Gespielt hat nur eine Mannschaft – die Bayern. Torchancen hat sich auch nur ein Team aktiv erarbeitet – die Bayern. Eine Mannschaft war bis kurz vor Schluss vorne, hatte in der Verlängerung einen Elfer und war auch im Shoot-Out vorne – die Bayern. Gewonnen hat das Finale der Champions League in München aber trotzdem Chelsea. 120 Minuten den Bus parken, einen Eckball verwerten und dann die Elfer-Lotterie gewinnen: Auch so kann man den Pokal holen.
Am 18. Mai 2005 war es, in Lissabon. Da hatte Sporting das Finale des Uefa-Cups daheim, im eigenen Stadion, gegen ZSKA Moskau. Ging dabei sogar in Führung. Und verlor letztlich dennoch mit 1:3. Fast auf den Tag genau sieben Jahre später, Schauplatz München, wiederholte sich Geschichte. Mit einem kleinen Unterschied: Ivica Olic, damals im Trikot der Russen, stand diesmal auf der falschen Seite.
So viele gesperrte Spieler
Die Tatsache, dass bei den Bayern drei Stammkräfte (Badstuber, Alaba, Luiz Gustavo) gesperrt waren und bei Chelsea gleich vier (Terry, Ramires, Meireles und Ivanovic) zwang beide Trainer zu Umstellungen. Inhaltlich schmerzte Di Matteo vor allem der Ausfall von Ramires, der in den letzten Wochen der konstanteste Spieler war, sowohl defensiv sicher als auch offensiv, ob nun zentral oder auf dem Flügeln, ein integraler Bestandteil der Mannschaft. So brachte Di Matteo den langsamen Lampard und den im Vorwärtsgang eher limitierten Mikel für die Zentrale. Bosingwa und Cahill ersetzten Ivanovic und Terry direkt.
Bei den Bayern waren die Umstellungen subtiler, aber dennoch merkbar. Was die größte Umstellung nach sich zog war die Sperre von Luiz Gustavo. Dieser ist zwar, was das Passspiel angeht, ohne Zweifel der unsicherste Bayern-Spieler und er ist im Aufbau gerade auf höchstem Niveau immer am ehesten ein Wackelkandidat, aber seine Zweikampfstärke ist unbestritten. Ohne den schmächtigen, aber in seinem Kerngebiet hervorragenden Brasilianer spielten mit Schweinsteiger und Kroos zwei Ballverteiler im defensiven Mittelfeld der Bayern, aber kein Ballgewinner mehr.
Wie Chelsea mit Robben und Ribéry umging
Alleine – ein solcher war gar nicht nötig. Chelsea präsentierte sich in einem 4-4-1-1, mit Mata sehr hoch fast auf einer Linie mit Drogba, und zwei Viererketten, die vor allem das Zentrum zumachten, sich gerade in der Anfangsphase zu zweit und zu dritt auf Robben stürzten, aber ansonsten keinerlei Druck auf den Ballführenden ausübten. Besonders auffällig war das bei Lampard und Mikel in der Mittelfeld-Zentrale.
Sie schirmten Müller ganz gut ab; ließen aber Schweinsteiger und Kroos – die beiden wechselten sich im Spiel nach vorne ab – einigermaßen unbehelligt. Sie stellten die Bayern nur, griffen sie aber nicht an. Das sah sehr passiv auf, hatte aber den Effekt, dass Chelsea die Bayern auf die Flügel zwang. Und dort hatte man gegen Robben und Ribéry eine gute Strategie am Start.
Es war abzusehen, dass die Duelle Bosingwa-Ribéry und Cole-Robben die Schlüsselduelle des Spiels werden würden. Ribéry durfte gegen Bosingwa durchaus immer wieder den Ball haben, verweigerte ihm aber durch gutes Positionsspiel und vor allem gutes Zweikampfverhalten den Weg in den Strafraum. Zusätzlich profitierte der Portugiese davon, dass das Hinterlaufen Ribérys von Alaba-Vertreter Diego Contento überhaupt nicht funktionierte. Contento spielte brav, wirkte in der Vorwärtsbewegung aber gehemmt, ging ganz selten bis zur Grundlinie durch und brachte in 120 Minuten auch nur eine einzige brauchbare Flanke in den Straufraum (in Minute 37).
Die Chelsea-Flügel: Kalou und Bertrand
Salomon Kalou ist kein besonders prickelnder Spieler. Dem Ivorer fehlt es deutlich an der Torgefahr, die ein Flügelstürmer normalerweise ausstrahlen sollten. Was er aber sehr wohl hat: Ein Gespür für sinnvolle Defensiv-Arbeit. Zweifellos war das der Grund dafür, dass er den Vorzug vor Daniel Sturridge erhalten hat. Und er erfüllte seine Aufgaben gut: Kalou schaffte es, Contento nie jenen Schub zu ermöglichen, den David Alaba in den letzten Monaten gemeinsam mit Ribéry entfalten konnte. All das jedoch: Keine echte Überraschung.
Womit allerdings viele nicht gerechnet hätten: Auf der linken Seite spielte nicht Florent Malouda, sondern der junge Ryan Bertrand in seinem allerersten Champions-League-Spiel. Der 22-Jährige ist gelernte Linskverteidiger, und das merkte man auch: Er schaute in erster Linie, dass Philipp Lahm nicht zu viel nach vorne machen konnte und Robben so möglichst isoliert war. Er mühte sich nach Kräften, aber defensiv brauchte es trotzdem immer wieder Ashley Cole, der einige Situationen bereinigen musste, und nach vorne war diese Seite tot.
Das Aufbauspiel der Bayern
Holger Badstuber ist Spieleröffner Nummer eins bei den Bayern, aber er neigt nicht zu großen Ausflügen. Das machte sein Vertreter Anatoli Tymoschuk etwas anders: Zusätzlich zu den beiden Kreativen Schweinsteiger und Kroos (die in Mata nur einen Gegenspieler hatten und so immer einer gefahrlos aufrücken konnte) vor ihm schaltete sich auch der Blondschopf, wenn auch vorsichtig, im Spiel nach vorne ein. Das Aufrücken des Ukrainers erlaubte es zusehens auch dem absichernden Spieler des zentralen Duos, sich höher zu positionierten – und natürlich auch Lahm im Zweifel auch mal vorne zu bleiben.
Zu sagen, das Spiel der Bayern hatte etwas Barcelona-eskes, wäre wohl etwas übertrieben. Aber die Münchner hatten doch sehr viel Ballbesitz und spielten von einer Seite zur anderen auf der Suche nach dem Loch im Abwehr-Verbund von Chelsea. Das wirkte oft auch ein wenig umständlich, mit zu wenig Tempo vorgetragen. Natürlich ergaben sich dadurch auch immer wieder Chancen – Robben in der 21. und 32., Müller in der 36., Gomez in der 42. – aber es fehlte ein Überraschungs-Moment, auch mal ein Tempo-Wechsel, und vor allem die wirkliche Gefahr über die Flügel.
Was aber vor allem ein Manko war: Wann immer Chelsea mal mit mehreren Spielern aufgerückt war und die Bayern eroberten in diesen Situationen den Ball, wurde zu langsam umgeschaltet, nicht konsequent genug nachgerückt und damit das Tempo aus dem Angriff genommen.
Je länger das Spiel dauerte, umso besser kam jedoch Thomas Müller in die Partie: Sobald er merkte, dass vor allem Lampard kein großes Interesse zeigte, das Zentrum zu verlassen, fing er an, zu rochieren – vornehmlich auf die rechte Seite. Weil er dort leichter anspielbar war, wurde er ein zunehmender Faktor im Spiel, er versuchte den Raum zwischen den Linie zu nützen und es war nicht unlogisch, dass er letztlich auch das Tor für die Bayern erzielen sollte.
Chelsea eher mühsam
Einen großen Offensiv-Plan hatten die Blues nicht zu bieten. Wenn der Ball erobert wurde, folge oft recht fix der lange Hafer Richtung Drogba. Damit hatten die Bayern-Verteidiger aber selten Probleme: Jerome Boateng lieferte eine starke Leistung ab und vor allem Philipp Lahm war in der Rückwärtsbewegung enorm stark, klärte immer wieder vor Drogba. Mata, die hängende Spitze, leistete auch enorm viel Arbeit gegen den Ball, rieb sich dadurch aber auf und war in der Vorwärtsbewegung kaum ein Faktor.
Bis auf einige kurze Phasen – also zwischen der 30. und 35. Minute und zwischen Wiederanpfiff und der 55. Minute – parkte Chelsea den Bus und strahlte wenig bis gar keine Torgefahr aus. Dafür verteidigten sie den eigenen Strafraum mit allem, was sie hatten. Da wurde sich in Schüsse geworfen und Bälle geblockt, dass bei den Bayern die Eckball-Statistik in lichte Höhen getrieben wurde. Das war recht mühsam anzusehen und es brauchte auch weiterhin etwas Glück, dass die Bayern weiterhin zu wenig präzise mit ihren Chancen umgingen – Ribéry in der 64., Robben in der 72., Müller in der 78. – aber bis sieben Minuten vor Schluss hielt das Bollwerk.
Nach 0:1 kommt Torres. Für den Flügel!
Als Thomas Müller in der 83. Minute doch noch das längst überfällige 1:0 für die Bayern erzielt hatte, musste bei Chelsea etwas passieren. Und Di Matteo tauschte das Personal auf den Flügeln aus: Nachdem zuvor schon Malouda statt Bertrand gekommen war, ersetzte er nun Kalou durch Torres. Das Signal war klar: Kompakte Defensive war von den Außenspielern nicht mehr gefragt, sondern der Vorwärtsgang. Dennoch brauchte es eine Ecke, um kurz vor Schluss noch zum 1:1 zu kommen. Das ist ein Vorwurf, den sich die Bayern machen lassen müssen: Sie selbst haben aus 20 Ecken nichts herausgeholt, Chelsea aus der einen sehr wohl.
Interessanterweise ging Torres nicht in die Spitze zu Drogba, sondern besetzte die rechte Seite. Es wurde auch schnell klar, warum: Der flinke Spanier, der zuletzt doch so ein wenig zu seiner Form gefunden hat, ging konsequent in 1-gegen-1-Situationen gegen Diego Contento. Damit hatte dieser merklich Probleme, was dazu führte, dass Ribéry (und nach dessen Austausch wegen Verletzung auch Olic) sehr auf sich alleine gestellt war.
Zudem zeigten David Luiz und Gary Cahill beide wirklich starke Leistungen und ließen Gomez bis auf ganz wenige Situationen in der ersten Hälfte praktisch nicht am Spiel teilnehmen. Den Elfmeter, den Robben in der 97. Minute verschoss, verursachte Drogba mit einem eher ungeschickten Foul an Ribéry.
Das Pendel schwang nun immer weiter in Richtung von Chelsea. Die linke Angriffsseite der Bayern war weitgehend stillgelegt, Schweinsteiger pumpte schon kräftig, Gomez war abgemeldet und die beiden herben Rückschläge – das Gegentor in der 88. Minute und der verballerte Elfer in der 97. – hinterließen auch psychisch ihre Spuren.
So ging’s ins Elferschießen. In dem Cech den entscheidenden Versuch von Schweinsteiger an den Pfosten lenkte. Und gerade Drogba den letzten Penalty sicher verwandelte – für den Ivorer der erste große Titel.
Fazit: Bayern haushoch überlegen, aber zu wenig konsequent
Natürlich wäre ein Sieg der Bayern in ihrem Heim-Finale hochverdient gewesen. Chelsea hatte nie das geringste Interesse daran, irgend etwas für das Spiel zu tun, sie pressten nicht auf den Gegner, die griffen nicht an, Angriffszüge suchte man vergebens, aus dem Spiel heraus gab’s genau eine einzige echte Torchance (Kalou, 38.). Die Spielweise von Chelsea war mühsam, was destruktiv, war – wie es Sky-Kommentator Reif ausdrückte – „nervig“.
Doch so sehr man auch über Chelsea jammern mag, die extrem passive Spielanlage führte letztlich zum Erfolg. Nicht, weil diese Taktik so genial gewesen wäre. Im Gegenteil: Hätte Müllers 1:0 Bestand gehabt, Di Matteo wäre wohl medial gesteinigt worden, weil er nicht einmal versucht hat, das Spiel zu gewinnen. Nein, Chelsea geht mit dem Pokal aus dem Stadion, weil die Bayern aus ihrer haushohen Überlegenheit einfach viel zu wenig gemacht haben. Und Chelsea erst aus keiner Chance ein Tor machte und dann im Elferschießen die Nerven bewahrte.
So einfach kann Fußball manchmal sein.
(phe)