Da Mtiliga aber mit beinahe dreißig Jahren den Durchbruch noch nicht geschafft hat, und auch im Nationalteam bislang keine Rolle spielte, wird dies eher nur die Notlösung sein. Auf der rechten Seite führt indes kein Weg an Lars Jacobsen vorbei. Für den 30-Jährigen von Blackburn ist es das erste große Turnier.

Im Dreier-Mittelfeld setzt Olsen vor allem auf die Erfahrung eines Christian Poulsen. Der bereits angesprochene Sechser von Juventus versteht es nicht nur, der eigenen Mannschaft Rhythmus zu geben, sondern vor allem, jenen des Gegners zu stören. Ihm zur Seite steht Jakob Poulsen vom dänischen Absteiger Aarhus – gerade aufgrund der sicherlich eher angeknacksten Psyche ist er wohl einer der potentiellen Schwachpunkte. Anders als sein Klubkollege in Aarhus, Martin Jørgensen. Der 34-jährige Routinier hat in seiner Laufbahn schon viel erlebt und wird seine internationale Karriere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach dem Turnier in Südafrika beenden. Er ist zweifellos der vielseitigste Mittelfeldmann: Grundsätzlich ist ein ein Achter, der das Offensivspiel der Mannschaft lenkt. Er kann aber genauso als Flügelstürmer eingesetzt werden und spielte bei der Fiorentina einige Zeit sogar als Rechtsverteidiger.

Ihn auf Sicht zu ersetzen, wird eine der wichtigsten Aufgaben nach dem Turnier sein. Im Turnier aber ist es auch an den anderen Spielern, Jørgensen zu unterstützen und natürlich auch selbst initiativ zu werden. Das sollte für die ähnlich routinierten Außenstürmer kein Problem sein! Jon Dahl Tomasson, der auf der linken Angriffsseite spielen wird, aber genauso in die Mittefeldzentrale oder in die Spitze gehen kann, gewann in seiner langen Laufbahn schon zwei Europacups und erzielte schon über 50 Tore im Nationalteam. Dass er den Uralt-Rekord von Tist Nielsen brechen wird, steht eigentlich außer Frage, womöglich schafft er das sogar schon in den Vorbereitungsspielen.

Auf der rechten Seite ist das Revier von Dennis Rommedahl. Er ist zwar sehr schnell, im Gegensatz zu Tomasson fehlt es ihm aber eklatant an Torgefahr. Seine Flanken sollen vor allem Mittelstürmer Nicklas Bendtner bedienen. Hier wird das Alternativen-Problem von Morten Olsen am deutlichsten sichtbar: Der zweite Anzug sitzt vor allem in der Offensive nicht. Fallen spieler wie Tomasson, Bendtner oder Jørgensen aus, gibt es keinen gleichwertigen Ersatz. Das wurde etwa bei einem Testspiel in Österreich augenscheinlich, welches eine Mannschaft ohne einige Stützen verlor.

Das ist ohne Frage der größte Stolperstein der Dänen auf dem Weg ins Achtelfinale. Dass die erste Mannschaft es vom Potential her absolut drin hat, auch bei ihrer vierten Teilnahme an einem Weltturnier die Vorrunde zu überstehen – das schafften sie bislang immer – steht außer Zweifel. Den Japanern ist die dänische Mannschaft an körperlicher Robustheit weit überlegen, dem Team aus Kamerun fehlte es zuletzt an Teamgeist. Schafft es die Hintermannschaft der Dänen, in diesen Spielen halbwegs dicht zu halten, steht einem Achtelfinale, vermutlich gegen Italien, nicht mehr viel im Wege.

Eben nur noch die leidige Schwäche vor des Gegners Tor. Elektrisierende Spieler wie einst die Laudrups oder noch früher Preben Elkjær-Larsen gibt es nicht. Aber egal, wie dieses Turnier für den Europameister von 1992 ausgeht, Morten Olsen hat seinen Platz in der Hall of Fame des dänischen Fußballs sicher.

Auch ganz ohne Dynamit.

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DÄNEMARK
rotes Trikot, weiße Hose, adidas – Platzierung im ELO-Ranking: 17.

Spiele in Südafrika:
Holland (Mittagsspiel Mo 14/06 in Johannesburg/S)
Kamerun (Abendspiel Sa 19/06 in Pretoria)
Japan (Abendspiel Do 24/06 in Rustenberg)

TEAM: Tor: Stephan Andersen (28, Brøndby), Jesper Christiansen (32, FC Kopenhagen), Thomas Sørensen (34, Stoke). Abwehr: Daniel Agger (25, Liverpool), Lars Jacobsen (30, Blackburn), Per Krøldrup (30, Fiorentina), William Kvist (25, FC Kopenhagen), Simon Kjær (21, Palermo), Simon Poulsen (25, Alkmaar), Patrick Mtiliga (29, Málaga). Mittelfeld: Thomas Enevoldsen (22, Groningen), Jesper Grønkjær (32, FC Kopenhagen), Daniel Jensen (30, Bremen), Martin Jørgensen (34, Aarhus), Thomas Kahlenberg (27, Wolfsburg), Christian Poulsen (30, Juventus), Jakob Poulsen (26, Aarhus), Michael Silberbauer (28, Utrecht). Angriff: Mikkel Beckmann (26, Randers), Nicklas Bendtner (22, Arsenal), Michael Krohn-Dehli (27, Brøndby), Søren Larsen (28, Duisburg), Dennis Rommedahl (31, Ajax Amsterdam), Jon Dahl Tomasson (33, Feyenoord).

Teamchef: Morten Olsen (60, Däne, seit Juli 2000)

Qualifikation: 0:0 in Ungarn, 3:2 in Portugal, 3:0 auf und 3:0 gegen Malta, 3:0 gegen Albanien, 1:0 in Schweden, 1:1 gegen Portugal, 1:1 in Albanien, 1:0 gegen Schweden, 0:1 gegen Ungarn.

Endrundenteilnahmen: 3 (1986 Achtelfinale, 98 Viertelfinale, 2002 Achtelfinale)

>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Côte d’Ivoire, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile

* Die Platzierung im ELO-Ranking bezieht sich auf den Zeitpunkt der Auslosung

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.