Frankreich versenkt den Gastgeber; Welbecks Traumtor die Schweden

Land unter in Donetsk! Während die Franzosen mit einer Stunde Verspätung nach einem heftigen Unwetter dank einer sehr ordentlichen Leistung Gastgeber Ukrainer versenkt hat, lieferten sich Schweden und England einen offenen Schlagabtausch. Das war zwar dank des Spielverlaufs dramatisch. Aber hochklassig war es nicht.

Schweden - England 2:3 (0:1)

Es ist so eine Sache mit der flachen Viererkette im Mittelfeld, mit zwei Spielern, die in der Zentrale recht tief stehen. Es macht einen ausrechenbar, weil man auf die Außenbahnen angewiesen ist. Wenn aber zwei Teams gegeneinander spielen, die beide mit so einer Mittelfeld-Kette agieren, besteht die große Gefahr, dass die Partie vor allem eines wird: Langweilig. Nun, der Unterhaltungswert und die Dramatik beim Aufeinandertreffen von Schweden und England war durchaus gegeben. Es war ein spannendes Spiel. Aber es war weit davon entfernt, auch ein gutes Spiel zu sein.

Die Leuchttürme

Dazu spielten beide Teams zu ähnlich und zu sehr auf die gleichen Bereiche auf dem Feld vertrauend. Im 4-4-1-1 von beiden Teams gab es im Vorwärtsgang vor allem zwei Aspekte: Die Flügel und die Leuchttürme im Angriff. Wie Letztere ihre Rolle interpretierten, war der größte Unterschied bei den sonst sehr ähnlich unspektakulären Teams.

Roy Hodgson brachte bei den Engländern Andy Carroll für den Angriff zu Danny Welbeck, dafür rückte Ashley Young auf die linke Seite und The Ox auf die Bank. Keine Frage, Hodgson wollte gegen die robuste und körperlich starke schwedische Innenverteidigung einen ebenso körperlich beeindruckenden Stürmer aufbieten. In der Praxis war Carroll der Anspielpunkt, den die Engländer mit ihren langen Bällen nach vorne suchte. Carrolls Aufgabe war es, diese Anspiele zu kontrollieren, den Ball zu behaupten und so die schnellen Spielern um ihn herum – also in erster Linie Welbeck und Young – in die Aktion einzubinden.

Zlatan Ibrahimovic hingegen war zwar grundsätzlich auch hinter der Spitze aufgeboten, war aber extrem aktiv. Er wich viel auf die Flügel aus, ließ sich zurückfallen und verstand sich viel mehr als Gestalter. Oft war Ibra so weit hinten, dass er beide englische Viererketten zwischen sich und dem Tor hatte. Der Milan-Stürmer ist aber vieles – Vollstrecker, Austeiler, Weg-frei-Blocker – aber Spielmacher ist er keiner, vor allem nicht, wenn er eine extrem verdichtete Abwehr vor sich hat.

Der Kampf um die Flügel

Letztlich verteidigten beide Abwehrreihen die Mischung aus körperlicher Erscheinung und flinkem Sturmpartner beim jeweiligen Gegner ganz gut, wodurch die Flügel umso mehr in Erscheinung traten. Hier hatten die Engländer Vorteile. Nicht nur, was die individuelle Qualität der Spieler angeht, sondern auch in der Art und Weise, wie sie diese nützten. Vor allem die linke englische Seite mit den beiden Ashleys Cole und Young war recht fleißig und drückte Granqvist brutal nach hinten. Das war auch möglich, weil der schwedische RM Seb Larsson nach innen rückte.

Genauso im Übrigen wie dessen Widerpart auf der linken Seite, Rasmus Elm. Der Grundgedanke dahinter war wohl, dass man die Schnittstellen zwischen zentralem Mittelfeld der Engländer und den Außenspielern nützen wollte, aber weil Gerrard und Parker mit großer defensiver Übersicht agierte, passierte da sehr wenig.

Das konnten sie auch deshalb tun, weil sie schnell bemerkten: Von ihren direkten Gegenspielern, Svensson und Källström, war überhaupt nichts zu befürchten. Was seltsam war – denn beide können eigentlich recht gut das Spiel eröffnen, Ibrahimovic versuchte sich auch immer, frei zu laufen und anspielbar zu sein, aber sinnvolle Vorwärtspässe kamen aus derm schwedischen Zentrum überhaupt nicht.

Tore aus Fehlern und Einzel-Aktionen, nicht aus stratigischen Überlegungen

S0 war ein strategisches Patt gegeben, das eigentlich einem logischen 0:0 entgegen lief. Dass es dennoch Tore gab, lag an individuellen Abwehrfehlern (wie beim 1:0 für England, als sich weder Mellberg noch Granqvist für Carroll verantwortlich fühlten), schlechtem Verteidigen von Standards (wie beim 1:1 und dem 2:1 für Schweden, als jeweils Mellberg der entscheidende Mann war), einem krachenden Weitschuss (das 2:2 des kurz zuvor für den eher blassen Milner eingewechselten Walcott) und einer individuellen Meisterleistung von Welbeck zum 3:2-Siegtor.

Letztendlich kann man nur das Tor zum 3:2 mit einer echten strategischen Überlegung begründen, und sei es auch nur die, mit Walcott viel frischen Wind auf die rechte englische Abwehrseite zu bringen und so Martin Olsson in Verlegenheit zu bringen. Ein Zuspiel von Walcott bereitete letztlich das sensationelle Siegtor von Welbeck vor.

Fazit: Englischer Sieg nicht unverdient

Das Tempo war überschaubar, die Kreativität weitgehend nicht vorhanden. Es war, vom inhaltlichen betrachtet, ein recht enttäuschendes Spiel, das mit den Engländern aber dennoch einen verdienten Sieger gefunden hat. Sie zeigten auf den Flügeln die höhere individuelle Klasse und hatten so etwas mehr vom Spiel, und es machten einen recht ordentlichen Job, wenn es darum ging, Ibrahimovic aus dem Spiel zu nehmen.

Den Schweden wurde letztlich ihre Eindimensionalität und ihre Abhängigkeit von Ibrahimovic zum Verhängnis. Von ihm abgesehen fehlt es an der Klasse, an den Ideen und auch an der Qualität, sich gegen einen auch nicht gerade überragenden, aber individuell besser besetzten Gegner durchzusetzen. Weshalb sie auch verdient nach der Vorrunde die Koffer packen müssen.

Gegen England schaffte es Frankreich nicht, einen tief und kompakt stehenden Gegner zu knacken. Zu phantasie- und drucklos war der eigenen Auftritt. So änderte Laurent Blanc nicht nur seine Aufstellung für das Spiel gegen Gastgeber Ukraine, sondern auch das System: Hier war das Team in einem klaren 4-2-3-1 aufgestellt. Cabaye agierte neben Diarra als Achter, Nasri als zentraler Offensiv-Mann, und Jérémy Ménez kam für die rechte Seite in die Partie. Die erstmal nur vier Minuten dauerte – nach einer einstündigen Unterbrechung wegen den heftigen Unwetters ging es dann aber doch weiter.

Seltsame Abwehrkette

Ukraine - Frankreich 0:2 (0:0)

Das System der Ukrainer hing dabei ein wenig gar schief auf dem Platz. Während auf der rechten Seite Gusev, wie gewohnt, den Vorwärtsgang drin hatte, blieb Linksverteidiger Jevgeni Selin komplett hinten, rückte weit ein – vor allem, wenn Gusev aufgrückt war. So ergab sich zuweilen eine Dreier-Abwehr.

Auffällig war dabei, dass der Abstand zwischen Gusev und seinem Nebenmann in der Innenverteidigung, Taras Michalik, oftmals extrem groß war und nicht nur Ribéry, sondern auch Nasri das bemerkten und diese offene Schnittstelle auszunützen versuchten. Allerdings zunächst ohne Erfolg.

Ukrainischer Aufbau

Die Abwehrreihe der Gastgeber schob im Ballbesitz sehr weit nach vorne und stellte so sehr geringe Abstände her. Zudem ließ sich Voronin geschickt ins Mittelfeld fallen, was den Franzosen den Aufbau zusätzlich erschwerte, während er selbst gut anspielbar war.

Dazu versuchte die Ukraine, vor allem über die Seite mit dem zum Rechtsverteidiger umfunktionierten Gusev und Jarmolenko nach vorne zu kommen. Zudem ließ sich Voronin geschickt ins Mittelfeld zurück fallen, um sich dort als Anspielstation anzubieten, wären Andriy Shevchenko vorne verblieb und sich zwischen den französischen Reihen bewegte.

Entscheidender Mann in der Spieleröffnung war wenig überraschend Tymoschuk, der wieder als tiefster Spieler im Mittelfeld agierte. Der Plan war ganz offensichtlich, ihn als Ballverteiler zu nützen, der entweder Nasarenko kurz, Voronin steil odder Jarmolenko auf dem Flügel schickte. Sein Problem dabei war allerdings das des ganzen ukrainischen Teams.

Französisches Pressing

Das Pressing der Franzosen nämlich. Nasri und oft auch Cabaye setzten Tymoschuk unter Druck, Clichy und Ribéry machten das selbe auf ihrer Außenbahn, Debuchy und Ménez auf der ihren. Zudem lief Benzema geschickt, oft auch mit der Unterstützung von Nasri, die ukrainischen Innenverteidiger an. So unterband Frankreich nicht nur das Spiel des Gegners – das sich nach vorne somit immer mehr auf lange Bälle beschränkte – sondern verunsicherte ihn dabei auch noch.

Vor der Pause hatte das noch keinen zählbaren Erfolg, danach aber schon. Die deutlich verunsichert wirkenden Ukrainer schafften es auch mit Devic statt des diesmal nicht so starken Voronin nicht, die Hoheit über das Mittelfeld zu bekommen – im Gegenteil. Weil sich Devic höher orientierte als Voronin vor ihm, musste sich der französische Sechser Diarra weniger um ihn kümmern und hatte nun mehr Zeit und Ruhe am Ball. Und dann nützten die Franzosen doch noch zwei sehr stark herausgespielte Chancen zu einem Doppelschlag.

Zeit für Wechsel

Oleg Blochin brachte in der Folge mit Milevski einen weiteren Stürmer statt Nasarenko. Das war zwar nominell ein offensiver Wechsel, wirkte letztlich aber logischerweise eher kontraproduktiv – denn nun war zwischen dem tief stehenden Tymoschuk und den nun drei Stürmern endgültig kein Mitspieler mehr, dafür jede Menge Franzosen. Devic orientierte sich in der Folge etwas tiefer, um zumindest einen Verbindungsspieler zu haben. Shevchenko hingegen zog es vermehrt auf die rechte Seite von Gusev und Jarmolenko

Die französischen Mittelfeld-Außen waren zwar nicht gerade die allerfleißigsten, was die Rückwärtsbewegung angeht, aber die Ukrainer schafften es dennoch nicht, die Franzosen in Bedrängnis zu bringen. Was auch daran lag, dass es nun keinen Ukrainer mehr gab, der die französische Zentrale kontrolliert unter Druck setzen konnte. Dennoch entschied sich Blanc dafür, nicht Cabaye den nun mehr vorhandenen Platz auszunützen, sondern ließ statt ihm in der Schlussphase M’Vila neben Diarra die Anspielwege für die drei Ukrainer in der Spitze zuzustellen.

Fazit: Hochverdienter Sieg für Frankreich

Die Franzosen zeigten sich gegenüber der mauen Leistung gegen England klar verbessert. Das hohe Pressing setzte den Ukrainern ziemlich zu, viel mehr als Konter brachten sie offensiv nicht zu Stande. Frankreich zeigte die nötige Geduld und nützte den vermehrten Platz im Mittelfeld nach der Pause gut aus, ehe man routiniert den Vorsprung über die Zeit verwaltete. Davon zu schreiben, Frankreich hätte „trocken an der Uhr gedreht“, verbieten die Umstände.

Die Ukrainer hingegen müssen nach dieser Niederlage ihr letztes Gruppenspiel gegen England unbedingt gewinnen, alles andere ist für das Viertelfinale zu wenig. Der Plan, dem Gegner durch eine hohe Linie den Platz zu nehmen, funktionierte defensiv war recht ordentlich, aber im Spielaufbau waren doch erhebliche Mängel auszumachen. Dazu wurde der Halbzeit-Wechsel von Devic statt Voronin zum Bumerang, weil die Franzosen damit doch mehr Platz in der Zentrale hatten.

Womit sich Frankreich nun doch als recht eindeutig stärkstes Team der Gruppe etabliert hat.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.