Mit einer überzeugenden Vorstellung und einem verdienten 3:0-Erfolg über Island fixieren die ÖFB-Frauen endgültig den Viertelfinal-Einzug bei der EM in Holland. Dank Schweizer Schützenhilfe ist Österreich sogar Gruppensieger vor Frankreich – eine absolute Sensation. Die auch möglich war, weil man die eigenen Hausaufgaben machte und Island vor allem dank der überlegenen Strategie klar besiegte.
Was Island gut kann: Dafür sorgen, dass man nicht von hinten heraus spielen kann, weil ihre bevorzugte Spielanlage genau darauf ausgelegt ist – vor allem im neuen, erst für diese EM impementierten 3-4-3-System. Was Island nicht gut kann: Damit umgehen, wenn der Gegner mit Tempo und hohem Pressing Druck ausübt.
Was ÖFB-Frauen-Teamchef Dominik Thalhammer sehr gut kann: Gegnerspezifische, punktgenaue Matchpläne zu erarbeiten.
Mit Pressing kontrollieren und die Lust nehmen
Also presste Österreich gleich von Beginn an volle Hütte auf alles, was ein blaues Trikot anhatte. Egal, ob Wing-Back, Innenverteidigung oder Torhüterin: Sofort liefen zwei, drei Österreicherin auf die ballführende Isländerin zu. Die Folge: Befreiungsschläge blinder Natur.
Island ist als knochenharte Truppe berüchtigt – das mussten auch die Schweizerinnen erfahren, gegen die die Isländerinnen einige eher derbe Attacken auspackten. Umso entscheidender war es für Österreich, die Pressingwege auch eisenhart durchzuziehen. Da gab schon mal Nici Billa einer Gegenspielerin bewusst noch einen kleinen Schulter-Check mit. Da rannte Katharina Schiechtl eine Isländerin gleich ganz über den Haufen.
Normal ist Dominik Thalhammer kein Fan von Fouls im Pressingspiel – it beats the purpose. Aber die Konsequenz, mit der die ÖFB-Frauen durchliefen, sorgte bei Island sichtlich für Frust. Nicht vergessen: Island war trotz anderthalb sehr vorzeigbarer Leistungen schon vor dem Match fix eliminiert. Natürlich war Island darauf aus, sich nicht mit einem maximal enttäuschenden Nuller von der EM zu verabschieden. Da ist es wichtig, einem solchen Team ganz schnell die Lust zu nehmen.
Schnell nach vorne, auch mit Weitschüssen
Bei Ballgewinnen im Mittelfeld wurde bei Österreich sehr darauf geachtet, möglichst schnell einen ersten Vertikalpass zu setzen – erst dann wurde der Ballbesitz an der gegnerischen Strafraumgrenze konsolidiert. So kam man nicht in die Gefahr, aus dem Mittelfeld heraus selbst in isländische Umschalt-Aktionen zu laufen. Defensiv ließ es Island andererseits nicht zu, dass Österreich in Umschaltmomenten gleich in den Strafraum ziehen konnte.
Ein Stilmittel, das die ÖFB-Frauen recht häufig einsetzten, waren jedoch Weitschüsse von der Strafraumgrenze. Aufgrund des auch in Holland seit Tagen herrschenden Dauerregens muss der Rasen den Bällen eine für Torhüter wirklich grausige Glitschigkeit geben. Zwar gilt Gudbjörg Gunnarsdottir als eine der besseren Torhüterinnen der relativ starken schwedischen Liga, aber wenn Keeper bei solchen Bedingungen nicht die Chance bekommen, Fehler zu machen, werden sie auch keine machen.
Es war ein von Gunnarsdottir fallengelassener Ball, der Sarah Zadrazil vor die Füße fiel. Sie drückte zum 1:0 ab.
Außenverteidiger drehen den Spieß um
Auffällig war, dass Österreichs Außenverteidigerinnen relativ weit hinten blieben. Durch die hohe Positionierung der Wing-Backs im 3-4-3 konnten die Isländerinnen so Frankreich sehr gut kontrollieren, weil Frankreich vornehmlich über die Außenverteidiger aufbaut – das verhinderte Island da geschickt.
Aschauer und Schiechtl drehten den Spieß ein wenig um: Dadurch, dass sie ihre Position eher konservativ interpretierten und in weiterer Folge eher wenig in den Aufbau eingriffen, nahmen sie Islands Wing-Backs ihre taktische Existenzberechtigung. Das gab Thalhammer wiederum die Möglichkeit, mit den Mittelfeld-Außen (Makas und Feiersinger) gefahrlos Überladungen rund um den Mittelkreis herzustellen. Auch Nina Burger orientierte sich von der Spitze oft sehr weit zurück, holte sich dort Bälle, unterstützte das Pressing.
So standen Sara-Björk Gunnarsdóttir und Dagny Brynjarsdóttir – die beiden klar besten Spielerinnen Islands – im Mittelfeld-Zentrum einer permanenten, massiven Unterzahl gegenüber und gleichzeitig konnte Österreich bei Ballgewinn immer wieder mit Tempo auf die isländische Dreier-Abwehr zugehen. Damit war es Island über weite Strecken auch unmöglich, die eigenen drei Spitzen sinnstiftend einzusetzen.
Erst Rückzugsphase, dann Erleichterung
Nach 25 Minuten, noch vor dem Führungstreffer, gab es die erste Rückzugsphase der Österreicherinnen. Bis dahin war man zwar nicht zwingend vor das isländische Tor gekommen, hatte den Gegner aber gut im Griff. Erst in dieser Phase nach einer halben Stunde kam Island innerhalb kurzer Zeit zu zwei gefährlichen Szenen.
In der 37. Minute, Österreich hatte die Daumenschrauben schon wieder angesetzt, schenkte Island den ÖFB-Frauen das 1:0. Das war auch dahingehend eine Erleichterung, da die Schweiz ja zeitgleich gegen Frankreich führte und auch in Überzahl war – eine Niederlage gegen Island hätte bei diesem Stand zum österreichischen Aus geführt.
Nachdem Österreich per Eckball noch vor der Pause auf 2:0 gestellt hat (Burger? Zadrazil? Wir werden’s wohl nie endgültig klären), war die Gefahr auszuscheiden de facto gebannt.
Ein wenig an den Systemen drehen
In der zweiten Halbzeit versuchte Österreich zunächst, den Griff einigermaßen beizubehalten; stellte kurzzeitig auch auf das in der Vorbereitung immer mal wieder angetestete 3-2-2-3 um (mit den Außenverteidigerinnen Aschauer und Schiechtl auf der Sechs und Puntigam-Kirchberger-Wenninger hinten), allerdings nur situativ und nicht besonders lange.
Als sich Österreich um die 65. bis 75. Minute sicher auch aufgrund schwindender Kraftreserven mit erhöhter isländischer Präsenz um den eigenen Strafraum konfrontiert sah, wurde ebenso situativ auch wieder auf das gegen Frankreich sehr konzentriert angewendete 5-4-1 umgestellt. Nach einer längeren Phase, in der viele Fouls zwar Zeit von der Uhr nahmen, aber Island auch diverse heikle Freistoß-Positionen gewährt wurden, bekam Österreich so auch wieder Ruhe in das Spiel hinein.
Ab der 80. Minute steckte Island auf. Auf jede Aktion war innerhalb kurzer Zeit die passende österrechische Reaktion gefolgt – ein trotz ganz guter Leistungen frustrierend verlaufenes Turnier endete für Island in der vollständigen taktischen Unterlegenheit gegen Österreich. Und das erste Nationalteam-Tor der erst kurz davor eingewechselten Stefanie Enzinger zum 3:0-Endstand – aufgelegt von der ebenfalls eingewechselten Nadine Prohaska – war dann noch das i-Tüpfelchen.
Fazit: Der Grandmaster of Matchplan hat wieder zugeschlagen
„Island trat den Beweis an, dass auch nur zwei wirklich guten Spielerinnen (Viðarsdóttir und Gunnarsdóttir), eine solide Torfrau und guter Teamgeist in einer sonst ziemlich durchschnittlich besetzten Truppe reichen können, um ins Viertelfinale zu kommen.“ So hieß es in unserer Abschluss-Analyse zur Frauen-EM 2013. Dass Österreich eine solide Torfrau und einen überragenden Teamgeist hat, war bekannt. Mittlerweile sind die ÖFB-Frauen aber auch individuell breiter aufgestellt als Island – und taktisch ist man dem Viertelfinalisten von 2013 ohnehin meilenweit überlegen.
Wie kaum ein zweiter Trainer bei dieser EM kann Dominik Thalhammer sein Team zentimetergenau auf jeden Gegner vorbereiten – umso mehr, wenn er ein halbes Jahr dafür Zeit hat. Das kann in dieser Präzision vermutlich sonst nur noch der englische Teamchef Mark Sampson. Island wurde, der plötzlichen Systemumstellung bei der EM zum Trotz, von Thalhammer durchschaut. Auch das In-Game-Coaching praktisch immer punktgenau sitzt. Das war auch in diesem Spiel gegen Island so.
Meanwhile Group C winners (elect) Austria just doing their thing without a hint of drama, #WEURO2017 #SUIFRA pic.twitter.com/hHpnddPVti
— Ann Odong ⚽️📝 (@AnnOdong) 26. Juli 2017
Auf dem Platz steht dann noch ein Team, das die Vorgaben umsetzt und auch die Umstellungen während des Spiels richtig hinbekommt. Mal nicht so gut, wie im Test gegen England im April. Mal annähernd perfekt, wie in diesem Spiel gegen Island. Der Lohn dafür ist das souveräne erreichen des EM-Viertelfinales als Gruppensieger. Vor dem (vermeintlichen) Titelkandidaten Frankreich, das einen fürchterlichen Fehler der Schweizer Torfrau brauchte, um nicht gar schon in der Vorrunde auszuscheiden.