Weltmacht? Nicht auf dem Fußballplatz

WM-SERIE, Teil 7: U.S.A. | Immer dabei, selten mittendrin: Das US-Team ist zum sechsten Mal hintereinander bei einer Endrunde, dort wechselten sich respektable Resultate aber oft mit Totalabstürzen ab. Ein Trumpf könnte diesmal die leichte Gruppe sein.

Er ist und bleibt eine Randsportart, der Soccer in den Staaten. Er leidet nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit, das keineswegs, aber zum echten Volkssport wird es der „Association Football“, wie die offizielle Bezeichnung im Land der offensichtlich doch nicht ganz so unbegrenzen Möglichkeiten lautet, wohl nicht mehr schaffen. Das ist einerseits schade, weil das Land groß genug ist, auch im Fußball genügend Talent zusammen zu bringen, um mehr aus sich zu machen. Andererseits ist es immer wieder ulkig mit anzusehen, dass die in den meisten anderen Bereichen so dominante USA zumindest hier noch so ein wenig den Exotenstatus innehat.

Was natürlich mehr an der inner-amerikanischen Wahrnehmung liegt, weniger an den gezeigten Leistungen. Denn da hat man den Nord- und Mittelamerikanischen Platzhirschen Mexiko mit einigen wichtigen Siegen (wie beispielsweise dem 2:0-Erfolg im WM-Achtelfinale 2002) schon so weit zermürbt, dass dieser das Gefühl der grenzenlosen fußballerischen Überlegenheit gegenüber den Staaten längst eingebüßt hat. Es ist ein Hin und Her – im letzten Sommer gab es ein 5:0 der Mexikaner gegen ein Reservisten-Team der Amerikaner, in der WM-Quali (in der die US-Boys die Gruppe knapp gewinnen konnten) gab es jeweils Heimsiege.

Zum Aufschwung der letzten Jahre entscheidend beigetragen hat da natürlich die Tatsache, dass zahlreiche Akteure im US-Team durch Erfahrungen aus Europa, vor allem dem Stahlbad Premier League, an Qualität deutlich mehr gewonnen haben, als das in der MLS, der eigenen Meisterschaft, möglich wäre. Die Liga, die in Europa hauptsächlich durch die Werbefigur David Beckham (der seit zwei Jahren hauptberuflich bei den L.A. Galaxy über das Feld trabt) wahrgenommen wird, hat sich ihren Platz in der amerikanischen Sportlandschaft gesichert und der Zuschauerschnitt von 16.000 in der abgelaufenen Saison kann sich, wie auch das sportliche Niveau, durchaus mit europäischen Mittelklasse-Ligen vergleichen. Zu mehr reicht es aber nicht, weswegen viele den Sprung nach Europa wagen.

Angesichts der Tatsache, dass der Fußball im eigenen Land nicht so im Licht der Öffentlichkeit steht wie etwa Football oder Basketball, lässt sich natürlich auch mit viel mehr Ruhe arbeiten. So ist der 52-jährige Bob Bradley erst der zweite Teamchef, der die Mannschaft in den letzten zwölf Jahren betreut. Der einstige Meistertrainer der Chicago Fire übernahm das Amt nach der WM in Deutschland von Bruce Arena, nachdem man mit Wunschkandidat Jürgen Klinsmann keine Einigung erzielen konnte. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigte: Bradley konnte den ruhigen, seriösen Kurs von Arena, der mit dem Viertelfinal-Einzug bei der Endrunde in Südkorea einen der größten Erfolge der US-Fußballgeschichte einfahren konnte, weiterführen: Mit trockenem Abwehrspiel, großer taktischer Disziplin, mit Kampfkraft und Teamgeist – so sieht das Spiel des US-Teams im Normalfall aus.

Stilistisch bedeutete der Wechsel von Arena auf Bradley eine leichte Korrektur zu offenerem Spiel, die aber sanft vollzogen und beim Confed-Cup letztes Jahr mit dem Vorstoß ins Finale (das dann nur knapp verloren wurde) belohnt wurde. Der Weg dorthin war allerdings typisch amerikanisch, ähnlich wie bei der WM 2002: Ein gutes und zwei schreckliche Spiele in der Vorrunde, sich so irgendwie in die nächste Runde schleppen, um dort dann aufzutrumpfen. Wenn das klappt, gut – es geht aber nicht immer auf. Bei der letzten WM in Deutschland gab es ein gutes Spiel gegen Italien, aber zwei enttäuschende Niederlagen gegen Ghana und die damals schon schwächelnden Tschechen, und das reichte in diesem Fall eben nicht. Und bei der WM in Frankreich 1998 waren die Amerikaner gar die schlechteste aller 32 Mannschaften.

Diesmal wird wieder viel erwartet – auch wegen der als eher leicht einzuschätzenden Gruppe, die den US-Boys zugelost wurde. Die Position, auf der die Amerikaner immer am wenigsten Sorgen hatten, ist auch diesmal stark besetzt: Die des Torhüters. Tim Howard ist der Nachfolger von Kasey Keller und Brad Friedel; der Everton-Schlussmann gilt zu Recht als einer der besten Torhüter auf der Insel und soll auch bei der Endrunde in Südafrika sicherer Rückhalt sein.

Vor ihm bilden üblicherweise Kapitän Carlos Bocanegra und Milan-Legionär Oguchi Onyewu das favorisierte Innenverteidiger-Gespann von Teamchef Bob Bradley. Doch hinter Onyewu, der nach vielen Jahren in Lüttich und auffällig starken Spielen beim Confed-Cup nach Italien gewechselt war, steht noch ein Fragezeichen: Im Herbst riss die Achillessehne. Zwar sollte der 1.93m-Riese mit den nigerianischen Wurzeln rechtzeitig wieder fit sein, aber ob seiner mangelnden Spielpraxis darf sich Jonathan Spector von West Ham realistische Chancen ausrechnen, in der Startformation zu stehen. Der ist zwar eigentlich ein Außenbahnspieler, nahm aber in den ersten Testspielen nach Onyewus Verletzung dessen Position in der Zentrale ein. Ansonsten ist Spector ein Kandidat für die rechte Außenposition, um die er mit dem Routinier Steve Cherundolo, langjähriger Bundesliga-Legionär für Hannover, kämpft. Links hinten ist Jonathan Bornstein gesetzt. Der 25-Jährige von Chivas Los Angeles ist im Übrigen ein Volksheld in Honduras: Er erzielte in der Nachspielzeit des für die US-Boys schon bedeutungslosen letzten Quali-Spiels gegen Costa Rica noch den Ausgleich, der den Costaricanern die entscheidenden zwei Punkte kostete und Honduras doch noch das WM-Ticket sicherte.

Im Mittelfeld verfügt Bradley vor allem in der Zentrale über Variationsmöglichkeiten auf den zwei offenen Plätzen; je nach Bedarf mit zwei Defensiven, oder aber auch einem zentralen offensiven Mann. Die etwas defensive Variante wäre die mit Ricardo Clark, einen klassischen Sechser, der auch über einen kraftvollen Schuss verfügt. Nicht unwichtig, sollte es notwendig sein, die Brechstange auszupacken. Ihn bringt Bob Bradley vor allem dann, wenn er im Mittelfeld auf Spielkontrolle aus ist. Für eine offensivere Spielauslegung in der Mittelfeld-Zentrale wäre statt ihm Benny Feilhaber vorgesehen – jener gebürtige Brasilianer, der über seinen Großvater (einen österreichischen Kriegsflüchtling) auch einen rot-weiß-roten Pass sein Eigen nennt. Dass der aus der HSV-Jugend hervorgegangene 25-Jährige regelmäßig zum Einsatz kommt, mag überraschen, schließlich spielt er beim dänischen Mittelständler Aarhus, und somit weder in einer starken Liga noch bei einem Verein, der international vertreten ist.

Während sich Clark und Feilhaber um einen Platz streiten, hat der Nebenmann den seinen sicher: Die Allzweck-Waffee in der Mittelfeld-Zentrale kommt aus Teamchef Bob Bradleys eigenem Haus, es ist sein Sohn Michael. Der kann sowohl eine zurückgezogenere, als auch eine nach vorne orientierte Rolle spielen und hat zudem bei Borussia Mönchengladbach in einer starken Liga einen Stammplatz, was ihn trotz seines noch nicht allzu reifen Alters (Bradley junior ist erst 22 Jahre alt) zu einem schwer verzichtbaren Fixpunkt macht.

Solche gibt es auch auf den Außenpositionen im Mittelfeld, die von zwei gelernten Stürmern eingenommen werden. Rechts ist dies üblicherweise Clint Dempsey, der sich bei Fulham zu einer fixen Größe entwickelt hat und vor allem durch seine Schnelligkeit punkten kann. Links ist es an Landon Donovan, die Stürmer in Szene zu setzen. Donovan ist eine sehr ambivalente Figur: Obwohl der 28-Jährige schon weit über 100 Länderspiele auf dem Buckel hat, dabei zahllose Tore erzielen konnte und immer derjenige war, von dem die meiste Kreativität ausgegangen war, gilt er zumindest in Europa immer noch als stecken gebliebenes Talent. Weder bei Bayer Leverkusen noch bei den Münchner Bayern konnte er sich durchsetzen, nun versucht es der Kalifornier bei Everton, sich doch noch einen bleibenden Namen auf dem alten Kontinent zu machen. Ähnlich wie sein Teamkollege von L.A. Galaxy, David Beckham, ist er nach Saisonende der MLS auf Leihbasis über den Atlantik gewechselt.

Mit der geballten Kreativität und der durchaus vorhandnen Klasse des Mittelfelds kann aber die Abteilung Attacke nicht ganz mithalten. Hier hat Bob Bradley viele Kandidaten, aber keinen Top-Mann zur Verfügung. Da wäre zum Beispiel Conor Casey. Der robuste Strafraumstürmer konnte sich nach guten Leistungen in der zweiten deutschen Liga nicht nachhaltig empfehlen und spielt heute genauso in der MLS wie der 31-Jährige Hawaiianer Brian Ching, der die US-Liga überhaupt noch nie verlassen hat. Mehr über seine Schnelligkeit kommt Charlie Davies, der nach zwei guten Jahren in Schweden nun in Frankreich bei Sochaux aber unterzugehen droht. Eine weitere Option ist Jozy Altidore, der bei der U20-WM in Kanada 2007 erstmals auf sich aufmerksam machte, und bei Hull City in der Premier League zwar im Abstiegskampf steckt und vor dem Tor recht harmlos agiert, aber wenigstens regelmäßig zum Einsatz kommt. Anders als Freddy Adu: Das einstige Wunderkind ist mittlerweile 20 Jahre alt, wird von einem Verein zum nächsten geschoben, spielte im Herbst bei einem bedeutungslosen Klub wie Belenenses Lissabon überhaupt keine Rolle und versucht sich nun bei Aris Saloniki wohl vergeblich, an der Seite von Landsmann Eddie Johnson noch auf den WM-Zug aufzuspringen.

Alles, was sich da vorne um die Plätze streitet, ist also wahrlich nichts Weltbewegendes, weshalb es nicht verwundert, dass sich die Amerikaner vor allem gegen physisch starke Abwehrreihen (wie etwa in der WM-Quali gegen Mexiko) schwer tun. So ist es auch nicht zu erwarten, dass im Auftaktspiel bei der WM-Endrunde gegen England den Abwehr-Tiere Terry und Ferdinand viel entgegen zu setzen sein wird. Das erste Spiel der Amerikaner in Südafrika ist überhaupt ein sehr zentrales: Nicht nur, dass zahlreiche US-Boys in England ihr Geld verdienen; es kann auch den Ton für den weiteren Verlauf der WM setzen. Schaffen es die Amerikaner, den Engländern zumindest einen Punkt abzunehmen, ist dies die halbe Miete für das Achtelfinale. Setzt es eine Auftaktniederlage, womöglich noch mit einer schlechten Leistung, steht man gegen Slowenien und Algerien schon unter Druck. Natürlich sind die US-Boys der programmierte Zweite in dieser Gruppe, und die „kleinen“ Gruppengegner sollten im Normalfall keine elementaren Hürden darstellen. Aber da die beiden immerhin Russland bzw. Ägypten in der Qualifikation eliminiert hatten, dürfen sie auch nicht unterschätzt werden.

Geht es programmgemäß zu, wartet im Achtelfinale Deutschland. Das käme den Amerikanern nicht ungelegen, denn mit der DFB-Auswahl ist noch eine Rechnung offen, aus dem Jahr 2002. Damals spielte man im Viertelfinale den späteren Finalisten zwar an die Wand, verlor aber gegen eine erscheckend schlechte deutsche Mannschaft mit 0:1.

Man sieht sich im Leben also womöglich wirklich mitunter zweimal.

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U.S.A.
weißes Trikot, blaue Hose, Nike – Platzierung im ELO-Ranking: 16.

Spiele in Südafrika:
England (Abendspiel Sa 12/06 in Rustenburg)
Slowenien (Nachmittagsspiel Fr 18/06 in Johannesburg/E)
Algerien (Nachmittagsspiel Mi 23/06 in Pretoria)

TEAM: Tor: Brad Guzan (25, Aston Villa), Tim Howard (31, Everton), Troy Perkins (28, Valerenga Oslo). Abwehr: Jonathan Bernstein (25, Chivas L.A.), Carlos Bocanegra (31, Rennes), Steve Cherundolo (31, Hannover), Clarence Goodson (28, Kristiansand), Frankie Hejduk (35, Columbus), Chad Marshall (25, Columbus), Oguchi Onyewu (28, Milan), Jonathan Spector (24, West Ham). Mittelfeld: Kyle Beckerman (28, Salt Lake), Michael Bradley (22, M’gladbach), Ricardo Clark (27, Houston), Clint Dempsey (27, Fulham), Landon Donovan (28, Everton), Benny Feilhaber (25, Aarhus), Stuart Holden (24, Houston), Sacha Kjlestan (24, Chivas L.A.), Logan Pause (28, Chicago). Angriff: Jozy Altidore (20, Hull), Conor Casey (29, Colorado), Brian Ching (32, Houston), Jeff Cunningham (33, Dallas), Charlie Davies (23, Sochaux), Eddie Johnson (26, Aris Saloniki).

Teamchef: Bob Bradley (52, US-Amerikaner, seit Dezember 2006)

Qualifikation: 8:0 gegen und 1:0 auf Barabados. 1:0 in Guatemala, 1:0 auf Kuba, 3:0 gegen Trinidad, 6:1 gegen Kuba, 1:2 auf Trinidad und 2:0 gegen Guatemala. 2:0 gegen Mexiko, 2:2 in El Salvador, 3:0 gegen Trinidad, 1:3 in Costa Rica, 2:1 gegen Honduras, 1:2 in Mexiko, 2:1 gegen El Salvador, 1:0 auf Trinidad, 3:2 in Honduras und 2:2 gegen Costa Rica.

Endrundenteilnahmen: 9 (1930 Dritter, 34 Achtelfinale, 38 Vorrunde, 90 Vorrunde, 94 Achtelfinale, 98 Vorrunde, 2002 Viertelfinale, 06 Vorrunde)

>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Elfenbeinküste, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile

* Anm.: Die Platzierungen im ELO-Ranking beziehen sich auf den Zeitpunkt der Auslosung.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.