Luciano Spalletti hat aus Zenit St. Petersburg nicht nur den russischen Meister der letzten zwei Jahre gemacht, sondern dabei auch noch extrem attraktiven Fußball spielen lassen. Guus Hiddink hat den Emporkömmling Anshi Machatshkala in der letzten Saison zumindest in die Europa League geführt. Das direkte Duell zeigte aber deutlich auf, wie weit Anshi von der Spitze noch entfernt ist.
In der russischen Liga lässt sich mittlerweile richtig viel Geld verdienen – das ist nicht nur für Spieler ineterssant, sondern auch für Trainer. So strotzt die Liga, die erstmals nicht mehr als Kalenderjahres-Meisterschaft ausgetragen wird, nur so vor interessanten Leuten auf den Trainerbänken: Unai Emery bei Spartak, Slaven Bilic bei Lokmotiv, natürlich Leonid Slutski bei ZSKA. Und Weltenbummler Guus Hiddink, der als Coach von Anshi Machatshkala auf Luciano Spallettis Team von Zenit St. Petersburg traf.
Das ist Zenit
Der langjährige Roma-Coach Spalletti hat in den zweieinhalb Jahren, in denen er bei Zenit ist, das Team zu einem der attraktivsten in ganz Europa gemacht. Warum, wurde auch bei diesem Spiel in der Hauptstadt von Dagestan klar. Obwohl er gegenüber dem 5:0 gegen Spartak eine Woche davor mit RV Anyukov und die ZM Semak und Shirokov auf drei prominente Spieler verzichtete, ebenso fehlte der langfristig verletzte Flügelstürmer Danny und auch Kershakov war nicht mit dabei; Arshavin ist wieder zurück bei Arsenal. Das Konzept ist aber schon so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass andere Spieler auf dem Feld stehen können, und dennoch keine Abstriche gemacht werden müssen.
Das Grundgerüst der russischen Nationalmannschaft stellt Zenit, auch das 4-3-3 und das grunsätzliche Konzept hatte Dick Advocaat bei der EM von Zenit übernommen. Das Auffälligste beim amtierenden Meister ist die unglaubliche Flexibilität, die im Positionsspiel gegeben ist. Grundsätzlich ist Denisov als Taktgeber eingeplant und die ihn flankierenden Djordjevic und Siryanov als Unterstützung für die Außenverteidiger und -stürmer. Die Dreiecke, die an den Flanken gebildet werden, sind allerdings geprägt von der Tatsache, dass die Laufwege völlig unberechenbar sind.
Flexibilität und Direktheit
Da geht der Flügelstürmer schon mal ganz nach hinten, rückt der Außenverteidiger Richtung Strafraum und besetzt der aus dem Halbfeld kommende Mann die Außenbahn. Alle Varianten sind da möglich, was es dem Gegner unmöglich macht, sich wirklich darauf einzustellen. Dabei kann es aber genauso vorkommen, dass der Spieler aus dem linken Halbfeld plötzlich rechts auftaucht, dass sich Denisov nach vorne einschaltet und ein anderer absichert, und so weiter.
Die Spielweise von Zenit ist aber nicht nur von einer enormen Flexibilität geprägt, sondern auch von einer großen Direktheit im Spiel nach vorne. Es wird immer versucht, den Ball schnell durch die sich zwangsläufig bildenden Lücken im Abwehrverbund des Gegners nach vorne zu bringen. Zumeist passiert das mit Steilpässen in die Schnittstelle zwischen gegnerischen Innen- und Außenverteidigern, seltener durch Diagonalpässe. Hier kommt wieder die Flexibilität ins Spiel: Weil es für den Gegner kaum zu antizipieren ist, welcher der drei (wenn man den sehr fleißigen Mittelstürmer Kanunnikov dazurechnet, sogar vier) möglichen Angreifer steil geht, fand Zenit fast immer eine Anspielstation, während sich die Mitspieler postieren konnten.
So dominierte Zenit das Spiel klar und ging auch nach 20 Minuten hochverdient in Führung: Die Anshi-Abwehr schaffte es einmal mehr nicht, auf alle Akteure von Zenit aufzupassen, sodass Konstantin Siryanov nach einem geschickten Haken unbedrängt einschieben konnte.
Das ist Anshi
Der von Milliardär Suleyman Kerimov finanzierte Klub aus dem Krisengebiet Dagestan machte in den letzten Jahren vor allem durch große Transfers auf sich aufmerksam: Erst holte man sich Roberto Carlos (der jetzt Co-Trainer ist), dann erschlug man Samiel Eto’o mit Geld, und trainiert wird das Team von Guus Hiddink. Der gegen Zenit aber vor dem Europacup-Spiel gegen Alkmaar auf Eto’o und Zehner Mbark Boussouffa verzichtete.
Im Gegensatz zum sehr fluiden, hochattraktiven Spiel von Zenit sah Anshi hingegen fast enttäuschend normal aus – vor allem, wenn man bedenkt, dass ein Hiddink auf der Bank sitzt. Das Team spielt in einem klassischen 4-2-3-1, in dem der Brasilianer Jucilei als aus der Tiefe agierender Spielmacher die Akzente setzen soll. Das gelang dem 24-Jährigen, der vor anderthalb Jahren von den Corinthians gekommen war, aber überhaupt nicht – weil er und sein Nebenmann, Sharif Mukhammad, extrem viel in der Defensiv-Arbeit gebunden waren.
Das Spiel von Anshi wirkte vor allem deshalb langsamer, weil die Bälle viel länger gehalten wurden. Anstatt schnell den nächsten Mitspieler einzubinden, ging man bei Anshi deutlich öfter ins Dribbling, verschleppte so ein wenig das Tempo. Es wurde nach einer Option gesucht, die sich wegen den mitunter etwas lethargischen Spiels ohne Ball kaum ergab.
Wenig Struktur, viele lange Bälle
Es gelang aber auch durch das dezente, aber wirkungsvolle Pressing von Zenit, überhaupt nicht, mal selbst so etwas wie Struktur ins eigenen Angriffsspiel zu bekommen. Zudem schaffte es Anshi praktisch nie, das Tempo und die Wucht von Juri Shirkov auf der linken Außenbahn ins Spiel zu bekommen. Der Ex-Chelsea-Spieler, der bei der Euro 2008 so zu begeistern wusste, war kaum mehr als ein Mitläufer.
Und weil eben auch die Außenverteidiger mit der Übermacht von immer drei Gegenspielern pro Seite alle Hände voll zu tun hatten, blieb Anshi praktisch nur noch die Option, mit langen Bällen auf Eto’o-Vertreter Lacina Traoré vor das Zenit-Tor zu kommen. Die umsichtige Defensive mit dem Belgier Lombaerts und dem Slowaken Hubocan machte aber nicht nur in der Spieleröffnung einen guten Eindruck, sondern auch in der Defensiv-Arbeit.
Ausgleich und Umstellung
Das Einzige, was sich Zenit vorwerfen lassen muss: Den Sack nicht zugemacht zu haben. Denn so sicher die St. Petersburger die 1:0-Führung auch verwalteten – einer kann immer reinspringen. Wie nach rund einer Stunde, als sich die Abwehr von einem eckball-gleichen Einwurf von Rasim Tagirbekov überrumpeln ließ und Oleg Shatov den Ausgleich besorgen konnte.
Hiddink hatte in der zweiten Hälfte leichte Veränderungen an seiner Formation vor. Mit Mukhammad gab er seinen zweiten Sechser auf und brachte mit Georgi Gabulov einen offensiveren Spieler, der gegen den Ball zwar neben Jucilei zurück wich, ansonsten aber aufrückte. Zudem agierte Shirkov nun wesentlich höher, zuweilen als zweite Spitze neben dem für Traoré eingewechselten Fjodor Smolov.
So versuchte Anshi, in den Rücken der Halbfeldspieler zu kommen, wenn man schon gegen die Außenverteidiger keine Chance hat. Die Überlegung gegen einen in der Intensität etwas nachlassenden Gegner war grundsätzlich nicht verkehrt; aber die höhere Qualität lag dennoch weiterhin bei Zenit.
Die Gäste waren auch in der Schlussphase einem Siegtor deutlich näher als Anshi (wiewohl es bei einem Handspiel von Lombaerts eigentlich Elfmeter für die Hausherren geben hätte müssen). Der gelang nicht, so blieb es beim Remis.
Fazit: Anshi so kein Titelkandidat – Zenit hätte klar gewinnen müssen
Die Erkenntnis, dass Zenit eine wundervolle Mannschaft ist, wurde in diesem Spiel einmal mehr bestätigt. Direktes Spiel nach vorne, hohe Flexibilität, in vielen Situationen schlicht nicht ausrechenbar – alleine der letzte Punch vor dem gegnerischen Tor ging ein wenig ab. Aber generell ist der amtierende Meister natürlich auch in dieser Saison der Favorit auf den Titel und dürfte uns auch in der Champions League wieder einiges an Freude bereiten.
Dagegen verblasste das enttäuschend unoriginelle Spiel von Anshi durchaus. Das Team von Guus Hiddink hatte lange massive Probleme, die Außenbahnen zu verteidigen. Zeigte keinen echten Plan, mit spielerischen Mitteln nach vorne zu kommen. Und wurde letztlich nur aus Standards gefährlich genug, um die Zenit-Abwehr vor Probleme zu stellen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass das mit Boussouffa und Eto’o deutlich besser aussieht.
Doch so oder so: Mit dem Resultat darf Hiddink deutlich zufriedener sein als Spalletti, dessen Team eigentlich klar hätte gewinnen müssen. In dieser Form ist Anshi weit davon entfernt, ein ernsthafter Titelkandidat zu sein. Eine erneute Qualifikation für den internationalem Bewerb muss nach dieser Leistung als realistischere Zielsetzung gelten.
(phe)