Schweiz nah dran, aber effizientere Spanier holen den EM-Titel

„Spanien ist Europameister“ – nicht zum ersten Mal gibt es in jüngerer Vergangenheit eine solche Meldung. Im Finale der U21-EM in Dänemark machte es das Team der Schweiz mit Zauberzwerg Shaqiri und Supertalent Xhaka den Iberern lange sehr schwer. Doch die Albiroja nützte die wenigen Chancen besser.

Spanien - Schweiz 2:0

U17-Weltmeister sind sie schon, die Schweizer. Amtierender sogar – zumindest, bis in zwei Wochen in Mexiko der Nachfolger gekürt wird. Mit Granit Xhaka und dem im Finale eingewechselten Pajtim Kasami sind sogar zwei dieser Truppe diesmal dabei gewesen. Beim Finale der U21-Europameisterschaft. Dessen Erreichen ein weiterer Beweis für die hervorragende Arbeit ist, die in diesem Land geleistet wird. Und was die Spanier können, der Gegner im Finale, ist ohnedies bekannt. Welt- und Europameister bei den „Großen“, und auch im U-Bereich sind die Iberer derzeit in der Weltspitze. Nicht umsonst gelten sie bei der U20-WM in Kolumbien, die in diesem Sommer stattfindet, als aussichtsreicher Mitfavorit.

Pierluigi Tami, Teamchef der Schweizer, tauschte gegenüber dem Semifinale gegen Tschechien nicht nur personell aus – U17-Weltmeister Xhaka konnte nach abgesessener Sperre wieder mitmachen, Hochstrasser blieb dafür draußen – sondern veränderte auch das System. Aus dem 4-1-4-1 im Semifinale wurde ein 4-4-2, in dem allerdings die Flügelspieler im Mittelfeld (Shaqiri und Emeghara) oftmals weit aufrückten, sodass es in der Praxis gerne ein 4-2-4 war. Ebenso erstaunlich auch die Rolle von Xhaka: Statt als zentraler Offensivmann im Mittelfeld stand der Jungstar vom FC Basel extrem tief, oftmals tiefer als der Sechser Fabian Lustenberger, und nahm überwiegend Defensiv-Aufgaben wahr.

Defensiv-Arbeit im der gegnerischen Hälfte

Der Clou an der Zwei-Stürmer-Variante bei den Schweizern war aber weniger, dass vorne mehr Anspielstationen gewesen wären. Nein, vielmehr waren Mehmedi und Fabian Frei die vordersten Verteidiger: Sie kümmerten sich abwechselnd, und mitunter auch gemeinsam, um Javi Martínez. Der ist bei den Spaniern, die gegenüber dem 3:1-Sieg nach Verlängerung gegen Weißrussland unverändert aufliegen, der wichtigste Mann in der Spieleröffnung, aber da der Weltmeister aus Südafrika (wo er als Back-up für Busquets im Kader stand) war komplett kaltgestellt.

Die Folge war, dass das Angriffsspiel der Spanier sehr eindimensional war und sich in der Form einer Sanduhr auf dem Feld präsentierte, vor allem auf der linken spanischen Seite: Außenverteidiger gibt nach innen ab, vor dem schweizer Strafraum wieder zurück nach außen. Auf Rechts zeigte zwar Emeghara massive Schwächen in der Rückwärtsbewegung, nagelte aber Montoya schon alleine duch seine Präsenz und die ständige Gefahr von schnellen Vorstößen hinten fest;, Mata ging immer wieder zentral, wurde dort aber gut von Xhaka aufgenommen.

Auf links hatte Didac Vila zwei Möglichkeiten: Entweder selbst mit dem Ball marschieren, was gegen den giftigen Shaqiri kaum zum Erfolg führte. Oder, was er vermehrt tat, kurz auf Alcantara oder den recht tief agierneden Muniain ablegen und auf den Doppelpass gehen. Das Problem dabei: Durch die Eliminierung von Martínez wurde auch diese Variante seinem Platz beraubt und der wie das Amen im Gebet erfolgende Pass in den Lauf des Flügelspielers (Alcantara auf Muniain bzw. Muniain auf Didac, je nachdem) konnte von den Schweizern problemlos abgefangen werden. Kein Zweifel, dass in der Vorbereitung genau auf diesen sich ständig wiederholenden Pass nach Außen aufmerksam gemacht wurde.

Wenige Chancen

Nicht uninteressant, das sei an dieser Stelle auch erwähnt, die tiefere Positionierung von Iker Muniain (und auch Mata, der jedoch nicht zur Geltung kam) gegenüber dem Halbfinale gegen Weißrussland. Diese gab dem Bilbao-Jungstar nämlich eine größere Flexibilität in seinem Aktionsradius: Er konnte zentral nach vorne gehen bzw. in die Mitte ziehen und den aufrückenden Didac bedienen, er konnte Richtung Eckfahne laufen und auf das Anspiel von Alcantara lauern, er war aber auch schnell zur Stelle, wenn Shaqiri (der selbst oft sehr weit einrückte) ihn defensiv forderte. In einer ansonsten nach Halt suchenden Mannschaft war Muniain der beste Mann.

Die Schweizer konnten, weil sie eben sehr clever auf die etwas eindimensionalen Spanier eingestellt waren und die Iberer durch eine hohe Verteidigungslinie und der durchaus Druck ausübenden De-Facto-Viererkette vorne den spanischen Ballbesitz auf 55% drücken und hatten auch durch aufmerksames Spiel in der Verteidigung kaum Mühe, die Spanier in Schach zu halten und aus dem Spiel kaum jemals auch nur in die Nähe des Tores kommen zu lassen.

Auf der anderen Seite hing durch die defensive Rolle von Mehmedi und Frei vorne und der tiefen Positionierung von Xhaka fast die ganze Spielgestaltung an Shaqiri hängen. Der kam zwar auch zur besten Chance, als er mit einem ansatzlosen Drehschuss De Gea prüfte, aber die spanische Defensive schaffte es ansonsten auch ohne massivere Anstrengungen, die Offensivbemühungen der Schweizer zu unterdrücken. So war es ein auf hohem taktischen Niveau geführtes gegeseitiges Neutralisieren ohne echte Höhepunkte.

Rückstand und Reaktion

Bis zur 41. Minute. Für einmal verschoben die schweizer Ketten bei einem hohen spansichen Seitenwechsel auf Didac Vila, dieser hatte, von Koch und Shaqiri alleine gelassen, alle Zeit der Welt für eine präzise Flanke, und Ander Herrera musste nur noch den Kopf hinhalten und zum etwas überraschend fallenden 1:0 einzunicken. Ein Tor, bis zu einem gewissen Grad aus heiterem Himmel, das die Schweizer nun zur Reaktion zwang.

Die erste, noch vor der Pause, war der Seitentausch von Shaqiri mit Emeghara. Er sollte Muniain offensichtlich durch seine offensivere Grundausrichtung ähnlich aus dem Spiel nehmen wie er das mit Mata bzw. Montoya auf der anderen Flanke gemacht hatte. Diese Maßnahme wurde aber nach dem Seitenwechsel wirder verworfen, Shaqiri ging zurück auf seine angestammte rechte Außenbahn. Dafür nahm Tami einige Minten nach Wideranpfiff – nachdem er gesehen hatte, dass es keine Besserung in Sachen Offensive gab – einen Doppelwechsel vor.

Doppelwechsel verpufft

Ab der 55. Minute

Statt Frei und Emeghara betraten Mario Gavranovic (für ganz vorne) und Amir Abrashi (für rechts) das Feld; Shaqiri rückte auf die halbrechte bis zentrale Position und Xhaka rückte nun endgültig ins Mittelfeld auf. Die beisen Basel-Spieler mit kosovarischen Wurzeln sollten nun den zentralen Offensiv-Hub geben, das wurde aber von zwei Faktoren torpediert. Zum einen war das eine sich sichtbar einschleichende Kombination aus ausgehender Kraft und zunehmender Frustration, die sich in einigen eher derben Aktionen manifestierte (wie der rüden Sense von Berardi gegen Montoya).

Und zum anderen die nicht wirklich geklärte Frage, wer denn nun Emegharas linke Seite übernehmen soll, nachdem der junge Mann von GC Zürich den Platz verlassen hatte. Der Vermutung liegt nahe, dass es Gavranovic hätte sein sollen, er kam tendenziell von dieser Seite. Aber während Emeghara „nur“ schlampig in der Defensive war, ließ Gavranovic sie ganz bleiben. Mata merkte das natürlich und nützte den sich bietenden Platz gegen den gelbvorbelasteten Berardi. Spanien hatte das Spiel im Griff.

Entscheidung statt Schlussoffensive

So wurden die Schweizer, die das ganze Spiel über schon massive Schwierigkeiten hatten, die Spitzen gefährlich zu bedienen, auch nur noch aus einem Standard gefährlich, als Neu-Nürnberger Timm Klose den Ausgleich per Kopf nach einem Shaqiri-Freistoß nur knapp verpasste. Besser machte es Thiago Alcântara auf der anderen Seite, als er einen Freistoß aus etwa 30 Metern über den verdutzten und zu weit vor seinem Tor stehenden Yann Sommer zum 2:0 versenkte, als alle noch mit einem Wechsel (Jeffrén war für Adrián gekommen) beschäftigt waren.

Das Tor brachte die Schweizer Schlussoffensive natürlich zum erliegen – es war die Entscheidung.

Fazit: Schweizer clever, aber Spanier effizienter

Mit der Maßnahme, Javi Martínez zu doppeln und den Spaniern so das Metronom zu nehmen, trafen die Schweizer die exakt richtige Entscheidung, auch die schnellen Pässe auf die Außen hatte man gut im Griff. Die Eidgenossen verpassten es aber, auch selbst aus dem Spiel heraus einigermaßen gefährlich vor David de Gea aufzutauchen. Das gelang nur bei Shaqiris Chance in der ersten Halbzeit.

Einmal in Führung, konnten die Spanier ohne größere Befürchtungen auf Verwalten spielen, weil bei den Schweizern erst zu viel von Shaqiri abhing und dann, als er mit Xhaka einen Partner gehabt hätte, die linke Seite offen gelassen wurde, was eine Einladung für die Spanier war. Es fehlte den Schweizern an den Mitteln, selbst für die Spielgestaltung zu sorgen, als es gefragt gewesen wäre. Womit letztlich beide Teams verdient im Finale standen – die Spanier wegen ihrer auch individuellen Klasse, die Schweizer wegen cleverer Arbeit in Verbindung mit einem tollen Jahrgang – und dann auch das richtige Team gewonnen hat.

PS: Das Spiel um Platz drei, welches wegen der Olympia-Quali notwendig geworden war, entschied Weißrussland dank eines späten Tores mit 1:0 gegen Tschechien für sich.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.