AF 3 & 4 | Die Schiris helfen, aber die Besseren dennoch verdient durch

Südafrika 2010 – Achtelfinals 3 und 4 | Der Tag der Legendenbildung – zwei schlimme Schnitzer von Linienrichtern bestimmen die Schlagzeilen. Die Engländer waren aber um so vieles schlechter als Deutschland, dass es keine Entschuldung sein darf. Die Mexikaner dürften schon eher jammern – tun dies aber genauso wenig.

Deutschland – England 4:1 (2:1)

Deutschland - England 4:1

Von dem Moment, als dieses Spiel feststand, war der Eindruck klar: Bei den jungen Wilden aus Deutschland war es ein „Yeah, die Engländer, denen zeigen wir, was wir können!“ Bei den bislang eher mäßig überzeugenden Engländern schien die Stimmung mehr in ein „Oh shit, die Deutschen…“ zu gehen. Und ganz genau so verlief das Spiel dann auch – von der ersten Minute an. Die deutsche Mannschaft hatte deutiche spielerische Vorteile vor allem im Mittelfeld, waren gedankenschneller und hatten mehr Zug zum Tor – während des gesamten Spiels, sogar während der besten Phase der Engländer, zu Beginn der zweiten Hälfte.

Die Engländer dagegen: Schleppend, Spielaufbau praktisch immer hintenrum, tonnenweise Alibipässe – zwei von drei Abspielen gingen vom gegnerischen Tor weg – und vor allem: Viel zu weit von den Gegenspielern weg. Schnelle Spieler wie Müller oder Podolski entwischten den englischen Außen Ashley Cole und Glen Johnsen nicht nut einmal, Upson und Terry in der Zentrale waren vom Tempo her oft gnadenlos überfordert und ihr Stellungsspiel war zuweilen noch schlechter. Zudem, und das ist das eigentlich Traurige bei diesen erfahrenen Innenverteidigern: Der junge deutsche Torwart Neuer zeigte deutlich mehr Übersicht und Genauigkeit in der Spieleröffnung als Terry und Upson zusammen. Nicht nur beim 1:0, bei dem Terry völlig verkehrt stand und Upson schlicht zu langsam war, sondern in vielen weiteren Situationen. Der erste Pass von Neuer kam praktisch immer sinnstiftend an.

Die Engländer hatten keinerlei Kontrolle im Mittelfeld, vor allem der flinke Özil konnte machen, was er wollte. Durch diese Schwäche des englischen DM kam die Hintermannschaft oft in Verlegenheit, das 2:0 der deutschen war die logische Konsequenz. Und hätte das Team von Jogi Löw dann nicht einen Gang zurückgeschalten, weil sie das Spiel eigentlich viel zu einfach kontrollierten, es hätte bis zur Pause sicherlich noch ein-, zweimal eingeschlagen. Stattdessen verkürzte Upson nach einer Standardsituation, welche die deutsche Hintermannschaft verschlafen hatte, auf 1:2 (was schon entgegen des Spielverlaufs war), eine Minute später sprang Lampards Schuss von der Latte hinter die Linie, und von dort wieder heraus. Es war natürlich ein klares Tor, welches der englischen Mannschaft vorenthalten wurde, aber verdient wäre es nicht gewesen.

Mit dem Schwung der guten Schlussphase der ersten Hälfte wollten die Engländer in der zweiten dann Verpasstes nachholem, alleine die Mittel waren untauglich. Einmal mehr schoben sie sich auf Höhe der Mittellinie den Ball hin un her, bis einer den langen Ball nach vorne versuchte. Mondbälle und oft ungenaue 30m-Pässe waren alles, was den Engländern einfiel – und natürlich hatte die deutsche Defensive, allen voran Arne Friedrich, wenig Mühe, das zu verteidigen. Im Gegenteil: Selbst in dieser Phase verbrachten die Deutschen einige Zeit in des Gegners Hälfte und waren dabei sogar torgefährlicher. Lampards Latten-Freistoß aus über 30 Metern Entfernung war die einzige wirklich gefährliche Aktion der Engländer, die während des 1:2 (37.) und dem Kontertor zum 1:3 (67.) KEINEN EINZIGEN Torschuss von innerhalb des Strafraums abgaben. Das ist mal eine „Druckphase“.

Die Konter der Deutschen zum 3:1 und zum 4:1 brachten natürlich die Entscheidung, zumal Capello mit seinen Wechseln (v.a. dem des Bullen Heskey für den mobileren Defoe) das Spiel seiner Mannschaft noch weiter herunter gebremst hatte. Dass es mit Gerrard der mit Abstand bemühteste englische Spieler war, der zehn Minuten vor Schluss dann doch noch eine gute Möglichkeit zum zweiten Treffer hatte, ist kein Zufall.

Fazit: Die falsche Linienrichter-Entscheidung zum vermeintlichen 2:2 hat den Engländern natürlich nicht geholfen und war sicherlich Mitschuld an der deutlichen Niederlage. Hauptschuld aber fraglos nicht – denn kein einziger Engländer auf dem Platz war besser als sein deutschen Pendant. Upson/Terry eine Zumutung, Lampard unsichtbar, Barry unbrauchbar im Spielaufbau, Rooney völlig aus dem Spiel (und außer Form – den hat zweifellos Ferguson verheizt), Milner harmlos, Gerrard zu wenig kreativ, und Capello hat mit seinen sinnlosen Wechseln dem englischen Spiel den Rest gegeben. Es kann keine zwei Meinungen geben, dass der Erfolg der Deutschen absolut in Ordnung geht – es sei denn, die englische Brille klebt einem vor den Augen fest.

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Argentinien – Mexiko 3:1 (2:0)

Argentinien - Mexiko 3:1

Laufstark, gutes Stellungsspiel, schnelle Konter – so hielten die Mexikaner eine halbe Stunde lang die Argentinier wunderbar in Schach, und hätten in der einen oder anderen Szene sogar in Führung gehen können – ja, müssen. Aguirre stellte sein mexikanisches Team um, spielte mit einem 4-4-2: Linksaußen Giovani rückte ins Mittelfeld zurück, auch natürlich um Angel di María gut Einhalt zu gebieten. Vorne musste Blanco natürlich dem flinken Hernández weichen, dazu durfte sich Adolfo Bautista versuchen – wenn auch nur bis zur Halbzeit. Je länger das Spiel dauerte, desto mehr zog die Tri der Mannschaft aus Argentinien den Zahn. Immer mehr wich das Tempo aus den Versuchen der Arentinier.

Die Albiceleste war in eimem 4-1-3-2 angetreten, im Gegensatz zum letzten Gruppenspiel gegen die Griechen wieder mit der stärksten Formation. Lediglich Rechtsverteidiger Nicolás Otamendi blieb in der Mannschaft. Wieder versuchten es die Argentinier aber zu viel über die Mitte, zu viel nur über Messi; die Außen Maxi Rodríguez und Di María hatten wenig Einfluss auf das Offensivspiel. Wenn es vor das Tor ging, waren es zumeist Steilpässe auf Higuaín, vor allem Osorio war einmal mehr der Schwachpunkt in der Defensive.

Just allerdings, als die Argetninier vollends einzuschlafen drohten, gingen sie in Führung: Steilpass nach vorne, Messi scheitert im ersten Versuch noch am herausstürmenden mexikanischen Torhüter Pérez, den Abpraller passte Messi zu Tévez nach vorne – und weil dieser meterweit im Abseits stand, hatte er natürlich keinerlei Mühe, zum 1:0 zu verwandeln. Ja, die Mexikaner hätten auch das Schüsschen von Messi womöglich auch so nicht mehr von der Linie gekratzt bekommen und es könnte so oder so das 0:1 gewesen sein, aber eine Fehlentscheidung war es natürlich zweifellos. Verständlicherweise waren die Mexikaner ob dieser Situation nun völlig von der Rolle – vor allem Kapitän Rafa Márquez, der immer mehr einen Zehner gegeben hatte und sich nun mit Frustfouls Luft verschaffte.

Und noch viel mehr Ricardo Osorio, der im ganzen Turnier schon das Sorgenkind war. Seinen Blackout, den viel zu kurzen Querpass des Stuttgarter Tribünen-Stammgastes dankend aufnahm und zum 2:0 traf. Mit dem Doppelschlag im Rücken allerdings ließen es die Argentinier sofort wieder deutlich ruhiger angehen, sodass der Anschlusstreffer sogar noch vor der Halbzeit nicht außer Reichweite war. Die Mexikaner reagierten nun, indem Giovani wieder in den Angriff rückte, und die Mannschaft so zum 4-3-3 zurück kehrte.

Dem trug Aguirre nach der Pause Rechnung, indem er für den schwachen Bautista nun Barrera als Linksaußen brachte. Aber weil sich Osorio immer noch nicht gebessert hatte und er sich im Zweikampf mit Tévez recht einfältig anstellte, hatte dieser wieder mächtig Platz und zog aus 20 Metern ab – das 3:0, die endgültige Entscheidung. Was man den Mexikanern aber zu Gute halten muss: Sie suchten auch danach nochden Weg nach vorne, vor allem über die linke Seite. Carlos Salcído, zweifellos der beste Linksverteidiger des Turniers bis hierhin, ist beim PSV Eindhoven offenbar nicht zufrieden, denn er war nun der Boss im Spiel und bot sich so für ganz große Klubs an. Der verdiente Lohn: Der Anschlusstreffer zum 1:3 durch Javier Hernández

Womit der Schwung bei den Mexikanern aber seltsamerweise komplett futsch war. Auch, weil die argentinische Umstellung auf 4-4-1-1 (Verón war für Tévez gekommen) und die damit verbundene Stärkung des Mittelfeldes zu greifen begann. Sehr viel mehr als Standards und Weitschüsse brachten die Mexikaner, deren rechte Seite mit Giovani nach der Pause völlig aus dem Spiel war. Die Argentinier spielten nun, erstmals in diesem Turnier, wirklich auf Halten und es gelang am Ende dann doch ohne allzu grobe Probleme.

Fazit: Die Mexikaner hielten Argentinien eine halbe Stunde gut in Schach, verpassten es aber, in Führung zu gehen. Nach dem unglücklichen Rückstand brachen sie komplett zusammen, um sich in der zweiten Hälfte wieder zu fangen. Weil sie aber nicht mehr zu ihrem spielstarken Offensivspiel kamen, sondern mehr mit Verzweiflung, kommen die Argentinier trotz der Hilfe von Signore Ayroldi an der Seitenlinie nicht zu Unrecht weiter – weil sie sich über 90 Minuten als die reifere und letztlich willigere Mannschaft präsentiert hat. Ein Lob indes noch an die Mexikaner: Carlos Salcído sprach nach dem Spiel davon, dass „es zwar unglücklich gelaufen ist, aber ein Gegentor schon mal fallen können muss“ – ohne, dass man einbricht.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.