Ein Ausflug nach London, und eine Fallstudie zum Thema fundierte Analysen und Medien.
Während es hierzulande immer noch diverse Vertreter nicht nur beim normalen Fan (bei dem sind wir kultivierte Ahnungslosigkeit oft eh gewohnt), sondern auch diverse Berichterstatter gibt, die sich Taktikdiskussionen verbieten, weil sie langweilig wären (Christoph Luke) oder Taktik wegen des hohen Zufallsfaktors im Fußball eh komplett wurscht sei (Georg Deflorian, um hier nur mal die Kerls von sportnet.at zu zitieren, einer der Speerspitzen des Online-Boulevards), möchte ich hier einmal anschaulich demonstrieren, wie in wirklich ernsthaften Ländern mit diesem Thema umgegangen wird.
Ich war am Wochenende also in London, und besorgte mir für den Rückflug die Montags-Ausgabe des Guardian. Die erste Seite des 16-seitigen Sportteils gehört den Sonntags-Topspielen (also ein Bild, eine Grafik und ein großer Manchester-Vierspalter über Liverpool-Man Utd; dazu eine Spalte über West Ham gegen Arsenal). Blättert man um, hat man links die Aufstellung der zehn PL-Spiele vom Wochenende, diverse Statistiken und die Tabelle, sowie eine große Liverpool-Story zum Topspiel. Und auf der dritten Seite befindet sich eine riesige Torres-Geschichte – und unten eine kleine, aber feine Taktik-Analyse: Die Schlüssel zum Sieg für Liverpool, ganz losgelöst von den umstrittenen Schiri-Pfiffen, die wohl tendenziell Liverpool begünstigten.
Hier wird jetzt nicht in die ganz die elementaren Details eingetaucht, aber es gibt Grundsätzliches zur Spielanlage von Liverpool, wer wofür zuständig war, warum das wie funktionierte und welche Auswirkungen auf das Spiel hatte. Das ganze veranschaulicht mit einer Grafik, wie genau der spezielle United-Schwachpunkt Evra von der rechten Liverpool-Seite ein ums andere Mal aus dem Spiel genommen wurde.
Das ist alles, wie gesagt, nicht schwer verdaulich, liest sich nicht übermäßig schwer und ist im diesbezüglich gut ausgebildeten England auch für keinen Stadionbesucher ein echtes Mysterium, kein Buch mit sieben Siegeln. Alles absolute Basics, die man ohne großen Aufwand sehen kann. Wenn man sie denn sehen will.
Auf den nächsten Seiten werden die anderen Sonntags-Spiele behandelt, ehe es noch einmal eine große, doppelseitige Nachschau auf die Samstags-Spiele gibt. Großen Raum nimmt dabei das überragende 5-0 von Chelsea gegen Blackburn ein, und weil sich der Guardian auch hier nicht lumpen lässt, wird die These, dass der Erfolg hauptsächlich an der guten Leistung des nach neunmonatiger Verletzungspause zurückgekehrten Joe Cole liegen würde, mit einer netten, kleinen Grafik veranschaulicht. Hier wird die Leistung von Cole gegen Blackburn verglichen mit der von Deco beim 2-0 gegen Liverpool drei Wochen zuvor. Und zwar nicht mit dem üblichen Zahlengedöns, sondern anhand versuchter und angekommener Pässe.
Solche Grafiken und Artikel, wie sie im Guardian wie selbstverständlich fast nebenbei echte Qualität einstreuen, kann man in den heimischen Medien lange suchen. Die Engländer sind uns also nicht nur fußballerisch deutlich überlegen, sondern auch in der Berichterstattung darüber. Das ist nichts neues, kann man sich anhand des simplen Durchblätterns einer ganz normalen Tageszeitung recht einfach und sehr schön vor Augen führen.
(phe)