Sturm ist Meister, Zeit für Zahlen

Die Schlacht ist geschlagen. Nach 36 Runden und einem teils sehr dramatischen Finish stemmte Sturm Graz den Meisterteller gen Himmel. Tränen hingegen flossen in Wien. Einerseits weil Rapid vorzeitig die Europacup-Quali verfehlte, andererseits weil die Austria zum hundertjährigen Jubiläum den Meistertitel und Platz zwei verspielte. In Salzburg durfte man aufatmen: Eine über viele Strecken verkorkste Saison fand mit dem Vizemeistertitel immerhin einen versöhnlichen Abschluss. Wir widmen uns den zwei Hauptfragen: Was war mit Österreichs „Großen Vier“ los? Und warum wurde Sturm eigentlich Meister?

Jaja. Sturm ist Meister, weil sie am Ende der Saison am meisten Punkte am Konto hatten. Das wäre natürlich die einfache Antwort, die sich jeder beim Blick auf die Tabelle selbst geben kann. Doch so einfach machen wir uns das freilich nicht. Immerhin war der Verein vor einem halben Jahrzehnt noch Bankrott und hat im Vergleich mit Rapid, der Austria und Krösus Red Bull auch weniger Budget. Überhaupt, im Vergleich mit der Truppe, die sich unter Ivica Osim in den Jahren 1998 und 1999 den Titel sicherte, ist heute eine ziemliche Noname-Truppe am Werk, der die wirklich großen Stars fehlen. Doch genug tiefgestapelt. Zeit für Statistiken und Diagramme.

Punkteschnitt-Entwicklung

Mysteriöse Wandlungen der Winterzeit

Fakt ist: Nach 19 Runden, am Ende der Herbstsaison, war die SV Ried (37 Zähler) an der Tabellenspitze. Sturm, Salzburg (je 33),  die Austria (32) und Rapid (30) trennten nur drei Punkte. Es läßt sich also folgern: Die „Großen Vier“ waren in etwa gleich gut unterwegs. Am Ende der Meisterschaft lagen zwischen Sturm, Salzburg und der Austria nur 5 Punkte. Das spricht für die Ausgeglichenheit des heurigen Ligabewerbs, insbesondere für das Kopf-an-Kopf-Rennen dieser drei Mannschaften. Sie beendeten das Ligajahr 2010/11 in der gleichen Reihenfolge. Auffällig soweit nur: Der Absturz von Ried (letztlich 8 Punkte Rückstand auf Sturm) und Rapid (-13) im Frühjahr.

Tabellen-Entwicklung

Was uns diese Zahlen aber nicht preisgeben ist die seltsame Umkehr der Heim- und Auswärtsbilanzen nach der Jahreswende. Besonders deutlich sichtbar bei Rapid und Salzburg. Beide begannen die Saison sehr heimstark – die Bullen führten zu Jahresende die Heimtabelle sogar mit 21 Punkten aus 10 Spielen an. Rapid schaffte nur einen Zähler weniger. Nach den letzten 8 Heimspielen hatte sich das deutlich verändert: Mit 3 Siegen, 3 Remis und 2 Niederlagen bilanzierte Red Bull in Wals-Siezenheim nur noch schwach positiv. Rapids Bilanz rutschte von einer nachweislichen Heimstärke in durchschnittliche Ausgeglichenheit. Salzburg jedoch vermochte die Minderleistung vor eigenem Publikum aber wett zu machen, und legte in der Auswärtsbilanz kräftig zu. Machte man im Herbst 1,33 Punkte pro Spiel in der Fremde, so waren es in den letzten 17 Runden jeweils stolze 2 Zähler.

Und Sturm? Die Blackies starteten und beendeten die Saison als zweitbestes Auswärtsteam und schoben sich 2011 vom fünften auf den ersten Rang der Heimtabelle vor. Insgesamt verbesserten  salle „Großen“ ihren Punkteschnitt im Frühjahr. Nur bei Rapid ging es relativ deutlich bergab – von 1,58 auf 1,35, da half auch der kurze „Zoki-Effekt“ nur wenig.

Die "Big 4"-Tabelle

Der Meister ließ die „Big Points“ liegen

Was sind in diesem Falle die „Big Points“? Normalerweise wird dieser Begriff verwendet, wenn (nah beinander liegende) Tabellennachbarn gegeneinander antreten. Gemessen an den Endtabellen der letzten paar Jahren waren stets Rapid, die Austria, Sturm und Salzburg – also eben die schon benannten „Großen Vier“ meist im direkten Wettstreit um die Europa-Tickets. Auch heuer lagen diese Teams (Ausnahme: Rapid im letzten Drittel) immer knapp beinander. Es bietet sich also durchaus an, die 24 Spiele, die diese Teams untereinander bestritten, gesondert zu betrachten.

Sofort fällt ins Auge: Sturm Graz hat die Meisterschaft nicht in Hütteldorf, Favoriten oder Wals-Siezenheim entschieden. Im Gegenteil: Im direkten Vergleich stinken die Blackies sogar ziemlich ab. Nur zwei Mal reichte es überhaupt zu einem Sieg (je ein Auswärtserfolg bei beiden Wiener Klubs). Mit 4 Remis und insgesamt 10 von 36 möglichen Punkten fällt ausgerechnet diese Bilanz ziemlich mager aus. Die fetteste Ausbeute machte die Truppe von Neo-Coach Ricardo Moniz, für die es mit 6 Siegen, 5 Unentschieden und nur einer Niederlage zu 21 Punkten gereichte. Die hohe Quote an Punkteteilungen verhinderte aber, dass sich ein Team sehr deutlich nach oben absetzte und Sturm für seine Patzer bestraft wurde. 9 Mal gab es ein X, damit gab es in jedem zweiten bis dritten Spiel keinen Sieger. Kurios: Alle 4 Teams holten sich das Gros ihrer „Big Points“ auswärts – Sturm und die Austria glückte dabei kein einziger Heimerfolg.

Die Punkte-Aufteilung

Kleinvieh macht viel, viel Mist

Mattersburg, Kapfenberg und Co. – die „Provinzklubs“ waren also die wichtigsten Punktelieferante für Sturm Graz. Einfach gerechnet: 56 von 66 Zählern holte man sich nicht aus Wien oder Salzburg. Dort gab es im Schnitt nur einen Punkt pro Spiel für die Grazer. Ging es gegen die „Kleinen“, so fuhr man im Schnitt 2,33 (!) Zähler nach 90 Spielminuten ein. Ein überlegener Wert. So gesehen profitierte nur Salzburg klar von den Erfolgen in den direkten Duellen, denn am Ende – durch den 4:2-Auswärtssieg bei den Veilchen – machten sie den kleinen Unterschied zwischen Rang zwei und drei. Besonders oft stolperte der SK Rapid über die vermeintlich leichteren Gegner. Die Hütteldorfer fuhren je Match in dieser Statistik nur unterdurchschnittliche 1,46 Zähler ein. Da waren die soliden Leistungen gegen Red Bull und Co. am Ende deutlich zu wenig.

Die Fieberkurve

Beständigkeit heißt: Oben bleiben

Wer Sturm heuer öfter spielen gesehen hat, wird bezeugen können, dass die spielerische Leistung am grünen Rasen teilweise alles andere als konstant gut war – rein subjektiv gesehen, versteht sich. Doch auch ein Sieg mit Hängen und Würgen ist eben ein Sieg, und so manifestierte sich der Erfolg trotz allen Makels früh in der Tabelle. Und ist damit ein mehr als eindeutiger Beweis, dass Sturm auch entgegen seiner Big-4-Bilanz der würdige Titelträger ist.

Man werfe einen Blick auf die Fieberkurve: Seit Runde 7, sprich: die letzten 29 Spieltage, befinden sich die Blackies in den Top 3. Kein anderes Team hielt sich dort derart kontinuierlich. Ähnliches brachten heuer nur die Klubs am Tabellenende fertig. Über den genau gleichen Zeitraum hat sich etwa am Tabellenplatz von Kapfenberg nichts verändert. Die Gregoritsch-Truppe hat sich seit dem 11. September 2010 auf Rang 7 einzementiert. Nicht einmal Mattersburg und der LASK : Diese  beiden Klubs liegen seit dem 12. Spieltag, dem 23. Oktober des Vorjahres, an 9. bzw. letzter Stelle.

Sturms Fieberkurve ab Rd 7

Red Bull war im Herbstdurchgang ein seltener Gast auf den Europacuprängen, rückte am Ende aber immer mehr auf. Rapid belegte überhaupt nur in der 30. Runde für eine Woche einen internationalen Startplatz, womit man sich die Abwesenheit aus der Europa League durchaus verdient hat.

Ried gegen die Big 4

Exkurs: Aber was ist mit Ried?

War da nicht gleich ein völlig unerwarteter Herbstmeister? Mit 37 Punkten zur Winterpause und seinem System aus Dreierketten hatten Paul Gludovatz‘ Wikinger aus Oberösterreich die Tabelle ziemlich aufgemischt. Manch Verwegener spekulierte zu diesem Zeitpunkt schon damit, dass der Meisterteller am Ende gar ins Innviertel gelangen könnte. Am Ende jedoch beendeten die Rieder die Saison auf Rang 4, was immer noch ein passables Ergebnis darstellt. Mit der Europa-Quali über die Meisterschaft wurde es aber nichts mehr, es wartet aber noch das Cupfinale als internationales Sprungbrett. Aber was war passiert?

Ein Blick auf die Heim- und Auswärtstabellen belegt: Ried wurde nach der Jahreswende kontinuierlich schwächer, obwohl man in den letzten 17 Runden kein einziges Mal zu Hause verlor. Dafür schaffte man auswärts auch nur  einen einzigen Sieg, ein 2:0 bei Wiener Neustadt. Der Punkteschnitt insgesamt sank von 1,95 Zählern pro Spiel auf 1,24, womit man in der Frühjahrstabelle auf Rang 7 zurückfiel.

Die „Big 4“ taten sich allesamt eher schwer mit den Riedern. Niemand schaffte mehr als 2 Siege gegen die Gludo-Elf, die Austria gar nur einen. Red Bull konnte in 4 Partien immerhin 8 Punkte einfahren und stieg damit gegen die Innviertler am besten aus. Die Meisterschaft entschied sich aber nicht auf diesem Wege, lediglich die Austria hat Grund hier dem einen oder anderen Punkt nachzutrauern. Die Veilchen haben als einziges Team der „Großen 4“ eine negative Bilanz gegen Ried. Die Oberösterreicher vollbrachten gegen die Großklubs wiederum auch keine Wunder. 5 Siege, 4 Remis und 7 Niederlagen sowie ein Punkteschnitt von 1,19 weisen Lexa & Co. nicht gerade als Favoritenkiller aus.

Fazit: Pflicht vor Kür, „braves“ Sturm ist verdienter Meister

Gegen die „Kleinen“ hui, gegen die „Großen“ pfui. Dazu eine eher mittelmäßige Heimbilanz vor der Winterpause. Die Blackies holten sich die Punkte dort, wo sie es von der Papierform her auch mussten. Und weil das mehr als „gut“ gelang, blieben die zahlreichen Ausrutscher gegen die Großklubs letztlich ohne Folgen. Dazu war die Steigerung im Frühjahr generell beachtlich, ebenso wie die Serie zu Saisonende. Sturm musste in den letzten 7 Partien keine Niederlage mehr einstecken. Auch das ist Beständigkeit.

Die Schlußtabelle

Besonders bitter war das für die Austria, die sich im Jubiläumsjahr mit dem dritten Platz anfreunden muss. Der Weg zum Titel schien geebnet, bis man im Endspurt in eine Desaster-Serie rutschte. Eine Chance, die sich Sturm nicht nehmen ließ. Am frühesten aus dem Rennen ging der Stadtrivale Rapid. Dort wollte es das ganze Jahr über nicht richtig laufen. Die Turbulenzen um Pacult und seinen Abgang nach Leipzig taten ihr Übriges, Zoran Barisic vermochte das Ruder nicht mehr herum zu reißen. Schöttel wird es richten müssen.

Bleibt noch Salzburg: Auch dort sah man einen Trainer gehen. Der Abgang des mürrischen Stevens scheint sich aber positiv auf die Stimmung in der Mozartstadt ausgewirkt zu haben. Die Bullen mutierten von einer heimstarken Truppe zu einem gefürchteten Auswärtsteam. Dass ein Erfolg im Horr-Stadion am Ende Rang zwei rettete, darf da fast schon als symptomatisch durchgehen. Mutig jedenfalls die Entscheidung, den Philosophiewechsel jetzt zu vollziehen und – wohl diesem Folge leistend – den unerfahrenen Ricardo Moniz als Cheftrainer zu behalten. Für ihn wird das kommende Jahr nach der erfolgten Kaderausmistung eine Feuerprobe werden. Und wie immer gilt: In wenigen Wochen geht es wieder los, die Karten werden neu gemischt. (gp)