WM-SERIE, Teil 20: SLOWENIEN | In Kroatien und Serbien gelten die Slowenen als Strebervolk, als die „kleinen Nachmacher der Österreicher“. Doch so ganz stimmt das nicht, denn im slowenischen Team spielen nur Legionäre. Und sie sind, anders als die Östereicher, in Südafrika dabei.
Eine Art „Goldene Generation“ war es, damals, vor zehn Jahren. Mit der Diva Zlatko Zahovič, bis heute Rekord-Teamspieler und -Torschütze der Slowenen. Mit dem jungen Teamchef Srečko Katanec, der das Team zur Euro2000 und zur WM 2002 führte. Indem er um seinen zentralen Spieler ein Team aus Namenlosen so einstellte, dass es stark genug war, sich für zwei Turniere zu qualifizieren. Mit einem Land, das kaum größer ist als Niederösterreich und kaum mehr Einwohner hat als der Großraum Wien. Mit einer sportlich völlig wertlosen Liga, deren Vertreter im Europapokal selten die zweite Augustwoche überstehen.
Darum war es auch nicht verwunderlich, dass es wieder steil bergab ging, als Zahovič aus diszipliären Gründen aus der Nationalmannschaft flog und letztlich aufhörte. Als Srečko Katanec nicht mehr Teamchef war. Als die Slowenen wieder das stellten, was sie im Grunde eben waren – eine No-Name-Truppe. Es reichte noch zum Playoff für die Euro2004, aber zwei Jahre später waren sie nur zwei Pünktchen vor dem Vorletzten in ihrer Qualigruppe. Eine gar nicht mal so schweren eigentlich, mit Norwegen und Schottland. Alles nicht unschlagbar, eigentlich.
Und in der Quali für die Euro2008 war es dann so weit: Gerade noch Luxemburg landete hinter dem nördlichsten Staat des ehemaligen Jugoslawien. Albanien und Weißrussland? Vor dem Team, dass Matjaž Kek halb durch die Qualifikation von seinem glücklosen Vorgänger Branko Oblak übernommen hatte. Einem der ganz wenigen echten jugoslawischen Fußballstars, die aus Slowenien kommen. Denn was die Jagd nach dem runden Leder angeht, waren die Slowenen im so brutal zerbrochenen Staatengebilde Jugoslawien nie sonderlich gut gelitten. Das Völkchen aus dem Norden wurde zwischen Belgrad, Zagreb und Sarajevo durchaus abschätzig als „Skifahrer“ bezeichnet. Und auch auf anderen Bereichen sehen Kroaten und Serben die Slowenen nicht so sehr als Teil des slawischen Kulturkreises, sondern mehr als „kleine Nachmacher der Österreicher“. Dass Slowenien der einzige jugoslawische Nachfolgestaat ist, der es in die EU geschafft hat (vor mittlerweile sechs Jahren) und dort unter den neueren Mitglieder doch so ein wenig der Musterschüler ist, unterstützt diese Sichtweise natürlich maßgeblich.
Weshalb es vor allem den stolzen Kroaten irrsinnig wehtut, dass die ungeliebten Serben bei der WM dabei sind, die belächelten Slowenen auch, sie selbst aber nicht. Zumal es noch wenige Spiele vor Ende der Qualifikation so ausgesehen hatte, als sollte auch Matjaž Kek den Umschwung nicht schaffen können. Nach der Niederlage in Nordirland war der Playoff-Platz fünf Punkte weg, zudem lagen mit den Slowaken, den Tschechen und den Polen drei Mannschaften zwischen den Slowenen und dem Platz, der zu den Entscheidungsspielen berechtigt hätte. Das Thema war erledigt. Scheinbar.
Dann, im Herbst, drehte die Legionärstruppe so richtig auf: Nach dem Pflichtsieg gegen San Marino wurden die Polen 3:0 vom Platz gefegt, der Slowakei auswärts mit 2:0 die vorzeitige Qualifikation verhagelt, und mit dem abschließenden Sieg (dem 3:0 in San Marino) und den tschechischen Umfallern gegen Nordirland und die Slowakei war sensationell der zweite Platz fix. Und dann kam das Los: Russland. Die ganze Mühe schien umsonst, der EM-Semifinalist nach einer ordentlichen Qualifikation (in der nur gegen Deutschland verloren wurde) mindestens eine Nummer zu groß. Eher zwei oder drei. Im Hinspiel waren die Slowenen auch völlig chancenlos, über ein 0:5 hätte sich keiner beschweren dürfen. Aber die Russen versäumten die Entscheidung, Nejc Pečnik erzielte kurz vor Schluss das Auswärtstor zum 1:2, und die Slowenen glaubten plötzlich selbst daran, dass ein Ticket nach Südafrika drin war. Und mit unbändigem Willen gelang letztlich der 1:0-Erfolg im Rückspiel, in dem die Russen die Nerven völlig wegwarfen.
Das Erfolgsgeheimnis liegt bei den Slowenen sicherlich im Teamgeist und im vollen Einsatz für die Mannschaft. Nicht zuletzt war es Stürmerstar Milivoje Novakovič (der es über die Regionalliga vom SAK Klagenfurt und Voitsberg mittlerweile in die deutsche Bundesliga geschafft hat), der sich bei seinem Verein, dem 1. FC Köln, mächtigen Ärger einhandelte, als er sich erst nach einer Blessur von Köln auf die Tribüne setzen ließ, um wenige Tage später putzmunter für sein Nationalteam aufzulaufen. Und ein weitere Faktor ist natürlich, dass kein einziger Spieler aus der heimischen Liga auch nur im näheren Kandidatenkreis für das Aufgebot ist. Logisch, schließlich rangiert die „Prva Liga“ im europäischen Vergleich auf dem 35. Platz – hinter den Ligen aus Moldawien, Lettland und Litauen.
Diese Legionäre spielen aber nicht für die Topteams dieser Länder, die meisten nicht einmal in besonders renommierten Ligen. Eine Belgien-Legionäre gibt es, auch bei griechischen Mittelständlern, Andraž Kirm spielt in Polen. Andere spielen zwar in größeren Ligen, aber dort eher hinten – bei Abstiegskandidaten oder gar Zweitligisten aus Frankreich und Deutschland bedient sich Kek ebenso. Und Matej Mavrič, Alternative in der Innenverteidigung, ist gerade mit Koblenz in die dritte deutsche Liga abgestiegen.
Dass es dennoch funktioniert, spricht für diese Spieler. Von denen praktisch alle genau wissen, woran sie stehen, denn Kek rotiert de facto gar nicht. In den erfolgreichen Qualispielen, genauso wie in Testmatches seither, spielte immer die exakt selbe Mannschaft von Beginn an. Diese beinhaltet mit Samir Handanovič von Udinese Calcio nicht nur einen der noch bekanntesten Spieler von einem halbwegs bekannten Klub, sondern im 25-Jährigen auch noch einen der besseren seiner Zunft. Sein Cousin Jasmin spielt in der Serie B, ist im Team nur der dritte Mann.
Davor vertraut Kek einem klassischen 4-4-2 mit einem eher defensiv ausgerichteten Mittelfeld. In der Abwehrzentrale sind Boštjan Cesar vom französischen Prügelknaben Grenoble und Marko Šuler vom belgischen Überraschungsteam Gent gesetzt, links hinten gibt es zu Bojan Jokić (Chievo Verona) keine ernsthafte Alternative. Rechts war zuletzt Mišo Brečko gesetzt, er spielte in Köln aber keine gute Saison. Branko Ilič von Lok Moskau kann sich daher durchaus noch Hoffnungen machen.
Im zentralen Mittelfeld sind Robert Koren, der gerade mit West Brom in die Premier League aufgestiegen ist, und Aleksander Radosavljevič dafür zuständig, erst einmal die gegnerische Offensive zu bremsen. Wenn es nötig ist, offensiver zu werden, stehen Teamchef Kek aber durchaus Alternativen zu Verfügung. Etwa Nejc Pečnik, der sich hinter den Spitzen am wohlsten fühlt, oder das große Talent Rene Krhin. Der 20-Jährige hatte bei José Mourinho in der abgelaufenen Saison eine Handvoll Einsätze bei Inter Mailand. Mehr als ein Joker ist er aber im slowenischen Team auch (noch) nicht.
Auf der rechten Mittelfeldseite steht mit Andraž Kirm ein gelernte Außenverteidiger, wesentlich offensiver in seiner Grundhaltung ist da der Mann auf der linken Seite. Valter Birsa vom französischen Sensationsteam Auxerre sieht sich eher als Stürmer, muss bei Kek aber eben eher auf die linke Seite ausweichen. Denn in der Sturmzentrale sind Zlatko Dedič und Milivoje Novakovič, beide in den hinteren Regionen der deutschen Bundesliga unterwegs, gesetzt.
Das Problem von Matjaž Kek ist, dass es zu fast keinem aus seiner ersten Mannschaft eine echte Alternative gibt. So ist das Team zum einen fast zwingend darauf angewiesen, dann es zu keinen Verletzungen oder Sperren kommt. Zum anderen wurde die Endrunde in Südafrika vor allem dadurch erreicht, dass sich die Mannschaft über einen vergleichweise kurzen Zeitraum von zwei, drei Monaten in der Topform befand, die sie letztlich zur WM hievte. Daher wird es eine der zentralen Fragen sein, was das wahre Gesicht der Slowenen ist – das der letzten Monate, oder das von der Zeit davor?
Andererseits sind die Slowenen trotz der auf dem Papier eher mäßig interessanten Gruppe gegen Algerien und die USA einmal mehr der Außenseiter. Eine Rolle, die ihnen gut liegt, wie sich nicht zuletzt gegen die turmhoch favorisierten Russen gezeigt haben. Keine Frage, für die Slowenen ist schon alleine die Teilnahme so viel wert wie für andere Länder ein Finaleinzug oder gar der Titel. So haben sie auch in Südafrika rein gar nichts zu verlieren und ihre Welt würde auch bei drei Niederlagen (realistisch betrachtet besteht nur gegen Algerien die Chance auf Punkte) die Welt nicht untergehen.
Denn sie sind dabei. Womöglich wäre es also an der Zeit, dass Österreich zu den kleinen Nachmachern Sloweniens würde.
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SLOWENIEN
ganz in weiß, Nike – Platzierung im ELO-Ranking: 47.
Spiele in Südafrika:
Algerien (Mittagsspiel Sa 13/06 in Polokwane)
USA (Nachmittagsspiel Fr 18/06 in Johannesburg/E)
England (Nachmittagsspiel Mi 23/06 in Port Elizabeth)
TEAM: Tor: Jasmin Handanovič (32, Mantova), Samir Handanovič (25, Udinese), Aleksander Šeliga (30, Sparta Rotterdam). Abwehr: Mišo Brečko (26, Köln), Boštjan Cesar (28, Grenoble), Branko Ilič (27, Lok Moskau), Bojan Jokić (24, Chievo), Dejan Kelhar (26, Cercle Brugge), Matej Mavrič (31, Koblenz), Marko Šuler (27, Gent). Mittelfeld: Andraž Kirm (25, Wisla Krakau), Andrej Komac (30, Maccabi Tel-Aviv), Robert Koren (29, West Bromwich), Rene Krhin (20, Inter Mailand), Aleksander Radosavljevič (31, Larissa), Mirnes Šišić (28, Giannina), Dalibor Stevanovič (25, Arnheim). Angriff: Valter Birsa (23, Auxerre), Zlatko Dedič (26, Bochum), Milivoje Novakovič (31, Köln), Zlatan Ljubijankič (26, Gent), Nejc Pečnik (24, Nacional Funchal).
Teamchef: Matjaž Kek (48, Slowene, seit Jänner 2007)
Qualifikation: 1:1 in Polen, 2:1 gegen die Slowakei, 2:0 gegen Nordirland, 0:1 in und 0:0 gegen Tschechien, 0:1 in Nordirland, 5:0 gegen San Marino, 3:0 gegen Polen, 2:0 in der Slowakei, 3:0 in San Marino. 1:2 in und 1:0 gegen Russland.
Endrundenteilnahmen: 1 (2002 Vorrunde)
>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Côte d’Ivoire, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile
* Die Platzierung im ELO-Ranking bezieht sich auf den Zeitpunkt der Auslosung