Zug in die eine Richtung – es schlägt ein. Zug in die andere Richtung – es schlägt auch ein. Während es bei einer „Doppelmühle“ aber nur zwei Optionen gibt, die den Gegner abwechselnd schwächt, packten die Bayern mit einem total schrägen System gleich einen ganzen Koffer an Messern aus, in die man die Roma laufen ließ. Am Ende stand ein 7:1 als Belohnung für dieses System-Experiment.
Als 4-2-3-1 war die Formation der Bayern offiziell angekündigt. War nicht mal in der selben Galaxie mit der Realität. Denn in dieser schickte Guardiola – der ja schon vor drei Jahren ein 3-3-4 auf die Welt (bzw. auf Villarreal) losgelassen hatte – ein Systemgebilde auf den Rasen, das so haargenau auf den Gegner abgestimmt war, dass die Roma machen konnte, was sie wollte, sie lief immer in die zahlreich lauernden offenen Messer.
Die Rolle von Robben
Am Ehesten ist das System der Bayern mit einem 3-4-3 bzw. einem 3-4-2-1 beschrieben, im Angriffsfall wurde es zu einem 2-3-5. Dabei kamen Robben und Bernat als Wing-Backs über die Außenbahnen. Gerade Robben richtete durch seine Positionierung im System enormen Schaden bei der Roma aus. Weil er mit Tempo auf Roma-LV Ashley Cole zugehen konnte, dieser damit heillos überfordert war – bis zu seinem Tor in der 9. Minute war Robben schon dreimal an Cole locker vorbeigegangen – musste der Rest der Mannschaft reagieren.
Hieß: Entweder Yanga-Mbiwa aus der Innenverteidigung oder Nainggolan aus dem zentralen Mittelfeld in Rudi Garcias gewohntem 4-3-3 mussten helfen. Was Lücken riss. Denn Müller (und auch Götze und Lewandowski, der sich tendenziell nach halblinks orientierte) waren im Zentrum da, um in diese Löcher reinzustoßen. Robben hatte so immer mehrere Optionen: Selber gehen, zurück legen, ins Zentrum passen. Alle Wege konnte die Roma gar nicht zustellen.
Asymmetrisches System
Was die Benennung des Systems der Bayern so schwierig macht, ist ihre Asymmetrie. Rechts agierte Robben hoch, wurde dabei von Lahm (der im Zentrum neben Xabi Alonso aufgestellt war) abgesichtert und zur Not stand hinten auch noch Benatia aus der Dreier-Abwehr. Links aber ging Benatias Pendant Alaba so konsequent nach vorne mit, wie das ein Linksverteidiger macht – er wurde dabei abgesichert von Xabi Alonso.
Die Bayern nahmen so alles aus dem Spiel, was die Roma potenziell gefährlich machen könnte. Die aufrückenden Außenverteidiger waren brutal hinten gebunden (Cole durch Robben; Torosidis durch Bernat). Das Pressing, das die Römer gerne aus dem Mittelfeld-Zentrum heraus anbieten, konnte gar nicht erst angesetzt werden, weil die Bayern vier zentrale Mittelfelspieler hatten, also in Überzahl waren.
Dazu sah Totti, der oft alleine im Viereck von Alonso, Lahm, Götze und Müller war, praktisch keinen Ball. Wenn die Roma nach vorne kam, dann über die Außenbahn hinter Alaba und Bernat, also zumeist durch Gervinho.
Fünf Angreifer plus Alaba
Aber hinten herrschte gegen die de facto fünf Bayern-Angreifer plus Alaba, bei denen noch dazu die drei mittleren (also Götze, Müller und Lewandowski) permanent rochierten, die totale Überforderung. Sei es Robben mit einem simplen Doppelpass (wie beim 1:0 und beim 4:0), schnelles Kreuzen von Götze und Müller (wie beim 2:0), Verwirrung durch die Doppelbesetzung auf der linken Angriffsseite (wie beim 3:0 und beim Elfer zum 5:0): An keiner Ecke der Abwehr fanden die Römer einen Ausweg.
Egal, was sie auch versuchten, sie liefen mit jedem Laufweg, jedem Zweikampf, jeder Aktion nur in ein neues offenes Messer. Wenn die Roma hinten blieb, rückten die Bayern mit fast allen Mann auf. Wenn die Roma aufrückte, ließen sich fünf Angreifer nicht kontrollieren. Verschob man in Richtung Cole, um ihm gegen Alaba zu helfen, war auf der anderen Seite alles frei. Achtete man darauf, das Zentrum zu schließen, überrannte Robben seinen Gegenspieler.
Garcia stellt um, Bayern stellt ab
Als es mit dem Stand von 0:5 in die zweite Hälfte ging, hatte Roma-Coach Rudi Garcia nicht nur Cole erlöst und durch Holebas ersetzt, sondern mit der Auswechslung des unsichtbaren Totti auch sein System auf ein klaren 4-1-4-1 umgestellt: Florenzi kam nun über rechts, Iturbe sollte links an der Linie bleiben. Die Absicht dahinter war klar: Die zuvor im 4-3-3 de facto nur je einfach besetzten Flügel nun doppelt besetzen.
Was auch funktionierte, weil die Bayern deutlich ihren Fuß vom Gas nahmen. So kam vor allem Gervinho durch die weniger konsequent abgesichterte linke Bayern-Abwehrseite immer wieder durch, zweimal rettete nur ein ausgezeichneter Manuel Neuer vor dem Ehrentreffer, der dann in der 66. Minute doch noch gelang.
Nach einer Stunde änderte Guardiola sein wildes Etwas von einem System mit der Einwechlsung von Rafinha (für Müller) in ein recht konventionelles 4-3-3. So waren die Außenbahnen gegen die trotz des schlimmen Spielstandes weiter couragierten Römer besser abgesichert; und mit Ribéry und Shaqiri kamen dann noch neue Offensiv-Kräfte. Diese belebten das im Schongang eingeschlafene Bayern-Spiel und sorgten mit ihrem Schwung für noch zwei weitere Tore zum 7:1-Endstand.
Fazit: Extrem faszinierend
Die erste Hälfte war eine der faszinierendsten der jüngeren bis mittleren Vergangenheit. Die Roma, eigentlich eine gutklassige Mannschaft mit einem sehr modernen Spiel und einem versierten Trainer sah aus wie eine Wirtshaus-Truppe. Was immer versucht wurde, das Unheil abzuwenden, machte dieses nur noch schlimmer.
Die psychologischen Effekte auf die Roma muss man erst abwarten, aber auf dem Papier hat man immer noch beste Karten auf das Achtelfinale. Deutlich spannender aber ist, dass Guardiola Sachen probiert und Systeme auspackt, die er bei Barcelona nicht im Programm hatte. Er wird es einem wohl nicht öffentlich wahrheitsgetreu sagen, aber die Frage wäre schon interessant ob er sich bei Barcelona solche ganz wilden Experimente nicht getraut hat oder ob er der Meinung war, nicht das Spielermaterial dafür zu haben.
Sicher ist nur: Jetzt traut er sich. Und er hat auch die Spieler dafür.